Wenn die Würde vom Geist abhängt

Transhumanismus – Das menschenrechtskompatible Christentum ist die einzige Religion, für die alle Menschen gleich sind. Ganz anders der Transhumanismus, der Rechte an den Geist bindet

Quelle
Jerôme Lejeune

23.08.2025

C. Rilinger

“Zellhaufen“, “parasitärer Zellhaufen”, “Schwangerschaftsgewebe” oder sogar “Leichnam” – Begriffe, mit denen ungeborene Menschen im Mutterleib benannt werden. Es sind unsägliche Worte, voller Verachtung für menschliches Leben. Urteile, in denen sich kein Fünkchen Menschenliebe zeigt, auch kein Verständnis für die Heiligkeit des Lebens. Und doch: Diese Begriffe sind wie ein Schlüssel, um die atheistische Dimension des Transhumanismus zu verstehen, jene Abart des Humanismus, der Gott und die von ihm in jeden Menschen eingegebene Natur negiert sowie den Menschen an die Stelle Gottes setzt, um selbst bestimmen zu können, was als gut und was als schlecht anzusehen ist. Es ist eine Philosophie, die meint, den Übermenschen schaffen zu können.

Das jahrhundertealte christliche Menschenbild, auf dem die Kultur des Abendlandes und des gesamten Westens basiert, geht von der Einheit von Geist und Körper aus. Folge dieses Menschenbildes ist die grundstürzende Rechtstatsache, dass alle Menschen als gleichwertig angesehen werden, unabhängig davon, welche Hautfarbe sie aufweisen, ob sie Mann oder Frau oder wie sie sexuell orientiert sind. Nach christlicher Auffassung müssen alle Menschen gleichbehandelt werden. Damit erweist sich das Christentum als die einzige Religion, die auf diesem Grundsatz aufgebaut ist. Nicht die Rasse wie im Nationalsozialismus privilegiert eine Gruppe von Menschen, nicht die Klasse wie im Sozialismus/Kommunismus, nicht die Religion wie im Islam, der die Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen kennt, nicht im Hinduismus, der die Menschen nach Kasten einteilt. Im Christentum sind alle Menschen gleich. Damit hat das Christentum den Grundstein gelegt, um einen Rechtsstaat aufbauen zu können und ein friedliches, gleichberechtigtes Miteinander der Menschen zu gewähren – selbst dann, wenn ab und an Desintegrationen auftreten, die dann als verwerflich angesehen werden und zu deren Abwehr Betroffene gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen können.

Menschenrechte werden nicht zugeteilt

Nach christlicher Auffassung stehen die Menschenrechte wegen des Gleichheitsprinzips jedem Menschen in gleicher Weise zu. Sie werden nicht von Menschen zugeteilt, sie werden vielmehr als intrinsisch gedacht, als jedem Menschen innewohnend. Allein durch seine Zugehörigkeit zur Gattung homo sapiens ist der Mensch zum Rechtsträger auserkoren. Keinem Menschen können diese Rechte entzogen werden, sie müssen immer beachtet werden. Selbst dann, wenn Menschen auf Grund von Alter, Krankheit, Unfall oder seit der Geburt kein volles oder gar kein Bewusstsein ihres Selbst haben und folglich unter Betreuung gestellt werden müssen, verlieren sie die Menschenrechte nicht.

Menschenrechte gelten also für jeden Menschen, vom Beginn seines Menschseins bis zum Tod. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das Menschsein und damit die – eingeschränkte – Rechtsfähigkeit mit der Nidation der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter beginnt. Ab diesem Zeitpunkt wirkt das Menschenrecht auf Würde und auf Leben, ab diesem Moment unterliegt der ungeborene Mensch dem Schutz der Verfassung und der Rechtsordnung.

Die Konsequenz des Geist-Körper-Dualismus

Doch dieser Schutz wird durch den Transhumanismus in Frage gestellt. Die Frage: “Was ist der Mensch?” wird nicht im christlichen Sinn beantwortet, sondern im atheistischen. Die den Menschen konstituierende Einheit von Geist und Körper wird aufgelöst hin zu einem Dualismus von Geist und Körper. Der Geist wird vom Körper getrennt, von Fleisch und Blut, und wird zum ausschließlichen Träger von Rechten. Nicht mehr der Mensch an sich wird als Rechtssubjekt angesehen, sondern nur der Geist, während der Körper zum Rechtsobjekt, zur Sache, degradiert wird. Der Geist wird zum Diktator über den Körper und bestimmt dessen Schicksal. Wenn ein Mensch über keinen Geist verfügt, wird er zur Sache, über die andere frei verfügen können – wie üblicherweise Sachen behandelt werden. Sollte das Interesse an ihnen erloschen sein, werden sie weggeworfen oder entsorgt, wie es modern heißt.

Und damit sind wir wieder bei der Abtreibung. Die eingangs zitierten Begriffe, die das ungeborene Kind beschreiben wollen, camouflieren die rechtliche Tatsache, dass ungeborene Menschen als Sachen angesehen werden – als Rechtsobjekte, über die man frei verfügen und die man ungestraft töten kann, schließlich ist es nach unserer Rechtsordnung erlaubt, dass man Sachen, die einem gehören, zerstören und wegwerfen darf. Hinter dieser Forderung scheint wiederum das transhumanistische Menschenbild auf. Ungeborene Menschen haben allein auf Grund ihrer Entwicklung noch kein Selbstbewusstsein, sie können noch nicht über sich selbst nachdenken. Damit wird ihnen der Geist abgesprochen, und sie werden als Sache abqualifiziert. Der französische Arzt Jerôme Lejeune, der Erforscher der Gründe für die Trisomie 21, hat auf das Märchen vom Däumling hingewiesen. Er sei klein, doch sei er ein vollständiger Mensch. Selbst die gerade befruchtete Eizelle birgt in sich den vollständigen Menschen. Nichts kann mehr von außen den Menschen verändern, er ist komplett, auch wenn er noch keinen Geist aufweisen kann. Ein wenige Tage alter Mensch sieht zwar noch nicht so aus wie ein Mensch, doch er ist gleichwohl kein werdender Mensch, er ist ein vollständiger Mensch, der übrigens selbst wenn er nur über wenige Zellen verfügt, nach unserer Rechtsordnung erbberechtigt ist.

Wer sich auf eine abschüssige Bahn begibt, rutscht nach unten

Der ungeborene Mensch verfügt über das volle Menschenrecht auf Würde und auf Leben. Es ist nicht abhängig vom Entwicklungsstand, so dass die Annahme, es gäbe abgestufte Menschenrechte, mit unserer Verfassung und mit unseren ethischen Vorstellungen nicht zu vereinbaren ist. Diese Vorstellung ist grob verfassungswidrig und gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Allerdings kennt der Transhumanismus die Möglichkeit der Abstufung, freilich nicht nur für ungeborene Kinder, sondern für alle Menschen, die entweder über keinen Geist verfügen oder aber nur über einen geringen. Damit wäre die von Menschen unabhängige Zuordnung von Menschenrechten aufgehoben. Wenn diese nach dem Umfang des Geistes zuerkannt werden, müsste es ein Gremium geben, das den Umfang des Geistes überprüft, um dann festzustellen, in welchem Umfang Menschenrechte zugeteilt werden können. Der Willkür wären Tür und Tor geöffnet. Diese Überlegung wäre auch ein Anschlag auf unsere Demokratie. Es müsste dann auch ein abgestuftes Wahlrecht geben, je nach Umfang des Geistes, womit die Idee “One man, one vote” hinfällig wäre.

Auch wenn diese Entwicklung als Verschwörungstheorie abgetan wird, um weiterhin die wahren Ziele des Transhumanismus zu verschleiern, reicht ein Blick auf die Entwicklung der Zulassung der Euthanasie, um die Kritiker eines Besseren zu belehren. Nach dem Krieg wurde die Euthanasie vor dem Hintergrund der Verfehlungen im Dritten Reich abgelehnt, doch zwanzig Jahre später wurde sie für irreversibel kranke Patienten gefordert, weitere zehn Jahre später sollte eine schwere, aber reversible Krankheit ausreichen und wiederum zehn Jahre später sollte die Euthanasie erlaubt werden, wenn man sich nicht so gut fühlt. Und jetzt? In einigen europäischen Staaten ist sie erlaubt. Wer sich auf eine abschüssige Bahn begibt, rutscht nach unten. Dabei werden immer mehr Prinzipien aufgegeben.

Das Selbstbestimmungsgesetz ist Transhumanismus

Im Selbstbestimmungsgesetz sind erstmalig transhumanistische Prinzipien zum Inhalt eines Gesetzes geworden. Es basiert auf der Vorstellung, dass nicht die Natur, sondern nur der Geist bestimmt, welches Geschlecht ein Mensch hat. Die Natur des Menschen mit der Chromosomenverteilung von XX-Chromosomen für Frauen und XY-Chromosomen für Männer wird als biologistisch und naturalistisch verworfen. Nicht mehr der Körper soll das Geschlecht bestimmen, sondern ausschließlich der Geist, schließlich wird nur er als Rechtssubjekt angesehen. Dadurch entsteht die Fiktion, dass Männer Transfrauen sein könnten und Frauen Transmänner. Wenn allerdings Transmänner schwanger werden, gehen sie zum Frauenarzt. Und Transfrauen lassen sich wegen Prostatainsuffizienz auch nicht vom Frauenarzt behandeln. Stringenz ist diesem Gesetz fremd.

Das Bundesverfassungsgericht hat die vornehmliche Aufgabe, die bestehende Verfassung auszulegen und dabei auch zu beachten, dass in der Präambel des Grundgesetzes ausdrücklich die Verantwortung vor Gott aufgeführt ist. Dieser Hinweis war vor dem Hintergrund der Verbrechen im Dritten Reich notwendig und sollte die künftigen Ausleger der Verfassung darauf hinweisen, dass der Mensch sich nicht anmaßen darf, die letzte Grenze seines Denkens und Handelns selbst zu schaffen, sondern dass er die Grenze in Gott und in dem von ihm dem Menschen eingegebenen Naturrecht beachten muss. Nicht das von Menschen erdachte, rechtspositivistische Recht, das nur auf den jeweiligen politischen Wünschen basiert, darf den Maßstab bilden, sondern die ewigen Werte, die sich aus dem Dekalog und dem kantischen Sittengesetz ergeben. Denn nur, wenn diese Rechtsbegründungen herangezogen werden, können gerechte Urteile gefällt werden.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Publizist. Kürzlich erschien sein Buch „Christentum und Verfassung – Ein Dualismus oder doch eine Einheit?“ (editiones scholasticae).

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