Roms langer Weg zur Zweistaatenlösung

Traditionell stand der Vatikan den arabischen Ländern näher als dem Judenstaat. Erst unter Papst Johannes Paul II. kam die Wende. Seither halten die Päpste die Balance zwischen Juden und Palästinensern

Quelle
Papst Leo telefoniert mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas
Sanktionen: Palästinenserpräsident Abbas darf nicht in die USA reisen | tagesschau.de
Palästinenserpräsident – Mahmud Abbas – ein Präsident ohne Volk – News – SRF

29.08.2025

Guido Horst

Noch am 21. Juli, während eines Telefongesprächs mit Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas über die dramatischen Entwicklungen im Gaza-Streifen und im Westjordanland, hat Papst Leo XIV. an den “verheißungsvollen zehnten Jahrestags des Globalabkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Palästina” erinnert, das am 26. Juni 2015 unterzeichnet worden war und am 2. Januar 2016 in Kraft trat. Eine Woche später, am Rande einer Veranstaltung des Heiligen Jahres, folgte ihm darin Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Die diplomatische Linie des Vatikans sei immer die gewesen, dass beide Staaten, Israel und Palästina, “nebeneinander in Autonomie, aber auch in Zusammenarbeit und Sicherheit leben”, sagte Parolin vor Journalisten und ließ keinen Zweifel daran, dass der Heilige Stuhl an dieser Linie festhalten werde.

Zwar werde das “auch aufgrund der Situation, die sich im Westjordanland entwickelt hat und weiter entwickelt”, immer schwieriger: “Aus praktischer Sicht ist dies sicherlich nicht förderlich für die Verwirklichung des Staates Palästina”, meinte der Staatsekretär des Papstes mit Blick auf die sich ausweitenden israelischen Siedlungen im Westjordanland. Aber dennoch könne das Abkommen vom 26. Juni 2015 “in gewisser Weise einen Anstoß geben, um den langjährigen israelisch-palästinensischen Konflikt, der beiden Seiten weiterhin Leid verursacht, endgültig zu beenden”.

Kein Papstsegen für den Zionismus

Und ganz offiziell bekräftige Erzbischof Gabriele Caccia, der Vertreter des Vatikans bei den Vereinten Nationen, zwei Tage später bei einer von Frankreich und Saudi-Arabien initiierten Konferenz der Vereinten Nationen zur “friedlichen Lösung der Palästinafrage und zur Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung” die Überzeugung des Heiligen Stuhls, dass “die Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage sicherer und international anerkannter Grenzen der einzige gangbare und gerechte Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden ist”. Für den Vatikan, so stellte Caccia bei der New Yorker Konferenz am 30. Juli klar, bleibe es bei der “entschiedenen Unterstützung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung” sowie der “legitimen Bestrebungen” der Palästinenser, “in Freiheit, Sicherheit und Würde in einem unabhängigen und souveränen Staat zu leben”. Drei klare Statements innerhalb von zehn Tagen, vom Papst, vom Kardinalstaatssekretär und vom Vatikan-Repräsentanten bei den Vereinten Nationen, die eine völlig eindeutige Haltung Roms zur Palästinenser-Frage belegen.

Nachdem Papst Johannes Paul II. am 15. September 1982 erstmals PLO-Chef Jassir Arafat in Privataudienz empfangen hatte, gab es einen stabilen Gesprächsfaden zwischen dem Vatikan und den Palästinensern, der bereits vor 25 Jahren, am 15. Februar 2000, zu einem ersten Abkommen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation führte, bevor beide Seiten dann Anfang 2016 auf Grundlage des im Sommer zuvor abgeschlossenen Vertrags volle diplomatische Beziehungen aufnahmen.

Ungleich schwieriger und gewundener waren die Beziehungen Roms zu Israel. Die Vorgeschichte: Am 26. Januar 1904 hatte Theodor Herzl Papst Pius X. den Plan vorgetragen, Juden wieder in Palästina anzusiedeln. Der Papst antworte freundlich, aber mit entschiedener Ablehnung: “Wir können die Bewegung nicht gutheißen. Wir können Juden nicht daran hindern, nach Jerusalem zu gehen, aber unterstützen können wir das niemals.”

Paul VI. betrat 1964 als erster Papst den Judenstaat

Pius XII. schrieb 1948 und 1949 zwei Enzykliken über Palästina. In ihnen ging es aber nicht um die Palästinenser und erst recht nicht um die Juden, sondern um einen Aufruf an die Vereinten Nationen, “unter den gegebenen Umständen” die Heiligen Stätten zu schützen. Als schließlich Paul VI. 1964 als erster Papst den Judenstaat betrat, nahm er das Wort “Israel” nicht ein einziges Mal in den Mund.

Traditionell stand der Vatikan immer den arabischen Staaten näher als dem Judenstaat. Ein Streiflicht noch aus dem Jahr 1973 belegt das in fast drastischer Weise: Am 15. Januar empfing Paul VI. die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir in Audienz. Im unmittelbaren Anschluss daran ließ das vatikanische Presseamt verlauten: “Was den Besuch von Frau Golda Meir beim Papst betrifft, muss beachtet werden, dass es sich nicht um eine Geste des Vorzugs oder der Exklusivität handelt. Paul VI. empfing den König Hussein von Jordanien und andere Persönlichkeiten höchsten Ranges aus der arabischen Welt und arabischen Ländern. Der Heilige Stuhl pflegt herzliche Beziehungen zu Ägypten, dem Libanon, Syrien und unterhält diplomatische Beziehungen zu Tunis, Algerien, Kuwait und dem Irak.” Zutreffend kommentiert der Rom-Fachmann Reinhard Raffalt in seinem damals erschienenen Buch “Wohin steuert der Vatikan?” diese Erklärung: “Niemals bisher war es vorgekommen, dass der Vatikan einem Regierungschef, der den apostolischen Palast noch kaum verlassen hatte, schon die ganze Phalanx seiner politischen Feinde und deren Freundschaft mit dem Heiligen Stuhl öffentlich vorhielt. Von solchem Tonfall bis zur unverhohlenen Feindseligkeit war nur noch ein Schritt.”

Der Wandel kam schließlich mit Johannes Paul II. Dass er 1986 als erster Papst überhaupt die römische Synagoge besuchte, Rabbiner Elio Toaff umarmte und gemeinsam mit ihm betete, hatte zwar nichts mit Israel zu tun, beendete aber die Sprachlosigkeit zwischen dem Vatikan und dem Judenstaat. In nur sieben Jahren arbeiteten beide Seiten einen Grundlagenvertrag aus, der 1993 in Kraft trat. Man tauschte Botschafter aus und es begann eine Zeit des Dialogs, die in der Reise von Johannes Paul II. ins Heilige Land im Jahr 2000 ihren Höhepunkt fand. Papst Benedikt XVI. folgte ihm im Mai 2009 und Papst Franziskus genau fünf Jahre später.

Wider die Spirale des Hasses und der Gewalt

Alle drei Päpste legten Wert darauf, dass ihre Besuche nicht als politische Mission, sondern als Pilgerfahrt zur Geburtsstätte des Christentums gedeutet wurden – mit großem Respekt für alle drei Religionen, denen Jerusalem heilig ist, und mit großem Respekt für Juden und Palästina-Araber. Als sich Papst Franziskus 2014 dem Betonring bei Bethlehem wie einer zweiten Klagemauer näherte und den Kopf an sie lehnte, war das wie eine Verneigung vor den Leiden der palästinensischen Bevölkerung, die unter der Zerschneidung und Einkesselung ihres Territoriums leidet. Aber auch für die Anerkennung Israels als Heimstatt der Juden fand Franziskus eine eindeutige Geste: Am Denkmal für Theodor Herzl legte der Papst 110 Jahre nach der Audienz Herzls bei Pius X. einen Kranz aus Blumen nieder.

Als Papst Franziskus die Präsidenten Shimon Peres und Mahmud Abbas im Juni 2014 in den Vatikan einlud, tat er das nicht, um dort Friedensverhandlungen zu führen, sondern den Frieden demütig von Gott zu erbitten. Der Papst bat beide Seiten um den Mut, die “Spirale des Hasses und der Gewalt” zu durchbrechen. Um Frieden zu schaffen, sei weit mehr Mut erforderlich als zum Kriegführen. Jetzt, da sich die “Spirale des Hasses und der Gewalt” in Nahost wieder dramatisch nach oben dreht, kommt einem die Szene von 2014 in den vatikanischen Gärten vor wie ein Film aus längst vergangener Zeit. Aber der Vatikan bleibt dabei, dass so wie den Israelis auch den Palästina-Arabern das Recht auf einen eigenen Staat nicht zu nehmen ist.

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