Wüstenmütter: Geistliche Hebammen voller Kraft und Weisheit

Orthodoxe Spiritualität – Sie gelten als die ersten Nonnen und Einsiedlerinnen der Christenheit – und haben unserer modernen Welt viel zu bieten: Die Wüstenmütter des frühen Christentums

Quelle
Maria von Ägypten – Ökumenisches Heiligenlexikon
Das Heilige und das Lachen | Die Tagespost
Anna Maria Brunner-Probst: Damit nicht ein Tropfen Kostbaren Blutes vergeblich vergossen wird: Swiss Cath News
Marie Anna Brunner.pdf

20.07.2025

Barbara Wenz

Ihre Namen klingen fremd in unseren Ohren und die lateinische Kirche des Westens scheint sie vergessen zu haben: Syrrha, Synklektika, Melania, Maria Aigyptia und einige andere mehr. Sie lebten an der Schwelle des 4. Jahrhunderts unter extremen Bedingungen in der nordafrikanischen Wüste und widmeten sich fast übermenschlicher Askese in strengem Stillschweigen, vereint mit unablässigem Gebet am Tage und in zahllosen Nachtwachen.

Wir nennen sie Wüstenmütter oder Ammas – und ihre Weisheit, resultierend aus ihrer kompromisslosen Christusnachfolge, wurde uns durch die „Meterikon“ genannte Sammlung ihrer Sprüche, Lehrworte und geistlichen Weisungen von einem Mönch namens Jesaija, der im 12. oder 13. Jahrhundert lebte, auf den Wunsch der Kaisertochter und Nonne Theodora überliefert.

Eine Heilige, die Goethe und Rilke inspirierte

Eine Amma im Wortsinne ist eigentlich die Tante väterlicherseits, aber auch die Geburtshelferin beziehungsweise Hebamme oder Amme – und in den Kirchen des Ostens ist die Erinnerung an die heiligen Frauen, die für Christus alles aufgaben und unter entbehrungsreichen Bedingungen in der Wüste lebten, auch liturgisch noch sehr lebendig. Eine besondere Stellung hat dabei Maria Aigyptia, Maria von Ägypten, inne, der unter anderem am fünften Fastensonntag der Großen Fastenzeit gedacht wird: Eine Sünderin sei sie ganze 17 Jahre lang gewesen, bis sie bei einem Aufenthalt in Jerusalem versuchte, das heilige Kreuz zu küssen: Es gelang ihr nicht, weil eine unsichtbare Macht sie daran hinderte, worauf sie sich bekehrte und in die Jordanwüste ging, wo sie fast 50 Jahre fastete, betete und unter Tränen Buße tat.

Denkwürdig ist die Begegnung des ehrwürdigen Zosimas, eines Wüstenvaters, mit dieser ungewöhnlichen Frau: Er soll beobachtet haben, wie sie sich beim Gebet von der Erde erhob. Da Maria mit nichts weiter bedeckt war als ihren langen Haaren, stürzte ihr Anblick Zosimas zusätzlich in Verwirrung. Dementsprechend wurde uns auch ein Dialog zwischen den beiden überliefert, wonach sie ihn um seinen Mantel bittet, damit sie sich bedecken könne. Gerade fragt sich Zosimas, ob es sich bei Maria etwa um ein teuflisches Trugbild handele, da ruft sie ihm – seine Gedanken lesend – erneut zu: “Das verzeih dir Gott, dass du mich arme Sünderin für einen unreinen Geist hältst!” Es beginnt eine Art Wettstreit um persönliche Demut: Während Maria Zosimas um seinen priesterlichen Segen bittet, will dieser partout von ihr gesegnet werden, da er als erfahrener Seelsorger rasch erkannt hat, welch heilige Seele vor ihm steht. Nachdem sie ihm von ihrer sündigen Vergangenheit berichtet hat, bittet sie ihn, am Gründonnerstag des nächsten Jahres wiederzukommen und ihr den Leib des Herrn zu reichen. Wieder sieht er sie zu diesem Anlass über die Wasser des Jordans schreiten, empfängt die heilige Kommunion aus seinen Händen, segnet ihn mit dem Zeichen des Kreuzes und spaziert über die Wasser zurück ans andere Ufer. Als Zosimas nach einem weiteren Jahr an den Ort zurückkehrt, an dem er sie zuletzt traf, findet er nur noch ihre sterblichen, unverwesten Überreste, die er bestatten möchte, was aber seine Kräfte übersteigt. Da kommt ein Löwe vorbei, dessen Anblick Zosimas vor Furcht erzittern lässt, bis er mit Erstaunen sieht, wie das prachtvolle Tier mit seiner Tatze ein Grab für Maria aushebt, in das der Mönch sie endlich zur Ruhe betten kann. Dieses Grab wird schnell zum Ziel von Wallfahrern. An Maria von Ägypten erinnern im Westen vor allem Johann Wolfgang von Goethe in seinem Faust II, wo sie gemeinsam mit zwei biblischen Frauen Fürsprache für Gretchen einlegt, die Triptychen von Emil Nolde und das Gedicht “Die ägyptische Maria” (1918) von Rainer Maria Rilke.

Jenseits von feministischer Vereinnahmung

Wie die Geschichte um den Abt Zosimas und die Heilige zeigt, lief das christliche Miteinander von Männern und Frauen in der Wüste nicht ohne Irritationen ab. Zur Askese von allen Fleischesgelüsten gehört neben dem Fasten die Keuschheit. Darunter ist nicht ausschließlich sexuelle Abstinenz zu verstehen; der Begriff ist weiter gefasst und meint auch die Freiheit von Leidenschaften und Verhaftungen, die durch unsere Sinnesorgane evoziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist zuerst strenge Selbstdisziplin nötig. Begegnungen mit Frauen, selbst wenn sie dieselbe asketische und radikale Lebensform wie die Wüstenmönche gewählt hatten, bargen große geistliche Gefahren, wie zumeist die Männer befanden. Die Ammas indes schienen dagegen ziemlich immun zu sein.

Es gab und gibt Versuche innerhalb der Theologie, insbesondere im Rahmen der westlichen Frauenforschung, die Ammas oder auch andere starke Frauen ideologisch zu vereinnahmen und ihnen die zeitgeistigen Erkenntnisse des 21. Jahrhunderts überzustülpen. Doch die Bewegung und Kraft der Wüstenmütter ist in keiner Weise frauenspezifisch, wie auch schon Margit Eckholt, Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Universität Osnabrück, in ihrer Buchbesprechung zu “Meterikon. Die Weisheit der Wüstenmütter” unterstrichen hat. Und schon gar nicht ist sie beziehungsweise ihr Lebensstil feministisch: Vielmehr folgten die heiligen Frauen der Wüste dem Ideal des „angelikos bios“, also einem asketischen Lebensideal gemäß den Räten des Evangeliums, welches in Sonderheit weder speziell auf Männer noch auf Frauen zugeschnitten wurde, ganz gemäß den wohlbekannten Worten des heiligen Apostels Paulus in seinem Brief an die Galater, wonach es weder Juden noch Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen in Christus gebe, in dem alle eins seien (Gal 3,28). 

Wenn Männer ein Problem mit frommen Asketinnen haben

Weniger bekannt dagegen ist ein Ausspruch der heiligen Sarra, deren Gedenktag in den orthodoxen Kirchen alljährlich am 13. Juli gefeiert wird. Zu ihr kamen einmal zwei Altväter mit der Absicht, sie zu demütigen, und ermahnten sie, nicht hochmütig zu werden, weil die beiden großen heiligmäßigen Männer sie besucht hatten. Worauf die heilige Sarra unter Tränen und voller Demut geantwortet haben soll: „Von Natur aus bin ich zwar eine Frau, meinen Gedanken nach aber bin ich ein Mann.“ Auch diese Begebenheit wiederum zeigt, dass eher die Männer ein Problem mit den frommen Asketinnen hatten als diese mit ihnen. 

Freilich gab es Ausnahmen. Da wäre insbesondere Abbas Bessarion zu nennen, ein Schüler des berühmten heiligen Makarios des Großen, dessen Gebete noch heute in der orthodoxen Liturgie rezitiert werden. Dieser Abbas Bessarion, ebenfalls hochgeachtet für seine strenge Askese, bewunderte seinerseits einen nicht namentlich bekannten Abbas, an dessen Kellion er hin und wieder vorbeikam, für dessen vorbildliche Lebensweise. Als er ihn eines Tages tot vorfand, wollte er ihn gemeinsam mit einem Bruder, den er herbeigerufen hatte, beerdigen. Dabei entdeckten die beiden Männer, dass es sich bei dem verstorbenen vermeintlichen Abbas um eine verkleidete Frau handelte – ein Umstand, der zur damaligen Zeit nicht selten vorkam.  Der heilige Bessarion aber rief erstaunt aus: „Frauen besiegen den Diabolos, aber wir Männer führen uns blamabel auf.“ Ein großes, ein sehr großes Wort im Angesicht der schon seit jeher herrschenden Einstellung, dass es nun einmal mit Eva eine Frau gewesen sei, die die alleinige Schuld am Sündenfall trage und viel Unheil über die Menschheit gebracht habe. 

Die Autorin schreibt über Themen der orthodoxen Kirchen und byzantinischen Tradition.

 

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