Theologie und Geschichte – “Im brennenden Haus”
Der Briefwechsel von Josef Pieper und Hans Urs von Balthasar wirft ein helles Licht auf die nachkonziliare Ära und die Rolle des jungen Theologen Joseph Ratzinger.
Quelle
Papst em. Benedikt XVI. (2031)
Erinnerungen eines Ratzinger-Schülers: “Er war der Star unter den Theologen” – DER SPIEGEL
Kardinal Ratzinger in Heiligenkreuz – Stift Heiligenkreuz
Josef Pieper
Hans Urs von Balthasar
11.07.2025
Berthold Wald
Josef Pieper (1904–1997) und Hans Urs von Balthasar (1905–1988) gehören zu den herausragenden katholischen Intellektuellen in der Philosophie und Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihre Korrespondenz umfasst die Jahre 1934–1937 und eine zweite Phase ab 1948 bis zum Tod Hans Urs von Balthasars im Juni 1988. Jedem auf seine Weise, und darin einander freundschaftlich verbunden, geht es um die Erneuerung eines lebenswirksamen Zugangs zur Wahrheit des katholischen Glaubens. (…)
Bei Aufnahme der Korrespondenz im Oktober 1934 durch Josef Pieper arbeitete dieser federführend in einer von drei westdeutschen Bistümern finanzierten Einrichtung, die sich „Institut für neuzeitliche Volksbildungsarbeit (Dortmund)“ nannte. (…) Ab dem Herbst 1936 bis zum vorläufigen Ende der Korrespondenz im Dezember 1937 entwickelt sich ein reger Austausch erster eigener Schriften mit aufmerksamem Interesse für laufende und geplante Publikationen.
Tradition ist durch lebendige Reflexion immer Gegenwart
Entscheidend – auch für die Wiederaufnahme der Korrespondenz im Mai 1948 – ist eine grundlegende Übereinstimmung in der Zielsetzung: Um überhaupt Wirkung im Sinne einer „Rechristianisierung“ zu erzielen, muss, wie Pieper es formuliert hatte, „die Arbeit (…) formell rein auf die Sache gehen, und die Tradition soll zwar tatsächlich sehr stark, nicht aber als historische Begründung zu Wort kommen; das ‚wissenschaftliche‘ Zitat als historisches Argument würde dem inneren Stil unserer Veröffentlichungen nicht entsprechen, während es als sachlich-klärendes Argument natürlich durchaus am Platze ist.“
Balthasar bestätigt das umgehend: „Ich habe keine historischen Absichten, es geht mir nur um das Sachliche: Insofern eben die Tradition durch lebendige Reflexion immer Gegenwart ist und es immer neu werden soll. Meine ganze Arbeit meint dieses Gegenwärtigmachen.“ (…)
Korrespondenz kreist um Austausch von Büchern
Die am 3. Mai 1948 wieder einsetzende Korrespondenz kreist sogleich um den Austausch von Büchern. Pieper hebt speziell sein kleines Buch „Muße und Kult“ hervor. Er will damit „ein Gespräch ‚Über das Abendland hin‘ beginnen“ und bittet Balthasar um Vermittlung von Kontakten nach Frankreich.
In seinem Antwortbrief vom 1. Juni 1948 geht Balthasar eher kurz darauf ein. Wichtiger noch als der Austausch von Büchern ist ihm das Persönliche: „Aber wir bleiben auch so in geistiger Verbundenheit, nicht wahr?“ Diese Verbundenheit wünscht er sich vor allem für „extravagante Pläne“ in der nächsten Zeit: „Ich empfehle sie – und mich – Ihrem Gebet, ernstlich und sans phrase.“ Was er damit gemeint haben dürfte, ist die „im Gebet“ geprüfte Gewissheit, „von Gott zu bestimmten Aufgaben im Raum der Kirche gerufen zu sein.“ (…)
Piepers Kritik an Ratzingers Priesterbild
Ab Juli 1967 folgt dann eine merkliche Zunahme der Briefkontakte. Pieper äußert sich begeistert über Balthasars Buch „Kierkegaard nachkonziliar“ und setzt hinzu: „Wohin man gerade greift, ist’s aktuell (Zölibat – zum Beispiel)!“ Der Briefwechsel umkreist jetzt nahezu ein einziges Thema: die Krise in Theologie und Kirche und was dagegen zu tun sei. (…)
Die Ausweitung der Krise verortet Balthasar im Umkreis der Theologie Karl Rahners und ebenso in der Untätigkeit der Bischöfe. Pieper sieht das genauso. Allerdings verteidigt er Rahner, der sich missverstanden fühlt, gegen ein Umfeld theologischer Neuerer, das sich zu Unrecht auf ihn beruft. (…)
Pieper ist zur selben Zeit sehr engagiert „als Laie“ beim Thema Priestertum. Den ersten Anstoß dazu gibt ihm eine Äußerung „unseres Freundes Ratzinger über das Priestertum“: „Der Priester sei primär ‚nicht Kulthandwerker, sondern Wortbedenker‘! Eine ungute, nicht nur falsche Formulierung. Bleibt so am Ende allein das ‚Wort‘ und der ‚Prädikant‘? Und dafür Priesterweihe, Zölibat, usw. usw.?
Kein Wort steht bei Ratzinger über die Konsekration, über die konsekratorische priesterliche Vollmacht und ihren Zusammenhang mit der Präsenz Christi in der Eucharistie. Er spricht nur von ‚eucharistischen Gaben‘ und daß Christus in der Gemeinde gegenwärtig werde. Ich habe ihm freundschaftlich über diese Dinge vor Wochen einen langen Brief geschrieben; aber bisher noch keine Antwort.
Hoffnung auf ein klärendes Wort in Bezug auf das Priestertum
Das Schlimme ist, daß dieser Aufsatz von den jüngeren Theologen (Studenten) leidenschaftlich bejaht wird – Konsekration, Sakrament, ‚Kult‘: weg mit alledem! – Ich habe die inständige Hoffnung, daß die Bischöfe, in ihrem angekündigten Lehrschreiben über das Priestertum, ein energisch klärendes Wort sprechen.“ (…)
Im selben Brief, in dem Pieper sich am 26.04.71 für Balthasars großartige „Klarstellungen“ bedankt, schildert er den Anlass für eine weitere, energisch auf Klärung drängende Äußerung zum Thema Priestertum. Pieper ist seit 1947 auf katholischer Seite der einzige Laie in dem 1946 gegründeten „Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen“.
Das Schweigen katholischer Priester
Über ein solches Treffen berichtet er an Balthasar: „Vor Palmsonntag war wieder die ökumenische Theologentagung (…); Thema: Sacerdotium. Ich fand es ziemlich katastrophal, daß zwar die Protestanten munter ihre These von der Nichtexistenz eines Amtspriestertums hinstellten und daß kein katholischer Theologe die Gegenthese (‚nicht nur gradueller, sondern essentieller Unterschied‘!) überhaupt aufgestellt, geschweige denn erläutert und begründet hat.
Ich habe dann, notgedrungen improvisierend schlecht und recht, in der Diskussion etwas dieser Art versucht (ohne Schützenhilfe von den katholischen Theologen). Jaeger schrieb mir, er sei bedrückt und schäme sich schon angesichts der kommenden Publikation der Referate; ich solle doch ‚ein klares und mutiges Wort‘ zum Thema sagen!! Vielleicht tue ich es wirklich – faute de mieux!“
„Wo der Klerus die Kirche ruiniert, werden die Laien das Licht hindurchtragen”
Auf katholischer Seite war es Karl Lehmann, dessen Referat der Anlass für Piepers Improvisationen und Jaegers Scham gewesen war. Aus Enttäuschung erwägt er, an den Treffen dieses Kreises nicht mehr teilzunehmen. Balthasar antwortet postwendend nur zwei Tage später mit deutlichen Worten:
„Ja, setzen Sie sich für das wahre Amt ein. (…) Falls die römisch Kirche ernsthaft das Amtsverständnis ihrer 2000 Jahre aufgäbe, würde ich zur Ostkirche übertreten, wo es noch intakt bleiben wird. Schmach und Schande über die Leisetreter Jaeger, Volk etc. – (…) Wo der Klerus die Kirche ruiniert, werden die Laien das Licht hindurchtragen.“
Piepers klärende Worte in der Zeitung
Piepers von Kardinal Jaeger erbetenes „klares und mutiges Wort“ erscheint dann wenig später in der Zeitschrift Hochland unter dem Titel „Was unterscheidet den Priester? Ein notgedrungener Klärungsversuch“. Ein ausführlicher Bericht über Anlass und Hintergrund seiner Priesterschrift findet sich in dem Kapitel „Nachkonziliare Wirrnisse“, im zweiten Teil seiner Autobiographie „Noch nicht aller Tage Abend“.
Er schließt mit den Worten: „Ein Berliner Prälat, der Kardinal Alfred Bengsch zur Römischen Bischofs-Synode (1971) begleitete, hat mich später wissen lassen, sein Kardinal habe das Opusculum dem Papst überreicht mit der Bemerkung, in Deutschland habe sich neuestens leider nur ein Laie zulänglich über das Thema ‚Priestertum‘ geäußert.“ (…)
Als sich Balthasar kaltgestellt fühlte
Über die Beratungen der Internationalen Theologenkommission erfährt Pieper von Balthasar auch nichts Gutes: „Konferenzen im brennenden Haus. Gestern war Küng da, völlig manisch. Wie das endet, ist nicht absehbar. Rahner stützt ihn halt absolut. – Ratzinger ist physisch am Ende, aus moralischen Gründen, er verträgt so viel Unvornehmheit nicht. Ich bin ganz kaltgestellt, muß mich aber täglich den Polypenarmen der ‚Rechtsleute‘ entwinden.“ (…) „Eigentlich erhalte ich von den Maßgebenden keine andern Briefe und Bekenntnisse mehr, der Abfall hat eigentlich gesiegt und die Folgen sind nur eine Frage der Zeit.“ (…)
Ein Jahr später dankt Pieper nach einem Treffen in Basel sehr herzlich für das Gespräch und ist darüber „bedrückt, daß Sie sagten, Sie hätten keine Lust mehr zu schreiben (was hoffentlich nicht zu ernst gemeint war?). Man muß doch sich zu Wort melden. (…) Balthasar antwortet bedrückt: (…) Ich denke, es wird für mich vor allem ins Seelsorgliche gehen.“
Gegenseitige Dankbarkeit
Am 26. Juni 1988 stirbt Hans Urs von Balthasar ganz überraschend in Basel, noch bevor er die sichtbaren Zeichen der ihm von Papst Johannes Paul II. zugedachten Kardinalswürde in Rom in Empfang nehmen kann. Josef Pieper, der seinen Glückwunsch mit der Bemerkung beginnt, noch sei es ihm „unmöglich, Sie als ‚Eminenz‘ anzureden“, erhält eine gedruckte Danksagung mit dem handschriftlichen Zusatz: „Keine Sorge: Titel wie Eminenz sind (in Dt.) absolut verpönt. Im Ganzen bleibt alles beim Alten: Basel, die Arbeit.“ (…)
Was Balthasar und Pieper aneinander hatten, kommt am schönsten zum Ausdruck im gegenseitigen Dank aus Anlass des achtzigsten Geburtstags von Hans Urs von Balthasar. Seinen guten Wünschen fügt Josef Pieper hinzu: „vor allem: Dank! Ich kann es im Einzelnen gar nicht sagen, was ich alles Ihnen, durch nun sicher schon fünfzig Jahre hin, zu danken habe.“
Balthasar antwortet: „So danken wir uns halt gegenseitig oder lieber Gott – denn auch Sie sind, wenn ich ausufere, immer wieder der Richtunggeber, das Leitseil, ich konsultiere Sie dauernd und Sie haben mich öfter als Sie meinen, zurückgerufen auf den Weg der Mitte. Dafür wandern die Gedanken sehr oft in Dank zum Malmedyweg. Im Herrn Ihr HBalthasar.“
Der Autor gehört dem Vorstand der Josef-Pieper-Stiftung an und gibt die Werkausgabe Piepers heraus. Dieser Text ist die leicht gekürzte Fassung der Einleitung des von ihm herausgegebenen Briefwechsels von Pieper und Hans Urs von Balthasar 1934–1988, der jüngst im Einsiedeln-Verlag erschienen ist.
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