Bosbach: “Stille der Kirchen ist beängstigend”
Die Äußerungen von Friedrich Merz haben in der Union für Unruhe gesorgt. Wolfgang Bosbach sieht die Schuld bei der SPD und mahnt die Kirchen zum Widerspruch. Andere sehen die Christdemokraten selbst in der Pflicht
Quelle
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Lebensschutz: Debatte um § 218 – Bistum Augsburg
10.07.2025
Meldung
Wolfgang Bosbach ist ein konservatives Urgestein seiner Partei. Dass die Debatte um die von der SPD als Bundesverfassungsrichterin nominierte Frauke Brosius-Gersdorf die Mitglieder wie die Anhänger der Union umtreibt, weiß er natürlich. Besonders heikel: Seit der Antwort von Friedrich Merz gestern im Plenum des Bundestages auf eine Frage der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch, er könne es mit seinem Gewissen vereinbaren, für die Kandidatin zu stimmen, gibt es zudem eine massive Verunsicherung darüber, welche Bedeutung das “C” und der Lebensschutz für die Partei noch haben.
Wie schätzt Bosbach die Lage ein? “Die SPD weiß genau, was sie tut und hat ganz offensichtlich kein Problem damit, dass jetzt linker politischer Aktivismus im Bundesverfassungsgericht Platz nehmen soll. Dies legt die Vermutung nahe, dass in Ermangelung entsprechender parlamentarischer Mehrheiten unsere Verfassung zukünftig via Rechtsprechung nicht nur ausgelegt, sondern faktisch geändert werden soll”, erklärt er gegenüber dieser Zeitung. “So widerspricht die Haltung von Frau Brosius-Gersdorf zum Schutz ungeborenen Lebens ganz offenkundig der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtes. Mich erstaunt aber auch die beängstigende Stille der Kirchen zu dieser Thematik, aber die haben aktuell vermutlich mehr mit dem Thema ,Bedeutung der Regenbogenflagge‘ zu tun.”
“Die Antwort von Friedrich Merz überrascht mich nicht”
Zur Äußerung des Bundeskanzlers stellt er fest: “Die Antwort von Friedrich Merz überrascht mich nicht, denn er muss auch hier sehr sorgfältig abwägen. Könnte er es denn verantworten, wenn an seiner ablehnenden Haltung gegenüber der vorschlagsberechtigten SPD die Koalition platzt? Wohl kaum. Sein ‘Ja’ auf die Frage heißt ganz sicher nicht, dass er die umstrittenen Positionen der Kandidatin teilt.” Bosbachs Prognose für die Zukunft: “Spannend dürfte zu beobachten sein, wieviel sich die Union noch alles von der SPD bieten lässt, bis die ersten sagen: ‘Bis hier hin und nicht weiter!'”
Christdemokraten, die sich besonders für den Lebensschutz engagieren, haben sich bei den “Christdemokraten für das Leben” (CDL) zusammengeschlossen. Susanne Wenzel ist Bundesvorsitzende des Verbandes. Ihre Einschätzung der Äußerung des Kanzlers im Bundestag: “Warum Merz hier ohne Not die Herzkammer des Christlichen Menschenbildes, nämlich den Schutz des menschlichen Lebens, zur Disposition stellt, ist unerklärlich. Erst recht vor dem Hintergrund, dass CDU und CSU zum Ende der letzten Legislaturperiode den Antrag zur Legalisierung der Abtreibung erfolgreich abgewendet haben. Und noch im letzten Jahr hatte Merz unter großem Beifall bei der Frauen Union für den Schutz des ungeborenen Lebens geworben.”
Aussage “nicht repräsentativ für die Partei”
Weiterhin betont Wenzel gegenüber dieser Zeitung: “Im Übrigen ist seine Aussage auch keineswegs repräsentativ für die Partei. Das zeigen nicht nur die breiten Proteste gegen die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf innerhalb der Bundestagsfraktion, wo ja keineswegs klar ist, wie die Abstimmung am Freitag ausgeht. Es gibt erhebliche Proteste auch aus der Mitte der Partei. Zur Erinnerung: Bei der Mitgliederbefragung 2023 hatten rund 94 Prozent der CDU Mitglieder den Schutz des ungeborenen Lebens als ein Kernthema für die CDU definiert. Das sollte Merz nicht unterschätzen, wenn er hier die Solidarität mit der Parteibasis aufgibt beziehungsweise diese so massiv gefährdet. Es wird nicht zum Frieden in der CDU beitragen und ganz sicher wird es die Enttäuschung, die viele Mitglieder seit Monaten über den Parteivorsitzenden Merz empfinden, nur verstärken.”
Wenzels Bilanz: “CDU und CSU haben in ihren Grundsatzprogrammen klare Bekenntnisse zum christlichen Menschenbild und zum Recht auf Leben, und damit haben wir eine klare Positionierung in der Union, die auch für einen erheblichen Teil der Bundestagsfraktion von großer Bedeutung ist. Das ist die Herzkammer der Unionsparteien. Das ist Maßstab des Handelns. Dass ein Parteivorsitzender der CDU hier offenbar eine echte Bindung vermissen lässt, aus welchen Gründen auch immer, wird sich im Bewusstsein der Mitglieder und der konservativen Wähler festsetzen.”
Pantel: “Verrat”
Wenzel ist nicht die Einzige, die mit Merz’ Aussagen fremdelt. Noch wesentlich härter beurteilt die langjährige CDU-Politikerin Sylvia Pantel den Vorgang. Einer der Schwerpunkte der Katholikin, die bis 2021 Bundestagsabgeordnete war, war immer die Familien- und Gesellschaftspolitik. Innerhalb ihrer Fraktion zählte die Düsseldorferin zu den profilierten Konservativen, zuletzt war sie Sprecherin des “Berliner Kreises”, einem Zusammenschluss prominenter konservativer CDU-Politiker. 2024 hatte Pantel einen Schlussstrich gezogen und war aus der CDU ausgetreten. Eine neue politische Heimat hat sie nun in der Werteunion gefunden, deren stellvertretende Bundesvorsitzende sie ist.
Dazu, wie die Union nun in der Causa Brosius-Gersdorf agiert, hat Sylvia Pantel eine klare Meinung: “Was die CSU/CDU hier betreibt, ist ein Verrat an den letzten konservativen Bastionen im deutschen Rechtssystem. Die geplante Zustimmung zur Wahl von Brosius-Gersdorf ist ein politisches Armutszeugnis. Damit unterstützen sie den Umbau der Verfassung, der darauf abzielt, gesellschaftspolitisch alles linksideologisch zu durchdringen. Die konservative Idee des Rechtsstaats wird so schleichend unterminiert: durch Richterinnen, deren Vita nicht von rechtsstaatlicher Ausgewogenheit, sondern von einem dogmatischen Weltanschauung geprägt ist. Mit der Unterstützung von Ann-Katrin Kaufhold, einer Enteignungsfreundin und Juristin der Berliner Sozialisierungskommission, kommt noch eine zweite Schockwelle auf das Gericht zu”, erklärt sie dazu gegenüber dieser Zeitung auf Anfrage. “Die CDU/CSU hätte die Chance, rote Linien zu ziehen. Stattdessen schwenkt sie aus machtstrategischen Überlegungen auf einen Linkskurs ein, der dem Konservatismus die letzte moralische Grundlage entzieht. Wer solchen Personalvorschlägen zustimmt, wird beim nächsten Urteil zur Migrations-, Klima- oder Familienpolitik mitverantwortlich sein.” Pantels Fazit: “Das Zugeständnis von Friedrich Merz scheint der Preis für die Kanzlerschaft und den nicht zugelassenen Untersuchungsausschuss zu der Maskenaffäre zu sein.”
DT/sesa
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