Jubiläum: Der Dachau-Altar – Kostbare Reliquie und Erinnerungsort
Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Dachau befreit. Die dort inhaftierten Priester hatten Hoffnung im gemeinsamen Gottesdienst an dem improvisierten Altar gefunden
Quelle
D: Ökumenisches Gedenken an die Befreiung des KZ Dachau – Vatican News
Gregor Schwake – Wikipedia
Partituren der Dachauer Messe | IKLK – Internationaler Karl-Leisner-Kreis
Dachau
Karl Leisner
29.04.2025
Anfang 1945 kündigte sich den Häftlingen im KZ Dachau die deutsche Niederlage bereits an. Immer mehr Evakuierungstransporte aus Konzentrationslagern, die wegen des Rückzugs geräumt wurden, trafen ein. Die Überfüllung im Lager führte zu chaotischen Verhältnissen und eine Typhusepidemie raffte die ausgezehrten Elendsgestalten zu Hunderten dahin.
In der Priesterbaracke, dem sogenannten Block 26, wurde die dort eingerichtete Kapelle zu einer Werk- und Schlafstatt, in der 200 Priester tagsüber Zeltdecken herstellten und 100 nachts auf dem Boden schlafen mussten. Man hatte einen großen Vorhang organisieren können, mit dem der über die Jahre sorgsam ausgestattete Altarbereich pietätvoll davon abgetrennt wurde.
Die Befreiung
Am 14. April erging schließlich der Befehl zur Evakuierung des Lagers, was erneute Strapazen auf Transporten und Märschen bedeutete, die viele Häftlinge nicht überlebten. Die noch im Lager Verbliebenen sahen dem Ende ihrer Gefangenschaft entgegen, als am 28. April der zur Verteidigung des Lagers eingesetzte Wehrmachtsverband abgezogen wurde.
Noch aber war man nicht in Sicherheit. Zwar wehte am Morgen des 29. die weiße Fahne über dem Lager, doch immer noch waren Schüsse zu hören. Endlich, um 17.30 Uhr, löste sich die kaum erträgliche Anspannung mit der Ankunft amerikanischer Soldaten. Die Schreckenszeit war vorüber. Dicht gedrängt standen Priester und Gläubige in der Kapelle während der Dankesfeier, zu der man sich um 20 Uhr versammelte.
Auf dem Appellplatz, Ort der Drangsalierungen und Demütigungen, wurde ein großes Holzkreuz aufgerichtet. “Das Siegeszeichen unseres göttlichen Schützers und Retters ragt übers Lager empor”, notierte der österreichische Priester Johann Lenz am 3. Mai. Ihre Befreiung aus dem Lager erlebten 1240 Geistliche, 1034 aber hatten die Haft nicht überlebt, 446 waren verlegt oder entlassen worden. Die in Dachau inhaftierten Geistlichen waren mehrheitlich katholische Priester, 2579 insgesamt (95 Prozent).
Während der Haft gestorben sind unter anderem der niederländische Karmeliter Titus Brandsma, mit der Giftspritze zu Tode gebracht, nachdem man an ihm medizinische Experimente durchgeführt hatte, und der Pallottiner-Pater Richard Henkes, der freiwillig im Quarantäneblock 17 an Typhus Erkrankte pflegte, sich selbst ansteckte und der Krankheit erlag. Andere konnten sich nicht lange an der wiedergewonnenen Freiheit erfreuen, denn sie starben bald nach der Befreiung an den Folgen der Haft, so der in Dachau zum Priester geweihte Karl Leisner.
Die Einrichtung der Lagerkapelle und der Dachau-Altar
Dass im Lager eine Kapelle eingerichtet werden konnte, war den Bemühungen der deutschen Bischöfe und des Vatikans zu verdanken. Im November 1940 ordnete die SS-Führung die Zusammenführung aller Priestergefangenen im KZ Dachau an und verfügte, dass ihnen dort die Möglichkeit zu einer täglichen Messe gewährt werden solle. Ende 1940 gab es bereits fast 1000 Geistliche als sogenannte “Schutzhäftlinge”.
Wie groß war deren Freude, als im Januar 1941 die Zwischenwand zwischen Stube und Schlafraum bei der ersten der vier Barackenabteile von Block 26 entfernt wurde, um Raum für eine Kapelle zu schaffen, groß genug, um etwa 800 Personen Platz zu bieten. Die Wände bekamen einen mit Kreuzen und weißen Lilien verzierten hellgrünen Anstrich, im Altarbereich eine Auskleidung mit gemusterter Tapete.
Alle Anstrengungen waren dann darauf gerichtet, einen Altar mit den liturgischen Geräten zu beschaffen. Der erste war ein mit einem Bettlaken bedeckter Lagertisch, darauf zwei Kerzen und ein einfaches Metallkreuz. Fehlten Kerzen, nahm man Ölfläschchen mit Docht. Als Tabernakel diente eine Schublade. Für die Zelebration hatte man zwei Messkoffer aus dem Besitz polnischer Militärgeistlicher erhalten.
Die wenigen verfügbaren Hostien wurden in kleine Stücke zerteilt oder notfalls durch Bröckchen vom Lagerbrot ersetzt. Es gab Schmuggelwege, um Nachschub des für die Messfeier Benötigten, etwa Weihrauch, Hostien, Messbücher, und Dinge zur schöneren Ausstattung der Kapelle zu beschaffen. Einer lief über die Gärtnerei, in der Priesterhäftlinge arbeiteten. Das Prunkstück für die Kapelle, eine Madonna mit dem Kind, kam Ostern 1943 in Sackleinen gewickelt und unter einem Lastwagen angebunden ins Lager.
Vieles wurde auch selbst mit den einfachen Mitteln hergestellt, die im Lager zu beschaffen waren, eine Monstranz etwa aus dem Blech von Konservendosen, ein Tabernakel aus Kistenbrettern. Nachdem ab Ende 1942 Pakete empfangen werden durften, konnte man Lebensmittel und Rauchwaren gegen Handwerkerleistungen eintauschen. So hatte der Altar 1944 eine höchst würdige Form erhalten. Er war mit einem grauen, in einen dunkelbraunen Holzrahmen eingespannten Halbseidenstoff verkleidet.
Den improvisierten Tabernakel ersetzte ein kunstvoller zweitüriger aus Birnbaumholz, heimlich in der Möbelschreinerei des Lagers anfertigt, wie auch zwei dazu passende Leuchterbänke mit jeweils drei Leuchtern, die den Tabernakel flankierten. Auf die Tabernakeltüren sind zwei betende, einander zugeneigte Engelsdarstellungen aus Messingblech aufgebracht, darüber eine Strahlensonne.
Wenn der Dachau-Altar erzählen könnte
Wenn der Altar erzählen könnte, würde er mit der ersten heiligen Messe beginnen, die am 22. Januar 1941 stattfand, zelebriert von dem zum Lagerkaplan ernannten polnischen Priester Paul Prabutzki. Nur er durfte in der Anfangszeit der Eucharistiefeier vorstehen. Eine besondere Form der Konzelebration, die man bis 1942 beibehielt, wurde erdacht, um alle Priester einzubeziehen und um unter dem Zeitdruck vor dem Appell um 6.30 Uhr die Kommunion würdig durchzuführen.
Dabei nahm jeder Priester zu Beginn der Messe eines der Bruchstückchen, in die man die knappen Hostien geteilt hatte. Der zelebrierende Priester konsekrierte diese dann zusammen mit seiner Hostie am Altar, wonach die mitfeiernden Priester sich selbst die Kommunion spendeten. Viele Messen am Dachau-Altar folgten. Dieses spirituelle Leben im Priesterblock hatte auch Höhepunkte.
Dazu gehörten die Feiern zahlreicher Priesterjubiläen. Die Ankunft des französischen Bischofs Gabriel Piguet am 6. September 1944 in Dachau ermöglichte sogar ein Pontifikalamt. Die Vorfreude mobilisierte Erfindungsgabe und Organisationstalent, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Ein Pater schnitzte den Bischofsstab und ein Talar ließ sich aus violetten Bettbezügen schneidern.
Am Tag des ersten bischöflichen Segens wurde die vom Benediktiner Gregor Schwake komponierte Dachauer-Messe aufgeführt – am Fest Maria vom Loskauf der Gefangenen! Ein besonderes Ereignis, von dem der Dachau-Altar erzählen könnte, war die Priesterweihe des Diakons Karl Leisner am 17. Dezember 1944 durch Bischof Piguet mit der Primizmesse am 26. Dezember, gefolgt vom Weihnachtsingen der Nationen am 28. Dezember, zu dem kleine Priesterchöre ein Weihnachtslied in ihrer Muttersprache vortrugen.
Der Weg des Altars nach der Befreiung
Bald nach der Befreiung des Lagers wurden Anstrengungen unternommen, die Kapellenausstattung als kostbare Reliquien sicherzustellen. Die polnischen Priester, die das Lager zuletzt verließen, hatten alles in die ehemalige SS-Kaserne von Freimann mitgenommen, wo sie auf ihre Rückkehr in die Heimat warteten. Sie informierten allerdings Friedrich Pfanzelt darüber, den Pfarrer von Dachau, der ihnen umgehend einen Ersatzaltar bereitstellte und die Kapellenausstattung in seine Pfarrkirche holte.
Dort blieb sie ausgestellt, bis man 1960 zum Eucharistischen Weltkongress in München die Kapelle von Block 26 im inzwischen als “Wohnlager” für Vertriebene und Flüchtlinge genutzten ehemaligen KZ mit der originalen Ausstattung rekonstruierte. Nach Abriss der Baracke im Jahre 1963 und Auflösung des “Wohnlagers” musste ein neuer Aufstellungsort gefunden werden.
Der Plan, den Dachau-Altar in dem beim Lagergelände bis 1964 errichteten Karmel Heilig Blut aufzustellen, scheiterte an Unstimmigkeiten über die Art seiner Integration in die Karmelkirche, sodass er für lange Zeit auf dem 1. Stock des ehemaligen KZ-Wachturmes vor dem Karmel auf eine bessere Lösung warten musste.
Die ergab sich auf Initiative von Heinz Dresbach, Pater der Schönstatt-Bewegung, der selbst zusammen mit Pater Joseph Kentenich, dem Gründer der Bewegung, Häftling in Dachau war. 1976 holte er den Altar nach Schönstatt bei Vallendar, wo er zunächst im Priesterhaus seinen Platz fand und dann 1980, nach Fertigstellung des Tagungshauses Berg Moriah auf den Höhen des Westerwaldes eine eigene Kapelle bekam.
In der Stille dieses Andachtsraumes vor dem Dachau-Altar kann man sich nur vage vorstellen, wie in drangvoller Enge die mitunter sogar mehr als 800 in der Lagerkapelle versammelten Priester mit inständigen Gebeten ihr Leid an ihn herantrugen, in tiefer Versenkung, während durch die dünnen Barackenwände die Geräusche aus der Lagerhölle zu hören waren.
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