Es knirscht zwischen Trump und Netanjahu

Das Verhältnis zwischen US-Präsident Donald Trump und Israels Premier Benjamin Netanjahu scheint merklich abgekühlt zu sein. Beide verfolgen jeweils eine ganz eigene Nahost-Politik, die nicht mehr deckungsgleich ist

Quelle
Opposition? Welche Opposition? | Die Tagespost

29.05.2025

Richard C. Schneider

Sie waren mal richtig dicke, enge Freunde: der alte und neue US-Präsident Donald Trump und Israels Premier Benjamin Netanjahu. Beide verband ein rechtspopulistisches Weltbild, der Hass auf alles Liberale und der unbedingte Wille zur Macht. Während seiner ersten Amtszeit von 2016 bis 2020 schenkte Trump seinem Buddy “Bibi”, wie Netanjahu in Israel genannt wird, alles, was der sich nur wünschen konnte: Die Verlegung der US-amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, die Anerkennung der Annexion der Golan-Höhen, die Aufkündigung des Nuklearabkommens mit dem Iran sowie einen Friedensplan mit den Palästinensern, der ihnen kaum noch Territorium übrig gelassen hätte. Trump war, wie die israelische Rechte immer wieder beteuerte, der “beste amerikanische Präsident, den Israel je hatte”. Ob seine Entscheidungen wirklich so gut für das Land waren oder nur für dessen Premier, darüber scheiden sich in Israel die Geister.

Doch dann machte Netanjahu einen Fehler. Als Trump die Wahlen 2020 verlor und Joe Biden sein Nachfolger im Weißen Haus wurde, gratulierte Netanjahu Biden zum Wahlsieg, wie sich das in der Welt der Diplomatie gehört. Doch Trump nahm ihm das persönlich übel und schimpfte fortan über seinen “Freund”, wo immer er konnte. Nicht die Glückwünsche waren der Fehler, aber er hätte wahrscheinlich bei Trump anrufen müssen, um ihm zu sagen, dass er keine andere Wahl gehabt habe. Das wäre natürlich ein wenig ungewöhnlich gewesen, doch Trump ist kein “normaler” Politiker. Aber offensichtlich hatte Netanjahu ihn schon endgültig abgeschrieben und war überzeugt, dass Trump kein Comeback mehr gelingen würde. Das war sein eigentlicher Fehler.

Als Donald Trump im November 2024 wieder zum US-Präsidenten gewählt wurde, frohlockte man dennoch in Jerusalem. Netanjahu und seine Koalitionäre waren sich sicher, dass sie mit dem Republikaner im Weißen Haus ein sehr viel besseres Los gezogen hatten als mit einer demokratischen Präsidentin Kamala Harris. Die israelische Rechte hasst die Demokraten in den USA, aber zu Unrecht. Denn Präsident Joe Biden erwies sich in Zeiten der Not als wahrer Freund Israels und tat alles, um Netanjahu im Krieg gegen die Hamas zu unterstützen. Kritiker in den USA meinten, Biden ließe Netanjahu sogar zu viel durchgehen, mehr als einmal überschritt Netanjahu rote Linien der USA ohne negative Folgen fürchten zu müssen.

Die Geiseln interessieren Bibi weniger als die Hamas

Netanjahu sah das dennoch anders. Er reiste nach den US-Wahlen nach Mar-a-Lago, um dort Trump zu treffen, ihm zu schmeicheln und seine Gunst zurückzugewinnen. Er wusste ja, dass er in Ungnade gefallen war. Zunächst sah es tatsächlich so aus, als ob Trump ihm verzeihen würde. Doch noch vor seinem Amtsantritt geschah etwas Verblüffendes: Der designierte US-Präsident forderte die sofortige Freilassung von israelischen Geiseln. Wenn das nicht geschähe, würde die Hölle in Gaza ausbrechen. Und er forderte einen sofortigen Waffenstillstand.

Alle, wirklich alle gehorchten, auch Netanjahu. Trump ist als erratischer, launischer Politiker bekannt, alle fürchteten seinen Zorn. Was Joe Biden nicht zustande brachte, gelang Trump mit einer plumpen Drohung. Nach seinem Amtsantritt schien dann alles prächtig zu laufen für Netanjahu. Trump ordnete an, den Israelis alle Waffen zu schicken, die sie bräuchten, sogar Bomben, die Biden zurückgehalten hatte. Dann hatte er den Plan, aus Gaza eine “Riviera des Nahen Ostens” zu machen und zwei Millionen Palästinenser nach Ägypten und Jordanien zu verfrachten, damit sie dort ein neues Leben beginnen können. Die israelische Rechte jubelte, ihre kühnsten Träume schienen wahr zu werden.

Netanjahu fühlte sich sicher, ließ den Waffenstillstand platzen und nahm den Krieg wieder auf. Sein rechtsextremer Nationaler Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir hatte bereits zu Beginn des Waffenstillstands aus Protest die Koalition verlassen. Bezalel Smotrich drohte ebenfalls damit, wenn die Kämpfe nicht wieder aufgenommen würden. Damit wäre die Koalition zerbrochen und Netanjahus Mehrheit in der Knesset dahin. Also gab der Premier den beiden Hardlinern, was sie wollten, um seine Macht zu bewahren. Ben Gvir und seine Fraktion traten wieder in die Regierung ein.

Netanjahu klammert sich mit aller Kraft an seinen Stuhl, da gegen ihn ein Prozess wegen mutmaßlicher Korruption in drei Fällen läuft. Eine Verurteilung könnte sogar mit einer Gefängnisstrafe enden. Niemand in Israel glaubt inzwischen noch daran, dass es so weit kommen könnte. Aber Netanjahu, der sich als einzig legitimen und fähigen Premier seines Landes versteht, hat dennoch Panik. Seine Gegner werfen ihn vor, den Krieg nur aus persönlichen Gründen in die Länge zu ziehen. Inzwischen erklärte Netanjahu, dass ihn die 58 israelischen Geiseln in den Händen der Hamas, von denen wahrscheinlich nur noch 20 am Leben sind, weniger interessieren als der “totale Sieg” über die Islamisten. Ja er erklärte sogar, dass Israel den gesamten Gaza-Streifen neu besetzen will. Bezalel Smotrich spricht von “Säuberung” und einer Vertreibung aller Palästinenser.

Es scheint, als ob nichts mehr Netanjahu stoppen könnte, nicht einmal mehr sein eigenes Volk. Umfragen belegen, dass mehr als 70 Prozent aller Israelis die Freilassung der Geiseln für wichtiger erachten als die Fortsetzung des Krieges. Doch es nützt nichts. Der Krieg geht weiter, die Hamas ist immer noch nicht wirklich besiegt, wenngleich sie extrem geschwächt ist. Und die internationale Staatengemeinschaft inklusive der arabischen Staaten ist sich einig, dass die Hamas nie mehr in Gaza regieren darf.

Schlaflose Nächte wegen Trumps Nahost-Politik

In diesen Tagen scheint Trump nicht mehr so klar an der Seite Netanjahus und Israels zu stehen wie noch vor wenigen Monaten. Inzwischen kritisiert er die Fortsetzung des Krieges öffentlich, beklagt die vielen zivilen Opfer auf der palästinensischen Seite. Und er lässt Netanjahu links liegen. Israel hat keine Ahnung mehr, welche außenpolitischen Schritte Trump im Nahen Osten macht oder plant. So schloss er nach wochenlanger Bombardierung der Huthi-Rebellen im Jemen mit ihnen einen Waffenstillstand, ohne dass die Huthis ihre Angriffe auf Israel stoppen mussten. Sie garantieren lediglich, dass sie Handelsschiffe im Roten Meer in Ruhe lassen. Netanjahu wusste im Vorfeld nichts davon. Trump verhandelt mit dem Iran über einen neuen Nukleardeal; Netanjahu, der die iranischen Atomanlagen am liebsten sofort angreifen würde, hat sich nicht einzumischen. Trump schließt Milliardengeschäfte mit den Saudis und fordert sie nicht mehr auf, mit Israel ein Normalisierungsabkommen zu schließen. Er trifft den neuen starken Mann Syriens, Ahmed al-Sharaa, hebt alle Sanktionen gegenüber Syrien auf und nennt den Mann, der vor kurzem noch als islamistischer Terrorist angesehen wurde, einen netten Kerl. Netanjahu hatte keine Ahnung davon und erneut keinen Einfluss auf die Entscheidung des US-Präsidenten.

Trumps neue Nahostpolitik, wenn sie denn konsistent bleibt, könnte eine Verschiebung von Macht- und Kräfteverhältnissen auslösen, die für Israel zum Problem werden könnte. Die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates scheinen zumindest im Augenblick für die USA nicht mehr oberste Priorität zu haben, im Gegenteil. Galt bislang, dass Israel waffentechnisch stets einen Vorsprung haben muss gegenüber allen anderen Staaten im Nahen Osten, so hat Trump jetzt selbst diese Maxime gebrochen. Er will den Saudis unter anderem auch Tarnkappenbomber des Typs F-35 liefern. Bislang hat nur Israel dieses Flugzeug. Ja, mehr noch, Trump verhandelt sogar mit der Türkei über die Lieferung von F-35. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoan aber forderte erst jüngst die “Zerstörung des zionistischen Staates”. Trumps Nahost-Politik dürfte den Militärs in Israel schlaflose Nächte bereiten.

Netanjahu führt seinen Krieg weiter als sei nichts geschehen

Und Netanjahu? Der führt seinen Krieg weiter als sei nichts geschehen. In seiner Welt mag das auch logisch sein. Um sich weiterhin an der Spitze des Staates halten zu können, sind Ben Gvir und Smotrich eben wichtiger als Trump. Doch das muss nicht so bleiben. Der amerikanische Präsident soll wütend sein auf Netanjahu, weil dieser angeblich mit Trumps nationalem Sicherheitsberater Michael Waltz Pläne für einen Angriff auf den Iran geschmiedet haben soll. Waltz verlor seinen Job, Netanjahu wurde politisch in die Ecke gestellt.

Gut möglich, dass Trump schon bald eine Entscheidung trifft. Niemand, absolut niemand kann Netanjahus Regierung davon abhalten, den Krieg in Gaza immer weiterzuführen. Nicht die arabischen Staaten, nicht die Europäische Union. Nur und ausschließlich die USA, ausschließlich Donald Trump. Wird er Netanjahu also zwingen den Krieg zu beenden oder wird er ihn machen lassen, was er will, weil er sich mit Gaza nicht wirklich auseinandersetzen möchte? So oder so, Buddies scheinen die beiden Männer wohl nicht mehr zu sein, Netanjahu hat im Weißen Haus keine “carte blanche” mehr für seine Politik.

Der Autor ist Journalist mit Wohnsitz in Tel Aviv und berichtet seit Jahrzehnten unter anderem für ARD, “Spiegel” und NZZ aus Israel.

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