Die Wunden eines fragmentierten Kontinents heilen

Leo, Papst beider Amerikas. Einwanderer aus Mittel- und Südamerika sorgen dafür, dass die katholische US-Kirche wächst. Sie sind oft konservativer als weiße Katholiken – und selbst keine homogene Interessengemeinschaft. Kann Papst Leo XIV. als integrative Figur ein pan-amerikanisches Gefühl erzeugen?

Quelle
Schweizer Geschichte – Auswanderung nach Amerika

23.05.2025

Alexander Görlach

Die katholische Kirche ist heute die größte christliche Religionsgemeinschaft in den USA. Rund 25 Prozent gehören dieser Kirche an. Diese Mehrheitserfahrung ist etwas Neues für die Katholiken im Land. Historisch waren sie in einer protestantischen Gesellschaft marginalisiert und wurden ausgegrenzt. Italiener und Iren wurden für lange Zeit, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit, nicht als “weiße” Menschen geführt, sondern als “schwarze” Menschen. Der katholische Präsidentschaftskandidat John F. Kennedy musste öffentlich versprechen, dass seine politischen Entscheidungen nicht vom Papst in Rom bestimmt werden würden.

Die katholische Kirche hat in dieser ihr feindlich gesinnten Umwelt einen eigenen theologischen Scharfsinn und ein eigenes spirituelles Profil entwickelt, das sich von Ländern unterscheidet, in denen der Katholizismus über Jahrhunderte das kulturelle und gesellschaftliche Leben bestimmte. Katholiken haben in dieser Zeit Freundschaften geschlossen mit anderen Gruppen, die von der weißen, protestantischen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert wurden. In New York City gibt es bis heute ein gutes Einvernehmen zwischen Juden und Katholiken, die noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein im Stadtteil Queens nebeneinander lebten.

Einwanderer treiben das Wachstum der Kirche

In die neue Rolle und die damit einhergehende Verantwortung im Land muss sich die katholische Kirche noch einfinden. Ihr Wachstum wird vor allem getrieben von der Einwanderung aus Süd- und Mittelamerika. 40 Prozent der US-Katholiken sind Einwanderer oder die Kinder von Einwanderern. Gleichzeitig geht in den USA der Anteil an Menschen zurück, die Mitglied einer Kirche sind. In den Vereinigten Staaten gibt es kein Kirchenregister und -steuersystem wie in Deutschland und Österreich. Katholisch ist dort, wer sich in einer Pfarrei anmeldet. 1972 waren noch rund 90 Prozent der Amerikaner in diesem Sinne Mitglieder christlicher Kirchen, nun sind es noch 63 Prozent. Der Missbrauchsskandal, der zuerst die Weltbühne im katholischen Boston an der Ostküste der Vereinigten Staaten betrat, hat, wie an anderen Orten auch, die Autoritär der Kirche massiv erschüttert.

Als Wählergruppe sind Katholiken mittlerweile zu groß, als dass ein Präsidentschaftskandidat sie ignorieren könnte. “I won the Catholic vote”, sagte Donald Trump stolz auf seinem Weg zur Beerdigung von Papst Franziskus an Bord der “Air Force One” zu Journalisten, und schien damit zu begründen, warum er dem römischen Pontifex die letzte Ehre erweisen wollte: 56 Prozent der US-Katholiken stimmten für Trump, 41 Prozent für seine demokratische Kontrahentin Kamala Harris.

Der bedeutendste Anknüpfungspunkt, den die katholische Kirche mit den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften in den USA hat, ist die Ablehnung der Abtreibung. Allerdings zeichnet sich hier, aufgrund des Kulturkampfes, den die Republikaner unter Donald Trump begonnen haben, ein differenziertes Bild: 76 Prozent der US-Katholiken sagen, eine Abtreibung sollte im Falle einer Vergewaltigung legal sein, 70 Prozent befürworten eine Abtreibung, wenn dadurch das Leben der Mutter gerettet wird. In mittlerweile 14 Bundesstaaten ist Abtreibung auch in diesen Fällen illegal. Ein Großteil der Katholiken heben sich hier durch einen kompromissbereiten Ansatz von den Maximalforderungen der Evangelikalen ab.

Welle von Kircheneintritten unter jungen Erwachsenen

Eine Mehrheit der US-Katholiken wünschte sich zum Beginn des Konklaves, aus dem der in den USA geborene Robert Francis Prevost als Leo XIV. hervorging, eine inklusive Kirche. 60 Prozent der Befragten gaben das in einer Umfrage an, wohingegen 37 Prozent wollten, dass die Kirche nichts von ihrer Lehre modifizieren solle, auch wenn das Mitgliederschwund bedeuten würde. Dabei fiel auf, dass eine Mehrheit der hispanischen Katholiken sich eine traditionelle Kirche, eine Mehrheit der weißen Amerikaner eine inklusive Kirche wünschte. Allerdings wünschen sich die wöchentlichen Kirchgänger weitreichende Reformen: 54 Prozent von ihnen sprachen sich in derselben Umfrage für Diakoninnen, 41 Prozent für Priesterinnen in der katholischen Kirche aus.

Wie in England und Frankreich gibt es auch in Amerika eine Welle an jungen Erwachsenen, die in die katholische Kirche eintreten. In US-Diözesen lagen die Zahlen zu Ostern zwischen 30 und 70 Prozent über denen aus dem vergangenen Jahr. Die Daten ergeben den vielschichtigen Befund einer Herde, für die es schwer sein würde, einen einzigen Hirten zu finden, dessen Autorität und Fürsorge sie alle gleichermaßen anerkennen. Das wird auch eine Herausforderung für Papst Leo XIV., den “amerikanischen Papst”.

Die katholische Kirche in den USA dürfte heute ganz anders sein als die Kirche seiner Jugend in Chicago. Leo XIV. hat die Vereinigten Staaten von Amerika Anfang der 80er Jahre verlassen und in Peru und Italien gelebt. Diese Kirche wächst innerhalb einer Gesellschaft, die sich immer weniger religiös beschreibt, dank Einwanderung. Die Kirche ist heute fragmentierter und polarisierter. Die hispanischen Katholiken sind sowohl in spirituellen als auch weltlichen Belangen konservativer als die weißen Katholiken. Viele der Exil-Kubaner in Florida beispielsweise unterstützen den harten Kurs der Trump-Regierung gegen illegale Einwanderer. Sowohl Vize-Präsidenten J.D. Vance als auch der von Trump als “Grenz-Zar” ernannte Tom Homan, beides Katholiken, kritisierten Papst Franziskus wegen dessen Ermahnung, dass auch Flüchtlinge Menschen und als solche zu behandeln seien.

Papst Leo dürfte Trumps Einwanderungspolitik kritisch sehen

Es steht zu erwarten, dass Papst Leo XIV. genauso wie sein Vorgänger die US-Immigrationspolitik geißeln und als unchristlich herausstellen wird. Schon jetzt bringen sich deshalb Personen aus Trumps MAGA-Bewegung gegen den Pontifex in Stellung und verunglimpfen den Papst öffentlich als “woke” und “marxistisch”. Ihre anti-päpstliche Rhetorik fällt auf einen Nährboden, der schon in den frühen Jahren der amerikanischen Republik bestellt wurde. Der Harvard-Politologe Samuel Huntington erblickte in seinem letzten Buch “Who are we? Die Krise der amerikanischen Identität” aus dem Jahr 2004 auf der Grundlage der frühen US-amerikanischen Geschichte die hispanisch-katholische Kultur als Feind der weißen, protestantischen und angelsächsischen Kultur. Er hielt in seinen Büchern alte Ressentiments am Leben, die Trumps Vorfeld-Organisationen nun gegen den Papst und die katholische Kirche weiter bedienen könnten.

Allerdings unterstützen die emphatische Haltung des Papstes viele US-Amerikaner: Eine Mehrheit von ihnen findet die Sicherung des südlichen Außengrenze laut einer frischen Studie gut und richtig. Zur selben Zeit ist eine Mehrheit gegen Trumps Maßnahmen gegen illegale Immigranten im Landesinneren, willkürliche Verhaftungen, Abschiebungen ohne Prozess, und die Aberkennung des Visa-Status für Menschen, die friedlich ihre Meinung geäußert haben. Der Präsident arbeitet hier gegen eine Mehrheit des amerikanischen Volkes. Sie könnte in Leo XIV. eine Stimme finden, die ihren Anliegen Gehör verschafft.

Leo XIV. könnte es sogar gelingen, ein pan-amerikanisches Gefühl zu erzeugen, das gespeist wird von der Überzeugung, dass die Menschen, die “in den Amerikas”, wie Nord-, Mittel- und Südamerika insgesamt genannt werden, leben, mehr verbindet als sie trennt. Denn die Spaltung des Kontinents in britisch-protestantisch und spanisch-katholisch, die für Samuel Huntington, der 2008 verstarb, noch ein relevantes Faktum war, gehörte schon damals längst in die Mottenkiste des Zeitalters von Kolonialismus und europäischem Imperialismus. Doch Donald Trump hat die Ressentiments dieser Ära wiederbelebt, er bezeichnet alle Lateinamerikaner als “Verbrecher” und “Vergewaltiger”. Hier werden sich Gestus und Sprache des Papstes, der ein Mann der Amerikas ist, maximal von dem abheben, was aus dem Weißen Haus zu vernehmen sein wird. Am Ende könnte es sein, dass der peruanische Papst die Wunden des gesamten Kontinents heilen helfen wird, die ihm US-Präsident Trump geschlagen hat. So würde Leo XIV. zu einem Glücksfall der Geschichte.

Der Autor ist Honorarprofessor für Theologie und Ethik an der Leuphana Universität in Lüneburg und Adjunct Professor an der New York University, an der er Politische Philosophie unterrichtet.

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