Wer wird der Nachfolger von Franziskus?

Vor dem Konklave beginnt das Papst-Lotto. Es sind fast immer dieselben, über die man in den Medien spekuliert. Aber es könnte auch eine Überraschung geben

Quelle
Was nun in Rom geschieht | Die Tagespost
Diese Kardinäle wählen den nächsten Papst | Die Tagespost
Wer ist Kardinal Farrell, der als Camerlengo eine Schlüsselrolle in der Sedisvakanz hat?
Pizzaballa würdigt Franziskus’ konsequente Anti-Kriegshaltung – Vatican News

23.04.2025

Guido Horst

Bei einem Konklave im Mittelalter waren die “Nationen” entscheidend. Irgendwann im Verlauf einer – sich bisweilen lang hinziehenden – Papstwahl mussten sich die Spanier oder Franzosen, die Kardinäle aus Italien oder aus den deutschen Landen entscheiden, wer mit wem zusammenging, bis die ausreichende Mehrheit erreicht und der Papst gewählt war. Was früher die “Nationen” waren, sind heute vielleicht die “Lager”. So sollen sich beim zweiten Konklave des Jahres 1978 das eher konservativere Lager mit seinem Kandidaten Giuseppe Kardinal Siri aus Genua und das eher liberalere Lager mit dem Florentiner Kardinal Giovanni Benelli gegenseitig blockiert haben, was dann zur Wahl von Johannes Paul II. führte. Wird es beim kommenden Konklave, das im Mai stattfinden wird, auch solche Lager geben?

Heute spricht man in Italien eher von den “grandi elettori”, den Kardinälen, deren Stimmen beim Vorkonklave besonderes Gewicht haben. Das ist bei den derzeit in Rom laufenden Generalkongregationen, an denen auch die über achtzigjährigen Kardinäle teilnehmen können, um so wichtiger, da viele Kardinäle “von den Peripherien der Welt” in Rom fast unbekannt sind. Auch haben sich die nicht in Italien residierenden Kardinäle bisher kaum kennenlernen können. Denn seit dem letzten außerordentlichen Konsistorium von 2014, wo es um die “heißen Eisen” der Synode zu Ehe und Familie ging, hat Papst Franziskus keine Versammlung mehr einberufen, bei der sich die Kardinäle freimütig untereinander austauschen konnten.

Welcher Franziskus-Vertraute sich aufdrängt

Die Vertrauten des verstorbenen Papstes unter den Kurienkardinälen hätten sicher ein Interesse daran, dass das Konklave sich auf einen Nachfolger einigt, der die Linie von Franziskus fortführt. Das wären etwa allen voran der Präfekt des Glaubensdikasteriums, Kardinal Víctor Manuel Fernández, der Camerlengo der katholischen Kirche, der Amerikaner Kevin Farrell, der das Dikasterium für die Laien, Familien und das Leben leitete, oder Kardinal Michael F. Czerny SJ, Kanadier und seit 2022 Präfekt des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Mit dem Tod des Papstes sind deren Ämter erloschen, nur der Camerlengo Farrell bleibt im Amt und hat auch schon die Papstgemächer in Santa Marta versiegelt. Ob man die drei aber tatsächlich als Graue Eminenzen des kommenden Konklaves bezeichnen kann, ist fraglich.

Es drängt sich eher ein anderer Franziskus-Vertrauter auf, der – zumal im idealen Alter von 68 Jahren – selber als ein hervorstechender Papst-Kandidat gelten könnte, wenn er nicht Jesuit wäre: Jean-Claude Hollerich, der Erzbischof von Luxemburg. Er ist zwar kein Kurienkardinal, hat aber als Generalrelator der Doppelsynode zur Synodalität Einfluss und Profil erworben. Nochmals einen Jesuiten würden die Wahlmänner sicher nicht zum Papst wählen, aber die Stimme Hollerichs, der in Fragen der Sexualmoral und der Frauenweihe eher liberaler denkt, hat im Vorfeld Gewicht.

Auf diese zwei Kurienkardinäle wird man schauen müssen

Auf zwei weitere Kurienkardinäle wird man schauen müssen: den philippinischen Kardinal Luis Antonio Gokim Tagle, bisher seines Zeichens Pro-Präfekt des Dikasteriums für die Evangelisierung, und den Künstler unter den Kurialen: Kardinal José Tolentino Calaça de Mendonça OP, Präfekt des Dikasteriums für Kultur und Bildung. Wäre Tagle auf seinem Erzbischofssitz in Manila geblieben, so wäre der heute 67-Jährige ein idealer Papst-Kandidat. Er ist ein charismatischer Prediger und setzt wie Franziskus die Pastoral vor die Dogmatik. Aber seine römische Zeit verlief nicht reibungslos: Bis zu seiner Entlassung durch den Papst im November 2022 war Tagle Präsident von Caritas Internationalis, der weltweiten Dachorganisation der Caritasverbände. Das hat ihm geschadet. Geschickter hat sich der Portugiese Tolentino Calaça de Mendonça angestellt. Der 60-Jährige hat sich in seiner Zeit in Rom ab 2018 gut vernetzt, blieb aber im Hintergrund, was für ein Konklave nicht das Schlechteste ist.

Das gilt natürlich nicht für Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der zusammen mit dem Kardinal von Bologna, dem der Gemeinschaft Sant’Egidio nahestehenden Matteo Zuppi, auf keiner Kandidaten-Liste fehlt, wenn es jetzt in den Medien um das Papst-Lotto geht. Beide sind allen Kardinälen bekannt. Aber Parolin musste zusehen, wie Franziskus die Zuständigkeiten des Staatssekretariats und vor allem dessen Finanzen kräftig beschnitten hat, während Zuppi als Sondergesandter losgeschickt wurde, um im Ukraine-Krieg zu vermitteln, aber ohne greifbare Ergebnisse aus Kiew, Washington und Moskau wieder zurückkam.

Die Stunde der Kritiker

Die Kardinäle in der Welt, die der Theologie und der doktrinären Klarheit eines Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. näher stehen, haben als letzten Gewährsmann auf Spitzenebene im Vatikan nur noch den Schweizer Kardinal und Ökumene-Präfekten Kurt Koch, der weniger als Papst-Kandidat gehandelt wird. Als “Ratzingerianer” werden immer wieder die Kardinäle Peter Erdö aus Budapest und Patabendige Albert Malcolm Ranjith aus Colombo genannt. Aber letzterer ist auch schon 77 Jahre alt und der 72 Jahre alte Kardinal Erdö hat nicht ein solches Charisma wie der Philippine Tagle.

Aber es muss auch nicht sein, dass diese immer wieder genannten Kandidaten, die einen Kontrapunkt zum Pontifikat von Franziskus setzen würden, in einem Konklave zum Zuge kommen würden. Da sind auch einige “Unbekannte”, wie der Kanadier Frank Leo aus Toronto, mit 53 Jahren allerdings ein sehr “junger” Kardinal, oder der Erzbischof von Marseille, Kardinal Jean-Marc Noël Aveline, der Franziskus im September 2023 in der französischen Hafenstadt empfing, heute Vorsitzender der französischen Bischofskonferenz ist und im Konklave eine Rolle spielen könnte. Allerdings eher als Kandidat der “Bergoglianer”.

Fotoserie: Erinnerungen an Papst Franziskus

Als Päpste kommen sie nicht in Frage: die Kardinäle, die als mehr oder weniger deutliche Kritiker von Papst Franziskus aufgetreten sind: etwa der Deutsche Gerhard Müller, der Amerikaner Raymond Leo Burke oder der Afrikaner Robert Sarah, der erst im Juni 80 Jahre alt sein wird. Aber in den Generalkongregationen und am Rande des Vorkonklaves könnten sie Anlaufstellen für weitgehend unbekannte Kardinäle sein, die irgendwo auf der Welt amtieren und sich vielleicht ebenso wie diese einige Korrekturen des Pontifikats von Papst Bergoglio wünschen würden. Da ist dann vieles auch eine Frage der Strategie, über die erst die kommenden Tage Auskunft geben werden.

Halten sich Anhänger und Kritiker Bergoglios die Waage?

Denn manches deutet auch darauf hin, dass sich die beiden Lager der Anhänger von Franziskus und derjenigen, die eine Reform der Bergoglio-Reformen befürworten würden, die Waage halten könnten. Da würde man nach einem Kandidaten Aussicht halten, der vollkommen über den Parteien steht und sich bisher kirchenpolitisch völlig neutral verhalten hat. Der herausragendste Kandidat wäre da der Patriarch von Jerusalem, der italienischstämmige Kardinal Pierbattista Pizzaballa OFM. Als Franziskaner würde er etwas von dem Erbe des ersten Papstes, der sich Franziskus nannte, bewahren. Pizzaballa kennt die Sorgen dieser Welt, die Juden wie die Muslime, auch wäre für manche nach drei “Ausländern” endlich wieder ein Italiener Papst, der von Geburt an mit der europäischen Kultur verwachsen ist. Mit 60 Jahren ist Pizzaballa allerdings noch ziemlich jung. Nach der langen Amtszeit von Johannes Paul II. scheuen viele ein Pontifikat, das ein Vierteljahrhundert umfassen könnte.

In manchen Medien ist zu lesen, dass jetzt ein Machtkampf im Vatikan oder unter den Kardinälen ausbrechen würde. Doch was erst recht für das Konklave gilt, gilt auch für die Zeit der Generalkongregationen davor: Es ist nicht nur eine Zeit des Austauschs, sondern auch des Gebets und der gemeinsam gefeierten Liturgien. Und viele Menschen in der Welt beten dafür, dass bei allem Menschlichen doch auch der Heilige Geist eine Landebahn im Kreis der Papstwähler findet. Wenn die Wahlmänner ins Konklave ziehen, schauen sie auf Michelangelos Jüngstes Gericht. Vor dem haben sie sich irgendwann für das zu verantworten, was sie jetzt bei der anstehenden Papstwahl tun.

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