Einen Papst verloren, einen Heiligen gewonnen

Argentinien nach Franziskus Tod – Im Heimatland des verstorbenen Pontifex beginnt der Kampf um die Deutungshoheit über seine Amtszeit. Dass er schon bald wie Diego Maradona und Evita Peron unsterblich wird, ist bereits absehbar

Quelle
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Basilika St. Josef (Buenos Aires) – Wikipedia
Nach dem Tod von Papst Franziskus: Abschied und Trauer weltweit – Vatican News

22.04.2025

Tobias Käufer

Als sich um 19 Uhr Ortszeit die Türen der Kirche in Flores öffnen, stürmen die Massen ins Gotteshaus. Schon nach wenigen Sekunden ist klar: Die vielen Menschen, die versuchen, in der ehemaligen Pfarrkirche von Jorge Bergoglio einen Platz zu ergattern, wird die Basilica de San Jose de Flores nicht aufnehmen können. Vizepräsidentin Victoria Villaruel ist gekommen. Bei ihrer Ankunft und Abfahrt wird sie draußen mit Beifall, aber auch Pfiffen, empfangen. Anders als der libertäre Präsident Javier Milei hat seine Stellvertreterin den Papst nie mit beleidigenden Worten beschimpft, aber durchaus kritisiert. Padre Jose Luis, der Geistliche der Pfarrei, sieht sich gleich einem Meer an Mikrofonen gegenüber. Er sagt: “Der Papst ist immer der gleiche Mensch geblieben.”

Die TV-Sender überbieten sich mit Sondersendungen, vor der Kathedrale in Buenos Aires, nur einen Steinwurf vom Präsidentenpalast “Casa Rosada” entfernt, beginnen die Menschen schon am frühen Morgen, Bilder des Papstes aufzuhängen. Es ist eine nicht endende Flut von Blumensträußen, Kerzen und natürlich Fan-Utensilien von San Lorenzo, dem Lieblings-Fußballklub von Franziskus.

Nirgendwo sind Spiritualität, Fußball und die katholische Kirche enger miteinander verwoben als im Land des amtierenden Weltmeisters.

Über Franziskus’ Amtszeit scheiden sich die Geister

Kurz danach melden sich die Armenpriester aus den “Villas y Barrios Populares” zu Wort. So heißen die Stadtviertel, in denen es jeden Tag ums wirtschaftliche Überleben geht. Wo Preissteigerungen für Brot, Butter oder Nudeln dramatische Konsequenzen haben. “Franziskus hat weltweit eine große Lücke hinterlassen. Und ebenso groß ist sein Vermächtnis, das er uns hinterlassen hat: eine arme Kirche für die Armen, eine aufgeschlossene Kirche, eine Feldlazarettkirche, eine nahe, mitfühlende und liebende Kirche”, schreiben die Armenpriester. Sie sehen Franziskus auf ihrer Seite im Kampf gegen den wirtschaftsliberalen Kurs des Präsidenten.

Damit hat der Kampf um die Deutungshoheit über das Pontifikat des Argentiniers begonnen. Der Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Gracia Cuerva, feiert frühmorgens um 08.30 Uhr einen Gottesdienst. Bürgermeister Jorge Marci ist in die Kirche gekommen, von der vor über zwölf Jahren Kardinal Jorge Bergoglio auszog, um nicht wieder zurückzukommen. Gracia Cuerva lädt später zu einer Pressekonferenz: “Er war ein Papst von allen. Und er wollte eine Kirche für alle.” Am späten Abend erklärt Cuerva im TV-Studio: “Franziskus hatte immer geplant, seine Heimat zu besuchen.”

Nicht überall ist die Lesart der gut zwölfjährigen Amtszeit von Jorge Bergoglio so eindeutig. Javier Milei, der libertäre Präsident, lieferte sich ein verbales Fernduell mit dem Katholikenoberhaupt. Einen Schwachkopf, der die Kraft des Kapitalismus nicht verstanden habe, nannte Milei einst den Papst. Der bezeichnete Milei indirekt als Rattenfänger, der viel verspreche, aber am Ende nicht liefern werde können. Trotzdem gab es vor gut einem Jahr ein herzliches Treffen.

Gegenstand eines innenpolitischen Tauziehens

Der Papst war seit seiner Wahl im März 2013 Gegenstand eines innenpolitischen Tauziehens. Es begann mit einer Intrige aus dem Umfeld der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner: Die Linkspopulistin war während der Amtszeit Bergoglios als Erzbischof von Buenos Aires bewusst auf Distanz gegangen, weil sich der Kardinal kritisch zur Lage im Land äußerte. Ihr Mann und Vorgänger Nestor Kirchner wie auch Cristina Kirchner nahmen Kritik an ihrer Politik persönlich und ließen das Franziskus auch spüren. Als Bergoglio gewählt war, schickte Kirchner ein unterkühltes Glückwunsch-Telegramm mit wenigen Worten. Ihr Sprachrohr, die Zeitung “Pagina 12”, verbreitete die Falschbehauptung, Bergoglio habe mit der argentinischen Militärdiktatur zusammengearbeitet. Kirchner nahestehende NGOs, wie die Großmütter der Plaza de Mayo, hielten lange an dieser Version fest.

Als sich Diktatur-Opfer meldeten, die berichteten, wie ihnen Franziskus zur Flucht geholfen habe und sich auch Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel hinter den frisch gewählten Papst stellte, brach die Verschwörungstheorie in sich zusammen. Kirchner wechselte blitzschnell die Seiten und ließ in Buenos Aires plakatieren, “Francisco” sei ein Peronist. Fortan suchte Kirchner die Nähe des populären Kirchenführers, dem sie zuvor bewusst aus dem Weg gegangen war. Die wohl spektakulärste Kehrtwende.

An die Episode von damals erinnern am Todestag viele Anrufer in den TV- und Radiosendern, als es um die Kritik von Milei am Papst ging. Dessen Schimpftiraden gegen die Papstkritik am Kapitalismus aus der Vergangenheit fluten nun das Netz. Für Milei kann das zu einem ernsten Problem werden, denn es wirkt so, als würde er schlecht über einen Toten reden. Also versucht er, dagegen zu halten: “Trotz der Differenzen, die heute geringfügig erscheinen, war es für mich eine große Ehre, ihn in seiner Güte und Weisheit kennenlernen zu dürfen.” Doch das Internet vergisst nicht.

Franziskus scheute die Mühlen der argentinischen Innenpolitik

Der Tag endet mit vollen Kirchen im ganzen Land. Überall in den katholischen Gotteshäusern kommen die Menschen zusammen und erinnern sich an den Argentinier, der sie nach seiner Wahl im März 2013 nie mehr besuchen sollte. Es ist die wohl größte Lücke in diesem Pontifikat. Der direkte Kontakt mit seiner Heimat und seinen Landleuten. Er wollte zunächst an die Ränder der Gesellschaft, in die armen Länder und jene, die zuvor noch kein Papst besucht hatte. So lief ihm die Zeit davon. Und Franziskus fürchtete, in die Mühlen der Wahlkämpfe, der Innenpolitik, der Polarisierung hineingezogen zu werden.

Doch die dürfte in Argentinien mit dem Tod des ersten Papstes aus Lateinamerika nicht enden. Im Gegenteil: Nun beginnt das neue Tauziehen darüber, wer sich als Hüter des politischen Erbes inszenieren darf.

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