Frieden durch Stärke
Neue Weltordnung – Fällt das friedensverwöhnte Europa jetzt in seinen tragischen alten Bellizismus zurück? Nur auf den ersten Blick scheint es so
Quelle
Hl. Messe Do. 11.7.2024 um 7.15 Uhr Hl. Benedikt von Nursia, Patron Europas
Benedikt von Nursia kurz erklärt. Heiligenportraits. – YouTube
EP-Vizepräsident Karas zu “Richard Coudenhove-Kalergi – Wegbereiter für Europa”
Paneuropäisches Manifest – Wikipedia
13.03.2025
Die Einigung Europas war stets eine Friedensidee: geboren aus den Tragödien des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs, gereift in der Erfahrung, dass es zum Vorteil aller sein kann, das Gemeinsame über das Trennende zu stellen, Versöhnung zu wagen und Freundschaften aufzubauen. Und dies erfolgreich, denn zwischen den Mitgliedstaaten des vereinten Europas gab es seither allerlei Konflikte, aber nie einen Krieg. Während jenseits ihrer eigenen Grenzen blutige Kriege tobten – und zwar, oft vergessen, auch in Europa – , wurden innerhalb der Europäischen Union Konflikte um Sichtweisen und Standpunkte, Ideologien und Interessen durch Verhandlungen ausgetragen. Am Konferenztisch zu streiten, gerne auch nächtelang, ist gegenüber der auch in Europa jahrhundertelang geübten Tradition massenmörderischer Kriege zweifellos ein gewaltiger zivilisatorischer Fortschritt.
Fällt das friedensverwöhnte Europa jetzt in den alten, todbringenden Bellizismus zurück? Immerhin beschlossen die Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten in der Vorwoche einstimmig milliardenschwere Kredite für Verteidigungsausgaben. Polen geht wacker voran, indem es bereits jetzt 4,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investiert und das Landminenverbot hinterfragt. Litauen will aus der internationalen Ächtung von Streumunition aussteigen. Von Lissabon bis Tallinn setzt man auf Aufrüstung. Bestehende Schuldenbremsen werden gelockert, der EU-Stabilitätspakt teilweise außer Kraft gesetzt. Haben die EU-Granden im Schatten des Ukraine-Kriegs die Friedensidee Europa begraben? Sind Europas Politiker gar “kriegslüstern” und “Kriegstreiber”, wie der Kreml unablässig behauptet und unzählige Social-Media-Aktivisten aus unterschiedlichen Motiven eifrig wiederholen?
Auf den ersten, oberflächlichen Blick scheint es so, als setze US-Präsident Donald Trump mit Blick auf den Krieg in der Ukraine auf Dialog und Verhandlungen, auf eine Kompromisslösung, um das Sterben zu beenden, während die EU mit Wladimir Putin nicht einmal spricht, sondern Waffen und immer mehr Waffen für die Ukraine will und sogar bewilligt. Angesichts der europäischen Erfahrung scheint dies wie ein Spiel mit verkehrten Rollen, ein zynisches Spiel um Menschenleben. Müsste es nicht im Interesse aller Ukrainer sein, diesen täglich todbringenden Krieg möglichst rasch und irgendwie zu beenden? Müsste es nicht im Interesse aller Europäer sein, zu einer neuen Form “friedlicher Koexistenz” mit Russland zu finden?
Frieden als Rechtsordnung
Zur historischen Erfahrung Europas gehört auch, dass viele von Frieden sprechen, damit aber lediglich die Durchsetzung ihrer Macht und ihrer Interessen meinen: Auch Adolf Hitler sprach von Frieden, wofür ihn beispielsweise die britische “Times” am 18. Mai 1933 als Staatsmann pries; Josef Stalin und seine Nachfolger sprachen von der “Befriedung” der von der UdSSR gewaltsam unterdrückten Länder. Die Römer sprachen von “Pax Romana”, wenn sie ein Gebiet militärisch erobert und seine Führungsschicht erfolgreich versklavt hatten. Imperialisten und Eroberer aller Zeiten verstanden sich darauf, nur die eigene Herrschaft mit echtem Frieden zu identifizieren und mitunter die bloße Existenz des “anderen” (oder Andersdenkenden) zum Kriegsgrund zu erklären.
Genau hier setzt die Friedensidee Europa an: Sie meint nicht Unterwerfung und Kapitulation, sondern Ordnung, etwa eine regelbasierte Ordnung in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Die Friedensordnung, die Europa selbst ausmacht, besteht darin, dass das “Recht des Stärkeren” durch die Stärke des Rechts ersetzt wird, dass Konflikte durch Dialog und nötigenfalls vor Gericht ausgetragen werden, dass die Kleinen nicht durch die Großen geknechtet werden und jeder Unionsbürger vor dem Europäischen Gerichtshof gegen seinen eigenen Staat zu Felde ziehen darf. Die Idee, dass jeder Person – unabhängig von ihrem Stand, ihrem Geldbeutel, ihrer Kraft, ihrem Einfluss und ihrer Ethnie – Rechte zukommen, die der Staat weder verleihen noch entziehen, sondern nur anerkennen kann, ist zutiefst christlich.
Ideologen und Despoten unterschiedlicher Couleur sind dagegen aufgestanden, und doch bildet diese Idee die einzige stabile Grundlage für das, was wir Rechtsstaatlichkeit nennen. So fehlerhaft die Europäische Union auch sein mag, so defizitär ihr Menschenbild auch ist (etwa weil die Personenwürde der Ungeborenen ignoriert und missachtet wird), so ist sie doch eine der wenigen Bastionen der Rechtsstaatlichkeit in der Welt. Und weil sie – langsam gewiss, und auch nicht fehlerfrei – eine Rechtsordnung aufbaut, müssen kleine Staaten wie Luxemburg und Malta sich nicht vor großen Staaten wie Deutschland und Frankreich fürchten, denn die gemeinsam friedlich gefundene Rechtsordnung bindet alle.
Es geht um ein Leben in Würde
Diesen Weg wollten die durch den Niedergang der Sowjetunion und den Zerfall des Ostblocks frei gewordenen Völker Mittel- und Osteuropas gehen: Sie kämpften jahrelang um den Beitritt zur Europäischen Union, weil sie in einer Rechtsgemeinschaft freier Völker leben wollten. Sie alle hatten die Sowjetunion als Völkerkerker erfahren, während im Gegensatz dazu Wladimir Putin den Untergang der Sowjetunion zur “größten geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts” erklärt. Die Drohung, die in seiner These steckt, versteht man in Polen und im Baltikum ganz genau. Wie einst die Sowjetunion unter Lenin und seinen Epigonen einen mit Lüge und Gewalt sich ausbreitenden Raum der Unfreiheit, Folter, Gehirnwäsche und Menschenverachtung schuf, so weitet der Sowjetnostalgiker Putin heute mit Lüge und Gewalt seinen Herrschaftsraum der Unfreiheit, Unterdrückung und Entrechtung aus.
Deshalb kämpfen die Ukrainer seit elf (nicht erst seit drei) Jahren ihren mutigen Überlebenskampf: Weil sie sehen, dass es Putin nicht allein um Territorien geht, sondern um die Auslöschung der ukrainischen Identität und Freiheit. Darum rüsten die Europäer nach einstimmigem Beschluss aller 27 EU-Mitgliedstaaten jetzt auf: Weil sie ernst nehmen, was Putin sagt, nämlich dass es ihm letztlich um eine “neue Weltordnung” geht. Diese “neue Weltordnung” steht in einem unversöhnbaren Gegensatz zur europäischen Rechtsordnung. Wer vor 1991 der plakativen Forderung linker Pazifisten “Lieber rot als tot!” widersprach, muss auch jetzt den Rufen nach einer Kapitulation vor dem Macht- und Herrschaftswillen Putins widersprechen. Und zwar mit dem gleichen Argument: Überleben ist eben nicht alles, denn es geht um ein Leben in Würde!
Der Vater des modernen Europa-Gedankens und Gründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Coudenhove-Kalergi, der auch ein glühender Pazifist war, schrieb im Jahr 1924: “Wer sein Volk liebt, muss angesichts der technischen und politischen Voraussetzungen eines europäischen Krieges Pazifist sein.” Aber er wusste zugleich: “Europa hat nicht die Möglichkeit, die politische Einstellung der russischen Machthaber, deren System expansiv ist, zu ändern. Da es sie zum Frieden nicht überreden kann, muss es sie zum Frieden zwingen. Wenn ein Nachbar friedlich orientiert ist, der andere kriegerisch, so fordert der Pazifismus, dass die militärische Überlegenheit auf Seiten des Friedens steht.”
Wie steht es um den Friedenswillen Wladimir Putins?
Diese Analyse ist 101 Jahre später so wahr wie damals. Und die Entscheidungen des jüngsten EU-Gipfels sind eine Konsequenz dieser Einsicht: Europa setzt auf Abschreckung. Wie es um den Friedenswillen Wladimir Putins bestellt ist, lässt sich an seinen deklarierten Kriegszielen, aber auch an den täglichen Drohnen- und Raketenangriffen auf die Ukraine ablesen. Angesichts der Bemühungen Donald Trumps um rasche Friedensverhandlungen bei denen der US-Präsident selbst “Mediator” sein möchte, also ausdrücklich nicht auf der Seite der Ukraine steht, sondern Schiedsrichter spielt – hat Putin seine mörderischen Angriffe nicht reduziert, sondern weiter gesteigert. Es hat lange gedauert, doch nun wissen die Staatenlenker Europas, dass Putin nicht friedlich und Trump nicht wohlwollend ist: beide weiten ihren Herrschafts- und Dominanzraum nach dem “Recht des Stärkeren” aus, während Europa seine Friedens- und Rechtsordnung bewahren will.
Wie naiv und absurd das bisherige kindliche Vertrauen der Europäer auf den immerwährenden Schutz durch die Weltmacht USA war, brachte Polens Regierungschef Donald Tusk vor wenigen Tagen so auf den Punkt: 500 Millionen Europäer würden 300 Millionen US-Amerikaner anflehen, sie vor 140 Millionen Russen zu schützen, die seit drei Jahren nicht imstande sind, 40 Millionen Ukrainer zu besiegen. Allein diese Zahlen beweisen aber auch, dass Europa vereint durchaus in der Lage sein könnte, sich und damit seine Rechtsordnung zu verteidigen und zu schützen.
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