Redemptor hominis *UPDATE
Ioannes Paulus PP. II – Redemptor hominis
Quelle: Vatikan
*Quo vadis
Der Lieblingsautor von Karol Wojtyla
Quo vadis : Sienkiewicz, Henryk: Amazon.de: Bücher
Kehret um
An die Verehrten Mitbrüder im Bischofsamt
die Priester und Ordensleute
die Söhne und Töchter der Kirche
und an alle Menschen Guten Willens
zum Beginn Seines Päpstlichen Amtes
Segen
Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
Liebe Söhne und Töchter!
Gruss und Apostolischen Segen!
I. Das Erbe
1. Am Ende des zweiten Jahrtausends
Der Erlöser des Menschen, Jesus Christus, ist die Mitte des Kosmos und der Geschichte.
Zu ihm wenden sich mein Denken und Fühlen in dieser feierlichen geschichtlichen Stunde, die die Kirche und die ganze Menschheitsfamilie heute durchleben. Tatsächlich stehen wir jetzt schon nahe am Jahr 2000, da Gott in seinem unerforschlichen Ratschluss mir als Nachfolger des geliebten Papstes Johannes Paul I. das Amt zum Dienst der ganzen Kirche übertragen hat, das mit der Kathedra des Petrus in Rom verbunden ist. Es fällt schwer, in diesem Augenblick zu sagen, welche Bedeutung jenes Jahr im Ablauf der Menschheitsgeschichte haben wird und wie es für die einzelnen Völker, Nationen, Länder und Kontinente ausfallen wird, wenn man auch bereits heute versucht, einige Ereignisse vorauszusehen. Für die Kirche und für das Volk Gottes, das sich – wenn auch nicht gleichmässig – bis zu den Enden der Erde ausgebreitet hat, wird jenes Jahr ein wichtiges Jubiläum darstellen. Wir nähern uns dem Datum, das uns – bei aller Beachtung der Korrekturen durch grössere chronologische Genauigkeit – die Kernwahrheit unseres Glaubens in Erinnerung ruft und in besonderer Weise wieder bewusst macht, die der hl. Johannes am Anfang seines Evangeliums ausgedrückt hat: »Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« 1 und an anderer Stelle: »Gott hat die Welt so geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern das ewige Leben hat«. 2
Wir befinden uns in gewisser Weise in der Zeit eines neuen Advents, in einer Zeit der Erwartung. »Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit hat er zu uns gesprochen durch den Sohn…«, 3 durch das ewiggezeugte Wort, das Mensch geworden und von der Jungfrau Maria geboren worden ist. In dieser Heilstat hat die Geschichte des Menschen, so wie sie in der Liebe Gottes geplant ist, ihren Höhepunkt erreicht. Gott ist in die Menschheitsgeschichte eingetreten; als Mensch ist er Subjekt dieser Geschichte geworden, einer von Milliarden und gleichzeitig dieser eine! Durch die Menschwerdung hat Gott dem menschlichen Leben jene Dimension gegeben, die er ihm von Anfang an zugedacht hat. Er hat dies auf eine so endgültige Weise getan, wie es nur ihm möglich ist: als Frucht seiner ewigen Liebe und seiner Barmherzigkeit, seiner vollen göttlichen Freiheit und einer solchen Freigebigkeit, daß es angesichts der Erbschuld und der langen Geschichte der Sünde in der Menschheit, angesichts der Irrtümer unseres Verstandes, der Verirrungen unseres Willens und Herzens möglich ist, staunend die Worte der hl. Liturgie zu wiederholen: »O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden«! 4
2. Die ersten Worte des neuen Pontifikates
Am 16. Oktober des vergangenen Jahres habe ich mich mit ganzer Seele Christus, dem Erlöser, zugewandt, als mir nach der rechtmäßig erfolgten Wahl die Frage gestellt wurde: »Nimmst du an?«. Damals antwortete ich: »Im Glaubensgehorsam gegenüber Christus, meinem Herrn, und im Vertrauen auf die Mutter Christi und seiner Kirche nehme ich ungeachtet der großen Schwierigkeiten an«. Diese meine Antwort möchte ich heute allen ohne Ausnahme öffentlich bekanntgeben und so bezeugen, daß mit dieser ersten und grundlegenden Wahrheit der Menschwerdung, die dort erwähnt wird, gerade jener Dienst verbunden ist, der nach der Annahme der Wahl zum Bischof von Rom und zum Nachfolger des Apostels Petrus meine besondere Aufgabe auf diesem Bischofssitz geworden ist.
Ich habe dieselben Namen gewählt wie mein hochverehrter Vorgänger Johannes Paul I. Als er am 26. August 1978 dem Kardinalskollegium erklärte, sich Johannes Paul nennen zu wollen – ein Doppelname, wie er in der Papstgeschichte noch nicht vorgekommen war -, habe ich darin schon ein deutliches Vorzeichen des Segens Gottes für das neue Pontifikat gesehen. Weil dieses aber nur 33 Tage gedauert hat, kommt es mir jetzt zu, es nicht nur fortzusetzen, sondern in gewisser Weise an seinem Beginn wieder aufzugreifen. Dies findet seine Bestätigung darin, daß ich dieselben zwei Namen gewählt habe. Durch diese Wahl nach dem Beispiel meines verehrten Vorgängers möchte ich wie er meine Liebe zu dem einzigartigen Erbe bekunden, das die beiden Päpste Johannes XXIII. und Paul VI. der Kirche hinterlassen haben, und mich zugleich persönlich bereit erklären, es mit der Hilfe Gottes weiterzuentwickeln.
Durch diese zwei Namen und die beiden Pontifikate bin ich mit der gesamten Tradition dieses apostolischen Bischofssitzes verbunden, mit allen Vorgängern im Verlauf des 20. Jahrhunderts und der vorausgehenden Jahrhunderte, und knüpfe so über die verschiedenen Zeitperioden hin bis zur ältesten Zeit an jene Folge der Sendung und des Dienstes an, die dem Sitz des Petrus seine einzigartige Stellung in der Kirche verleiht. Johannes XXIII. und Paul VI. stellen eine geschichtliche Epoche dar, die für mich die unmittelbare Schwelle sein soll, von der aus ich, gleichsam mit Papst Johannes Paul I., auf die Zukunft hin voranschreiten will, geführt von unbegrenztem Vertrauen und vom Gehorsam gegenüber dem Geist, den Christus seiner Kirche versprochen und gesandt hat. Kurz vor seinem Leiden hat er ja zu den Aposteln gesagt: »Es ist gut für euch, daß ich fortgehe; denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden«. 5 »Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater herkommt, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Auch ihr seid Zeugen, weil ihr von Anfang an bei mir seid«. 6 »Wenn aber der Geist der Wahrheit kommt, wird er euch in die volle Wahrheit einführen. Denn er wird nicht von sich aus reden, sondern was er hört, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkünden«. 7
3. Im Vertrauen auf den Geist der Wahrheit und der Liebe
Mit starkem Vertrauen auf den Geist der Wahrheit will ich also das reiche Erbe der letzten Pontifikate antreten. Dieses Erbe hat im Bewußtsein der Kirche auf völlig neue, bisher noch nicht gekannte Weise tiefe Wurzeln geschlagen durch das Werk des II. Vatikanischen Konzils, das von Papst Johannes XXIII. einberufen und eröffnet und dann von Papst Paul VI. glücklich abgeschlossen und mit Ausdauer im Leben der Kirche verwirklicht worden ist. Sein Wirken konnte ich ja selbst aus der Nähe beobachten. Dabei haben mich immer seine tiefe Weisheit und sein Mut beeindruckt wie auch seine geduldige Festigkeit in der schwierigen nachkonziliaren Periode seines Pontifikates. Als Steuermann der Kirche, des Schiffes des Petrus, verstand er es auf providentielle Weise, Ruhe und Ausgeglichenheit auch in den kritischsten Augenblicken zu bewahren, wenn es schien, als werde das Schiff von innen her erschüttert. Dabei blieb er selbst unerschüttert in seiner Hoffnung auf die Festigkeit des Schiffes. Was der Geist der Kirche heute durch das Konzil sagt, was er in dieser Kirche allen Kirchen sagt, 8 dient ganz gewiß – trotz einiger gelegentlicher Unruhe – dem Ziel, dem ganzen Volk Gottes im Bewußtsein seiner Heilssendung einen noch festeren Zusammenhalt zu geben.
Gerade dieses gegenwärtige Bewußtsein der Kirche hat Paul VI. zum Thema seiner grundlegenden Enzyklika Ecclesiam Suam gemacht. Mit dem nun vorliegenden ersten Dokument, das gleichsam das jetzige Pontifikat eröffnen soll, möchte ich mich vor allem auf diese Enzyklika beziehen und an ihr anknüpfen. Das Bewußtsein der Kirche, das erleuchtet und getragen ist vom Heiligen Geist und das sich im Blick auf ihr göttliches Geheimnis wie auch auf ihre Sendung in dieser Welt bis hin zu ihren menschlichen Schwächen stets vertieft: genau dies ist und soll die erste Quelle bleiben für die Liebe zu dieser Kirche, so wie diese Liebe auch ihrerseits dazu beiträgt, das Bewußtsein der Kirche zu festigen und zu vertiefen. Paul VI. hat uns das Zeugnis eines solchen außerordentlich wachen Bewußtseins von der Kirche hinterlassen. In den vielfältigen und oft leidvollen Ereignissen während seines Pontifikates hat er uns eine standfeste Liebe zur Kirche gelehrt, die ja – wie das Konzil feststellt – »das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ist. 9
4. Der Bezug zur ersten Enzyklika Pauls VI.
Aufgrund dieser Tatsache muß sich das Bewußtsein der Kirche mit einer weltweiten Öffnung verbinden, damit alle in ihr »den unergründlichen Reichtum Christi« 10 finden können, von dem der Völkerapostel spricht. Diese Öffnung, die vom Bewußtsein der eigenen Natur und von der Gewißheit der eigenen Wahrheit getragen und begleitet ist, von der Christus gesagt hat: »es ist nicht meine, sondern die des Vaters, der mich gesandt hat«, 11 bestimmt den apostolischen, das heißt missionarischen Dynamismus der Kirche, wobei sie unverkürzt die ganze Wahrheit bekennt und verkündet, die ihr von Christus überliefert worden ist. Gleichzeitig muß sie jenen Dialog führen, den Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam Suam einen »Heilsdialog« genannt und dabei die einzelnen Bereiche genau unterschieden hat, in denen er geführt werden soll. 12 Während ich mich heute auf dieses programmatische Dokument des Pontifikates Pauls VI. beziehe, höre ich nicht auf, Gott dafür zu danken, daß dieser mein großer Vorgänger und zugleich wahre Vater es verstanden hat – trotz der verschiedenen internen Schwächen, die die Kirche in der nachkonziliaren Periode befallen haben -, ihr wahres Antlitz »ad extra«, nach außen hin, darzustellen. Auf diese Weise ist auch ein großer Teil der Menschheitsfamilie, so meine ich, in den verschiedenen vielschichtigen Lebensbereichen sich dessen bewußter geworden, wie notwendig für sie die Kirche Christi, ihre Sendung und ihr Dienst wirklich sind. Dieses Bewußtsein hat sich mitunter als stärker erwiesen als die verschiedenen kritischen Einstellungen, mit denen man die Kirche, ihre Institutionen und Strukturen, die Männer der Kirche und ihre Tätigkeit »ab intra«, von innen her, angegriffen hat. Diese wachsende Kritik hat zweifellos verschiedene Gründe; andererseits sind wir sicher, daß sie nicht immer ohne echte Liebe zur Kirche erfolgt ist. Gewiß hat sich unter anderem darin auch die Tendenz gezeigt, den sogenannten Triumphalismus zu überwinden, von dem während des Konzils so oft die Rede war. Wenn es richtig ist, daß die Kirche, indem sie dem Beispiel ihres Meisters folgt, der »demütig von Herzen« 13 war, auch selbst in der Demut begründet ist, die allem gegenüber, was ihre Eigenart und ihr menschliches Wirken betrifft, eine kritische Haltung bewahrt und an sich selbst immer hohe Ansprüche stellt, so muß ebenso auch die Kritik ihre angemessenen Grenzen haben. Andernfalls hört sie auf, konstruktiv zu sein, offenbart sie nicht mehr die Wahrheit, die Liebe und Dankbarkeit für die Gnade, deren wir hauptsächlich und in vollem Maße in der Kirche und durch die Kirche teilhaftig werden. Ferner bringt sie nicht die Haltung des Dienens zum Ausdruck, sondern den Willen, die Meinung der anderen nach der eigenen Meinung zu dirigieren, die man mitunter noch auf allzu unbedachte Weise verbreitet.
Wir schulden Paul VI. Dank, weil er jedes Körnchen Wahrheit, das sich in jeder Meinung findet, geachtet und zugleich die providentielle Ausgeglichenheit des Steuermanns des Schiffes bewahrt hat. 14 Die Kirche, die mir – über Johannes Paul I. – fast unmittelbar danach an vertraut worden ist, ist gewiß nicht frei von Schwierigkeiten und internen Spannungen. Zur gleichen Zeit aber ist sie im Innern mehr gefestigt gegen Übertreibungen der Selbstkritik: man könnte sagen, daß sie kritischer ist gegenüber den verschiedenen unbesonnenen Kritiken, widerstandsfähiger hinsichtlich der verschiedenen »Neuheiten«, reifer im Geist der Unterscheidung, besser ausgerüstet, um aus dem bleibenden Schatz »Neues und Altes« hervorzuholen, 15 mehr konzentriert auf ihr eigenes Geheimnis und darum verfügbarer für ihre Sendung zum Heil aller: Gott »will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen«. 16
5. Kollegialität und Apostolat
Die Kirche ist – entgegen allem Anschein – heute geeinter in der Gemeinschaft des Dienens und im Bewußtsein des Apostolates. Diese Einheit entspringt jenem Prinzip der Kollegialität, das vom II. Vatikanischen Konzil in Erinnerung gerufen worden ist und das Christus selbst dem Apostelkollegium der Zwölf mit Petrus als Haupt eingestiftet hat und im Bischofskollegium ständig erneuert, welches auf der ganzen Erde immer mehr wächst und dabei mit dem Nachfolger des hl. Petrus und unter seiner Leitung geeint bleibt. Das Konzil hat dieses Prinzip der Kollegialität der Bischöfe aber nicht nur in Erinnerung gebracht, sondern hat es zugleich auf sehr intensive Weise neu belebt, indem es unter anderem die Einrichtung eines ständigen Organs anregte, das dann Paul VI. in der Bischofssynode errichtet hat, deren Tätigkeit nicht nur seinem Pontifikat eine neue Dimension gegeben hat, sondern sich auch später von den ersten Tagen an im Pontifikat Johannes Pauls I. und in dem seines unwürdigen Nachfolgers deutlich widergespiegelt hat.
Das Prinzip der Kollegialität hat sich in der schwierigen nachkonziliaren Periode als besonders aktuell erwiesen, da die gemeinsame und einmütige Haltung des Bischofskollegiums – das vor allem durch die Synode seine Einheit mit dem Nachfolger Petri bezeugt hat – dazu beigetragen hat, die Zweifel zu beseitigen, und ebenso die richtigen Wege für die Erneuerung der Kirche in ihrer weltweiten Dimension aufgezeigt hat. Von der Synode ist unter anderem jener wesentliche Impuls zur Evangelisierung ausgegangen, der im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi, 17 seinen Niederschlag gefunden hat, welches mit so großer Freude als Programm der Erneuerung im Bereich des Apostolates und zugleich der Pastoral aufgenommen worden ist. Dieselbe Linie ist auch bei den Arbeiten der letzten ordentlichen Sitzung der Bischofssynode befolgt worden, die ungefähr ein Jahr vor dem Tode Papst Pauls VI. stattgefunden hat und bekanntlich der Katechese gewidmet war. Die Ergebnisse dieser Beratungen erfordern noch von seiten des Heiligen Stuhles eine systematische Aufarbeitung und Veröffentlichung.
Da wir schon von der offenkundigen Entwicklung der Formen der bischöflichen Kollegialität sprechen, muß wenigstens auch kurz auf den Prozeß der Konsolidierung der nationalen Bischofskonferenzen in der ganzen Kirche und anderer kollegialer Strukturen internationaler oder kontinentaler Art hingewiesen werden. Hinsichtlich der jahrhundertealten Tradition der Kirche müssen wir sodann die Aktivität der verschiedenen Synoden der Ortskirchen hervorheben. Dies war in der Tat die Idee des Konzils, die von Paul VI. mit Kohärenz verwirklicht worden ist, damit die Strukturen dieser Art, die schon seit Jahrhunderten in der Kirche erprobt worden sind, wie auch die anderen Formen der kollegialen Zusammenarbeit unter den Bischöfen, z.B. der Metropolitanverband, um nicht schon von jeder einzelnen Diözese zu sprechen, sich lebendig entfalten im vollen Bewußtsein der eigenen Identität und auch der eigenen Originalität in der universalen Einheit der Kirche. Derselbe Geist der Zusammenarbeit und der Mitverantwortung beginnt sich auch unter den Priestern durchzusetzen; das wird durch die zahlreichen Priesterräte bestätigt, die sich nach dem Konzil gebildet haben. Dieser Geist hat sich auch unter den Laien verbreitet, indem nicht nur die schon bestehenden Organisationen des Laienapostolates gefestigt wurden, sondern auch neue geschaffen worden sind, die oft ein anderes Profil und eine außergewöhnliche Dynamik aufweisen. Ferner haben sich die Laien im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber der Kirche in Zusammenarbeit mit den Hirten und den Vertretern der Ordensgemeinschaften auch im Bereich der Diözesansynoden oder der Pastoralräte in den Pfarreien und den Diözesen bereitwillig eingesetzt.
Es ist für mich notwendig, all dies am Beginn meines Pontifikates gegenwärtig zu haben, um Gott zu danken, um alle Brüder und Schwestern zu ermutigen und um ferner mit großer Dankbarkeit das Werk des II. Vatikanischen Konzils und meiner großen Vorgänger in Erinnerung zu halten, die diese neue »Welle« im Leben der Kirche hervorgerufen haben, eine Bewegung, die weit stärker ist als die Anzeichen des Zweifels, des Verfalls und der Krise.
6. Der Weg zur Einheit der Christen
Und was ist zu all den Initiativen zu sagen, die durch die neue ökumenische Ausrichtung entstanden sind? Der unvergeßliche Papst Johannes XXIII. hat mit biblischer Klarheit das Problem der Einheit der Christen als eine einfache Folgerung aus dem Willen Jesu Christi, unseres Meisters, betrachtet, der sie selbst mehrmals betont und zum Ausdruck gebracht hat, vor allem im Gebet im Abendmahlssaal kurz vor seinem Tode: »Ich bitte… Vater…, daß sie alle eins seien«. 18 Das II. Vatikanische Konzil hat dieses wichtige Anliegen in gedrängter Form im Dekret über den Ökumenismus behandelt. Papst Paul VI. hat unter der Mitarbeit des Sekretariates für die Einheit der Christen die ersten schwierigen Schritte auf dem Weg der Wiederherstellung der Einheit unternommen. Sind wir auf diesem Wege weit vorangeschritten? Ohne darauf eine ins einzelne gehende Antwort geben zu wollen, können wir feststellen, daß echte und wichtige Fortschritte gemacht worden sind. Eines ist sicher: wir haben mit Ausdauer und Konsequenz gearbeitet, und zusammen mit uns haben sich auch die Vertreter der anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften eingesetzt; dafür sind wir ihnen aufrichtig dankbar. Ferner steht fest, daß sich in der gegenwärtigen geschichtlichen Lage der Christenheit und der Welt keine andere Möglichkeit zeigt, die universale Mission der Kirche im Bereich der ökumenischen Fragen zu erfüllen, als mit lauterer Absicht, mit Ausdauer, Demut und auch Mut die Wege der Annäherung und der Einheit zu suchen, so wie es uns das persönliche Beispiel Papst Pauls VI. gezeigt hat. Wir müssen uns um die Einheit bemühen, ohne uns durch die Schwierigkeiten entmutigen zu lassen, die uns begegnen oder sich längs des Weges anhäufen können; anderenfalls bleiben wir dem Worte Christi nicht treu, verwirklichen wir nicht sein Testament. Ist es erlaubt, sich dieser Gefahr auszusetzen?
Es gibt Personen, die sich gern wieder zurückziehen würden, weil sie sich mit Schwierigkeiten konfrontiert sehen oder die Ergebnisse der ersten ökumenischen Arbeiten als negativ beurteilen. Einige äußern sogar die Meinung, daß diese Bemühungen der Sache des Evangeliums schaden, zu einem weiteren Bruch in der Kirche führen, geistige Verwirrung in den Fragen des Glaubens und der Moral hervorrufen und in einem entsprechenden Indifferentismus enden werden. Es ist vielleicht gut, daß die Menschen, die diese Meinung vertreten, ihrer Besorgnis Ausdruck geben; dennoch muß man auch in dieser Hinsicht die richtigen Grenzen wahren. Selbstverständlich verlangt diese neue Etappe im Leben der Kirche von uns einen sehr überzeugten, tiefen und verantwortungsbewußten Glauben. Die echte ökumenische Arbeit besagt Öffnung, Annäherung, Bereitschaft zum Dialog, gemeinsame Suche nach der Wahrheit im vollen biblischen und christlichen Sinn. Keinesfalls bedeutet sie oder kann sie bedeuten, auf die Schätze der göttlichen Wahrheit, die von der Kirche beständig bekannt und gelehrt worden ist, zu verzichten oder ihnen in irgendeiner Weise Abbruch zu tun. Allen denen, die aus irgendeinem Grund die Kirche von der Suche nach der universalen Einheit der Christen abbringen möchten, muß ich noch einmal wiederholen: Ist es erlaubt, untätig zu bleiben? Dürfen wir – trotz aller menschlichen Schwachheit, trotz der Unzulänglichkeiten der vergangenen Jahrhunderte – der Gnade unseres Herrn mißtrauen, die sich in der letzten Zeit geoffenbart hat durch das Wort des Heiligen Geistes, das wir während des Konzils vernommen haben? Würden wir so handeln, leugneten wir die Wahrheit über uns selbst, die der Apostel auf so beredte Weise ausgedrückt hat: »Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir blieb nicht ohne Wirkung«. 19
Was hier gesagt worden ist, muß man auf ähnliche Weise und mit den notwendigen Unterscheidungen auch auf jene Bemühungen anwenden, die auf eine Annäherung mit den Vertretern der nichtchristlichen Religionen abzielen und im Dialog, in Kontakten, im gemeinschaftlichen Gebet und in der Suche nach den Schätzen der menschlichen Spiritualität, die – wie wir wissen – auch bei den Mitgliedern dieser Religionen anzutreffen sind, ihren konkreten Ausdruck finden. Geschieht es nicht manchmal, daß die starken religiösen Überzeugungen der Anhänger der nichtchristlichen Religionen – Überzeugungen, die auch schon vom Geist der Wahrheit berührt worden sind, der über die sichtbaren Grenzen des Mystischen Leibes hinaus wirksam ist – die Christen beschämen, die ihrerseits oft so leichtfertig die von Gott geoffenbarten und von der Kirche verkündeten Wahrheiten in Zweifel ziehen und so sehr dazu neigen, die Grundsätze der Moral aufzuweichen und dem ethischen Permissivismus die Wege zu öffnen? Es ist edel, bereit zu sein, jeden Menschen zu verstehen, jedes System zu analysieren und das, was richtig ist, anzuerkennen; das besagt jedoch keinesfalls, die Gewißheit des eigenen Glaubens zu verlieren 20 oder die Grundsätze der Moral aufzuweichen, deren Fehlen sich bald im Leben der ganzen Gesellschaft bemerkbar macht und unter anderem die entsprechenden bedauerlichen Folgen verursacht.
II. Das Geheimnis der Erlösung
7. Umfangen vom Geheimnis Christi
Wenn die Wege, auf die das letzte Konzil die Kirche geführt hat und die uns der verstorbene Papst Paul VI. in seiner ersten Enzyklika aufgezeigt hat, für lange Zeit die Wege sein werden, die wir alle weiter verfolgen müssen, können wir uns doch gleichzeitig in dieser neuen Etappe mit Recht fragen: Und wie? Auf welche Weise muß man sie fortsetzen? Was müssen wir tun, damit dieser neue Advent der Kirche, der mit dem nahen Ende des zweiten Jahrtausends parallel geht, uns demjenigen näher bringt, den die Schrift »Vater in Ewigkeit«, Pater futuri saeculi, 21 nennt? Das ist die grundlegende Frage, die sich der neue Papst stellen muß, wenn er im Geist des Glaubensgehorsams den Ruf annimmt nach dem Auftrag, den Christus mehrere Male an Petrus gerichtet hat: »Weide meine Lämmer«, 22 was besagen will: Sei der Hirte meiner Herde; und ferner: »… wenn du wieder zurückgefunden hast, dann stärke deine Brüder«. 23
Hier nun drängt sich, liebe Brüder, Söhne und Töchter, nur eine grundsätzliche und wesentliche Antwort auf, und zwar: die einzige Ausrichtung des Geistes, die einzige Zielsetzung des Intellektes, des Willens und des Herzens ist für uns dieses: hin zu Christus, dem Erlöser des Menschen, zu Christus, dem Erlöser der Welt. Auf ihn wollen wir schauen, denn nur in ihm, dem Sohne Gottes, ist Heil; wir wollen den Ausruf des Petrus wiederholen: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens«. 24
Durch das Bewußtsein der Kirche, das vom Konzil so stark entwickelt worden ist, durch alle Schichten dieses Bewußtseins und durch alle Wirkungsbereiche, in denen die Kirche sich äußert, sich vorfindet und bestätigt, müssen wir beständig zu dem hinstreben, der das Haupt ist, 25 zu dem, »von dem alles stammt, und auf den hin wir leben«, 26 zu dem, der zugleich »der Weg, die Wahrheit und das Leben ist« 27 und »die Auferstehung und das Leben«, 28 zu dem, bei dessen Anblick wir den Vater sehen, 29 zu dem, der von uns fortgehen mußte 30 – gemeint ist durch den Tod am Kreuz und durch die Himmelfahrt -, damit der Tröster zu uns kommen konnte und ständig als Geist der Wahrheit kommt. 31 In ihm sind »alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis«, 32 und die Kirche ist sein Leib. 33 Die Kirche ist »in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit«. 34 Und dafür ist er die Quelle! Er selbst! Er, der Erlöser!
Die Kirche hört nicht auf, sein Wort zu hören, sie liest es beständig und bildet mit größter Verehrung jede Einzelheit seines Lebens nach. Sein Wort wird auch von den Nichtchristen gehört. Das Leben Christi spricht zugleich zu sehr vielen Menschen, die noch nicht fähig sind, mit Petrus zu wiederholen: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes«. 35 Er, der Sohn Gottes, spricht zu den Menschen auch als Mensch: es ist seine Treue zur Wahrheit, seine Liebe, die alle umfaßt. Es spricht ferner sein Tod am Kreuz, das heißt die unergründliche Tiefe seines Leidens und der Verlassenheit. Die Kirche hört nicht auf, seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung zu vergegenwärtigen, die den Inhalt ihres täglichen Lebens bilden. Es ist in der Tat das Gebot Christi selbst, unseres Meisters, daß die Kirche ununterbrochen die Eucharistie feiert, in der sie »dieQuelle des Lebens und der Heiligkeit« 36 findet, das wirksame Zeichen der Gnade und der Versöhnung mit Gott, das Unterpfand des ewigen Lebens. Die Kirche lebt sein Geheimnis, schöpft unermüdlich daraus und sucht ständig nach Wegen, um dieses Geheimnis ihres Meisters und Herrn dem Menschengeschlecht nahezubringen: den Völkern, den Nationen, den aufeinanderfolgenden Generationen, jedem einzelnen Menschen vor allem, als ob sie stets nach dem Beispiel des Apostels wiederholen würde: »Ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als Gekreuzigten«. 37 Die Kirche bleibt umfangen vom Geheimnis der Erlösung, das das Grundprinzip ihres Lebens und ihrer Sendung ist.
8. Die Erlösung: eine neue Schöpfung
Der Erlöser der Welt! In ihm hat sich in neuer und herrlicherer Weise die Grundwahrheit über die Schöpfung offenbart, die das Buch der Genesis bezeugt, wenn es mehrere Male wiederholt: »Gott sah, daß es gut war«. 38 Das Gute hat seine Quelle in der Weisheit und in der Liebe. In Jesus Christus erhält die sichtbare Welt, die von Gott für den Menschen geschaffen ist 39 – jene Welt, die mit der Sünde »der Vergänglichkeit unterworfen« wurde 40 – erneut ihre ursprüngliche Verbindung mit eben dieser göttlichen Quelle der Weisheit und Liebe zurück. In der Tat, »Gott hat die Welt so geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab«. 41 Wie im Menschen-Adam diese Verbindung zerbrochen ist, so wird sie im Menschen-Christus wiederhergestellt. 42 Überzeugen uns, Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, etwa nicht die Worte, die der Völkerapostel mit eindrucksvoller Beredtsamkeit über die Schöpfung gesagt hat, die »bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt« 43 und die »sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes« 44 wartet, über die Schöpfung, die »der Vergänglichkeit unterworfen ist«? Offenbart nicht sogar der ungeheuere Fortschritt, den man niemals zuvor gekannt hat und der sich vor allem während unseres Jahrhunderts in der Beherrschung der Welt durch den Menschen ereignet hat, auch hier in noch nicht dagewesenem Grade jene vielfältige Unterwerfung »unter die Vergänglichkeit«? Es genügt an dieser Stelle, nur auf bestimmte Phänomene hinzuweisen wie die Gefahr der Umweltverschmutzung in Gegenden, wo eine schnelle Industrialisierung vonstatten geht, die bewaffneten Konflikte, die ausbrechen und sich andauernd wiederholen, oder die Aussicht auf eine mögliche Selbstzerstörung durch den Einsatz von Atomwaffen, der Wasserstoff- oder Neutronenbombe oder ähnlichem, die mangelnde Achtung vor dem ungeborenen Leben. Ist die Welt dieser neuen Epoche, die Welt der Weltraumflüge, die Welt der wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, die nie zuvor erreicht worden sind, nicht gleichzeitig auch die Welt, die »seufzt und in Geburtswehen liegt« 45 und die »sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes wartet«? 46
Das II. Vatikanische Konzil ist in seiner tiefen Analyse »der Welt von heute« zu jenem wichtigsten Punkt der sichtbaren Welt, nämlich zum Menschen, gelangt, indem es – wie Christus – in die Tiefe des menschlichen Bewußtseins hinabgestiegen ist und das innerste Geheimnis des Menschen berührt hat, das in der biblischen (und auch außerbiblischen) Sprache mit dem Wort »Herz« bezeichnet wird. Christus, der Erlöser der Welt, ist derjenige, der in einzigartiger und unwiederholbarer Weise in das Geheimnis des Menschen eingedrungen und in sein »Herz« eingetreten ist. Mit Recht lehrt daher dasselbe Konzil: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam, der erste Mensch, war das Vorausbild des zukünftigen (Röm 5, 14), nämlich Christi des Herrn; Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«. Und weiter heißt es: »Der “das Bild des unsichtbaren Gottes” (Kol 1, 15) ist, er ist zugleich der vollkommene Mensch, der den Söhnen Adams die Gottebenbildlichkeit wiedergab, die von der ersten Sünde her verunstaltet war. Da in ihm die menschliche Natur angenommen wurde, ohne dabei verschlungen zu werden, ist sie dadurch auch schon in uns zu einer erhabenen Würde erhöht worden. Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich außer der Sünde«. 47 Er, der Erlöser des Menschen!.
9. Die göttliche Dimension im Geheimnis der Erlösung
Während wir diesen wundervollen Text des konziliaren Lehramtes erneut überdenken, vergessen wir nicht, auch nicht für einen Augenblick, daß Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, unsere Versöhnung beim Vater 48 geworden ist. Gerade er, er allein, hat der ewigen Liebe des Vaters Genüge getan, jener Vaterschaft, die von Anfang an in der Schöpfung der Welt zum Ausdruck gekommen ist, die dem Menschen den ganzen Reichtum des Erschaffenen anvertraute und ihn selbst »nur wenig unter die Engel« 49 gestellt hat, dadurch daß er ihn nach dem Ebenbild und Gleichnis Gottes 50 geschaffen hat; ebenso hat er auch jener Vaterschaft Gottes und jener Liebe Genüge getan, die vom Menschen mit dem Bruch des ersten Bundes 51 und der nachfolgenden, die Gott »immer wieder den Menschen angeboten hat«, 52 in gewisser Weise zurückgewiesen worden ist. Die Erlösung der Welt – dieses ehrfurchtgebietende Geheimnis der Liebe, in dem die Schöpfung erneuert wird 53 – ist in ihrer tiefsten Wurzel die Fülle der Gerechtigkeit in einem menschlichen Herzen: im Herzen des Erstgeborenen Sohnes, damit sie Gerechtigkeit der Herzen vieler Menschen werden kann, die ja im Erstgeborenen Sohn von Ewigkeit vorherbestimmt sind, Kinder Gottes zu werden, 54 berufen zur Gnade und zur Liebe. Das Kreuz aufdem Kalvarienberg, durch das Jesus Christus – Mensch, Sohn der Jungfrau Maria, vor dem Gesetz Sohn des Josef von Nazaret – diese Welt »verläßt«, ist zur gleichen Zeit eine neue Manifestation der ewigen Vaterschaft Gottes, der sich in ihm erneut der Menschheit und jedem Menschen nähert, indem er ihm den dreimalheiligen Geist der Wahrheit schenkt. 55
Mit dieser Offenbarung des Vaters und der Ausgießung des Heiligen Geistes, die dem Geheimnis der Erlösung ein unauslöschliches Merkmal einprägen, erklärt sich der Sinn des Kreuzes und des Todes Christi. Der Gott der Schöpfung offenbart sich als Gott der Erlösung, als Gott, der sich selbst treu ist, 56 treu seiner Liebe zum Menschen und zur Welt, wie sie sich schon am Tag der Schöpfung offenbart hat. Seine Liebe ist eine Liebe, die vor nichts zurückweicht, was die Gerechtigkeit in ihm selbst fordert. Und darum hat Gott den Sohn, »der die Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht«. 57 Wenn er den, der völlig ohne Sünde war, »zur Sünde gemacht hat«, so tat er dies, um die Liebe zu offenbaren, die immer größer ist als alles Geschaffene, die Liebe, die er selber ist, denn »Gott ist Liebe«. 58 Die Liebe ist vor allem größer als die Sünde, als die Schwachheit und die Vergänglichkeit des Geschaffenen, 59 stärker als der Tod; es ist eine Liebe, die stets bereit ist, aufzurichten und zu verzeihen, stets bereit, dem verlorenen Sohn entgegenzugehen 60 und immer auf der Suche ist nach dem »Offenbarwerden der Söhne Gottes«, 61 die zur künftigen Herrlichkeit berufen sind. 62 Diese Offenbarung der Liebe wird auch Barmherzigkeit genannt; 63 diese Offenbarung der Liebe und der Barmherzigkeit hat in der Geschichte nur eine Form und einen Namen: sie heißt Jesus Christus.
10. Die menschliche Dimension im Geheimnis der Erlösung
Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben. Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält. Und eben darum macht Christus, der Erlöser, wie schon gesagt, dem Menschen den Menschen selbst voll kund. Dieses ist – wenn man sich so ausdrücken darf – die menschliche Dimension im Geheimnis der Erlösung. In dieser Dimension findet der Mensch die Größe, die Würde und den Wert, die mit seinem Menschsein gegeben sind. Im Geheimnis der Erlösung wird der Mensch »neu bestätigt« und in gewisser Weise neu geschaffen. Er ist neu erschaffen! »Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid “einer” in Christus Jesus«. 64 Der Mensch, der sich selbst bis in die Tiefe verstehen will – nicht nur nach unmittelbar zugänglichen, partiellen, oft oberflächlichen und sogar nur scheinbaren Kriterien und Maßstäben des eigenen Seins -, muß sich mit seiner Unruhe, Unsicherheit und auch mit seiner Schwäche und Sündigkeit, mit seinem Leben und Tode Christus nahen. Er muß sozusagen mit seinem ganzen Selbst in ihn eintreten, muß sich die ganze Wirklichkeit der Menschwerdung und der Erlösung »aneignen« und assimilieren, um sich selbst zu finden. Wenn sich in ihm dieser tiefgreifende Prozeß vollzieht, wird er nicht nur zur Anbetung Gottes veranlaßt, sondern gerät auch in tiefes Staunen über sich selbst. Welchen Wert muß der Mensch in den Augen des Schöpfers haben, wenn »er verdient hat, einen solchen und so großen Erlöser zu haben«, 65 wenn »Gott seinen Sohn hingegeben hat«, damit er, der Mensch, »nicht verlorengeht, sondern das ewige Leben hat«. 66 Dieses tiefe Staunen über den Wert und die Würde des Menschen nennt sich Evangelium, Frohe Botschaft. Dieses Staunen rechtfertigt die Sendung der Kirche in der Welt, auch und vielleicht vor allem »in der Welt von heute«. Dieses Staunen und zugleich die Überzeugung und Gewißheit, die in ihrer tiefsten Wurzel Glaubensgewißheit ist, die aber auf verborgene und geheimnisvolle Weise auch jeden Aspekt des wahren Humanismus beseelt, ist eng mit Christus verbunden. Dies bestimmt auch seinen Platz, sein – wenn man so sagen darf – besonderes Bürgerrecht in der Geschichte des Menschen und der Menschheit. Die Kirche, die nicht aufhört, das Geheimnis Christi in seiner Gesamtheit zu betrachten, weiß mit voller Glaubensgewißheit, daß die Erlösung, die durch das Kreuz erfolgt ist, dem Menschen endgültig seine Würde und den Sinn seiner Existenz in der Welt zurückgegeben hat, den Sinn, den er in beachtlichem Maße durch die Sünde verloren hatte. Deshalb hat die Erlösung sich im Ostergeheimnis vollendet, das durch das Kreuz und den Tod zur Auferstehung führt.
Die grundlegende Aufgabe der Kirche in allen Epochen und besonders in der unsrigen ist es, den Blick des Menschen, das Bewußtsein und die Erfahrung der ganzen Menschheit auf das Geheimnis Christi zu lenken und auszurichten, allen Menschen zu helfen, mit dem tiefen Geheimnis der Erlösung, die sich in Jesus Christus ereignet, vertraut zu werden. Gleichzeitig berührt man damit auch die tiefste Schicht im Menschen, die Sphäre des menschlichen Herzens, des Bewußtseins und des Lebensgeschickes der Menschen.
11. Das Geheimnis Christi als Grundlage der Sendung der Kirche und des Christentums
Das II. Vatikanische Konzil hat eine ungeheuere Arbeit geleistet, um jenes volle und universale Bewußtsein der Kirche heranzubilden, von dem Papst Paul VI. in seiner ersten Enzyklika schreibt. Ein solches Bewußtsein – oder besser Selbstverständnis der Kirche – entwickelt sich »im Dialog«, der, bevor er zum Gespräch werden kann, die eigene Aufmerksamkeit auf »den anderen« lenken muß, das heißt auf den, mit dem wir sprechen wollen. Das ökumenische Konzil hat einen entscheidenen Impuls gegeben, um das Selbstverständnis der Kirche zu formen, indem es uns in angemessener und kompetenter Weise die Sicht des Erdkreises als einer »Karte« mit verschiedenen Religionen vermittelt hat. Darüber hinaus hat es gezeigt, wie sich auf dieser Karte der Weltreligionen in vorher nie gekannten und für unsere Zeit typischen Schichten das Phänomen des Atheismus in seinen verschiedenen Formen darüberlagert, angefangen vom programmatischen über den organisierten bis hin zum politisch strukturierten Atheismus.
Was die Religion betrifft, handelt es sich in der Hauptsache um die Religion als universales Phänomen, das von Anfang an mit der Geschichte des Menschen verbunden ist; ferner geht es um die verschiedenen nichtchristlichen Religionen und schließlich um das Christentum selbst. Das Konzilsdokument, das den nichtchristlichen Religionen gewidmet ist, ist in besonderer Weise voll tiefer Wertschätzung für die großen geistigen Werte, ja mehr noch, für den Primat dessen, was geistig ist und im Leben der Menschheit in der Religion und in den moralischen Prinzipien, die sich in der jeweiligen Kultur widerspiegeln, seinen Ausdruck findet. Zu Recht sahen die Kirchenväter in den verschiedenen Religionen gleichsam auch Reflexe einer einzigen Wahrheit als »Keime des Wortes«, 67 die bezeugen, daß das tiefste Streben des menschlichen Geistes, wenn auch auf verschiedenen Wegen, so doch in eine einzige Richtung ausgerichtet ist. Dieses Streben des Geistes drückt sich aus in der Suche nach Gott und zugleich – aufgrund seiner Hinordnung auf Gott – in der Suche nach der vollen Dimension des Menschseins oder der vollen Sinndeutung des menschlichen Lebens. Das Konzil hat eine besondere Aufmerksamkeit der jüdischen Religion gewidmet. Es hat die Christen und Juden an das große gemeinsame geistige Erbe erinnert. Zugleich hat es auch seine Wertschätzung gegenüber den Gläubigen des Islams bekundet, deren Glaube auch auf Abraham Bezug nimmt. 68
Durch die Öffnung, die vom II. Vatikanischen Konzil vollzogen wurde, konnten die Kirche und alle Christen zu einem vollständigeren Wissen um das Geheimnis Christi kommen, »das Geheimnis, das seit ewigen Zeiten verborgen war« 69 in Gott, um geoffenbart zu werden in der Zeit im Menschen Jesus Christus und um sich ständig jeder Zeit zu offenbaren. In Christus und durch Christus hat sich Gott der Menschheit vollkommen geoffenbart und sich ihr endgültig genähert. Gleichzeitig hat der Mensch in Christus und durch Christus ein volles Wissen um seine Würde, um seine Erhebung, um den transzendenten Wert des eigenen Menschseins und um den Sinn seiner Existenz erworben.
Es ist also notwendig, daß wir alle, die wir Jünger Christi sind, uns zusammenfinden und um ihn vereinigen. Diese Einheit in den verschiedenen Bereichen des Lebens, der Tradition, der Strukturen und Disziplinen der einzelnen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften kann nicht verwirklicht werden ohne aufrichtiges Bemühen, das nach gegenseitigem Sichkennenlernen und nach Beseitigung der Hindernisse auf dem Weg zu einer vollkommenen Einheit strebt. Dennoch können und müssen wir schon von jetzt an unsere Einheit leben und sie der Welt bekunden: in der Verkündigung des Geheimnisses Christi, im Aufzeigen der göttlichen und zugleich menschlichen Dimension der Erlösung, in dem mit unermüdlicher Ausdauer geführten Kampf für jene Würde, die jeder Mensch in Christus erreicht hat und beständig erreichen kann. Es ist die Würde der gnadenhaften Gotteskindschaft und zugleich die Würde der inneren Wahrheit des Menschseins, das – wenn dieses im allgemeinen Bewußtsein der heutigen Welt schon eine solche grundlegende Bedeutung erhalten hat – für uns noch bedeutsamer wird im Lichte jener Wirklichkeit, die er ist: Jesus Christus.
Jesus Christus ist feststehendes Prinzip und beständiges Zentrum des Auftrags, den Gott selbst dem Menschen anvertraut hat. An diesem Auftrag müssen wir alle teilnehmen, auf ihn müssen wir alle unsere Kräfte konzentrieren, da er mehr als je zuvor notwendig ist für die Menschheit in unserer Zeit. Und wenn ein solcher Auftrag heute größeren Widerständen als in jeder anderen Zeit zu begegnen scheint, so zeigt dies nur, daß der Auftrag in unserer Epoche noch dringlicher ist und – trotz der Widerstände – mehr erwartet wird als je zuvor. Hier berühren wir indirekt jenes Geheimnis der göttlichen Heilsordnung, das die Erlösung und die Gnade mit dem Kreuz verbunden hat. Nicht umsonst hat Christus gesagt, daß »dem Himmelreich Gewalt angetan wird und die Gewalttätigen es an sich reißen«; 70 und ferner daß »die Kinder dieser Welt … klüger sind als die Kinder des Lichts«. 71 Gern akzeptieren wir diesen Vorwurf, um wie jene »Gewalttäter Gottes« zu sein, die wir in der Geschichte der Kirche so oft gesehen haben und auch heute noch erblicken, um uns bewußt im großen Auftrag zu vereinen, der da heißt: Christus der Welt zu offenbaren, einem jeden Menschen zu helfen, damit er sich selbst in ihm wiederfinde, den heutigen Generationen unserer Brüder und Schwestern, Völkern, Nationen, Staaten, der Menschheit, weniger entwickelten und reichen Ländern, kurz allen zu helfen, um den »unergründlichen Reichtum Christi« 72 kennenzulernen, damit dieser jedem Menschen zur Verfügung stehe und zum Besitz jedes einzelnen werde.
12. Der Auftrag der Kirche und die Freiheit des Menschen
In dieser Verbundenheit im Auftrag, über den vor allem Christus selbst entscheidet, müssen alle Christen entdecken, was sie bereits vereint, noch bevor sich ihre volle Gemeinschaft verwirklicht. Das ist die apostolische und missionarische, die missionarische und apostolische Einheit. Dank dieser Einheit können wir uns zusammen dem großartigen Erbe des menschlichen Geistes nähern, das sich in allen Religionen kundgetan hat, wie die Erklärung Nostra Aetate des II. Vatikanischen Konzils sagt. 73 Dank dieser Einheit nähern wir uns gleichzeitig allen Kulturen, allen Weltanschauungen und allen Menschen guten Willens. Wir nähern uns ihnen mit jener Wertschätzung, mit jenem Respekt und jenem Geist der Unterscheidung, der seit den Zeiten der Apostel die missionarische Tätigkeit und die Haltung des Missionars ausgezeichnet haben. Es genügt, an den hl. Paulus zu erinnern, z.B. an seine Rede vor dem Areopag in Athen. 74 Die missionarische Verhaltensweise beginnt immer mit einem Gefühl der Hochachtung vor dem, was »in jedem Menschen ist«, 75 vor dem, was er selbst im Innersten seines Wesens schon erarbeitet hat bezüglich der tiefsten und bedeutendsten Probleme; es handelt sich um die Achtung vor allem, was der Geist in ihm gewirkt hat, der »weht, wo er will«. 76 Die Mission ist niemals Zerstörung, sondern Aufnahme vorhandener Werte und Neuaufbau, wenn auch in der Praxis diesem hohen Ideal nicht immer voll entsprochen worden ist. Dabei wissen wir sehr gut, daß die Bekehrung, die von der Mission ihren Anfang nehmen muß, Werk der Gnade ist. In ihr muß der Mensch vollständig zu sich selbst zurückfinden.
Deswegen legt die Kirche in unserer Zeit einen großen Wert auf alles, was das II. Vatikanische Konzil in der Erklärung über die Religionsfreiheit dargelegt hat, sei es im ersten, sei es im zweiten Teil des Dokumentes. 77 Wir spüren zutiefst den verpflichtenden Charakter der Wahrheit, die Gott uns geoffenbart hat. Wir empfinden insbesondere die große Verantwortung für diese Wahrheit. Die Kirche ist kraft der Einsetzung durch Christus Wächterin und Lehrerin der Wahrheit, dadurch daß sie ja ausgestattet ist mit einem besonderen Beistand des Heiligen Geistes, damit sie über die Wahrheit treu wachen und sie in ihrer ganzen Fülle unverfälscht lehren kann. 78 Indem wir diesen Auftrag erfüllen, schauen wir auf Christus selbst, der der erste Verkünder der Frohen Botschaft ist; 79 ebenso schauen wir auch auf seine Apostel, Märtyrer und Bekenner. Die Erklärung über die Religionsfreiheit macht uns in überzeugender Weise deutlich, wie Christus und folglich seine Apostel in der Verkündigung der Wahrheit, die nicht von den Menschen, sondern von Gott kommt (»Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat«), das heißt vom Vater, 80 obgleich sie alle Überzeugungskünste des Geistes einsetzen, eine tiefe Wertschätzung für den Menschen, für seinen Verstand, seinen Willen, sein Gewissen und seine Freiheit bewahren. 81 Auf diese Weise wird die Würde der menschlichen Person Bestandteil jener Botschaft, wenn auch nicht in Worten, so doch durch das Verhalten ihr gegenüber. Diese Verhaltensweise scheint übereinzustimmen mit den besonderen Bedürfnissen unserer Zeit. Da sich nicht in allem, was die verschiedenen Systeme und auch einzelne Menschen als Freiheit ansehen und propagieren, die wahre Freiheit des Menschen findet, wird die Kirche um so mehr kraft ihrer göttlichen Sendung zur Wächterin dieser Freiheit, die Bedingung und Grundlage für die wahre Würde der menschlichen Person ist.
Jesus Christus geht dem Menschen jeder Epoche, auch der unseren, mit den gleichen Worten entgegen: »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen«. 82 Diese Worte schließen eine wesentliche Forderung und zugleich eine Ermahnung ein: die Forderung eines ehrlichen Verhältnisses zur Wahrheit als Bedingung einer authentischen Freiheit; und auch die Ermahnung, daß jede nur scheinbare Freiheit, jede oberflächliche und einseitige Freiheit und jede Freiheit, die nicht von der ganzen Wahrheit über den Menschen und die Welt geprägt ist, vermieden werde. Auch heute, nach 2000 Jahren, erscheint uns Christus als der, der dem Menschen die Freiheit bringt, die auf der Wahrheit begründet ist, als der, der den Menschen befreit von allem, was diese Freiheit in der Seele des Menschen, in seinem Herzen und in seinem Gewissen beschränkt, schmälert und gleichsam von den Ursprüngen selbst trennt. Welche wundervolle Bestätigung haben dafür diejenigen gegeben und geben sie noch immer, die durch Christus und in Christus zur wahren Freiheit gelangt sind und sie sogar unter Bedingungen äußerer Nötigung bekundet haben!
Als Jesus Christus als Gefangener vor das Gericht des Pilatus trat und von ihm zur Anklage befragt wurde, die gegen ihn von den Vertretern des Synedriums erhoben worden war, hat er da nicht selbst geantwortet: »Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege«? 83 Es ist, als ob er mit diesen Worten vor dem Richter im entscheidenden Augenblick noch einmal den schon vorher ausgesprochenen Satz bestätigt hätte: »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen«. Ist nicht Jesus Christus selbst im Verlauf so vieler Jahrhunderte und so vieler Generationen, angefangen von den Zeiten der Apostel, sehr oft an die Seite von Menschen getreten, über die um der Wahrheit willen gerichtet wurde; ist er nicht auch mit Menschen in den Tod gegangen, die um der Wahrheit willen verurteilt wurden? Ist er nicht weiterhin Sprecher und Anwalt des Menschen, der im Geist und in der Wahrheit 84 lebt? Wie er nicht aufhört, vor dem Vater zu sein, so ist er auch in der Geschichte des Menschen stets anwesend. Die Kirche läßt ihrerseits trotz aller Schwächen, die zu ihrer menschlichen Geschichte gehören, nicht nach, ihm zu folgen, der gesagt hat: »Es kommt die Stunde, und sie ist jetzt da, in der die wahren Beter zum Vater beten werden im Geist und in der Wahrheit; denn solche Beter verlangt der Vater. Gott ist Geist, und alle, die anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten«. 85
III. DER ERLÖSTE MENSCH UND SEINE SITUATION IN DER WELT VON HEUTE
13. Christus ist mit jedem Menschen verbunden
Wenn wir durch die beständig und immer schneller wachsenden Erfahrungen der Menschheitsfamilie tiefer in das Geheimnis Jesu Christi eindringen, erkennen wir immer deutlicher, daß all jenen Wegen, auf denen die Kirche in unseren Tagen nach den richtungweisenden Worten von Papst Paul VI. 86 voranschreiten muß, ein besonderer Weg zugrunde liegt, der seit Jahrhunderten erprobt ist und zugleich in die Zukunft führt. Unser Herr Jesus Christus hat uns selbst auf diesen Weg verwiesen, da – wie das Konzil uns lehrt – »der Sohn Gottes durch seine Menschwerdung sich gleichsam mit jedem Menschen verbunden hat«. 87 Die Kirche sieht es darum als ihre grundlegende Aufgabe an, darauf hinzuwirken, daß diese Einheit immer wieder Gestalt und neues Leben gewinnt. Diesem Ziel allein möchte die Kirche dienen: jeder Mensch soll Christus finden können, damit Christus jeden einzelnen auf seinem Lebensweg begleiten kann mit jener kraftvollen Wahrheit über den Menschen und die Welt, wie sie im Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung enthalten ist, mit der Macht jener Liebe, die hiervon ausstrahlt. Auf dem Hintergrund von immer vielfältigeren geschichtlichen Entwicklungen, die zu unserer Zeit im Bereich der verschiedenen Systeme, Weltanschauungen und Staatsformen besonders erfolgreich zu sein scheinen, wird Jesus Christus gleichsam noch einmal gegenwärtig trotz vieler Anzeichen einer scheinbaren Abwesenheit, trotz aller Einschränkungen, welche die offizielle Gegenwart und Aktivität der Kirche erfahren. Jesus Christus wird gegenwärtig durch die Kraft jener Wahrheit und Liebe, die sich in einzigartiger und einmaliger Fülle in ihm ausgeprägt haben, obgleich sein irdisches Leben nur kurz und noch kürzer sein öffentliches Wirken war.
Jesus Christus ist der Hauptweg der Kirche. Er selbst ist unser Weg zum Haus des Vaters 88 und ist auch der Zugang zu jedem Menschen. Auf dieser Straße, die von Christus zum Menschen führt, auf der Christus jedem Menschen zur Seite tritt, darf die Kirche sich von niemandem aufhalten lassen. Das fordert das zeitliche wie auch das ewige Heil des Menschen. Wenn die Kirche auf Christus sieht und auf das Geheimnis, welches ihr Leben ausmacht, dann kann sie nicht unempfindlich bleiben für alles, was dem wahren Wohl des Menschen dient, so wie es ihr auch nicht gleichgültig sein kann, wenn dieses bedroht wird. Das II. Vatikanische Konzil hat an verschiedenen Stellen seiner Dokumente diese fundamentale Sorge der Kirche formuliert, damit »das Leben in dieser Welt mehr der überragenden Würde des Menschen entspreche« 89 in allen ihren Aspekten »und immer humaner gestaltet werde«. 90 Das ist die Sorge von Christus selbst, dem Guten Hirten aller Menschen. Im Namen dieser Hirtensorge – so lesen wir in der Pastoralkonstitution des Konzils – ist »die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person«. 91
Es geht also hier um den Menschen in seiner vollen Wahrheit, in all seinen Dimensionen. Es geht nicht um einen »abstrakten« Menschen, sondern um den realen, den »konkreten« und »geschichtlichen« Menschen. Jeder »einzelne« Mensch ist gemeint; denn jeder ist vom Geheimnis der Erlösung betroffen, mit jedem ist Christus für immer durch dieses Geheimnis verbunden. Jeder Mensch, der im Mutterschoß empfangen und von seiner Mutter in diese Welt hineingeboren wird, ist gerade wegen dieses Erlösungswerkes der Obhut der Kirche anvertraut. Ihre Sorge schaut auf den ganzen Menschen und ist ihm in einzigartiger Weise zugewandt. Sie kümmert sich um den Menschen in seiner individuellen, unwiederholbaren Wirklichkeit, in der unzerstörbar das Bild und Gleichnis Gottes enthalten ist. 92 Das meint das Konzil, wenn es diese Ähnlichkeit erwähnt und dabei daran erinnert, daß »der Mensch auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst gewollte Kreatur ist«. 93 So wie dieser Mensch von Gott »gewollt« ist, wie er von Ewigkeit her von ihm »erwählt« ist, gerufen und bestimmt für die Gnade und das Heil, so ist jeder Mensch ganz »konkret«, ganz »real«. Dies ist der Mensch im vollen Licht des Geheimnisses, an dem er durch Jesus Christus teilnimmt, ein Geheimnis, an dem jeder einzelne der vier Milliarden Menschen teilhat, die auf unserem Planeten leben, vom ersten Moment an, da er unter dem Herzen der Mutter empfangen wird.
Die Kirche darf am Menschen nicht vorbeigehen; denn sein »Geschick«, das heißt seine Erwählung, seine Berufung, seine Geburt und sein Tod, sein ewiges Heil oder Unheil sind auf so enge und unaufhebbare Weise mit Christus verbunden. Dabei geht es wirklich um jeden Menschen auf diesem Planeten, unserer Erde, die der Schöpfer dem ersten Menschen anvertraut hat, als er zum Mann und zu der Frau sprach: »Unterwerft sie euch und herrscht über sie«. 94 Es geht um jeden Menschen in all seiner unwiederholbaren Wirklichkeit im Sein und im Handeln, im Bewußtsein und im Herzen. Der Mensch in seiner Einmaligkeit – weil er »Person« ist – hat seine eigene Lebensgeschichte und vor allem eine eigene Geschichte seiner Seele. Von der intentionalen Öffnung seines Geistes und zugleich von den zahlreichen und so verschiedenen Bedürfnissen seines Leibes und seiner irdischen Existenz bestimmt, schreibt der Mensch diese seine persönliche Geschichte durch zahllose Bindungen, Kontakte, Situationen und soziale Strukturen, die ihn mit anderen Menschen verbinden; und dies tut er vom ersten Augenblick seiner irdischen Existenz an, angefangen bei seiner Empfängnis und Geburt. Der Mensch in der vollen Wahrheit seiner Existenz, seines persönlichen und zugleich gemeinschaftsbezogenen und sozialen Seins – im Bereich der eigenen Familie, auf der Ebene der Gesellschaft und so vieler verschiedener Umgebungen, auf dem Gebiet der eigenen Nation oder des eigenen Volkes oder vielleicht auch nur des eigenen Klans oder Stammes, schließlich auch im Bereich der gesamten Menschheit – dieser Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags beschreiten muß: er ist der erste und grundlegende Weg der Kirche, ein Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist und unabänderlich durch das Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung führt.
Diesen Menschen in der ganzen Wirklichkeit seines Lebens, mit seinem Bewußtsein, mit seiner fortwährenden Neigung zur Sünde und zugleich mit seinem ständigen Durst nach Wahrheit, nach dem Guten und Schönen, nach Gerechtigkeit und Liebe, gerade diesen Menschen hatte das II. Vatikanische Konzil im Auge, als es bei der Beschreibung seiner Lage in der heutigen Welt jeweils von den äußeren Komponenten dieser Lage zur inneren Wahrheit des Menschseins vorstieß: »… im Menschen selbst sind viele widersprüchliche Elemente gegeben. Einerseits erfährt er sich nämlich als Geschöpf vielfältig begrenzt, andererseits empfindet er sich in seinem Verlangen unbegrenzt und berufen zu einem Leben höherer Ordnung. Zwischen vielen Möglichkeiten, die ihn anrufen, muß er dauernd unweigerlich eine Wahl treffen und so auf dieses oder jenes verzichten. Als schwacher Mensch und Sünder tut er oft das, was er nicht will, und was er tun wollte, tut er nicht. So leidet er an einer inneren Zwiespältigkeit, und daraus entstehen viele und schwere Zerwürfnisse auch in der Gesellschaft«. 95
Dieser Mensch ist der Weg der Kirche, der in gewisser Weise an der Basis all jener Wege verläuft, auf denen die Kirche wandert; denn der Mensch – und zwar jeder Mensch ohne jede Ausnahme – ist von Christus erlöst worden. Christus ist mit jedem Menschen, ohne Ausnahme, in irgendeiner Weise verbunden, auch wenn sich der Mensch dessen nicht bewußt ist: »Christus, der für alle gestorben und auferstanden ist, schenkt dem Menschen« – jedem einzelnen und allen zusammen – »fortwährend Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er seiner höchsten Berufung entsprechen kann«. 96
Da also der Mensch der Weg der Kirche ist, der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen, muß sich die Kirche unserer Zeit immer wieder neu die »Situation« des Menschen bewußt machen. Sie muß seine Möglichkeiten kennen, die eine immer neue Richtung nehmen und so zu Tage treten; zugleich aber muß die Kirche die Bedrohungen kennen, die über dem Menschen hängen. Sie muß sich all dessen bewußt sein, was offenkundig dem Bemühen entgegensteht, das Leben der Menschen »immer humaner zu gestalten«, 97 damit alle Bereiche dieses Lebens der wahren Würde des Menschen entsprechen. Mit einem Wort: die Kirche muß alles kennen, was diesem Prozeß entgegensteht.
15. Die Ängste des heutigen Menschen
Während wir also das Bild vom Menschen lebendig im Gedächtnis behalten, das uns das II. Vatikanische Konzil in so tiefer und maßgeblicher Weise gezeichnet hat, wollen wir es doch auch an die heutigen »Zeichen der Zeit« anpassen und an die Erfordernisse der Lebensumstände, die sich ja fortwährend ändern und in bestimmte Richtungen entwickeln.
Der Mensch von heute scheint immer wieder von dem bedroht zu sein, was er selbst produziert, das heißt vom Ergebnis der Arbeit seiner Hände und noch mehr vom Ergebnis der Arbeit seines Verstandes und seiner Willensentscheidung. Die Früchte dieser vielgestaltigen Aktivität des Menschen sind nicht nur Gegenstand von »Entfremdung«, weil sie demjenigen, der sie hervorgebracht hat, einfachhin genommen werden; allzu oft und nicht selten unvorhersehbar wenden sich diese Früchte, wenigstens teilweise, in einer konsequenten Folge von Wirkungen indirekt gegen den Menschen selbst. So sind sie tatsächlich gegen ihn gerichtet oder können es jederzeit sein. Hieraus scheint das wichtigste Kapitel des Dramas der heutigen menschlichen Existenz in seiner breitesten und universellen Dimension zu bestehen. Der Mensch lebt darum immer mehr in Angst. Er befürchtet, daß seine Produkte, natürlich nicht alle und auch nicht die Mehrzahl, aber doch einige und gerade jene, die ein beträchtliches Maß an Genialität und schöpferischer Kraft enthalten, sich in radikaler Weise gegen ihn selbst kehren könnten; er fürchtet, sie könnten Mittel und Instrumente einer unvorstellbaren Selbstzerstörung werden, vor der alle Katastrophen der Geschichte, die wir kennen, zu verblassen scheinen. Hieraus muß sich also die Frage ergeben: Wieso wendet sich diese Macht, die von Anfang an dem Menschen gegeben war, um damit die Erde zu beherrschen, 98 gegen ihn selbst und ruft diesen verständlichen Zustand der Unruhe, der bewußten und unbewußten Angst und der Bedrohung hervor, der sich in verschiedener Weise der gesamten Menschheitsfamilie mitteilt und vielfältige Erscheinungsformen kennt?
Dieser Zustand der Bedrohung, die die eigenen Produkte dem Menschen erzeugen, wirkt sich in verschiedenen Richtungen aus und zeigt unterschiedliche Intensitäten. Wir scheinen uns heute wohl der Tatsache mehr bewußt zu sein, daß die Nutzung der Erde, jenes Planeten, auf dem wir leben, eine vernünftige und gerechte Planung erfordert. Gleichzeitig aber bewirken diese Nutzung zu wirtschaftlichen und sogar militärischen Zwecken, diese unkontrollierte Entwicklung der Technik, die nicht eingeordnet ist in einen Gesamtplan eines wirklich menschenwürdigen Fortschrittes, oft eine Bedrohung der natürlichen Umgebung des Menschen, sie entfremden ihn in seiner Beziehung zur Natur, sie trennen ihn von ihr ab. Der Mensch scheint oft keine andere Bedeutung seiner natürlichen Umwelt wahrzunehmen, als allein jene, die den Zwecken eines unmittelbaren Gebrauchs und Verbrauchs dient. Dagegen war es der Wille des Schöpfers, daß der Mensch der Natur als »Herr« und besonnener und weiser »Hüter« und nicht als »Ausbeuter«und skrupelloser »Zerstörer« gegenübertritt.
Der Fortschritt der Technik und die Entwicklung der heutigen Zivilisation, die von der Vorherrschaft der Technik geprägt ist, erfordern eine entsprechende Entwicklung im sittlichen Leben und in der Ethik. Diese scheint jedoch leider immer zurückzubleiben. Der Fortschritt, der ja andererseits so staunenswert ist, weil wir in ihm auch echte Zeichen der Größe des Menschen mühelos entdecken können, wie sie uns in ihren schöpferischen Anfängen schon im Buch der Genesis bei der Darstellung der Schöpfung 99 offenbart worden sind, muß darum doch auch vielfältige Sorgen wecken. Die erste Sorge betrifft die wesentliche und grundlegende Frage: Macht dieser Fortschritt, dessen Urheber und Förderer der Mensch ist, das menschliche Leben auf dieser Erde wirklich in jeder Hinsicht »menschlicher«? Macht er das Leben »menschenwürdiger«? Zweifellos ist dies in mancher Hinsicht der Fall. Die Frage meldet sich jedoch hartnäckig wieder, wenn es um das Wesentliche geht: Wird der Mensch als Mensch im Zusammenhang mit diesem Fortschritt wirklich besser, das heißt geistig reifer, bewußter in seiner Menschenwürde, verantwortungsvoller, offener für den Mitmenschen, vor allem für die Hilfsbedürftigen und Schwachen, und hilfsbereiter zu allen?
Diese Frage müssen sich die Christen stellen, eben weil Jesus Christus sie so umfassend für das Problem des Menschen empfänglich gemacht hat. Die gleiche Frage aber stellt sich allen Menschen, besonders denjenigen, die in solchen sozialen Bereichen leben, die sich aktiv für die Entwicklung und den Fortschritt in unserer Zeit einsetzen. Wenn wir diese Entwicklungen beobachten und sogar an ihnen teilnehmen, darf uns nicht Euphorie überkommen noch dürfen wir uns von einseitigem Enthusiasmus fortreißen lassen, sondern wir alle müssen uns mit äußerster Ehrlichkeit, Objektivität und moralischem Verantwortungsbewußtsein den wesentlichen Fragen stellen, die die Situation des Menschen heute und in Zukunft betreffen.
Stimmen alle diese Errungenschaften, die bisher erreicht wurden oder von der Technik für die Zukunft geplant werden, mit dem moralischen und geistigen Fortschritt des Menschen überein? Entwickelt sich der Mensch als solcher in diesem Zusammenhang, macht er wirklich Fortschritte oder fällt er zurück und sinkt in seiner Menschlichkeit nach unten? Überwiegt unter den Menschen, »in der Welt des Menschen«, die von sich aus das Gute und das Böse enthält, das Gute vor dem Bösen? Wachsen tatsächlich in den Menschen und untereinander die Nächstenliebe, die Achtung vor den Rechten des anderen – sei es der einzelne, eine Nation oder ein Volk – oder nehmen vielmehr die Egoismen verschiedener Art und die übertriebenen Nationalismen anstelle einer echten Vaterlandsliebe zu sowie das Streben, andere über die eigenen legitimen Rechte und Verdienste hinaus zu beherrschen, wie auch die Tendenz, allen materiellen und wirtschaftlichen Fortschritt allein zu dem Zweck auszunützen, um die Vorherrschaft über andere zu besitzen oder diesen oder jenen Imperialismus zu fördern?
Dies sind die wesentlichen Fragen, die die Kirche sich stellen muß, weil Milliarden von Menschen, die heute auf der Welt leben, mehr oder weniger ausdrücklich solche Fragen stellen. Das Thema »Entwicklung und Fortschritt« taucht in allen Gesprächen auf und erscheint in den Spalten aller Zeitungen und Publikationen in fast allen Sprachen der heutigen Welt. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, daß dieses Thema nicht nur Feststellungen und gesicherte Aussagen enthält, sondern auch Fragen und bedrückende Sorgen. Und dies letztere ist genau so wichtig wie das erste. Sie entsprechen der dialektischen Natur menschlicher Erkenntnis und vor allem dem Grundbedürfnis der Sorge des Menschen für den Menschen, für seine eigene Menschlichkeit, für die Zukunft der Menschen auf dieser Erde. Die Kirche, die aus einem eschatologischen Glauben lebt, betrachtet diese Besorgnis des Menschen um seine Menschlichkeit, um die Zukunft der Menschen auf Erden und damit auch um die Richtung von Entwicklung und Fortschritt als ein wesentliches Element ihrer Sendung, das hiervon nicht getrennt werden darf. Den Kern dieser Sorge findet die Kirche in Jesus Christus selbst, wie die Evangelien bezeugen. Gerade darum möchte sie dieses Engagement aus der Einheit mit ihm verstärken, indem sie die Situation des Menschen in der heutigen Welt nach den wichtigsten Zeichen unserer Zeit interpretiert.
16. Fortschritt oder Bedrohung?
Wenn sich diese Zeit, die Zeit unserer Generation, die sich dem Ende des zweiten Jahrtausends unserer christlichen Ära nähert, uns als eine Zeit großen Fortschritts offenbart, so erscheint sie uns andererseits auch als eine Zeit vielfältiger Bedrohungen für den Menschen, über die die Kirche mit allen Menschen guten Willens sprechen und immer im Gespräch bleiben muß. Die Situation des Menschen in der heutigen Zeit scheint in der Tat noch fern zu sein von den objektiven Forderungen der sittlichen Ordnung wie auch von den Forderungen der Gerechtigkeit und mehr noch von der sozialen Liebe. Es geht hier darum, was schon in der ersten Botschaft des Schöpfers an den Menschen in dem Augenblick Ausdruck gefunden hat, als dieser ihm die Erde anvertraute, damit er sie sich »unterwerfe«. 100 Diese erste Botschaft ist im Geheimnis der Erlösung von Jesus Christus neu bekräftigt worden. Das II. Vatikanische Konzil hat dies in den wunderbaren Lehraussagen über die »Königswürde« des Menschen, das heißt über seine Berufung zur Teilnahme am Königsamt – munus regale – Christi dargelegt. 101 Der zentrale Sinn dieser »Königswürde« und dieser »Herrschaft« des Menschen über die sichtbare Welt, die ihm vom Schöpfer als Aufgabe anvertraut worden ist, besteht im Vorrang der Ethik vor der Technik, im Primat der Person über die Dinge, in der Überordnung des Geistes über die Materie.
Aus diesem Grund muß man alle Phasen des heutigen Fortschritts aufmerksam verfolgen. Man muß unter diesem Gesichtspunkt gleichsam eine Durchleuchtung seiner einzelnen Etappen vornehmen. Es handelt sich hier um die Entwicklung von Personen und nicht nur der vielen Dinge, deren sich die Personen bedienen können. Es geht – wie ein zeitgenössischer Philosoph gesagt und auch das Konzil festgestellt hat – nicht so sehr darum, »mehr zu haben«, sondern »mehr zu sein«. 102 In der Tat besteht schon eine wirkliche, erkennbare Gefahr, daß der Mensch bei dem enormen Fortschritt in der Beherrschung der gegenständlichen Welt die entscheidenden Fäden, durch die er sie beherrscht, aus der Hand verliert und ihnen auf verschiedene Weise sein Menschsein unterordnet und selbst Objekt wird von vielfältigen, wenn auch oft nicht direkt wahrnehmbaren Manipulationen durch die Organisation des gesellschaftlichen Lebens, durch das Produktionssystem und durch den Druck der sozialen Kommunikationsmittel. Der Mensch kann nicht auf sich selber verzichten noch auf den Platz, der ihm in der sichtbaren Welt zukommt; er darf nicht Sklave der Dinge, Sklave der Wirtschaftssysteme, Sklave der Produktion, Sklave der eigenen Produkte werden. Eine Zivilisation von rein materialistischem Charakter verurteilt den Menschen zu solcher Sklaverei, wenn dies auch mitunter zweifellos gegen die Absichten und Programme ihrer maßgeblichen Führer geschieht. Der gegenwärtigen Sorge um den Menschen liegt ganz gewiß dieses Problem zugrunde. Es handelt sich hier nicht nur darum, auf die Frage: Wer ist der Mensch? eine abstrakte Antwort zu geben. Es geht vielmehr um den gesamten Dynamismus des Lebens und der Zivilisation. Es geht um den Sinn der verschiedenen Initiativen des täglichen Lebens und gleichzeitig um die Voraussetzungen für zahlreiche Programme der Zivilisation, um politische, wirtschaftliche, soziale, staatliche und viele andere Programme.
Wenn wir es wagen, die Situation des Menschen in der Welt von heute als noch fern von den objektiven Forderungen der sittlichen Ordnung, von den Forderungen der Gerechtigkeit und mehr noch von der sozialen Liebe zu bezeichnen, so geschieht es deswegen, weil dies von den allgemein bekannten Tatsachen und Gegenüberstellungen bestätigt wird, die auch schon mehrmals in päpstlichen, konziliaren und synodalen Verlautbarungen erwähnt worden sind. 103 Die Situation des Menschen in unserer Epoche ist sicher nicht einförmig, sie ist auf vielfältige Weise differenziert. Diese Differenzen haben ihre geschichtlichen Gründe, aber auch eine stark ethische Komponente. Allgemein bekannt ist das Bild der Konsumgesellschaft, die einen gewissen Überfluß an den für den Menschen und die ganze Gesellschaft notwendigen Gütern besitzt – gemeint sind die reichen und weit fortgeschrittenen Gesellschaften -, während die übrigen, zumindest in weiten Schichten, Hunger leiden und viele Personen in ihnen täglich an Hunger und Unterernährung sterben. Hand in Hand damit geht für die einen ein bestimmter Mißbrauch der Freiheit, der mit einer konsumistischen Verhaltensweise verbunden ist, die nicht von der Ethik gezügelt wird; gleichzeitig wird dadurch die Freiheit der anderen beschränkt, die schon großen Mangel leiden und somit in noch stärkere Armut und ins Elend getrieben werden.
Dieser Vergleich, der allgemein bekannt ist, und der Gegensatz, auf den die Päpste unseres Jahrhunderts, in jüngster Zeit Johannes XXIII. und Paul VI., 104 in ihren Lehrschreiben des öfteren hingewiesen haben, erscheinen wie die gigantische Vergrößerung des biblischen Gleichnisses vom reichen Prasser und dem armen Lazarus. 105
Der Umfang des Problems führt uns zur Prüfung der Strukturen und Mechanismen im Bereich der Finanzen und des Geldwertes, der Produktion und des Handels, die mit Hilfe von verschiedenen politischen Druckmitteln die Weltökonomie beherrschen: sie zeigen sich unfähig, die aus der Vergangenheit überkommenen Ungerechtigkeiten aufzufangen oder den Herausforderungen und ethischen Ansprüchen der Gegenwart standzuhalten. Indem sie den Menschen selbstverursachten Spannungen aussetzen, in beschleunigtem Tempo die Reserven an Grundmaterien und Energie vergeuden und den geophysischen Lebensraum schädigen, bewirken sie, daß sich die Zonen des Elends mit ihrer Last an Angst, Enttäuschung und Bitterkeit unaufhörlich weiter ausdehnen. 106
Diese dramatische Lage darf uns nicht gleichgültig sein: derjenige, der höchsten Profit daraus zieht, und derjenige, der davon Unrecht und Schaden erleidet, ist in jedem Fall der Mensch. Die dramatische Situation wird noch dadurch verschärft, daß bessergestellte Gesellschaftsschichten sowie die reichen Länder, die Werte im Übermaß anhäufen und oft durch Mißbrauch von ihrem eigenen Reichtum krank werden, daran beteiligt sind. Das Fieber der Inflation und die Plage der Arbeitslosigkeit sind weitere Symptome dieser schweren moralischen Unordnung auf Weltebene, die darum kühne und schöpferische Entscheidungen nötig macht, 107 wie sie die Würde der menschlichen Person fordert.
Die Verwirklichung dieser Aufgabe ist nicht unmöglich. Das Prinzip der Solidarität im weiteren Sinne muß die wirksame Suche nach Institutionen und geeigneten Mechanismen bestimmen, sowohl im Bereich des Welthandels, wo man sich von den Gesetzen eines gesunden Wettbewerbs leiten lassen sollte, wie auch im Bereich einer umfassenden und unmittelbaren Umverteilung der Reichtümer und ihrer Kontrolle, damit die Völker, die noch auf dem Weg ihrer wirtschaftlichen Entwicklung sind, nicht nur ihre wesentlichen Bedürfnisse befriedigen, sondern auch stufenweise, aber doch wirksam vorankommen können.
Man wird auf diesem schwierigen Weg der unbedingt notwendigen Veränderung der Strukturen des Wirtschaftslebens nur dann Fortschritte machen, wenn eine wahre Umkehr der Mentalität, des Willens und des Herzens stattfindet. Die Aufgabe erfordert den entschlossenen Einsatz der Menschen und Völker in Freiheit und Solidarität. Allzu oft verwechselt man jedoch Freiheit mit dem Instinkt für das individuelle oder kollektive Interesse oder sogar mit dem Instinkt, sich durchzusetzen und zu beherrschen, ganz gleich, mit welchen ideologischen Farben dies versehen wird. Offenbar existieren solche Instinkte; es wird aber keine wirklich menschenwürdige Wirtschaftspraxis geben, wenn diese nicht aufgegriffen, ausgerichtet und geleitet werden durch die wertvolleren Kräfte im Innern des Menschen, von denen die wahre Kultur der Völker abhängt. Von diesen Quellen muß das Bemühen ausgehen, das der echten Freiheit des Menschen Gestalt gibt und darum fähig sein wird, diese auch für den wirtschaftlichen Bereich zu sichern. Das notwendige wirtschaftliche Wachstum mit seinen ihm eigenen Gesetzmäßigkeiten muß in die Perspektive einer ganzheitlichen und solidarischen Entwicklung der einzelnen Menschen und Völker einbezogen werden, wie uns mein Vorgänger Paul VI. in der Enzyklika Populorum Progressio mit Nachdruck in Erinnerung gerufen hat. Sonst wird der Teilbereich »wirtschaftliches Wachstum«so übermächtig, daß er den gesamten Bereich des menschlichen Lebens seinen partiellen Erfordernissen unterordnet, dabei den Menschen erstickt, die Gesellschaft zersetzt und schließlich in den eigenen Spannungen und Exzessen steckenbleibt.
Es ist durchaus möglich, eine solche Verpflichtung zu übernehmen; das bezeugen einige sichere Fakten und all jene Resultate, die hier genauer aufzuzählen schwierig wäre. Eines jedoch ist gewiß: bei dieser ungeheueren Aufgabe muß man von vornherein den Inhalt der moralischen Verantwortung, die der Mensch dabei übernehmen soll, genau festsetzen, annehmen und weiter vertiefen. Subjekt der Verantwortung ist einzig und allein der Mensch selbst. Für uns Christen wird eine solche Verantwortung besonders offenkundig, wenn wir – und das sollten wir stets tun – uns an das Geschehen des Jüngsten Gerichtes erinnern nach den Worten Christi, die uns im Matthäusevangelium überliefert sind. 108
Dieses eschatologische Bild muß immer auf die Geschichte des Menschen »angewandt«werden, muß stets der »Maßstab« für die menschlichen Handlungen sein, gleichsam ein Grundschema für die Gewissenserforschung eines jeden einzelnen und von allen zusammen: »Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; … ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet; ich war … im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht«. 109 Diese Worte erhalten eine noch eindringlichere Mahnung, wenn wir daran denken, daß anstelle von Brot und kultureller Hilfe den neuen Staaten und Nationen, die zur Unabhängigkeit erwachen, mitunter große Mengen von modernen Waffen und Zerstörungsmitteln angeboten werden, die bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen dienen sollen, welche in diesen Ländern nicht so sehr für die Verteidigung ihrer legitimen Rechte oder ihrer Souveränität notwendig sind, sondern vielmehr eine Form des Chauvinismus, des Imperialismus, des Neokolonialismus verschiedenster Art darstellen. Wir alle wissen, daß die Gebiete, in denen auf der Erde Elend und Hunger herrschen, in kurzer Zeit hätten fruchtbar gemacht werden können, wenn die ungeheueren Geldsummen anstatt für Waffen, die dem Krieg und der Zerstörung dienen, zur Nahrungsmittelproduktion eingesetzt worden wären, die dem Leben dient.
Vielleicht bleiben diese Überlegungen teilweise »abstrakt«, vielleicht bieten sie der einen oder anderen »Seite« Gelegenheit, sich gegenseitig anzuklagen, wobei jede ihre eigene Schuld vergißt. Vielleicht werden sie auch neue Anklagen gegen die Kirche hervorrufen. Diese verfügt über keine anderen Waffen als nur über die Waffen des Geistes, über Waffen des Wortes und der Liebe; sie kann es aber nicht unterlassen, »das Wort zu verkünden… zu gelegener und ungelegener Zeit«. 110 Deswegen hört sie auch nicht auf, jede der beiden Seiten zu bitten und alle zusammen im Namen Gottes und im Namen des Menschen aufzufordern: Tötet nicht! Bringt den Menschen keine Zerstörung und Vernichtung! Denkt an eure Brüder, die Hunger und Elend erleiden! Achtet die Würde und die Freiheit eines jeden Menschen!
17. Menschenrechte:»Buchstabe« oder »Geist«
Unser Jahrhundert ist bisher ein Jahrhundert der großen Unglücke für den Menschen, der großen Verwüstungen, nicht nur der materiellen, sondern auch und vielleicht sogar vor allem der moralischen, gewesen. Es ist gewiß nicht leicht, unter diesem Gesichtspunkt Epochen und Jahrhunderte miteinander zu vergleichen; ihre Beurteilung hängt nämlich auch von geschichtlichen Kriterien ab, die sich ändern. Aber auch ohne solche Vergleiche muß man feststellen, daß dieses Jahrhundert bisher eine Periode gewesen ist, in der die Menschen sich gegenseitig viele Ungerechtigkeiten und Leiden zugefügt haben. Ist dieser Entwicklung nun endgültig Einhalt geboten? Wir dürfen es in jedem Fall nicht unterlassen, mit Achtung und großer Hoffnung für die Zukunft an die großartigen Anstrengungen zu erinnern, mit denen man die Organisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen hat; Anstrengungen, die darauf abzielen, die objektiven und unverletzlichen Menschenrechte zu umschreiben und festzusetzen, wobei sich die Mitgliedstaaten gegenseitig verpflichteten, diese genau zu beachten. Die Verpflichtung ist von fast allen heutigen Staaten übernommen und ratifiziert worden; das sollte eine Garantie dafür sein, daß die Menschenrechte in der ganzen Welt zum Grundprinzip aller Bemühungen um das Wohl des Menschen werden.
Die Kirche braucht nicht zu betonen, wie sehr dieses Problem mit ihrer Sendung in der Welt von heute verbunden ist. Es bildet nämlich eine der grundlegenden Voraussetzungen für den sozialen und internationalen Frieden, wie Johannes XXIII., das II. Vatikanische Konzil und auch Paul VI. in besonderen Dokumenten dargelegt haben. Letztlich führt sich der Frieden zurück auf die Achtung der unverletzlichen Menschenrechte – opus iustitiae pax -, während der Krieg aus der Verletzung dieser Rechte entsteht und noch größere derartige Verletzungen nach sich zieht. Wenn die Menschenrechte in Friedenszeiten verletzt werden, ist dies besonders schmerzlich und stellt unter dem Gesichtspunkt des Fortschritts ein unverständliches Phänomen des Kampfes gegen den Menschen dar, das auf keine Weise mit irgendeinem Programm, das sich selbst als »humanistisch« bezeichnet, in Einklang gebracht werden kann. Und welches soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Programm könnte auf diese Bezeichnung verzichten? Wir hegen die tiefe Überzeugung, daß es in der Welt von heute kein Programm gibt, in dem nicht, nicht einmal auf der Ebene entgegengesetzter ideologischer Weltanschauungen, der Mensch immer an die erste Stelle gesetzt wird.
Wenn aber nun trotz dieser Voraussetzungen die Menschenrechte auf verschiedene Weise verletzt werden, wenn wir Zeugen von Konzentrationslagern, von Gewalt und Torturen, von Terrorismus und vielfältigen Diskriminierungen sind, so muß das eine Folge anderer Vorbedingungen sein, die die Wirksamkeit der humanistischen Voraussetzungen in jenen modernen Programmen und Systemen bedrohen oder oft auch zunichte machen. Somit drängt sich notwendig die Pflicht auf, diese Programme unter dem Gesichtspunkt der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte einer ständigen Revision zu unterziehen.
Die Menschenrechtserklärung, die in Verbindung mit der Errichtung der Organisation der Vereinten Nationen erfolgte, hatte gewiß nicht nur das Ziel, sich von den furchtbaren Erfahrungen des letzten Weltkrieges zu distanzieren, sondern sollte auch eine Grundlage für eine solche ständige Revision der Programme, Systeme und Regime schaffen, die unter diesem einzigen grundlegenden Gesichtspunkt zu geschehen hat, dem Wohl des Menschen, das heißt der Person in der Gesellschaft; dieses muß als Grundfaktor des Gemeinwohls das wesentliche Kriterium für alle Programme, Systeme und Regime bilden. Andernfalls ist das menschliche Leben, auch in Friedenszeiten, zu verschiedenen Leiden verdammt; gleichzeitig damit entwickeln sich verschiedene Formen von Vorherrschaft, von Totalitarismus, Neokolonialismus, Imperialismus, die auch das Zusammenleben zwischen den Nationen gefährden. Es ist in der Tat eine bezeichnende Tatsache, die mehrmals durch die Erfahrungen der Geschichte bestätigt worden ist, daß nämlich die Verletzung der Menschenrechte mit der Verletzung der Rechte der Nation Hand in Hand geht; mit ihr ist der Mensch ja durch organische Bande wie mit einer großen Familie verbunden.
Schon seit der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als sich verschiedene totalitäre Staatssysteme entwickelten, die dann bekanntlich zu der furchtbaren Kriegskatastrophe führten, hat die Kirche ihre Haltung gegenüber diesen Regimen klar umrissen; denn diese handelten nur scheinbar im Interesse eines höheren Gutes, nämlich für das Wohl des Staates, während die Geschichte dagegen zeigen sollte, daß dies nur das Wohl einer bestimmten Partei war, die sich mit dem Staat identifizierte. 111 In Wirklichkeit haben diese Regime die Rechte der Bürger eingeschränkt, indem sie ihnen die Anerkennung gerade jener unverletzlichen Bürgerrechte versagten, die um die Mitte unseres Jahrhunderts auf internationaler Ebene offiziell festgelegt und anerkannt worden sind. Während die Kirche die Freude über diese Errungenschaft mit allen Menschen guten Willens, mit allen Menschen, die die Gerechtigkeit und den Frieden wirklich lieben, teilt, muß sie im Bewußtsein, daß der »Buchstabe« allein töten kann, während nur »der Geist lebendig macht«, 112 zusammen mit diesen Menschen guten Willens ständig fragen, ob die Erklärung der Menschenrechte und die Annahme ihres »Buchstabens« überall auch die Verwirklichung ihres »Geistes« bedeuten. Es erheben sich nämlich begründete Befürchtungen, daß wir sehr oft noch ziemlich fern von dieser Verwirklichung sind und der Geist des sozialen und öffentlichen Lebens mitunter in einem schmerzlichen Gegensatz zum erklärten »Buchstaben« der Menschenrechte steht. Ein solcher Stand der Dinge, der für die betroffenen Gesellschaften eine Last ist, müßte diejenigen, die ihn mitverursacht haben, gegenüber diesen Gesellschaften und der Geschichte des Menschen in besonderer Weise verantwortlich machen.
Das Wesen des Staates als politischer Gemeinschaft besteht darin, daß die Gesellschaft, die ihn bildet, das Volk, Herr seines eigenen Geschickes ist. Dieser Sinn wird nicht verwirklicht, wo wir anstelle der Machtausübung mit moralischer Beteiligung der Gesellschaft oder des Volkes sehen, daß die Macht von einer bestimmten Gruppe allen anderen Gliedern dieser Gesellschaft aufgezwungen wird. Dies sind wesentliche Dinge in unserer Epoche, in der das soziale Bewußtsein der Menschen und damit verbunden auch das Verlangen nach einer richtigen Beteiligung der Bürger am politischen Leben der Gemeinschaft enorm gewachsen sind, 113 wenn auch für die Art dieser Beteiligung die realen Möglichkeiten eines jeden Volkes sowie die Notwendigkeit einer festen staatlichen Autorität berücksichtigt werden müssen. Dies sind somit unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Fortschritts des Menschen und der gesamtheitlichen Entwicklung seines Menschseins Probleme von erstrangiger Bedeutung.
Die Kirche hat stets gelehrt, daß es Pflicht ist, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, und hat dadurch auch für jeden Staat gute Bürger erzogen. Sie hat ferner immer gelehrt, daß es die grundlegende Verpflichtung der staatlichen Autorität ist, für das Gemeinwohl der Gesellschaft Sorge zu tragen; hiervon leiten sich ihre Grundrechte ab. Gerade wegen dieser Voraussetzungen, die der objektiven ethischen Ordnung angehören, können die Rechte der staatlichen Gewalt nicht anders verstanden werden als auf der Grundlage der Achtung der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte. Jenes Gemeinwohl, dem die Autorität im Staate dient, ist nur dann voll verwirklicht, wenn alle Bürger ihrer Rechte sicher sind. Andernfalls endet man beim Zusammenbruch der Gesellschaft, gelangt man zum Widerstand der Bürger gegen die Autorität oder zu einem Zustand der Unterdrückung, der Einschüchterung, der Gewalt, des Terrors, wovon uns die Totalitarismen unseres Jahrhunderts zahlreiche Beispiele gegeben haben. Auf diese Weise berührt das Prinzip der Menschenrechte zutiefst den Bereich der sozialen Gerechtigkeit und wird zum Maßstab für ihre grundlegende Überprüfung im Leben der politischen Institutionen.
Zu diesen Rechten zählt man berechtigterweise auch das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit. Das II. Vatikanische Konzil hat es als besonders notwendig erachtet, zu diesem Thema eine ausführliche Erklärung zu erarbeiten. Gemeint ist das Dokument Dignitatis humana, 114 in dem nicht nur die theologische Konzeption des Problems ausgedrückt worden ist, sondern dieses auch unter dem Aspekt des Naturrechts erörtert wird, das heißt vom »rein menschlichen« Standpunkt aus, von jenen Voraussetzungen her, die von der Erfahrung des Menschen, von seiner Vernunft und vom Sinn der Menschenwürde gefordert sind. Die Einschränkung der religiösen Freiheit von Personen und Gemeinschaften ist gewiß nicht nur eine schmerzliche Erfahrung, sondern trifft vor allem auch die Würde des Menschen unabhängig von der Religion, die einer bekennt, oder vom Weltverständnis, das er hat. Die Beschränkung der Religionsfreiheit und deren Verletzung stehen im Gegensatz zur Würde des Menschen und zu seinen objektiven Rechten. Das obengenannte Konzilsdokument sagt hinreichend deutlich, was eine solche Beschränkung der Religionsfreiheit bedeutet. Zweifellos stehen wir hier vor einer tiefgreifenden Ungerechtigkeit gegenüber allem, was den Menschen in seiner Tiefe betrifft, was wesentlich menschlich ist. Denn sogar das Phänomen der Ungläubigkeit, der Religionslosigkeit und des Atheismus versteht man als menschliches Phänomen nur in Bezug zum Phänomen der Religion und des Glaubens. Es ist deshalb schwierig, auch schon vom »rein menschlichen« Gesichtspunkt her eine Position hinzunehmen, nach der nur der Atheismus das Bürgerrecht im öffentlichen und sozialen Leben besitzt, während die gläubigen Menschen fast aus Prinzip kaum geduldet oder als Bürger zweiter Klasse behandelt werden oder sogar – was auch schon geschehen ist – der Bürgerrechte völlig beraubt sind.
Auch dieses Thema mußte hier, wenn auch nur kurz, behandelt werden, weil es zur Gesamtsituation des Menschen in der heutigen Welt gehört, weil es bezeugt, wie sehr diese Situation durch Vorurteile und verschiedenartigste Ungerechtigkeiten belastet ist. Wenn wir davon absehen, auf Einzelheiten in diesem Bereich einzugehen, für den wir ein besonderes Recht und eine besondere Pflicht haben, so geschieht das vor allem deshalb, weil wir zusammen mit allen, die Qualen der Diskriminierung und der Verfolgung um des Namens Gottes willen erdulden, vom Glauben an die erlösende Kraft des Kreuzes geleitet werden. Dennoch möchte ich mich kraft meines Amtes im Namen aller Gläubigen der ganzen Welt an diejenigen wenden, von denen in irgendeiner Weise die Gestaltung des sozialen und öffentlichen Lebens abhängt. Wir fordern von ihnen dringend die Achtung der Rechte der Religion und des Wirkens der Kirche. Wir beanspruchen kein Privileg, sondern die Achtung eines elementaren Rechtes. Die Verwirklichung dieses Rechtes ist eine der grundlegenden Proben für den wahren Fortschritt des Menschen in einem jeden Regime, in jeder Gesellschaft, in jedem System und in jeder Lage.
IV. DIE SENDUNG DER KIRCHE UND DAS SCHICKSAL DES MENSCHEN
18. Die Kirche in ihrer Sorge um die Berufung des Menschen in Christus
Dieser notwendig summarische Blick auf die Situation des Menschen in der Welt von heute läßt uns Herzen und Gedanken noch mehr auf Jesus Christus, auf das Geheimnis der Erlösung richten, dem das Problem des Menschen mit der starken Kraft der Wahrheit und Liebe eingeprägt ist. Wenn Christus »sich gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt hat«, 115 so lebt auch die Kirche, indem sie mit ihrer reichen und universalen Sprache bis in das Innerste dieses Geheimnisses vordringt, noch tiefer ihre eigene Natur und Sendung. Nicht umsonst spricht der Apostel Paulus vom Leib Christi, der die Kirche ist. 116 Wenn nun dieser mystische Leib Christi das Volk Gottes ist – wie daraufhin das II. Vatikanische Konzil gestützt auf die ganze biblische und patristische Tradition sagen wird -, so heißt das, daß jeder Mensch in ihm durchdrungen ist von jenem Lebenshauch, der von Christus kommt. Auf diese Weise bewirkt auch die Hinwendung zum Menschen, zu seinen konkreten Problemen, zu seinen erfüllten und zerschlagenen Hoffnungen und Leiden, daß die Kirche selbst als Leib, als Organismus, als soziale Einheit, die gleichen göttlichen Impulse, die Eingebungen und Kräfte des Geistes wahrnimmt, die vom gekreuzigten und auferstandenen Christus herkommen; und gerade dafür lebt und wirkt sie. Die Kirche hat kein anderes Leben außer jenem, das ihr von ihrem Bräutigam und Herrn geschenkt wird. In der Tat, weil Christus in seinem Geheimnis der Erlösung sich mit ihr vereint hat, muß auch die Kirche mit jedem Menschen eng verbunden sein.
Diese Vereinigung Christi mit dem Menschen ist in sich selbst ein Geheimnis, aus dem der »neue Mensch« hervorgeht, berufen zur Teilnahme am Leben Gottes, 117 neugeschaffen in Christus zur Fülle der Gnade und Wahrheit. 118 Die Einheit Christi mit dem Menschen ist Kraft und zugleich Quelle der Kraft, nach dem markanten Wort des hl. Johannes im Prolog seines Evangeliums: »Das Wort gab Macht, Kinder Gottes zu werden«. 119 Sie ist die Kraft, die den Menschen innerlich umgestaltet, das Prinzip eines neuen Lebens, das nicht dahinschwindet und vergeht, sondern Dauer hat für das ewige Leben. 120 Dieses Leben, einem jeden Menschen zugesagt und vom Vater angeboten in Jesus Christus, dem ewigen und eingeborenen Sohn, der in der Fülle der Zeit 121 Fleisch geworden und geboren ist aus der Jungfrau Maria, ist die endgültige Erfüllung der Berufung des Menschen. Es ist in gewisser Weise Erfüllung jenes »Schicksals«, das ihm Gott von Ewigkeit her bereitet hat. Dieses »göttliche Schicksal« geht weiter, über alle Rätsel, unbekannte Größen, Umwege und Windungen des »menschlichen Schicksals« in der zeitlichen Welt hinaus. Wenn nämlich all dies, auch bei allem Reichtum des zeitlichen Lebens, mit unvermeidbarer Notwendigkeit an die Grenze des Todes und in die Nähe der Auflösung unseres Leibes führt, dann erscheint uns Christus jenseits dieser Grenze: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben«. 122 In Jesus Christus, der gekreuzigt und begraben wurde und wieder auferstanden ist, »erstrahlt uns die Hoffnung, daß wir zur Seligkeit auferstehn…, die Verheißung der künftigen Unsterblichkeit«, 123 auf die der Mensch durch den Tod des Leibes zugeht, da er mit der ganzen sichtbaren Schöpfung demselben Zwang unterliegt, dem die Materie unterworfen ist. Wir beabsichtigen und versuchen, den Aussagegehalt jener Wahrheit immer mehr zu vertiefen, die der Erlöser des Menschen in dem Satz ausgedrückt hat: »Der Geist ist es, der Leben schafft, das Fleisch nützt nichts«. 124 Diese Worte drücken entgegen allem Anschein die höchste Bejahung des Menschen aus: die Bejahung des Leibes, den der Geist lebendig macht!
Die Kirche lebt diese Wirklichkeit, sie lebt aus dieser Wahrheit über den Menschen, die ihr erlaubt, die Grenzen der Zeitlichkeit zu überschreiten und gleichzeitig mit besonderer Liebe und Sorge an all das zu denken, was in den Dimensionen dieser Zeitlichkeit das Leben des Menschen und des menschlichen Geistes entscheidend prägt, in dem sich nach den Worten des hl. Augustinus jene immerwährende Unruhe bekundet: »Du hast uns, o Herr, für dich geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir«. 125 In dieser schöpferischen Unruhe schlägt und pulsiert das, was zutiefst menschlich ist: die Suche nach der Wahrheit, der unstillbare Durst nach dem Guten, der Hunger nach Freiheit, die Sehnsucht nach dem Schönen, die Stimme des Gewissens. Die Kirche, die versucht, den Menschen gleichsam mit »den Augen Christi selbst« zu betrachten, wird sich immer mehr bewußt, die Hüterin eines großen Schatzes zu sein, den sie nicht vergeuden darf, sondern vielmehr ständig mehren muß. In der Tat hat Christus gesagt: »Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut«. 126 Dieser Schatz der Menschheit, der durch das unausprechliche Geheimnis der Gotteskindschaft, 127 der gnadenhaften Annahme an Kindes Statt 128 im eingeborenen Sohn Gottes noch reicher geworden ist, durch dessen Vermittlung wir zu Gott »Abba, Vater« 129 sagen, ist zugleich eine gewaltige Kraft, die die Kirche vor allem von innen her eint und ihrer ganzen Tätigkeit Sinn verleiht. Durch diese Kraft vereint sich die Kirche mit dem Geist Christi, mit jenem Heiligen Geist, den der Erlöser versprochen hatte, der sich beständig mitteilt und dessen Herabkunft am Pfingstfest offenbar geworden ist und für immer fortdauert. So offenbaren sich in den Menschen die Kräfte des Geistes, 130 die Gaben des Geistes, 131 die Früchte des Heiligen Geistes. 132 Die Kirche unserer Zeit scheint mit immer größerem Eifer inständig und beharrlich zu wiederholen: »Komm, Heiliger Geist!« Komm! Komm! »Was befleckt ist, wasche rein! Dürrem gieße Leben ein! Heile du, wo Krankheit quält! Löse, was in sich erstarrt! Wärme du, was kalt und hart! Lenke, was den Weg verfehlt!«. 133
Dieses inständige Gebet zum Geist und um den Geist zu empfangen, ist die Antwort auf alle »Materialismen« unserer Epoche. Sie sind es ja, die so viele Formen unstillbarer Sehnsucht in unserem Herzen hervorrufen. Diesen Gebetsruf kann man an verschiedenen Stellen hören, und es scheint, daß er auch auf verschiedene Weise Frucht bringt. Kann man also sagen, daß die Kirche mit diesem Gebet nicht allein ist? Ja, das kann man, weil »das Bedürfnis« nach dem Spirituellen auch bei Personen Ausdruck findet, die außerhalb der sichtbaren Grenzen der Kirche stehen. 134 Wird dies nicht auch von jener Wahrheit über die Kirche bestätigt, die vom letzten Konzil in der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium mit solcher Klarheit hervorgehoben wurde, indem es lehrt, daß die Kirche »gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ist? 135 Diese Anrufung des Geistes und im Geist ist nichts anderes als ein beständiges Sichvertiefen in die volle Dimension des Geheimnisses der Erlösung, in der Christus, vereint mit dem Vater und mit jedem Menschen, uns ständig jenen Geist mitteilt, der in uns das Bewußtsein von Söhnen erzeugt und uns zum Vater hinlenkt. 136 Deswegen muß sich die Kirche unserer Zeit – einer Zeit, die besonders nach dem Geist hungert, weil sie hungert nach Gerechtigkeit und Frieden, nach Liebe und Güte, nach Starkmut und Verantwortung, nach Menschenwürde – auf jenes Geheimnis konzentrieren und sich in ihm versammeln, damit sie darin das Licht und die unentbehrliche Kraft für die eigene Sendung empfängt. Wenn der Mensch – wie schon früher gesagt worden ist – wirklich der Weg des täglichen Lebens der Kirche ist, dann muß diese sich der Würde der Gotteskindschaft, die der Mensch in Christus durch die Gnade des Heiligen Geistes 137 erhält, und seiner Bestimmung zur Gnade und zur Herrlichkeit immer bewußt sein. 138 Indem die Kirche all dies immer neu bedenkt und es sich mit immer bewußterem Glauben und mit immer stärkerer Liebe zu eigen macht, wird sie gleichzeitig fähiger für jenen Dienst am Menschen, zu dem Christus, der Herr, sie beruft, wenn er sagt: »Der Menschensohn… ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen«. 139 Die Kirche verwirklicht diesen Auftrag, indem sie teilnimmt »am dreifachen Amt«, das ihr Meister und Erlöser selbst innehat. Diese Lehre, zusammen mit ihrer biblischen Begründung, ist vom II. Vatikanischen Konzil zum großen Nutzen für das Leben der Kirche wieder leuchtend herausgestellt worden. Denn wenn wir uns der Teilnahme und der dreifachen Sendung Christi, an seinem dreifachen Amt – dem Priester-, Propheten- und Königsamt 140 – bewußt werden, verstehen wir gleichzeitig besser, welches der Dienst der ganzen Kirche als Gesellschaft und Gemeinschaft des Volkes Gottes auf Erden ist, und verstehen ebenfalls, worin die Teilnahme eines jeden von uns an dieser Sendung und an diesem Dienst bestehen muß.
19. Die Verantwortung der Kirche für die Wahrheit
Im Licht der feierlich verkündeten Lehre des II. Vatikanischen Konzils steht uns die Kirche als die Gemeinschaft vor Augen, die für die göttliche Wahrheit verantwortlich ist. In tiefer Ergriffenheit hören wir Christus selbst sprechen: »Das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat«. 141 Wird uns nicht in dieser Aussage unseres Herrn die Verantwortung für die geoffenbarte Wahrheit deutlich, die ja Gottes persönliches »Eigentum« ist, wenn selbst er, »der eingeborene Sohn«, der »am Herzen des Vaters ruht«, 142 es für notwendig hält zu betonen, daß er in vollkommener Treue zu seinem göttlichen Ursprung handelt, wenn er diese Wahrheit als Prophet und Meister weitergibt? Die gleiche Treue muß ein wesentlicher Bestandteil des Glaubens der Kirche sein, wenn sie ihn lehrt oder verkündet. Der Glaube, der als eine besondere übernatürliche Tugend dem menschlichen Geist eingegossen ist, läßt uns am Erkennen Gottes teilhaben, wenn wir auf sein geoffenbartes Wort antworten. Darum muß die Kirche, wenn sie den Glauben bekennt und lehrt, sich eng an die göttliche Wahrheit anschließen 143 und sie als den ihr angemessenen Gottesdienst 144 in ihrem Leben ausprägen. Um diese Treue zur göttlichen Wahrheit zu gewährleisten, hat Christus der Kirche den besonderen Beistand des Geistes der Wahrheit verheißen. Er hat jenen die Gabe der Unfehlbarkeit 145 verliehen, die den Auftrag haben, diese Wahrheiten zu verbreiten und zu lehren, 146 wie es schon das I. Vatikanische Konzil 147 klar definiert und dann das II. Vatikanische Konzil 148 wiederholt hat. Das ganze Volk Gottes hat er außerdem mit einem besonderen Glaubenssinn 149 ausgestattet.
So sind wir also Teilhaber an dieser prophetischen Sendung Christi geworden, und aus der Kraft der gleichen Sendung dienen wir zusammen mit ihm der göttlichen Wahrheit in der Kirche. Die Verantwortung für eine solche Wahrheit bedeutet auch, sie zu lieben und möglichst genau zu verstehen zu suchen, damit sie uns selbst und den anderen in all ihrer erlösenden Kraft, in ihrem hellen Glanz, in ihrer Tiefe und zugleich Einfachheit immer vertrauter wird. Diese Liebe und das Verlangen, die Wahrheit besser zu verstehen, müssen zusammengehen, wie die Lebensgeschichten der Heiligen in der Kirche bestätigen. Das wahre Licht, das die göttliche Wahrheit erhellt und uns so die Wirklichkeit Gottes selbst näherbringt, hat immer diejenigen am meisten erleuchtet, die in Ehrfurcht und Liebe dieser Wahrheit begegnet sind: Liebe vor allem zu Christus, dem lebendigen Wort der göttlichen Wahrheit, und dann Liebe zu dessen menschlichem Ausdruck im Evangelium, in der Tradition und in der Theologie. Auch heute brauchen wir vor allem anderen ein solches Verständnis und eine solche Auslegung des Wortes Gottes sowie eine solche Theologie. Die Theologie ist heute, genau so wie früher, sehr wichtig dafür, daß die Kirche, das Volk Gottes, in kreativer und fruchtbarer Weise an der prophetischen Sendung Christi teilnehmen kann. Darum dürfen die Theologen, wenn sie als Diener an der göttlichen Wahrheit sich in ihren Studien und Arbeiten einem immer tiefer eindringenden Verständnis widmen, niemals die Bedeutung ihres Dienstes in der Kirche aus den Augen verlieren, wie sie in dem Begriff »intellectus fidei« (= »verstehender Glaube«) enthalten ist. Dieser Doppelbegriff gilt in zweifacher Richtung nach der Formel »intellege, ut credas – crede, ut intellegas« (= »verstehe, um zu glauben – glaube, um zu verstehen«) 150 und kommt dort voll zum Tragen, wo man dem Lehramt, das in der Kirche den Bischöfen anvertraut ist, die ihrerseits mit dem Nachfolger des Petrus in hierarchischer Einheit verbunden sind, zu dienen sucht und sich ihrer Sorge für die Verkündigung und Pastoral sowie den apostolischen Initiativen des ganzen Gottesvolkes zur Verfügung stellt.
Wie in früheren Epochen so sind auch heute – und heute vielleicht noch dringender – die Theologen und alle Wissenschaftler in der Kirche aufgerufen, den Glauben mit ihrem Wissen und inrer Weisheit zu verbinden, damit diese sich gegenseitig durchdringen können, wie wir es in der Oration zum Fest des hl. Kirchenlehrers Albert lesen. Diese Aufgabe hat sich heute durch den Fortschritt der Wissenschaft, ihrer Methoden und Resultate in der Kenntnis der Welt und des Menschen enorm erweitert. Das betrifft die Naturwissenschaften ebenso wie die Geisteswissenschaften und auch die Philosophie, deren enge Verbindung mit der Theologie das II. Vatikanische Konzil in Erinnerung gerufen hat. 151
In diesem Bereich menschlichen Wissens, der sich fortwährend ausweitet und auffächert, muß sich auch der Glaube beständig vertiefen, indem er auf die Dimension des geoffenbarten Geheimnisses hinweist und sich um das Verständnis der Wahrheit bemüht, die in Gott ihre einzige und höchste Quelle hat. Wenn es auch erlaubt ist – und man sollte es sogar wünschen -, daß bei der Durchführung dieses weiten Arbeitsauftrages eine gewisse Vielfalt an Methoden in Betracht kommt, so darf sich doch diese Tätigkeit nicht von der fundamentalen Einheit in der Verkündigung des Glaubens und der Moral als einem Ziel, das ihr wesentlich ist, entfernen. Darum ist eine enge Zusammenarbeit der Theologie mit dem Lehramt unentbehrlich. Jeder Theologe muß sich in besonderer Weise dessen bewußt sein, was Christus selbst gemeint hat, wenn er sagte: »Das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat«. 152 Niemand darf deshalb aus der Theologie so etwas machen wie eine einfache Sammlung von eigenen persönlichen Auffassungen; sondern jeder muß darauf bedacht sein, in enger Verbindung zu bleiben mit dem Sendungsauftrag, die Wahrheit zu lehren, für die die Kirche verantwortlich ist.
Die Teilnahme am prophetischen Amt Christi formt das Leben der ganzen Kirche von Grund auf. Einen besonderen Anteil an diesem Auftrag haben die Hirten der Kirche, die in die Wahrheit Christi einführen und in beständiger, vielfältiger Weise die Lehre des Glaubens und der christlichen Moral verkündigen und ausbreiten. Diese Glaubensunterweisung – sei es in der Mission sei es unter den Christen selbst – trägt dazu bei, daß das Volk Gottes sich um Christus versammelt; sie bereitet auf die Teilnahme an der Eucharistie vor und gibt die Wege für ein Leben aus der Kraft des Sakramentes an. Die Bischofssynode vom Jahre 1977 hat ihre besondere Aufmerksamkeit der Katechese in der heutigen Welt gewidmet, und die reife Frucht ihrer Beratungen, Erfahrungen und Anregungen wird bald – einem Vorschlag der Teilnehmer der Synode entsprechend – in einem eigenen päpstlichen Dokument erscheinen. Die Katechese ist sicherlich eine dauerhafte und grundlegende Form des Wirkens der Kirche; hierin zeigt sich ihr prophetisches Charisma: Glaubenszeugnis und Unterweisung gehören zusammen. Wenn es hierbei auch in erster Linie um die Priester geht, dürfen wir doch in keiner Weise die große Zahl von Ordensleuten übersehen, die aus Liebe zu Christus in der Katechese tätig sind. Ebenso müssen wir schließlich die zahlreichen Laien erwähnen, die durch solche Tätigkeit den Glauben und ihre apostolische Verantwortung konkret leben.
Wir müssen außerdem dafür Sorge tragen, daß die verschiedenen Formen der Katechese in ihren vielfältigen Bereichen – angefangen bei jener grundlegenden Form, die die Katechese in der Familie darstellt, das heißt die Katechese der Eltern für ihre eigenen Kinder – die breite Teilnahme des ganzen Gottesvolkes am prophetischen Amt Christi aufweisen. So muß, hiermit verbunden, die Verantwortung der Kirche für die göttliche Wahrheit immer mehr und in unterschiedlicher Weise von allen geteilt werden. Wir denken dabei auch an die Fachleute der verschiedenen Disziplinen, an die Vertreter der Natur- und Geisteswissenschaften, an die Ärzte, die Juristen, die Künstler, die Ingenieure, an die Lehrer der verschiedenen Grade und Spezialisierungen. Sie alle haben als Mitglieder des Volkes Gottes ihren eigenen Anteil an der prophetischen Sendung Christi, an seinem Dienst für die göttliche Wahrheit. Das gilt schon für ihre lautere Einstellung zu jeglicher Wahrheit und immer dann, wenn sie andere zur Wahrheit erziehen und sie lehren, in der Liebe und Gerechtigkeit zu reifen. So stellt das Verantwortungsbewußtsein für die Wahrheit eine der wichtigsten Stellen dar, wo die Kirche jedem Menschen begegnen kann, und ist zugleich eine wesentliche Anforderung, die die Berufung des Menschen in der Gemeinschaft der Kirche bestimmt. Angeleitet vom Bewußtsein, für die Wahrheit verantwortlich zu sein, muß die Kirche unserer Tage ihrer eigenen Natur treu bleiben, zu der die prophetische Sendung gehört, die von Christus selbst herstammt: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch…. Empfangt den Heiligen Geist«. 153
20. Eucharistie und Buße
Im Geheimnis der Erlösung, das heißt im Heilswerk, das Christus wirkt, hat die Kirche Anteil an der Frohen Botschaft ihres Meisters; nicht nur durch ihr treues Hören auf sein Wort und durch die Verkündigung dieser Wahrheit, sondern gleichermaßen auch durch einen Akt gläubiger Hingabe in Liebe erfährt sie die Kraft seines erlösenden Wirkens, das er in die Zeichen der Sakramente, vor allem in die hl. Eucharistie, 154 hineingelegt hat. Diese ist die Mitte und der Gipfel von allem sakramentalen Leben, durch das jeder Christ die heilende Kraft der Erlösung empfängt, beginnend beim Geheimnis der Taufe, das uns eintauchen läßt in den Tod Christi, um uns dann auch an seiner Auferstehung teilnehmen zu lassen, 155 wie der Apostel Paulus uns lehrt. Im Licht dieser Lehre wird es noch klarer, warum das ganze sakramentale Leben der Kirche und eines jeden Christen seinen Höhepunkt und seine Fülle gerade in der Eucharistie erreicht. In diesem Sakrament erneuert sich ja fortwährend nach dem Willen Christi das Geheimnis des Opfers, das er selbst durch seine Hingabe auf dem Altar des Kreuzes dem Vater dargebracht hat: ein Opfer, das der Vater angenommen hat, indem er für diese Ganzhingabe seines Sohnes, der »gehorsam wurde bis zum Tod«, 156 die ihm als Vater eigene Gabe schenkte, ein neues, ewiges Leben in der Auferstehung; denn der Vater ist die erste Quelle und der Spender des Lebens von Anbeginn. Dieses neue Leben, das auch die leibliche Verherrlichung Christi, des Gekreuzigten, umfaßt, ist wirkkräftiges Zeichen der neuen Gabe geworden, die der Menschheit zuteil geworden ist, der Gabe des Heiligen Geistes, durch den das göttliche Leben, das der Vater in sich hat und seinem Sohne gibt, 157 an alle Menschen weitergegeben wird, die mit Christus vereint sind.
Die Eucharistie ist das vollkommenste Sakrament für diese Einheit. Indem wir die Eucharistie feiern und uns in sie aufnehmen lassen, gelangen wir zur Einheit mit dem irdischen und dem verherrlichten Christus, unserem Fürsprecher beim Vater; 158 diese Einheit aber kommt immer durch den erlösenden Akt seines Opfers zustande, durch den er uns befreit hat, indem er uns »für ein teures Lösegeld freigekauft« hat. 159 Der »hohe Preis« unserer Erlösung beweist zugleich den Wert, den Gott selbst dem Menschen beimißt, beweist unsere Würde in Christus. Dadurch daß wir »Kinder Gottes« 160 werden, »an Sohnes Statt angenommen«, 161 werden wir zugleich, ähnlich wie er, zu »Königen und Priestern«, erhalten wir das »königliche Priestertum«, 162 das heißt, wir nehmen teil an jener einzigartigen bleibenden Übergabe des Menschen und der Welt an den Vater, die er, der Sohn von Ewigkeit her 163 und zugleich wahrer Mensch, ein für allemal vollzogen hat. Die Eucharistie ist das Sakrament, in dem sich in vollendeter Weise unser neues Sein ausdrückt: Christus selbst legt hierin fortwährend und immer wieder neu im Heiligen Geist Zeugnis ab für unseren Geist, 164 daß jeder von uns durch die Teilnahme am Geheimnis der Erlösung Zugang hat zu den Früchten der Versöhnung mit Gott, 165 dem Vater, die der Sohn selbst durch den Dienst der Kirche gewirkt hat und immer wieder unter uns wirkt.
Es ist eine grundlegende Wahrheit, nicht nur lehrmäßiger, sondern auch existentieller Natur, daß die Eucharistie die Kirche aufbaut; 166 sie baut diese auf als die wahre Gemeinschaft des Volkes Gottes, als Versammlung der Gläubigen, die von demselben Merkmal der Einheit gekennzeichnet ist, das schon die Apostel und ersten Jünger des Herrn ausgezeichnet hat. Die Eucharistie baut immer wieder neu diese Gemeinschaft und Einheit auf; sie baut diese stets auf und erneuert sie in der Kraft des Opfers Christi, weil sie seines Todes am Kreuze gedenkt, 167 durch dessen Preis wir von ihm erlöst worden sind. Wir rühren deshalb in der Eucharistie in gewisser Weise an das Geheimnis selbst des Leibes und Blutes des Herrn, wie es die Worte im Augenblick der Einsetzung bezeugen, kraft deren sie auf immer die Worte der Eucharistiefeier für jene geworden sind, die zu diesem Geheimnis in der Kirche berufen sind.
Die Kirche lebt von der Eucharistie, lebt aus der Fülle dieses Sakramentes, dessen wunderbarer Gehalt und Sinn in den Verlautbarungen des Lehramtes der Kirche seit den ältesten Zeiten bis in unsere Tage oft dargestellt worden sind. 168 Dennoch können wir mit Sicherheit sagen, daß diese Lehre – die von den tiefsinnigen Theologen, von Männern tiefen Glaubens und des Gebetes, von Asketen und Mystikern in ihrer Treue zum eucharistischen Geheimnis stets bekannt worden ist – fast immer nur an der Schwelle stehenbleibt, da sie das, was die Eucharistie in ihrer ganzen Fülle ist und bezeichnet und was in ihr geschieht, nicht in Worten auszudrücken vermag. Sie ist in der Tat ein unaussprechliches Sakrament! Die entscheidende Pflicht und vor allem die sichtbare Gnade und Quelle der übernatürlichen Kraft der Kirche als Volk Gottes bestehen darin, im eucharistischen Leben und in der eucharistischen Frömmigkeit stets zu verharren und fortzuscheiten und sich selbst unter dem Einfluß der Eucharistie geistlich zu entfalten. Gerade darum dürfen wir diesem wahrhaft allerheiligsten Sakrament nicht durch die Art und Weise unseres Denkens, Lebens und Handelns seine volle Dimension und seine wesentliche Bedeutung nehmen. Dieses Sakrament ist zugleich Opfer, Kommunion und Gegenwart. Obgleich es richtig ist, daß die Eucharistie immer die tiefste Offenbarung und Feier der menschlichen Brüderlichkeit unter den Jüngern und Zeugen Christi gewesen ist und noch weiter sein muß, darf sie nicht nur als eine »Gelegenheit« benutzt werden, um diese Brüderlichkeit zu bekunden. In der Feier des Sakramentes des Leibes und Blutes des Herrn muß man die volle Dimension des göttlichen Geheimnisses und den vollen Sinn dieses sakramentalen Zeichens beachten, bei dem der wahrhaft gegenwärtige Christus empfangen, die Seele mit Gnaden beschenkt und ein Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird. 169 Daraus ergibt sich die Pflicht einer gewissenhaften Beobachtung der liturgischen Normen und alles dessen, was den gemeinschaftlichen Gottesdienst bezeugt, der Gott selbst dargebracht wird; und das um so mehr, weil er sich unter diesem sakramentalen Zeichen mit grenzenlosem Vertrauen uns überantwortet, als ob er unserer menschlichen Schwäche und Unwürdigkeit, den Gewohnheiten, der »Routine« oder sogar der Möglichkeit von Beleidigungen keine Beachtung schenke. In der Kirche müssen alle, besonders aber die Bischöfe und Priester, darüber wachen, daß dieses Sakrament der Liebe den Mittelpunkt im Leben des Gottesvolkes bildet, auf daß durch alle Ausdrucksformen des geschuldeten Kultes Christus »Liebe für Liebe« erwiesen wird und er wirklich das »Leben unserer Seele« 170 wird. Auf der anderen Seite können wir niemals die folgenden Worte des hl. Paulus vergessen: »Jeder soll sich selbst prüfen, und dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken«. 171
Diese Einladung des Apostels zeigt, zumindest indirekt, das enge Band zwischen der Eucharistie und der Buße. Wenn nämlich das erste Wort in der Verkündigung Christi, der erste Satz der Frohen Botschaft des Evangeliums gewesen ist: »Bekehret euch und glaubt an das Evangelium« (metanoeite), 172 so scheint das Sakrament des Leidens, des Kreuzes und der Auferstehung diese Einladung in unseren Seelen auf ganz besondere Weise zu verstärken und zu festigen. Die Eucharistie und die Buße werden so in gewissem Sinn eine zweifache und zugleich innerlich verbundene Dimension des authentischen Lebens im Geist des Evangeliums, des wahrhaft christlichen Lebens. Christus, der zum eucharistischen Mahl einlädt, ist stets derselbe Christus, der zur Buße ermahnt, der das »Bekehret euch« 173 wiederholt. Ohne diese ständigen und immer wieder neuen Bemühungen um die Bekehrung wäre die Teilnahme an der Eucharistie der vollen erlösenden Wirklichkeit beraubt, würde sie herabgemindert oder in ihr allgemein jene besondere Fähigkeit geschwächt, Gott das geistige Opfer darzubringen, 174 in dem sich auf grundlegende und umfassende Weise unsere Teilnahme am Priestertum Christi ausdrückt. In Christus ist das Priestertum nämlich verbunden mit dem eigenen Opfer, mit seiner Hingabe an den Vater. Diese Hingabe ruft, da sie unbegrenzt ist, in uns Menschen, die wir vielfältigen Begrenzungen unterliegen, das Bedürfnis wach, uns in immer reiferer Form und durch eine beständige und immer tiefere Bekehrung zu Gott hinzuwenden.
In den letzten Jahren ist viel unternommen worden, um – im Einklang übrigens mit der ältesten Tradition der Kirche – den gemeinschaftlichen Aspekt der Buße und vor allem des Bußsakramentes im praktischen Leben der Kirche gebührend herauszustellen. Diese Initiativen sind nützlich und werden gewiß zur Bereicherung der Bußpraxis in der Kirche von heute beitragen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß die Bekehrung ein innerer Akt von besonderer Tiefe ist, bei dem der Mensch nicht durch andere ersetzt werden kann noch sich durch die Gemeinschaft »vertreten« lassen kann. Wenn auch die brüderliche Ge meinschaft der Gläubigen, die an der Bußfeier teilnehmen, für den Akt der persönlichen Bekehrung von großem Nutzen ist, muß sich schließlich doch der einzelne selbst in diesem Akt äußern mit der ganzen Tiefe seines Bewußtseins, in voller Einsicht seiner Schuld und mit Gottvertrauen, indem er wie der Psalmist vor Gott hintritt, um zu bekennen: »Gegen dich habe ich gesündigt«. 175 Die Kirche verteidigt also, indem sie die jahrhundertealte Praxis des Bußsakramentes bewahrt – die Praxis der individuellen Beichte in Verbindung mit dem persönlichen Akt der Reue und dem Vorsatz, sich zu bessern und wiedergutzumachen -, das besondere Recht der menschlichen Seele. Es ist das Recht zu einer mehr persönlichen Begegnung des Menschen mit dem gekreuzigten Christus, der verzeiht, mit Christus, der durch den Spender des Sakramentes der Versöhnung sagt: »Deine Sünden sind dir vergeben«; 176 »Geh und sündige von jetzt an nicht mehr«. 177 Offenkundig ist es gleichzeitig auch das Recht Christi selbst hinsichtlich eines jeden Menschen, der von ihm erlöst worden ist. Es ist das Recht, jedem von uns in jenem entscheidenden Augenblick des Lebens der Seele, nämlich dem der Bekehrung und des Verzeihens, zu begegnen. Indem die Kirche das Bußsakrament bewahrt, bekräftigt sie ausdrücklich ihren Glauben an das Geheimnis der Erlösung als eine lebendige und lebenspendende Wirklichkeit, die der inneren Wahrheit des Menschen, der menschlichen Schuld und auch der Sehnsucht des menschlichen Gewissens entspricht. »Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden«. 178 Das Bußsakrament ist das Mittel, um den Menschen mit jener Gerechtigkeit zu sättigen, die vom Erlöser selber kommt.
In der Kirche, die sich besonders in unserer Zeit um die Eucharistie versammelt und dabei wünscht, daß die authentische eucharistische Gemeinschaft zum Zeichen der Gemeinschaft aller Christen wird, einer Einheit, die stufenweise heranreift, muß das Bedürfnis nach Buße lebendig bleiben, sei sie sakramentaler 179 oder mehr asketischer Natur. Dieser zweite Aspekt ist von Paul VI. in der Apostolischen Konstitution Paenitemini 180 dargelegt worden. Eine der Aufgaben der Kirche ist es, die darin enthaltene Lehre in die Praxis umzusetzen. Gewiß muß dieses Thema von uns auch noch in gemeinsamen Überlegungen vertieft und zum Gegenstand vieler weiterer Entscheidungen gemacht werden, die im Geist pastoraler Kollegialität zu treffen sind, wobei man die verschiedenen diesbezüglichen Traditionen und die verschiedenen Lebensverhältnisse der Menschen von heute mitberücksichtigen wird. Dennoch ist sicher, daß die Kirche des neuen Advents, die Kirche, die sich beständig auf die neue Ankunft des Herrn vorbereitet, die Kirche der Eucharistie und der Buße sein muß. Nur unter diesem geistlichen Profil ihrer Lebendigkeit und ihres Handelns ist sie die Kirche der göttlichen Sendung, die Kirche im Zustand der »Mission«, so wie sie uns das II. Vatikanische Konzil dargestellt hat.
21. Die Berufung des Christen: dienen und herrschen
Indem das II. Vatikanische Konzil von den Grundlagen her das Bild von der Kirche als Volk Gottes – durch den Hinweis auf die dreifache Sendung Christi, durch deren Teilnahme wir wirklich Volk Gottes werden – entfaltet hat, hat es dadurch auch jenes besondere Kennenzeichen der christlichen Berufung herausgestellt, das man als »königlich« bezeichnen kann. Um den ganzen Reichtum der Lehre des Konzils darzustellen, müßte man hier auf zahlreiche Kapitel und Abschnitte der Konstitution Lumen Gentium und auf noch viele andere Konzilsdokumente hinweisen. Doch scheint inmitten dieser Fülle ein Element besonders herauszuragen, gemeint ist die Teilnahme an der königlichen Sendung Christi, die Tatsache nämlich, daß wir in uns und in den anderen die besondere Würde unserer Berufung entdecken, die man »Königswürde« nennen könnte. Diese Würde drückt sich aus in der Bereitschaft zum Dienst nach dem Beispiel Christi, der »nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen«. 181 Wenn man also im Licht dieser Haltung Christi nur wirklich »herrschen« kann, indem man »dient«, verlangt »das Dienen« gleichzeitig eine solche geistige Reife, die man geradezu als »herrschen« bezeichnen muß. Um würdig und wirksam den anderen dienen zu können, muß man sich selbst zu beherrschen vermögen, muß man jene Tugenden besitzen, die diese Beherrschung ermöglichen. Unsere Teilnahme an der königlichen Sendung Christi – an seinem »Königsamt« (munus) – ist eng verbunden mit jedem Bereich der christlichen und zugleich menschlichen Moral.
Als das II. Vatikanische Konzil das vollständige Bild des Volkes Gottes dargestellt und daran erinnert hat, welchen Platz darin nicht nur die Priester, sondern auch die Laien, nicht nur die Vertreter der Hierarchie, sondern auch die Mitglieder der Ordensgemeinschaften haben, hat es dieses Bild nicht nur von soziologischen Voraussetzungen abgeleitet. Die Kirche als menschliche Gesellschaft kann natürlich auch nach solchen Kriterien untersucht und bestimmt werden, deren sich die Wissenschaften jeder beliebigen menschlichen Gesellschaft gegenüber bedienen. Doch reichen diese Kriterien nicht aus. Für die Gemeinschaft des Volkes Gottes als ganze und für jedes ihrer Glieder geht es aber nicht nur um eine besondere »soziale Zugehörigkeit«; hier handelt es sich um eine besondere »Berufung«, die für jeden einzelnen und für alle zusammen wesentlich ist. Die Kirche ist nämlich als Volk Gottes – entsprechend der bereits genannten Lehre des hl. Paulus, an die Pius XII. auf wunderbare Weise erinnert hat – auch der »Mystische Leib Christi«. 182 Die Zugehörigkeit zu ihm kommt aus einem besonderen Ruf in Verbindung mit dem Heilswirken der Gnade. Wenn wir also diese Gemeinschaft des Volkes Gottes, die so umfassend und äußerst differenziert ist, vor Augen haben wollen, müssen wir vor allem auf Christus blicken, der in gewisser Weise zu jedem Glied dieser Gemeinschaft sagt: »Folge mir«. 183 Dies ist die Gemeinschaft der Jünger; jeder einzelne von ihnen folgt auf je eigene Weise Christus, mitunter sehr bewußt und kohärent, mitunter wenig aufmerksam und sehr inkonsequent. Darin zeigt sich auch das zutiefst »personale« Profil und die besondere Dimension dieser Gesellschaft, die – trotz aller Mängel des gemeinschaftlichen Lebens im menschlichen Sinn dieses Wortes – gerade dadurch Gemeinschaft ist, daß alle sie mit Christus selbst bilden, wenigstens dadurch, daß sie in ihrer Seele das unauslöschliche Merkmal eines Christen tragen.
Dasselbe Konzil hat besondere Aufmerksamkeit darauf verwandt aufzuzeigen, wie diese »ontologische« Gemeinschaft der Jünger und Gläubigen auch »menschlich« eine Gemeinschaft werden muß, die sich ihres eigenen Lebens und Wirkens bewußt ist. Die entsprechenden Initiativen des Konzils haben in zahlreichen weiteren Initiativen synodaler, apostolischer und organisatorischer Art ihre Fortsetzung gefunden. Wir müssen aber immer der Wahrheit eingedenk sein, daß jede Initiative nur so sehr der echten Erneuerung des Kirche dient und dazu beiträgt, das wahre Licht Christi zu verbreiten, 184 wie sie sich auf das volle Bewußtsein der Berufung und der Verantwortung für diese besondere, einzigartige und unwiederholbare Gnade gründet, durch die jeder Christ in der Gemeinschaft des Volkes Gottes den Leib Christi bildet. Dieses Prinzip, die Grundregel der gesamten christlichen Praxis – der Praxis des Apostolates und der Pastoral, der Praxis des inneren und gesellschaftlichen Lebens -, muß im richtigen Verhältnis auf alle Menschen und auf jeden einzelnen von ihnen angewandt werden. Auch der Papst muß sie wie auch jeder Bischof auf sich anwenden. Diesem Prinzip müssen die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen treu sein. Auf dieser Grundlage müssen die Brautleute, die Eltern, die Männer und Frauen in den verschiedenen Lebenslagen und Berufen, angefangen von denen, die in der Gesellschaft die höchsten Ämter innehaben bis zu denen, die die einfachsten Arbeiten verrichten, ihr Leben aufbauen. Dies ist gerade das Prinzip jenes »königlichen Dienstes«, der jedem von uns in der Nachfolge Christi die Pflicht auferlegt, von sich selbst genau das zu verlangen, zu dem wir berufen sind, zu dem wir – um auf die Berufung zu antworten – mit Gottes Gnade persönlich verpflichtet sind. Diese Treue zur Berufung, die wir durch Christus von Gott empfangen haben, bringt jene solidarische Verantwortung für die Kirche mit sich, zu der das II. Vatikanische Konzil alle Christen erziehen will. In der Kirche als der Gemeinschaft des Volkes Gottes, das vom Wirken des Heiligen Geistes geleitet wird, hat nämlich jeder »seine eigene Gabe«, wie der hl. Paulus lehrt. 185 Obwohl diese »Gabe« eine persönliche Berufung und Form der Teilnahme am Erlösungswerk der Kirche ist, dient sie gleichermaßen den anderen und baut die Kirche und die brüderlichen Gemeinschaften in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Lebens auf Erden auf.
Die Treue zur Berufung, die beständige Verfügbarkeit für den »königlichen Dienst«, hat eine besondere Bedeutung in diesem vielfältigen Bauwerk, vor allem für die Aufgaben, die den stärksten Einsatz fordern und größeren Einfluß haben auf das Leben unseres Nächsten und der ganzen Gesellschaft. Durch die Treue zur eigenen Berufung müssen sich die Eheleute auszeichnen, wie es sich aus der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe ergibt. Eine ähnliche Treue zur eigenen Berufung muß die Priester kennzeichnen aufgrund des unauslöschlichen Charakters, den das Sakrament der Weihe ihrem Herzen einprägt. Indem wir dieses Sakrament empfangen, verpflichten wir uns in der lateinischen Kirche bewußt und freiwillig zu einem Leben im Zölibat; deswegen muß jeder von uns mit Hilfe der Gnade Gottes alles, was möglich ist, tun, um für dieses Geschenk dankbar zu sein und dieser für immer übernommenen Bindung treu zu bleiben. Dies ist nicht anders als bei den Eheleuten, die mit all ihren Kräften danach streben müssen, den Ehebund aufrechtzuerhalten, mit diesem Zeugnis der Liebe die Gemeinschaft der Familie zu gründen und neue Generationen von Menschen zu erziehen, die ebenfalls imstande sind, ihr ganzes Leben der eigenen Berufung zu weihen, das heißt jenem »königlichen Dienst«, dessen Beispiel und schönstes Modell uns von Jesus Christus gegeben worden ist. Seine Kirche, die wir alle zusammen bilden, ist »für die Menschen« da in dem Sinne, daß wir, wenn wir uns auf Christi Beispiel 186 stützen und mit der uns von ihm erworbenen Gnade mit arbeiten, jene »Herrschaft« erreichen und so in jedem von uns unser Menschsein voll entfalten können. Menschliche Reife bedeutet den vollen Gebrauch des Geschenkes der Freiheit, das wir vom Schöpfer in dem Augenblick erhalten haben, in dem er den »nach seinem Bild und Gleichnis« erschaffenen Menschen ins Dasein gerufen hat. Dieses Geschenk findet seine volle Entfaltung in der vorbehaltlosen Hingabe der eigenen menschlichen Person an Christus im Geist bräutlicher Liebe und mit Christus an alle, zu denen er Männer und Frauen sendet, die ihm durch die evangelischen Räte ganz geweiht sind. Dies ist gerade das Ideal des Ordenslebens, das von den alten und neuen Orden und Kongregationen sowie von den Säkularinstituten übernommen worden ist.
In unserer Zeit ist man mitunter der irrtümlichen Meinung, daß die Freiheit Selbstzweck sei, daß jeder Mensch dann frei sei, wenn er die Freiheit gebraucht, wie er will, und daß man im Leben der einzelnen und der Gesellschaft nach einer solchen Freiheit streben solle. Die Freiheit ist jedoch nur dann ein großes Geschenk, wenn wir es verstehen, sie bewußt für all das einzusetzen, was das wahre Gute ist. Christus lehrt uns, daß der beste Gebrauch der Freiheit die Liebe ist, die sich in der Hingabe und im Dienst verwirklicht. Zu solcher »Freiheit hat Christus uns befreit« 187 und befreit er uns ständig. Die Kirche schöpft daraus unaufhörlich ihre Anregungen, die Einladung und den Anstoß zu ihrer Sendung und zu ihrem Dienst unter allen Menschen. Die volle Wahrheit über die menschliche Freiheit ist im Geheimnis der Erlösung tief verwurzelt. Die Kirche dient wahrhaft der Menschheit, wenn sie diese Wahrheit mit unermüdlicher Aufmerksamkeit, starker Liebe und verantwortungsbewußtem Einsatz schützt und sie innerhalb der gesamten eigenen Gemeinschaft durch die Treue zur Berufung eines jeden Christen weitervermittelt und im Leben konkretisiert. So wird bestätigt, was schon im Vorhergehenden kurz angesprochen worden ist, daß nämlich der »Weg« des täglichen Lebens der Kirche der Mensch ist und es immer wieder neu wird.
22. Die Mutter unseres Vertrauens
Wenn ich zu Beginn des neuen Pontiflkates meine Gedanken und mein Herz auf den Erlöser der Welt richte, so möchte ich mich auf diese Weise in den tiefsten Rhythmus des Lebens der Kirche einordnen und darin eindringen. Wenn nämlich die Kirche ihr eigenes Leben vollzieht, dann geschieht das, weil sie es aus Christus schöpft, der immer nur das eine will, daß wir das Leben haben und es im Überfluß haben. 188 Die Fülle des Lebens, die in ihm ist, ist für den Menschen bestimmt. Deshalb wird die Kirche, wenn sie sich dem ganzen Reichtum des Geheimnisses der Erlösung öffnet, eine Kirche von lebendigen Menschen; lebendig, weil sie durch das Werk des »Geistes der Wahrheit« 189 von innen belebt und von der Liebe heimgesucht sind, die der Heilige Geist in unsere Herzen eingießt. 190 Das Ziel eines jeden Dienstes in der Kirche, sei er apostolischer, pastoraler, priesterlicher oder bischöflicher Natur, ist es, diese dynamische Verbindung zwischen dem Geheimnis der Erlösung und jedem Menschen aufrechtzuerhalten.
Wenn wir uns dieser Aufgabe bewußt sind, verstehen wir wohl auch besser, was es heißt zu sagen, daß die Kirche Mutter ist, 191 und auch was es heißt, daß die Kirche immer und besonders in unserer Zeit das Bedürfnis nach einer Mutter hat. Einen besonderen Dank schulden wir den Vätern des II. Vatikanischen Konzils, die diese Wahrheit in der Konstitution Lumen Gentium durch die dort enthaltene ausführliche mariologische Lehre entfaltet haben. 192 Da Paul VI., von dieser Lehre inspiriert, die Mutter Christi zur »Mutter der Kirche« 193 proklamiert und diese Bezeichnung eine breite Resonanz gefunden hat, sei es auch seinem unwürdigen Nachfolger erlaubt, sich am Ende der vorliegenden Überlegungen, die sich zur Eröffnung seines päpstlichen Dienstes nahegelegt haben, an Maria als Mutter der Kirche zu wenden. Maria ist die Mutter der Kirche, weil sie kraft unaussprechlicher Erwählung durch den Ewigen Vater selbst 194 und durch das besondere Wirken des Geistes der Liebe 195 das menschliche Leben dem Sohn Gottes gegeben hat, »für den und durch den das All ist« 196 und von dem das ganze Volk Gottes die Gnade und Würde seiner Erwählung empfängt. Der eigene Sohn wollte die Mutterschaft seiner Mutter ausdrücklich in einer für jeden Geist und jedes Herz leicht verständlichen Weise ausweiten, indem er ihr von der Höhe des Kreuzes herab seinen Lieblingsjünger als Sohn anvertraute. 197 Der Heilige Geist gab ihr ein, daß auch sie nach der Himmelfahrt unseres Herrn zusammen mit den Aposteln im Abendmahlssaal in Gebet und Erwartung verharre bis zum Pfingsttag, an dem die Kirche sichtbar geboren werden sollte, indem sie aus dem Dunkel hervortrat. 198 In der Folgezeit nahmen alle Generationen von Jüngern und Gläubigen, die Christus lieben – so wie der Apostel Johannes -, diese Mutter geistigerweise in ihr Haus auf, 199 so daß sie von Anfang an seit dem Augenblick der Verkündigung, in die Heilsgeschichte und in die Sendung der Kirche eingefügt ist. Wir alle also, die wir die heutige Generation der Jünger Christi bilden, wollen uns in besonderer Weise ihr anschließen. Wir tun dies in der völligen Treue zur alten Tradition und gleichzeitig mit liebevollem Respekt vor den Mitgliedern aller christlichen Gemeinschaften.
Wir wissen uns dazu veranlaßt von dem tiefen Bedürfnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Wenn wir nämlich in dieser schwierigen und verantwortungsschweren Phase der Geschichte der Kirche und der Menschheit ein besonderes Verlangen verspüren, uns an Christus zu wenden, der Herr seiner Kirche und kraft des Geheimnisses der Erlösung auch Herr der Geschichte des Menschen ist, so glauben wir, daß kein anderer uns besser in die göttliche und menschliche Dimension dieses Geheimnisses einführen kann als Maria. Niemand ist wie Maria von Gott selbst in dieses Geheimnis eingeführt worden. Darin besteht der Ausnahmecharakter der Gnade der göttlichen Mutterschaft. Nicht nur die Würde dieser Mutterschaft ist in der Geschichte des Menschengeschlechtes einzigartig und unwiederholbar; einzigartig an Tiefe und Wirkung ist auch die Teilnahme Mariens aufgrund dieser Mutterschaft im göttlichen Heilsplan für den Menschen durch das Geheimnis der Erlösung.
Dieses Geheimnis hat sich sozusagen unter dem Herzen der Jungfrau von Nazaret gebildet, als sie ihr »Fiat« gesprochen hat. Von jenem Augenblick an folgt dieses jungfräuliche und zugleich mütterliche Herz unter dem besonderen Wirken des Heiligen Geistes immer dem Werk des Sohnes und nähert sich allen, die Christus in seine Arme geschlossen hat und noch ständig in seiner unerschöpflichen Liebe umarmt. Deswegen muß dieses Herz auch als Herz einer Mutter unerschöpflich sein. Das Wesen dieser mütterlichen Liebe, die die Mutter Gottes in das Geheimnis der Erlösung und in das Leben der Kirche einbringt, findet seinen Ausdruck in ihrer besonderen Nähe zum Menschen in allen wechselvollen Ereignissen seines Lebens. Darin besteht das Geheimnis der Mutter. Die Kirche, die auf sie mit einer ganz besonderen Liebe und Hoffnung schaut, möchte sich dieses Geheimnis immer tiefer aneignen. Gerade hier erkennt die Kirche wieder den Weg ihres täglichen Lebens, den ja jeder Mensch für sie bedeutet.
Die ewige Liebe des Vaters, die sich in der Geschichte der Menschheit durch den Sohn geoffenbart hat, den der Vater dahingab, »damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat«, 200 diese Liebe nähert sich einem jeden von uns durch diese Mutter und wird so für jeden Menschen verständlicher und leichter zugänglich. Darum muß Maria auf allen Wegen des täglichen Lebens der Kirche gegenwärtig sein. Durch die Anwesenheit ihrer Mutter gewinnt die Kirche Gewißheit, daß sie wirklich das Leben ihres Meisters und Herrn lebt, daß sie das Geheimnis der Erlösung in all ihrer belebenden Tiefe und Fülle vollzieht. Die Kirche, die ihre Wurzeln in zahlreichen und verschiedenartigen Lebensbereichen der ganzen heutigen Menschheit hat, gewinnt dabei auch die Gewißheit und, so könnte man sagen, die Erfahrung, daß sie dem Menschen nahe ist, jedem einzelnen, daß es seine Kirche ist: die Kirche des Volkes Gottes.
Vor solchen Aufgaben, die sich entlang der Wege der Kirche ergeben und die Papst Paul VI. uns in der ersten Enzyklika seines Pontifikates klar aufgezeigt hat, die wir uns der absoluten Notwendigkeit all dieser Wege und gleichzeitig der Schwierigkeiten bewußt sind, welche sich auf ihnen auftürmen, vor solchen Aufgaben also verspüren wir um so stärker das Bedürfnis einer engen Bindung an Christus. Die Worte, die er gesagt hat, hallen in uns wie ein Echo wider: »Ohne mich könnt ihr nichts tun«. 201 Wir fühlen nicht nur das Bedürfnis, sondern geradezu einen kategorischen Imperativ zu einem großen, intensiven und vermehrten Gebet der ganzen Kirche. Nur das Gebet kann bewirken, daß all diese großen Aufgaben und Schwierigkeiten, die sich einander ablösen werden, nicht Anlaß einer Krise werden, sondern die Gelegenheit und eine Art von Fundament für immer reifere Fortschritte auf dem Weg des Volkes Gottes hin zum verheißenen Land in dieser geschichtlichen Etappe, die sich dem Ende des zweiten Jahrtausends nähert. Wenn ich nun also diese Betrachtung mit einer innigen und demütigen Einladung zum Gebet beende, dann ist es mein Wunsch, daß man in diesem Gebet verharrt, vereint mit Maria, der Mutter Jesu, 202 so wie die Apostel und die Jünger des Herrn nach seiner Himmelfahrt im Abendmahlssaal von Jerusalem verharrten. 203 Ich bitte vor allem Maria, die himmlische Mutter der Kirche, sie möchte während dieses Gebetes im neuen Advent der Menschheit bei uns bleiben, die wir die Kirche bilden, den Mystischen Leib ihres eingeborenen Sohnes. Ich hoffe, daß wir dank eines solchen Gebetes den Heiligen Geist aus der Höhe 204 empfangen können und so Zeugen Christi werden »bis an die Enden der Erde« 205 wie jene, die am Pfingsttag aus dem Abendmahlssaal in Jerusalem in die Welt hinausgegangen sind.
Mit meinem Apostolischen Segen!
Gegeben in Rom zu St. Peter, am 4. März, dem ersten Fastensonntag des Jahres 1979, des ersten meines Pontifikates.
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