Medjugorje: Ein Ort, der Menschen eint

Als “Königin des Friedens” zeigt die “Gospa” von Medjugorje, welchen Versöhnungsauftrag das Volk Gottes und die Kirche haben

Quelle
Medjugorje

18.11.2024

Achim Buckenmaier

Am 19. September 2024 hat das Dikasterium für die Glaubenslehre seine “Nota” mit dem Titel “Die Königin des Friedens. Note über die geistliche Erfahrung im Zusammenhang mit Medjugorje” veröffentlicht. Das Dikasterium betont gleich zu Beginn, dass es an der Zeit ist, die “lange und komplexe Geschichte rund um die geistlichen Phänomene von Medjugorje abzuschließen” (Nr. 1). Zu diesem Dokument hat ein langer Weg von Erfahrungen geführt, die Menschen gemacht haben. Keine kirchliche Stelle, keine pastoralen Strategien haben sich das ausgedacht. Vielmehr hat es sich einfach ereignet und aus diesem Geschehen hat sich etwas Neues entwickelt. Das entspricht dem, wie das Gottesvolk lernt. Das entscheidende Dokument für den Glauben ist die Heilige Schrift aus Altem und Neuem Testament.

Das Zweite Vatikanische Konzil sagt dazu, dass die Bibel das entscheidende Maß für den Glauben ist. Und zugleich, so sagt das Konzil, wächst in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes das Verständnis der Offenbarung (vgl. Dei Verbum Nr. 8). Es gibt also einen Fortschritt im Verstehen. Und dieses Wachstum, so sagt das Konzil, geschieht “durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen (…), durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt und durch die Verkündigung” der Bischöfe (Dei Verbum Nr. 8).

Bei vielem, was die Kirche heute als ihre Lehre ansieht, ist es so gewesen, dass zuerst das Volk Gottes, einfache Gläubige, etwas verstanden und gesehen haben. Das Dogma von der Aufnahme Marias in den Himmel oder das Fronleichnamsfest sind Einsichten, die lange herangereift sind und die es in der Kirche gar nicht gäbe, ohne dass der Impuls von gläubigen Menschen gekommen wäre.

Die ganze Heilsgeschichte spricht genau davon: Gott ist nicht ein jenseitiges höheres Wesen, das die Welt ins Dasein gerufen hat und dann sozusagen tatenlos und ohne Interesse in einem fernen Jenseits verharrt. Er handelt in der Geschichte – das ist die Kernaussage des biblischen Glaubens. Er handelt in der Geschichte; er handelt durch und in der menschlichen Geschichte, durch Menschen. Ohne diesen biblischen Gottesglauben wäre alles Reden von Erscheinungen und von Offenbarung überhaupt spekulativ und sinnlos. Das Dikasterium maßt sich nicht an, über die Echtheit oder die Übernatürlichkeit der Botschaften von Medjugorje im Detail zu urteilen (Nr. 38). Der Text redet deswegen konsequent von “mutmaßlichen Botschaften”. Er urteilt auch nicht über die Personen, über die sogenannten Seherinnen. Er konzentriert sich auf etwas anderes, auf das, was man die Früchte dieser Sache nennt. Auch das ist ganz biblisch und entspricht dem Wort Jesu: “An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen” (Mt 7,16.20).

Auf die Früchte kommt es an

Im Text werden diese Früchte aufgezählt, diese Wirkungen: “Die vielen Bekehrungen, die häufige Rückkehr zu den Sakramenten, die zahlreichen Berufungen zum Priester- und Ordensleben, wie auch zur Ehe, die Vertiefung des Glaubensleben, ein intensiveres Gebetsleben, zahlreiche Versöhnungen” (Nr. 3) und so weiter. Und weiter sagt der Text, dass sich solche positiven Wirkungen nicht durch die Begegnung mit den Sehern eingestellt haben, sondern als Früchte der Pilgerfahrten und Wallfahrten. Viel wichtiger, als dass man dieser oder jener Person begegnet oder dieses oder jenes Phänomen für wahr hält, ist, dass man sich überhaupt auf den Weg gemacht hat, um etwas Neues zu sehen und zu hören. Der Glaube ist eine Geschichte des Heils, und dazu gehört, dass er nicht nur Vergangenes wiederholen kann. Jeder Glaubende möchte heute dieselben Erfahrungen machen wie die Anfänger, nicht nur Berichte davon hören. Das ist eine Triebfeder solcher Orte und Phänomene.

Dazu gehört auch, dass Medjugorje, wie der Text sagt, Menschen zusammenbringt und sie die Kirche als eine konkrete und weltweite Gemeinschaft erleben lässt. Medjugorje ist ein Ort der “Glaubenserneuerung” (Nr. 5) geworden, nicht eines Spektakels, sondern einer Änderung des Lebens. Er ist nicht dazu da, dass Gott seine Pläne für mich ändert, sondern dass ich mein Leben ändern lasse. Das ist entscheidend.

Die Sprache des Textes des Dikasteriums für die Glaubenslehre bleibt nüchtern und konkret. Er übersieht nicht Schwächen und Gefährdungen, wenn man die “Botschaften” falsch versteht. Der Text des Dikasteriums redet aber nicht von oben herab, sondern er zitiert ausführlich aus den “Botschaften” der vergangenen Jahre und stellt sie in einen inneren Zusammenhang. Manches wird kritisiert und infrage gestellt. Der größere Kontext erklärt manches, das schräg, konfus oder in der Wortwahl sogar definitiv falsch ist (Nr. 2); auch das gehört dazu. Insgesamt sieht die Note, dass die “Botschaften” nichts Neues mitteilen, sondern das Evangelium zum Ausdruck bringen (Nr. 27).

Glaubwürdige Botschaften

Schließlich: Man kann Maria und die Botschaften nicht gegen die Kirche ausspielen. Das Dikasterium wird an dieser Stelle ganz konkret und hält fest, dass man die “Botschaften” nicht an die Stelle des Pfarrers oder des Pastoralrates in einer Gemeinde stellen kann, wenn es um Entscheidungen geht, die Gegenstand gemeinschaftlicher Unterscheidungsprozesse sind, die man mit Klugheit, mit Zuhören und in der Achtung vor anderen und im Dialog finden muss (Nr. 29). Der gelebte Glaube ist immer eine Provokation für eine verwaltete Kirche, aber er sucht und bewahrt die Einheit der Kirche.

Zu dieser Nüchternheit gehört auch, dass in den “Botschaften” immer wieder von Sünde und dem Bösen die Rede ist. Es geht nicht um Drohungen und Warnungen, sondern darum, die Realität in der Welt nicht zu übersehen. Wir sind als Glaubende nicht auf einem Spaziergang, sondern mit einem Auftrag in einer schwierigen Welt unterwegs. Der Friede ist deswegen ein zentrales Thema. Maria wird zwar als “Herrin”, “Gospa”, angesprochen. Vor allem aber wird sie die “Königin des Friedens” genannt.

Das ist vielleicht eines der bemerkenswertesten Phänomene: Gerade im ehemaligen Jugoslawien und gerade am Ende des 20. Jahrhunderts ist dieser Titel wie eine Verheißung, wie eine Hoffnung, aber auch wie ein Weckruf: In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts löste sich Jugoslawien in einer Orgie von Gewalt und Terror auf. Auch der Ort Medjugorje und seine Umgebung waren während des Zweiten Weltkriegs und während des Bosnienkrieges von Massakern, Verwüstungen und sogenannten “ethnischen Säuberungen” betroffen.

Es ist eine Tragik der Geschichte, dass die Spaltungen der Kirche auch zur Spaltung zwischen den Völkern und Menschen geführt haben. Auch das ist eine Wahrheit der Gegend um Medjugorje, an der alten Grenze zwischen west- und oströmischer Welt.

Der Friedensauftrag des Gottesvolkes

Uns Christen erinnert die Verehrung Marias als Königin des Friedens vor allem daran, welchen Auftrag das Gottesvolk und darin die Kirche hat. Sie soll ein Werkzeug sein, “Sakrament des Heils”, wie das Konzil sagt, ein Werkzeug für den Frieden in der Welt. Diesen Dienst kann sie aber nicht ausüben, indem sie nur Friedenspapiere und Appelle veröffentlicht. Das Entscheidende ist, dass sie durch ihre Existenz zeigt, dass Frieden zwischen unterschiedlichen Menschen möglich ist.

Die frühen Christen waren überzeugende Beispiele dadurch, dass sie überall, rund um das Mittelmeer, ein Netz von Gemeinden spannten, von Griechen, Römern, Juden, später Germanen und Franken, Sklaven und Freien, Männern und Frauen und so eine andere Art von Frieden zeigten, der nicht in Macht und Unterwerfung bestand, sondern in Freiheit und Solidarität. Darüber geriet die antike Welt in Staunen.

Das jüdische Volk hatte verstanden, dass es diese Aufgabe hat, und mit ihm haben es auch die ersten Christen verstanden. Im Bild der Völkerwallfahrt zum Berg Zion, wie es die Propheten Jesaja und Micha zeichnen (Jes 2; Mich 4), wird diese Vision verdichtet: Die Völker kommen nach Jerusalem, weil sie dort die friedensstiftende Wirkung der Tora, des Gesetzes Gottes sehen und lernen können. Maria, die jüdische Miriam aus Nazareth, ist nicht nur die Mutter Gottes, sie ist auch Repräsentantin und Bild dieses Gottesvolkes, dass der Welt seine Hilfe schuldet. Maria kann man, wie ein bekannter Buchtitel sagt, “nicht ohne Israel” verstehen. Ohne dass man diese Aufgabe sieht, die von Gott her auf dem jüdischen Volk und deswegen auch auf der Kirche liegt, wäre die Verehrung der “Königin des Friedens” eine im Wortsinn grund-lose Variante unseres Glaubens. Wenn Christen durch Medjugorje den Friedensauftrag des Gottesvolkes neu verstehen und annehmen, werden die Fragen nach einzelnen “Botschaften” in den Hintergrund treten. Und der Ort selbst kann wie selbstverständlich in der Kirche verankert sein.

Der Autor ist Dogmatiker und Vorsitzender des Stiftungsrates der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung.

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