Eine Frage der Ehre?
Wer die göttliche Dimension des Ehrbegriffs nicht kennt, läuft Gefahr, sich in einer ehrlosen Welt wiederzufinden
Quelle
Lukas 2,14 :: ERF Bibleserver
16.11.2024
Manchmal steckt in der Bedeutungsgeschichte eines einzigen Wortes historische Dramatik. So ging es mir in diesen Tagen mit dem Wort “Ehre”: es lässt eine ganze Kultur erahnen. Das Wörterbuch der Brüder Grimm, im neunzehnten Jahrhundert begonnen, erzählt uns diese Geschichte. “Mehr licht über das wort” (man schrieb konsequent klein) gäben “seine alten, noch heute nachwirkenden bedeutungen. es sind die von cultus, donum, reverentia, dignitas, persona.” Also von religiösem Kult, Gabe, Ehrerbietung, Würde und Person.
Ehre ist ohne Ehrfurcht nicht denkbar
Gleich sehen wir eine Hierarchie der Bedeutungen gesetzt, obenan steht Gottes Ehre, schon im althochdeutschen “gotes êra”, zitiert wird als erster Beleg Dtn 32, 3: “Denn des Herrn Namen rufe ich aus / Gebt Ehre unserem Gott!” Was aber, so fragt das Wörterbuch weiter, kann die Prägung “Ehre geben” ursprünglich anderes gemeint haben, als Gott Gabe und Opfer darzureichen? Aller Gottesdienst beginne mit dem Opfer. Etwas klingt außerdem in “Ehre” noch mit: eine gewisse Scheu, deshalb spricht man von “Ehrfurcht”. Soviel zur obersten Sphäre, der heiligen.
Wie Gott wird dem König Ehre geboten und gebracht, “das menschengeschlecht”, fährt das Wörterbuch fort, “scheint seine göttliche verehrung der abgesehn zu haben, die es den hohen der erde erwies. heil und ehre dem könig! ruhm und ehre dem sieger!” “Êra” drücke in der alten Sprache auch Krone und Palme aus, “wie sie dem sieger zu theil wurden.” Nun verbreitert sich die Bedeutung, “jedem stand soll seine ehre gegeben und gelassen werden: ritterliche, bürgerliche ehre; männerehre, frauenehre; ehre des alters, der krieger, der handwerke”. Schließlich hat jeder Einzelne seine “persönliche ehre”. Nicht vergessen wird im Wörterbuch die jungfräuliche Ehre. Man denke an Redewendungen wie “einem mädchen die ehre nehmen, rauben, es entehren, schänden”.
Mehr als nur “Habe die Ehre”
Weiter im Umfang, aber flacher in der Bedeutung stehen dann die rein gesellschaftlichen Redensarten “Habe die Ehre”, etwas “gereicht zur Ehre” – hier, so das Wörterbuch, “erblasst uns heute das wort zu leerer höflichkeit.” Immerhin hat auch diese noch Teil an einem Verhaltensrepertoire, an dessen Spitze der fromme Dienst steht.
So stellte sich die Sache vor anderthalb Jahrhunderten dar. Wie sieht es heute aus? Das Korpus “Digitaler Wortschatz der deutschen Sprache” ist gegenwartsbezogen. Es nennt vier Bedeutungsschichten von “Ehre”: Zunächst das äußere Ansehen, die “Wertschätzung durch andere Menschen”, dann das Bewusstsein des eigenen Wertes, die Selbstachtung, drittens als Wahrheitsbeteuerung einer Aussage oder Höflichkeitsfloskel, schließlich – mit dem Zusatz “veraltet” – auch die Jungfräulichkeit.
Ein Begriff im Sturzflug
was ist dem Wort widerfahren? Eine Individualisierung und Verbürgerlichung. “Ehre” war einmal das Passwort einer traditionalen Ordnung. Kurz nach 1600 hatte es seine größte Häufigkeit erreicht, die danach kontinuierlich sank, seit etwa 1975 befindet sich die Wortfrequenz im Sturzflug. “Ehre” klang knapp wie ein Eigenname. Abgelöst wird sie von dem begrifflicheren, unschön zusammengeleimten Wort “Wertschätzung”, das der politischen Klasse teuer ist.
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