US-Wahl 2024 – Amerikas Katholiken zwischen allen Stühlen
Weder Donald Trump noch Kamala Harris wissen zu überzeugen. Doch während der Republikaner Christen mit allen Mitteln umgarnt, stößt die Demokratin Katholiken immer wieder vor den Kopf
Quelle
Eine komplexe Wahl in einer komplexen Welt | Die Tagespost
Kein Sinn für die religiösen Gefühle von Katholiken | Die Tagespost
Amerika (203)
31.10.2024
Um klare Worte ist Donald Trump nie verlegen: “Wenn ihr katholisch seid, dann könnt ihr einfach nicht für diese Leute stimmen”, erklärte er jüngst in Anspielung auf die Demokraten bei einer Wahlkampfveranstaltung vor hochrangigen christlichen Glaubensvertretern im Bundesstaat North Carolina. “Katholiken werden schlimmer als irgendjemand sonst behandelt.” In seiner einstündigen Rede zog er alle rhetorischen Register, um christliche Wähler zu hofieren, bevor die Veranstaltung mit einem gemeinsamen Gebet endete, das der bekannte evangelikale Pastor Franklin Graham sprach. Gott möge Trump stärken, so der Sohn Billy Grahams. “Wir beten, dass er die Wahl gewinnen wird.”
Das Event in der Stadt Concord verdeutlichte auf anschauliche Weise, wie Trump es dank seines meisterhaften politischen Instinkts und Gespürs für wirkmächtige Bilder geschafft hat, sich als Wunschkandidat insbesondere der Evangelikalen, aber auch vieler Katholiken, zu etablieren. Als er 2016 die politische Bühne betrat, unterstützten ihn weite Teile der christlichen Wählerschaft nur zähneknirschend – in der Hoffnung, er werde ihren gesellschaftspolitischen Anliegen, vor allem im Lebensschutz, zum Sieg verhelfen. Heute sehen viele in Trump tatsächlich einen gottgesandten Kandidaten, der die Nation vor dem Verfall retten werde.
Wem sollen Katholiken ihre Stimme geben?
Nun gilt jene apotheotische Überhöhung Trumps, die Evangelikale und auch einige Katholiken verstärkt seit dem schockierenden Attentat auf den Republikaner im Juli betreiben, gewiss nicht als mehrheitsfähig im katholischen Amerika, das immerhin ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmacht. Die Frage, wem Katholiken ihre Stimme geben sollen, stellt sich wenige Tage vor der Wahl am kommenden Dienstag daher umso dringender.
Sogar Papst Franziskus nahm jüngst ungewöhnlich deutlich zum US-Wahlkampf Stellung. “Man muss das geringere Übel wählen”, erklärte er im September auf dem Rückflug von einer Reise in den asiatisch-pazifischen Raum. Wer das geringere Übel sei, die Demokratin Kamala Harris oder Trump, darauf wollte sich das Katholikenoberhaupt dann allerdings nicht festlegen. “Beide sind gegen das Leben”, so Franziskus. Die Republikaner aufgrund ihrer äußerst strikten Migrationspolitik. Die Demokraten, da sie Abtreibung befürworteten.
Auch Amerikas Katholiken waren sich bei den vergangenen beiden Wahlen uneins, ob Trump oder seine demokratischen Gegenkandidaten das geringere Übel darstellten. 2016 votierten sie mit knapper Mehrheit für den Republikaner, 2020 für Joe Biden. Untersuchungen belegen, dass sich die Spaltung der US-Katholiken in zwei Lager – das eine eher konservativ, das andere eher progressiv – auch auf das Wahlverhalten auswirkt: Konservative wählen Trump, Progressive die Demokraten. Auch wenn dieses Modell durchaus vereinfachend sein mag und die Vielfalt katholischer Strömungen in den USA und ihre politische Verortung nicht in ihrer Gesamtheit erfasst, deuten aktuelle Meinungserhebungen darauf hin, dass sich das Bild 2024 nicht wesentlich ändern wird. Die meisten Umfragen, zuletzt etwa eine vom “National Catholic Reporter” in Auftrag gegebene, sehen Trump in den wahlentscheidenden “Swing States” bei Katholiken mit 50 Prozent in Front, 45 Prozent bevorzugten Harris.
Die Wahl als Gewissensentscheidung
Papst Franziskus erklärte die Wahl auch zur Gewissensentscheidung. Ebenso der konservative amerikanische Kardinal Raymond Burke, der immer wieder mit Kritik an Franziskus von sich reden machte. Aus Burkes jüngster Wortmeldung auf dem Kurzmitteilungsdienst “X” geht jedoch im Unterschied zum Papst ziemlich deutlich hervor, dass die Gewissensentscheidung für ihn auf Trump hinausläuft – auch wenn er weder Trump noch Harris beim Namen nennt. Während die Agenda beider Parteien zutiefst kritikwürdig sei, müsse man sich fragen, ob es nicht doch einen “kleinen Hoffnungsschimmer” gebe, dass einer der beiden Kandidaten die Politik moralisch zum Besseren verändern könne – insbesondere in Fragen von Abtreibung oder religiöser Verfolgung, schreibt Burke.
Ob die breite Masse der katholischen Wähler vor der Stimmabgabe ihr Gewissen tatsächlich so gründlich befragt, wie der Papst und andere Kirchenvertreter nahelegen, sei dahingestellt. In jedem Fall dürfte es neben Abtreibung und Migration noch zahlreiche weitere Themen geben, die Katholiken bei der Wahl berücksichtigen werden: Gesellschaftspolitik im Allgemeinen, Identitätspolitik, Wirtschaft, Außenpolitik oder Umweltpolitik sind nur einige Beispiele. Wem sie am 5. November ihre Stimme geben, wird auch von der individuellen Gewichtung dieser Themen abhängen.
Um es noch komplizierter zu machen: Ob Trump oder Harris aus katholischer Perspektive in den einzelnen Fragen besser abschneiden, lässt sich nur selten so eindeutig sagen, wie es beim Lebensschutz der Fall ist. Auf dem Gebiet haben sich die Demokraten in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert. In einem Interview bekräftigte Harris jüngst ihre Pläne, ein nationales “Recht” auf Abtreibung schaffen zu wollen – ohne Ausnahmen aus religiöser Überzeugung oder für Organisationen in kirchlicher Trägerschaft. Eine ähnliche Radikalität könnte man allerdings auch dem migrationspolitischen Ansatz der Republikaner unter Trump unterstellen, insbesondere wenn dieser pauschal von Abschaum, Kriminellen und Vergewaltigern spricht und ankündigt, 20 Millionen Menschen “deportieren” zu wollen.
Keine Sensibilität für die religiösen Gefühle von Katholiken
Neben der programmatischen Ausrichtung der Kandidaten kommt aber noch eine andere Komponente ins Spiel, die viele Katholiken von den Demokraten entfremdet, selbst wenn sie Trump aufgrund seines Auftretens und Charakters kritisch sehen: Die Partei, die mit John F. Kennedy vor 64 Jahren den ersten katholischen Präsidenten stellte, scheint ihre Sensibilität für die religiösen Gepflogenheiten und Gefühle von Katholiken beinahe völlig verloren zu haben. Dass gläubige Wähler im Allgemeinen ihre Heimat immer seltener bei den Demokraten finden, lässt sich als Trend schon seit Jahrzehnten beobachten. Doch in den letzten Monaten, seitdem Joe Biden den Staffelstab an Kamala Harris übergeben hat, häuften sich Vorfälle, die Katholiken sauer aufstoßen müssen.
Einen echten Faux-pas erlaubte sich Harris, als sie die Einladung der New Yorker Erzdiözese zum “Al Smith Dinner” ausschlug, einer traditionsreichen katholischen Wohltätigkeitsveranstaltung, an der normalerweise die Präsidentschaftskandidaten beider großen Parteien teilnehmen. Der Demokrat Walter Mondale war vor 40 Jahren der letzte Bewerber, der nicht erschien – die Wahl verlor er krachend gegen Ronald Reagan. Harris‘ eher steife Videobotschaft konnte die Abwesenheit der Demokratin bei dem Event, das für einen lockeren, humorvollen und der Tagespolitik enthobenen Ton bekannt ist, kaum wettmachen. Ob Trump mit seinen plumpen Vorwürfen gegen die Demokraten in seiner Rede punkten konnte, ist allerdings ebenso fraglich.
Harris gibt Kritikern neue Munition
Erst vor wenigen Tagen gab Harris ihren Kritikern neue Munition: Bei einer Wahlkampfkundgebung im Bundesstaat Wisconsin unterbrachen zwei Teilnehmer ihre Rede mit Zwischenrufen, unter anderem “Jesus is Lord”. Videoaufnahmen von der Veranstaltung scheinen zu belegen, dass Harris darauf antwortete: “Ihr seid auf der falschen Kundgebung.” Trump schlachtete dies sofort aus und unterstellte seiner Kontrahentin, gläubige Wähler hätten in ihrer Anhängerschaft keinen Platz.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Katholiken im Lager der Trump-Republikaner besser aufgehoben sind, wie der 78-Jährige immer wieder behauptet? Darüber kann man streiten. Und Amerikas Katholiken tun das auch, was sich an ihrer politischen Zerrissenheit zeigt. Trumps Appelle an Christen, gemeinsam in den Kampf gegen das “böse System” und die “Feinde im Innern” zu ziehen, stimmen gleichzeitig sehr bedenklich. Und seine Bemerkung, wenn Christen ihn am 5. November wählten, “haben wir in vier Jahren alles so gut geregelt, dass ihr nie wieder wählen müsst”, zeigt, wie schmal der Grat zwischen Messias und falschem Propheten ist.
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