Lebensgefährliche Logik der Eskalation

Israel hat bei seinem Militärschlag gegen den Iran auf die ultimative Provokation verzichtet. Jetzt blickt der Orient gebannt auf die Weichenstellung in Washington

Quelle

26.10.2024

Stephan Baier

Nun also hat Israel gegen den Iran zurückgeschlagen. Nachdem zuvor, am 1. Oktober, der Iran gegen Israel zurückgeschlagen hatte. Jeder reagiert nur mehr. Jeder meint, reagieren zu müssen, um sein Gesicht zu wahren, weil man – gerade in diesem hochexplosiven Winkel der Welt – ja nur einen Fehler machen könne, nämlich Schwäche zu zeigen. Schwach ist derzeit aber nur die Aussicht auf Frieden: Nach all den Tötungen, den massenhaften Zerstörungen, den endlosen wechselseitigen Nadelstichen, dem offenen militärischen Schlagabtausch scheinen Advokaten des Friedens und der Deeskalation viel zu leise zu sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Gewiss, die Eskalation der Gewalt hat am 7. Oktober 2023 begonnen, als Israel mit guten Gründen den Iran hinter dem mörderischen Überfall der Hamas-Terroristen vermutete. Doch seither haben sich Gewalt- und Gegengewalt in einer raschen und steilen Eskalationsspirale so dramatisch ausgeweitet, dass kein Frieden mehr in Sicht ist. In Israel gibt es Stimmen, die einen raschen, offenen und direkten Krieg mit dem Iran für die Lösung aller Probleme halten. Das iranische Mullah-Regime stehe auf tönernen Füßen, da genüge ein harter Tritt, damit es in sich zusammenkrache, so lautet die riskante Logik.

Teheran genügt Gesichtswahrung

In dieser Logik wurde in Israel sogar erwägt, die Atomanlagen oder die Erdölindustrie des Iran direkt zu attackieren. Davon riet die US-Regierung eindringlich und vehement ab. Tatsächlich verzichtete Israel in der Nacht auf Samstag darauf, dem Iran das wirtschaftliche Rückgrat zu brechen oder zur ultimativen Provokation zu schreiten. Israels Armee beließ es – anders als im Libanon – in Syrien und im Iran dabei, punktuell militärische Ziele anzugreifen. Eine letzte Chance für Deeskalation? Selbst Saudi-Arabien, der geschworene Feind des schiitischen Regimes im Iran, rät nachdrücklich dazu. Selbst der sunnitischen Führungsmacht scheint ein offener Krieg mit dem verhassten Mullah-System in Teheran zu risikoreich für den gesamten Orient.

Der Iran seinerseits hat paradoxerweise ausgerechnet mit den beiden Raketenangriffen auf Israel im April und Anfang Oktober bewiesen, dass er an einem direkten, offenen Krieg nicht interessiert ist. Teheran ging es nur um orientalische Gesichtswahrung nach der gezielten Ermordung ranghoher Kommandanten des Iran und seiner Proxys durch Israel. Und eben aus diesem Grund – der Gesichtswahrung wegen – drohen Israel und der Iran einander nun schon wieder wechselseitig. Das wäre schon in einer stabilen Weltlage ein hochgefährliches Szenario. Doch alle Akteure wissen, dass fern der Levante und der nahöstlichen Gemengelage ein starker Akteur vor einer entscheidenden Weichenstellung steht. Wer wissen will, wie es im Orient weitergeht, muss am 5. November gebannt auf die USA blicken.

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