Indonesien zwischen Stillstand und Aufbruch
Indonesien hat eine neue Hauptstadt und ab Oktober einen neuen Präsidenten. Die allseits festgestellte politische und wirtschaftliche Aufbruchstimmung im Land wird aber schnell verfliegen
Quelle
Kardinal von Jakarta: Auch Muslime freuen sich auf Papstt
29.08.2024
Thorsten K. Schreiweis
Papst Franziskus bereist vom 2. bis 13. September Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur. Seine Apostolische Reise nach Ostasien und den Pazifik beginnt mit einem dreitägigen Besuch in Indonesien. Im weltweit bevölkerungsreichsten muslimischen Land bekennen sich etwa 87 Prozent der Bevölkerung zum Islam. Neben dem Islam sind die beiden christlichen Konfessionen, der Hinduismus, Buddhismus und der Konfuzianismus staatlich anerkannt. Wie immer, wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche ein mehrheitlich muslimisches Land besucht, liegt das Augenmerk auf dem interreligiösen Dialog. In Jakarta wird Franziskus die ,”Istiqlal”-Moschee, das größte muslimische Gotteshaus in Südostasien, besichtigen und dort Vertreter verschiedener Glaubensgemeinschaften treffen.
Franziskus besucht eine Stadt, die sowohl im politischen als auch im wörtlichen Sinne im Sinken begriffen ist. Die unmittelbar an der Javasee liegende größte Stadt Südostasiens sackt allmählich ins Meer ab. Während die einen den Niedergang Jakartas dem fortschreitenden Klimawandel anlasten, trägt für inländische Beobachter vor allem die Politik Schuld an der Malaise. Nach dem Abgang des Langzeitherrschers General Suharto 1998 kämpft Indonesien noch immer gegen die weitverbreitete Korruption, geheime Absprachen und Vetternwirtschaft, die die Militärdiktatur hinterlassen hat und die weiterhin die öffentliche Verwaltung und die private Wirtschaft durchsetzen. Die marode und unzureichende öffentliche Infrastruktur sowie die Umweltzerstörung, die städtische Armut und die soziale Ungleichheit machen Jakarta zu einem Moloch, der sinnbildlich für die politischen und gesellschaftlichen Probleme des Landes und die Fehler und das Missmanagement der staatlichen Führungsriege steht.
Von der demokratischen Hoffnung nicht viel übrig
Die höchsten Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung, allen voran der scheidende Präsident Joko Widodo, sind in den letzten Jahren darum bemüht, eine politische und wirtschaftliche Aufbruchstimmung zu wecken. Auf Borneo entsteht Nusantara, eine futuristisch und nachhaltig konzipierte Planstadt, die das ökologisch, sozial und wirtschaftlich moderne und digital fortschrittliche Indonesien verkörpern soll. Am indonesischen Unabhängigkeitstag am 17. August dieses Jahres beerbte Nusantara Jakarta offiziell als Hauptstadt, obwohl die Stadt einer einzigen Baustelle gleicht und noch keines der Regierungsgebäude fertiggestellt worden ist. Widodo hatte sich von Umweltschützern und wegen finanzieller und grundsätzlicher Bedenken gegen den Bau Nusantaras und die Verlegung der Hauptstadt viel Kritik eingeheimst. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2014 galt Widodo national und international als demokratischer Hoffnungsträger, da er keiner der einflussreichen Familien und Seilschaften entstammte, die sich in der indonesischen Politik die Macht bisher aufteilten. Zum Ende seiner Präsidentschaft herrscht weitgehende Enttäuschung über ihn. Der gemäßigte Muslim hatte gegenüber islamisch-konservativen Kreisen vor allem in der Sozial- und Gesellschaftspolitik erhebliche Zugeständnisse gemacht. Im Zuge einer weitreichenden Strafrechtsreform wurden der außereheliche Geschlechtsverkehr und das unverheiratete Zusammenleben massiv eingeschränkt. Die Demonstrationsrechte wurden beschnitten und der Straftatbestand der Präsidentenbeleidigung verschärft.
Am 20. Oktober wird Prabowo Subianto im Präsidentenamt nachfolgen, der seit 2019 als Widodos Verteidigungsminister amtiert. Die Präsidentschaftswahlen 2014 und 2019 verlor Subianto jeweils mit knapper Mehrheit gegen Widodo. Obwohl Subianto seine Niederlagen beide Male nicht anerkannt und erfolglos vor dem Verfassungsgericht angefochten hatte, berief Widodo ihn in sein Kabinett und machte ihn dadurch salonfähig und in seinem eigenen politischen Lager wählbar. Als Gegengabe wurde Widodos ältester Sohn neben Subianto Vizepräsidentschaftskandidat. Der 36-jährige Gibran Rakabuming Raka ist nach indonesischem Recht, das das passive Wahlrecht erst ab vierzig Jahren vorsieht, eigentlich zu jung für das Amt des Vizepräsidenten. Das Verfassungsgericht, unter dem Vorsitz eines Schwagers Widodos, erklärte die Kandidatur dennoch für rechtens. Vom unabhängigen integren Hoffnungsträger hat sich Widodo zum einflussreichen Oberhaupt eines politischen Familienclans gemausert und von seiner demokratischen Erneuerung ist nicht viel übrig geblieben.
Lange Geschichte der politischen Gewalt
Abzuwarten bleibt, wie sich die Sicherheitslage in Indonesien unter dem neuen Präsidenten Subianto entwickeln wird. Der politische Islam und militant-islamistische Kräfte gewinnen immer mehr an Einfluss. Das Land ist in den vergangenen Jahren vor schwersten Terroranschlägen verschont geblieben, die Erinnerungen an die verheerende islamistische Terrorwelle in den 2000er Jahren sind aber noch wach. In einem Land der unzähligen Inseln, Kulturen, Sprachen, Ethnien und Religionen braucht es ein sorgsames Austarieren der vielfältigen Interessen und Standpunkte und weniger staatliche Repression und Menschenrechtsverletzungen. Subiantos Werdegang und Verbindungen in der Politik und im Militär stehen exemplarisch für die lange Geschichte von politischer Gewalt in Indonesien. Subianto war mit einer der beiden Töchter des Putschistengenerals Suharto verheiratet und hatte sich so seine Pfründe in der Armee und im Staat gesichert. Bereits sein Vater hatte in der “Neuen Ordnung” der Militärjunta Suhartos mehrere Ministerämter inne. Subianto wurde 1998 zum Kommandeur der berüchtigten Kostrad-Einheit ernannt. Während der staatlich orchestrierten Gewaltorgien 1965 bis 1966, denen nach konservativen Schätzungen etwa eine halbe Million kommunistische Regierungskritiker und Separatisten sowie chinesischstämmige Indonesier zum Opfer fielen, war Kostrad unter ihrem ersten Befehlshaber General Suharto für zahlreiche Massaker verantwortlich.
Subianto werden seinerseits schwere Menschenrechtsverletzungen, Entführungen, Folter und politische Morde während der Suharto-Diktatur vorgeworfen. Trotz seiner Beteuerungen steht Subianto nicht für den politischen und wirtschaftlichen Aufbruch, wie es nach den zehn Jahren Präsidentschaft Widodos von ihm verlangt wäre. Es ist zu hoffen, dass die Menschen in Indonesien die politische Lethargie erdulden und keine (weiteren) Rückschritte für den Frieden, ihre Freiheit und demokratischen Rechte und ihre Sicherheit und ihren Wohlstand erleiden müssen.
Das Logo für die Apostolische Reise des Papstes nach Indonesien zeigt sein Konterfei vor dem Garuda-Adler, dem Wappenvogel des Landes. In dessen Spruchband “Einigkeit in der Vielfalt” ist die Hoffnung gelegt, die man Indonesien für die nächsten Jahre wünscht und wie sie unter dem Motto der Reise “Glaube, Geschwisterlichkeit, Barmherzigkeit” von ihr ausgehen möge.
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