Die Unterscheidung der Geister

Wie die Lehre und die Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola das Glaubensleben bis heute beeinflussen

Quelle
Christoph Münch
Franziskus beeindruckt von Indonesiens jungen Jesuiten – Vatican News
Unterscheidung der Geister

03.09.2024

Christoph Münch

Papst Franziskus ist der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Dass er auch in seinem Dienst als Oberhaupt der katholischen Kirche seinen Ordensüberzeugungen treu bleibt, steht außer Frage. So kommentierte das Kölner Domradio im März 2023 zum zehnten Jahrestag seiner Wahl, dass “seine Unberechenbarkeit für Kritiker wie Befürworter […] viel mit der Ordensspiritualität zu tun [habe].” Doch um dies genauer verstehen zu können, empfiehlt sich ein Blick zurück zu dem Mann, der den Jesuitenorden gegründet hat: Ignatius von Loyola.

Im Jahre 1491 auf Schloss Loyola bei Azpeitia in der baskischen Provinz Guipúzcoa geboren, erhielt er zunächst eine höfische und somit weltliche Erziehung. Statt Christus zu folgen trat er in den Dienst des Vize-Königs von Navarra ein und kämpfte aktiv gegen die Franzosen bei der Verteidigung Pamplonas. Gemäß der Darstellung Wilhelm Hünermanns in seinen episch gestalteten Heiligenlegenden beeindruckte der junge Offizier sogar seine Feinde dermaßen, dass diese sich – nach seiner schweren Verwundung am rechten Bein – seiner annahmen: “Über den Bewusstlosen hinweg erstürmten die Franzosen die Stadt. In den Armen des Gascogners Robert de Gourgues kam Inigo wieder zu Bewusstsein. Die Franzosen behandelten den kühnen Edelmann mit Hochachtung und Großmut. Man brachte ihn in das Spital der Stadt und sorgte nach Kräften für ihn.” Historisch verbürgt ist, dass Ignatius tatsächlich mit den Folgen seiner schlimmen Verwundung zu kämpfen hatte, die ihn über Monate ans Bett fesselte. An dieser Stelle aber sollte sein bisheriges Leben auf den Kopf gestellt werden. Grund dafür war die Lektüre des “Lebens Christi” des Ludolf von Sachsen, die Ignatius derart beeindruckte, dass er beschloss, zukünftig einem anderen Herrn zu dienen.

Gehen mit Jesus

Seine Hinwendung zum christlichen Glauben gestaltete sich in den folgenden Jahren in großer Intensität. Sie bedeutete eine vollständige Loslösung vom bisherigen Leben, die im Februar 1522 mit einer Lebensbeichte im Kloster Montserrat begann, an die sich ein einjähriges Bußleben in Manresa anschloss. Ignatius muss diese Zeit als intensive geistige Auseinandersetzung mit dem Leben erfahren haben, die gleichermaßen von inneren Krisen und mystischen Erleuchtungen geprägt war. Der Jesuit und emeritierte Professor für Theologie des geistlichen Lebens und Geschichte der Spiritualität Günter Switek sieht in Ignatius‘ Erfahrungen dieser Zeit denn auch “die Grundlagen seiner Exerzitien”, welche bis heute unzählige Gläubige prägen. Tatsächlich stellen die “Exerzitien” das literarische Hauptwerk des Ignatius von Loyola dar, an dem er die nächsten 25 Jahre seines Lebens arbeiten sollte.

Hugo Rahner, der Jesuit, Theologe und Historiker (und Bruder von Karl Rahner), fasst die Kernelemente der ignatianischen Exerzitien wie folgt zusammen: “Christus als auch heute gegenwärtiger König der Welt, Reich Gottes als Kirche, fordernder Ruf des Königs zur lebenswandelnden Teilnahme am Kampf gegen den Satan in der immer größeren Teilnahme an dem Gekreuzigten, in der radikalen Absage an Sünde und Eigenwillen und im Ablesen dieser Entscheidung an dem liebend betrachteten Leben Jesu in der darin zu erfassenden Unterscheidung der Geister: das ist die manresische Grundsubstanz der Exerzitien.” Der vollkommene Eintritt in die Nachfolge Jesu und das Gehen mit Ihm äußerte sich im Leben des Ignatius von Loyola in einer Pilgerreise ins Heilige Land (Juni 1523 bis Januar 1524) und der Aufnahme des Studiums (Latein, Philosophie und Theologie) in Barcelona, Alcalá und Salamanca sowie ab 1528 in Paris. Dreizehn Jahre nach seinem Bekehrungserlebnis und im Anschluss an sein intensives Studium legte er am 15. August 1534 mit sechs Gefährten auf dem Montmartre bei Paris die Gelübde der Armut und Keuschheit ab und wurde am 24. Juni 1537 schließlich in Venedig zum Priester geweiht.

In Rom stellte sich Ignatius mit seinen Anhängern in den Dienst des Papstes und beschloss 1539, einen Orden zu gründen. Dieser wurde bereits im Folgejahr (am 27. September 1540) von Papst Paul III. bestätigt. Bis zu seinem Tod am 31. Juli 1556 widmete sich Ignatius der Leitung und dem Aufbau des Ordens, aber auch dem Verfassen geistlicher Literatur. So sind allein über 6  800 Briefe aus seinen Korrespondenzen erhalten. Wie sehr Ignatius seine Zeitgenossen und die Kirchenoberen von seiner Hingabe für den christlichen Glauben überzeugt hat, beweisen auch die recht zeitnah nach seinem Tod erfolgte Seligsprechung am 3. Dezember 1609 durch Paul V. sowie seine Heiligsprechung am 12. März 1622 durch Gregor XV.

Was aber ist es, was seine Spiritualität besonders auszeichnet? Und inwiefern ist Papst Franziskus ein “typischer Jesuit”?

Franziskus als Ignatianer

Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine intensivere Auseinandersetzung mit den ignatianischen Exerzitien und insbesondere mit der vielfach – auch im gegenwärtigen Pontifikat – diskutierten “Unterscheidung der Geister” vonnöten. So weisen die ignatianischen Exerzitien verschiedene Dimensionen auf, die allesamt zum Ziel haben, das eigene Ich und Leben zu reflektieren, um es christusähnlicher werden zu lassen. Daher werden alle Aspekte der eigenen Person (die geistigen, leiblichen, seelischen und unbewussten) betrachtet, aber auch die Beziehungen zu anderen Menschen und dem Ganzen der Realität (inklusive Gesellschaft, Staat und Kirche). Sodann spielt die genannte “Unterscheidung der Geister” eine wichtige Rolle. Hier wird versucht, “der Dynamik des eigenen Lebens im Beziehungsgefüge neue Perspektiven zu eröffnen. Die Fähigkeit zu sinnvoller Kritik wird entwickelt. Die Frage nach dem Woher und Wohin innerer Regungen und Bewegungen wird gestellt, vor Gottes Gnade und Barmherzigkeit die eigene Sünde und Schuld bekannt” (Paul Imhof).

Die Reflexion der persönlichen und weltlichen Erfahrungen und Beziehungen allein führen jedoch noch nicht zu einem christlichen Leben. Daher bestehen die weiteren Dimensionen der ignatianischen Exerzitien darin, das persönliche Verhältnis zu Gott und die Beziehung zu Jesus Christus vertiefend in den Blick zu nehmen, sodass daraus Christus als der Weg erkannt wird, dem es im Alltag nachzufolgen gilt.

Dass Papst Franziskus sich dieser Spiritualität verbunden fühlt, hat er in seinem Pontifikat immer wieder unter Beweis gestellt. In einer Katechesereihe hat er die ignatianische Denkweise zwischen August 2022 und Januar 2023 aber auch theologisch reflektiert und den Gläubigen näherzubringen versucht. Zum Prinzip der Unterscheidung sagte er dabei: “Die Unterscheidung ist eine Kunst, eine Kunst, die man erlernen kann und die ihre eigenen Regeln hat. Wenn sie gut erlernt wird, gestattet sie, die geistliche Erfahrung immer schöner und geordneter zu erleben.” Dabei geht es letztlich um ein tiefgründiges Abwägen aller zu berücksichtigenden Faktoren, um darin das zu erkennen, was Gott möchte. Dies aber setzt viel Zeit und Ruhe voraus; ein Umstand, der Franziskus‘ Befürworter und Kritiker auf eine harte Geduldsprobe stellt, der aber ganz dem Denken seines spirituellen Vorbilds entspricht.

Bereits am 16. August erschien an dieser Stelle ein Beitrag über den Kartäuserorden und seinen Gründer, den heiligen Bruno von Köln.

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