Der Trunk Gottes

Bier gehört zu Belgien wie die Pommes frites, das Atomium, die Comics und die Schlümpfe. Hier stimmen ausnahmsweise einmal alle Klischees – und darauf sind die Belgier zu Recht stolz

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Startseite | St. Bernhard (sintbernardus.be)

26.09.2024

Carsten Peters

Sie heißen Duvel (Teufel), Mort Subite (Plötzlicher Tod), De Verboden Vrucht, Judas, Delirium Tremens und Deugniet (Taugenichts) oder auch Eeuwige Liefde, Petrus, Eerwaarde Pater, Stouterik (Frechdachs), Malheur, Femme Fatale und Grosse Bertha.

Eigentlich sagen die Namen bereits alles: Unsere belgischen Nachbarn nehmen sich und das Leben im Allgemeinen nicht immer ganz so bierernst. Der Trinkgenuss weist selbst oft eine heitere, fast religiös-meditative Konnotation auf. Die geselligen Mönche in den fünf bierbrauenden Zisterzienserklöstern bestätigen dies.

Aber: “Wir stellen unser Licht gerne unter den Scheffel”, sagte der belgische Noch-Premierminister Alexander De Croo neulich bei einem Empfang in den USA. Warum eigentlich? Immerhin soll es in seinem Ländle mehr als 1.400 Biersorten geben! Kein Grund also für falsche Bescheidenheit. Belgische Brauer streben ohnehin seit jeher nach Höherem. Das Moonwalker Astronaut Triple beweist es. Das Himmlische und das Bier – das geht in Belgien immer irgendwie zusammen. Zugegeben: Die Hölle kommt auch nicht zu kurz.

Biertrinken als Wissenschaft

“Belgica” prägt eine rund 2.000 Jahre alte Bierkultur ohne lästiges Reinheitsgebot. Nach Erhebungen der OECD gehören die Nachfahren des trinkfreudigen Keltenkriegers Ambiorix zu den durstigsten Nationen der Welt. Dabei gibt man sich betont akademisch. Professor Kevin Verstrepen von der Katholischen Universität Löwen ist Bierforscher. In seinem Labor verwaltet er die belgische Hefebank. Fast alle Brauhefen des Landes sind hier archiviert. Sollte also eine Brauerei urplötzlich einmal der “Mort Subite” ereilen, könnte ihr Produkt weiterleben. Gott sei Dank. Leuven ist auch der Sitz des größten Bierherstellers der Welt: Anheuser-Busch InBev. Es ist das umsatzstärkste börsennotierte Unternehmen des Landes. An dem multinationalen Imperium kommt heute weltweit niemand mehr vorbei. Zum Portfolio gehören Gerstensäfte wie Corona, Budweiser, Becks, Franziskaner Weißbier und viele andere international bekannte Marken.

Den Charme des wallonisch-flämischen Kaltgetränks machen aber vor allem die kleinen Produzenten aus. Oft mit wenig Personal und noch weniger Geld, dafür aber mit viel Herz und Sachverstand bringen sie ihre Kreationen unter die Leute. Um manche Biere ranken sich wahre Mythen. Zum Beispiel um die Zisterzienser- oder Trappistenbiere, die in Klöstern hergestellt werden und sehr gefragt sind. Ihr Erlös muss wohltätigen Zwecken zugutekommen. So lautet die unumstößliche Bedingung, um den Namen tragen zu dürfen.

Auch der Kirche kein Dorn im Auge

Einmal im flämischen Radio auf diese Zwecke angesprochen, druckste ein betagter Mönch ein wenig herum. Außer der Verwendung der Einnahmen für seine Klosterbrüder fiel ihm im Moment keine andere Verwendung ein. Der Moderator ließ ihn milde vom Haken. Schließlich sind die frommen Geistlichen in Belgien beliebt und jeder weiß ohnehin um die karitative und kulturelle Bedeutung der Orden. Vielleicht hoffte der Radiomann aber auch auf eine bevorzugte Belieferung zu Weihnachten. Dann kann es nämlich erfahrungsgemäß passieren, dass den Patres wegen der großen Nachfrage das Bier ausgeht. Die Produktion der Trappisten ist gleichsam gedeckelt. “Mangelwirtschaft”, nicht nur zu Weihnachten, ist der belgischen Bierindustrie sowieso nicht fremd. Zu Beginn des Ukrainekrieges gingen einigen altehrwürdigen Brauereien plötzlich die im Krisengebiet produzierten Flaschen aus. Dieser Umstand war den besorgten Medien damals sogar Schlagzeilen wert.

Wer sich für einen kurzen Aufenthalt in einer der Abteien entscheidet, darf sich jedoch auf den täglichen Genuss des Florianstrunkes freuen – sofern er oder sie nach frühmorgendlichem Aufstehen und mehrmaliger täglicher Andacht noch das notwendige Stehvermögen aufbringen kann. Die Betreiber belgischer Kleinbrauereien sind sowieso zumeist recht kapriziös. Die De Struise Brouwers aus dem Norden komponieren exklusive Gerstensäfte, die über 50 Euro pro Flasche kosten können. Sie beliefern den Handel aufgrund ihrer kapitalismuskritischen Ideologie nur unregelmäßig.

Eigenwillige Braukünstler

Einer der vielen Hotspots der Braukunst ist die belgische Hauptstadt. Das Brussels Bier Project ist ein Zusammenschluss junger Brauer. Im Brüsseler Stadtteil Dansaert und in Anderlecht schenken sie in eigenen Räumlichkeiten ihre Spezialbiere aus. Eines davon wird sogar aus Brotresten der umliegenden Restaurants gebraut: das Baby Lone! Das Publikum ist jung, hip und identifiziert sich mit der zeitgemäßen Attitude der Gründer.

Im Zentrum, in der Nähe der Sint Hubertusgallerie, befindet sich das legendäre À La Mort Subite, eine Art Wallfahrtsort und absolutes Muss für alle Traditionalisten. Die vom Jugendstilarchitekten Paul Hamesse entworfene Inneneinrichtung ist seit 1910 unverändert. Man keltert sein eigenes Produkt – eben das Mort Subite! Ein sogenanntes Gueuze Lambic. Das säuerliche Gebräu reift einige Zeit in offenen Fässern. Angeblich, um die wilden Hefestämme einzufangen, die es nur rund um Brüssel geben soll. Kenner trinken es dann entweder pur oder mit Früchten versetzt, zum Beispiel mit Kirschen als Gueuze Lambic Kriek. Der Bodensatz wird manchmal separat im Schnapsglas serviert. Einige hundert Meter weiter, gegenüber der Börse, im seit 1874 dort ansässigen Le Grande Café, können sich Liebhaber der deftigen belgischen Küche auf Bouletten in Spekulatius-Biersauce freuen. Natürlich mit dem Nationalgemüse Chicorée und selbstredend “an Pommes frites”. Einen Steinwurf vom Kanal entfernt, weit weg vom Brüssel der Touristen, steht auf einer fast grotesk hässlichen Industrieparzelle die Brasserie de la Senne, eine Ikone des neuen Brauens, und das sogar mit Terrasse! Belgischer Humor eben. Ihre unverwechselbaren Kreationen bestechen durch kompromisslose, stark lokal geprägte, hopfenbetonte Eigenwilligkeit.

Wo auch Damen hart im Nehmen sind

Im Poechenelle-Kelder dagegen, direkt am Maneken Pis, sitzt der Gast gemütlich zwischen Flohmarktkitsch sowie Puppen aller Art und genießt das Blanche de Bruxelles, eines der vielen belgischen Weißbiere, die fast immer mit Kräutern versetzt sind. Die eher alkoholarmen “Wittekes”, wie die Flamen sie nennen, sind vor allem bei den Damen beliebt. Aber Mädels können auch anders: In der weltberühmten Delirium-Linie der seit 1654 bestehenden Brauerei Huyghe brauen Expertinnen zum Weltfrauentag das weibliche Pendant zum Flaggschiff Delirium Tremens – das Deliria mit dem rosa Etikett. Der Name ist Programm: Achteinhalb Prozent Alkohol lassen keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass in Belgien auch Biertrinkerinnen ihren Mann stehen. Dazu gibt es vielleicht auch “Leute” (Spaß), so der Name des einzigen belgischen Bockbiers, welches in einem konisch zulaufenden Glas serviert wird. Jenes ruht in einer Holzeinfassung und kann glücklicherweise nie umkippen. Praktisch und vielleicht auch vonnöten. Ohnedies sind belgische Biergläser eine Sache für sich. Jede Marke hat ihr eigenes. Zu erwerben in einem der Groß-Bierläden, wie zum Beispiel im berühmten Hopduvel (Hopfenteufel) in Gent.

Die belgischen Hopfenteufelchen bieten eigentlich für jeden etwas. Rote, dunkle oder helle Biere, Tripel oder IPAs. Auch das Drumherum gehört zum Erlebnis. Die liebevoll gepflegte Kneipenkultur im ganzen Land findet der Genießer heute woanders nur noch selten. Gepaart mit einem typisch belgischen Essen kann ein kulinarischer Ausflug darum zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Für kulinarische Überraschungen ist im Nachbarland ohnehin immer gesorgt. Sogar in der Frittenbude unter dem Atomium. Ach ja, auch die Schlumpf-Figuren gibt es mit Bierkrug in der Hand. Man denkt eben auch an den Nachwuchs.

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