Unter Ortegas Herrschaft – Christenverfolgung in Nicaragua
Das nicaraguanische Regime verfolgt die katholische Kirche, doch Beobachter sehen darin erst den Anfang
Quelle
OAS fordert Nicaragua zur Einhaltung der Menschenrechte auf | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Prominenter Priester soll von Diktatur in Nicaragua entführt worden sein | Katholische Nachrichtenagentur (catholicnewsagency.com)
Nicaragua
15.08.2024
Seit der erneuten Wahl Daniel Ortegas am 5. November 2006 befindet sich Nicaragua in einer Diktatur. Der 1945 geborene Ortega stürzte 1979 mit der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) unter Führung seines Bruders Humberto den Diktator Anastasio Somoza. Ortega regierte Nicaragua ab Juli 1979 als Vorsitzender einer Regierungsjunta und war von 1985 bis 1990 gewählter Staatspräsident. Nach Niederlagen bei den Wahlen 1990, 1996 und 2001 wurde er 2006 wiedergewählt und 2011, 2016 sowie 2021 im Amt bestätigt.
Ortega ernannte seine Ehefrau Rosario Murillo zur Vizepräsidentin, obwohl die Verfassung Regierungsämter für nahe Familienangehörige untersagt. 2011 setzte er sich erneut über die Verfassung hinweg, stellte sich zur Wahl und gewann mit 62,6 Prozent der Stimmen, wobei Beobachter Unregelmäßigkeiten beanstandeten. 2018 verwies Ortega eine Arbeitsgruppe des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte des Landes, nachdem diese die “unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt”, außergerichtliche Hinrichtungen, das Verschwindenlassen von Menschen sowie Folter und Misshandlungen während der Proteste kritisiert hatte. Vilma Núñez, Direktorin des Zentrums für Menschenrechte, bezeichnete Nicaragua 2018 als Polizeistaat.
Katholische Kirche wird vom Regime verfolgt
Die katholische Kirche, die den Protestierenden 2018 Schutz bot und sich als Vermittlerin anbot, wird seither vom Regime verfolgt. Ein prominenter Fall ist der von Bischof Rolando Álvarez von Matagalpa, der 2022 unter Hausarrest gestellt und 2023 zu mehr als 26 Jahren Haft verurteilt wurde. Nach 527 Tagen Haft wurde er nach dem Protest der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit 17 weiteren inhaftierten Priestern und Ordensleuten im Januar 2024 in den Vatikan abgeschoben. Darunter war auch Bischof Isidoro Mora, der bis 2021 Generalvikar von Matagalpa war und später Bischof von Siuna wurde. Seit 2018 wurden mindestens 84 Priester aus Nicaragua ausgewiesen, ins Exil gezwungen oder an der Wiedereinreise gehindert.
Mehrere religiöse Orden, darunter die von Mutter Teresa gegründeten “Missionarinnen der Nächstenliebe” und die Karmelitinnen, wurden verboten; mindestens 70 Ordensfrauen mussten das Land verlassen. Zahlreiche kirchliche Hilfswerke und Schulen wurden aufgrund falscher Anschuldigungen geschlossen. Zu den jüngsten Angriffen auf die Kirche in Nicaragua zählt die Entführung des 80-jährigen, kranken Apostolischen Administrators der Diözese Estelí, Frutos Constantino Valle Salmerón, am 29. Juli durch die nicaraguanische Polizei. Er wurde in einem Ausbildungshaus der katholischen Kirche unter Beobachtung gestellt. Insgesamt wurden laut Vatican News in den vergangenen zwei Wochen 13 katholische Priester und Kirchenangestellte verhaftet, darunter der Rektor des Priesterseminars von Matagalpa, Harvin Tórrez, der gleichzeitig Pfarrer einer Kirche ist.
Mitte des Jahres berichtete die Menschenrechts-Expertengruppe GHREN dem UN-Menschenrechtsrat von schweren Menschenrechtsverletzungen durch regierungsnahe Gruppen gegen Angehörige der katholischen Kirche. Zwischen April 2018 und März 2024 dokumentierte GHREN 73 Fälle willkürlicher Inhaftierungen von Gläubigen christlicher Konfessionen. Darunter ist die US-evangelikale Gemeinschaft Mountain Gateway Ministry, die im Dezember 2023 die Festnahme von elf ihrer örtlichen Pastoren meldete.
Die Verfolgung hat den Klerus Nicaraguas stark dezimiert, besonders in der Diözese Matagalpa. Angaben der im Exil lebenden Menschenrechtsanwältin Martha Patricia Molina zufolge befinden sich von den vormals 70 katholischen Priestern (57 Einheimische und 13 aus dem Ausland) nur noch 22 im Dienst. 30 lebten mittlerweile im Exil, unter ihnen auch Bischof Alvarez, fünf seien entführt worden, drei auf ungeklärte Weise verschwunden, einige verstorben oder pensioniert. 21 weiteren Priestern wurde die Einreise in das Land verweigert.
Drei Diözesen ohne Bischöfe
Die Angriffe des Regimes haben auch die Diözesansynode zunichte gemacht, die Bischof Rolando Álvarez 2021 eröffnet hatte. Die Bischofskonferenz leidet ebenfalls darunter: Drei Diözesen sind derzeit ohne Bischof, und zwei Bischöfe haben die Altersgrenze erreicht und könnten bald zurücktreten. Der Apostolische Nuntius wurde im März 2022 aus Nicaragua ausgewiesen.
Auch Priesterweihen mussten abgesagt werden. Dieses Jahr sollten am 27. Juli drei Diakone zu Priestern geweiht werden. Einer von ihnen, Wendel Fuentes Chavarria, kündigte jedoch an, dass die Weihemesse aufgrund einer Anordnung des Regimes von Daniel Ortega abgesagt werden musste. Trotz oder gerade wegen dieser Schikanen zeigt die Bevölkerung Nicaraguas weiterhin Vertrauen in ihre geistlichen Führer. In einer Umfrage des costaricanischen Meinungsforschungsinstituts CID Gallup belegten drei Bischöfe die ersten drei Plätze unter den am besten bewerteten Personen des öffentlichen Lebens. Bischof Rolando Álvarez, Kardinal Leopoldo Brenes und der im Exil lebende Weihbischof Silvio Báez erhielten hohe Zustimmungswerte, während Präsident Ortega und seine Familie schlecht bewertet wurden. Diese Umfrage verdeutlicht die wachsende Kluft zwischen der Bevölkerung und der Regierung.
Das Ortega-Murillo-Regime wendet sich vermehrt Afrika und Asien zu. Die neuen diplomatischen Prioritäten des Regimes führten etwa dazu, dass die Botschaft Nicaraguas in Deutschland geschlossen wurde – die konsularischen Aufgaben wurden nach Wien verlagert. Hintergrund dieser Maßnahme ist eine Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen dessen Unterstützung Israels. Internationale Experten sehen in dieser Entscheidung eine Herabstufung der diplomatischen Beziehungen zu Berlin.
Kirche in enger Verbindung mit dem Volk
Die Angriffe der Diktatur von Ortega und Murillo auf die Religionsfreiheit, insbesondere auf die katholische Kirche, sind nach Einschätzung des US-Regierungsberaters Felix Maradiaga “erst der Anfang”. Bei einer Onlineanhörung der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit warnte er, dass das Regime gegen Grundrechte wie die Gedanken- und Meinungsfreiheit vorgehen werde. Der Vize-Direktor des Amerikanischen Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CSIS), Christopher Hernandez-Roy, ergänzte, dass Ortega religiöse Einrichtungen und Führungspersönlichkeiten ausschalten wolle, da diese durch ihre Verbindung mit dem Volk sein autoritäres Projekt bedrohten.
Darüber hinaus mehren sich die Berichte über Misshandlungen und Indoktrination in Schulen. Eine Lehrerin quittierte den Dienst wegen der “extremen Wachsamkeit der Diktatur von Daniel Ortega und Rosario Murillo”. Die meisten Lehrer seien nicht bereit, “unter politischer Unterwerfung zu bleiben”. Zwischen 2019 und Mai 2024 hat Nicaragua 2 931 Lehrkräfte verloren, wie aus Angaben der Zentralbank von Nicaragua (BCN) hervorgeht. Es zeigt sich, dass die Maßnahmen des Ortega-Regimes gegen die Kirche und andere kritische Stimmen Teil einer Strategie zur Unterdrückung und Kontrolle der Bevölkerung sind. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, diese Entwicklungen zu beobachten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschenrechte in Nicaragua zu schützen.
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