Geschichte der Schweizer Garde – Aufstand im Vatikan?

Die letzte absolute Monarchie Europas kennt keine Streiks. Und doch gab es sie – und es könnte sie auch wieder geben

Quelle
Papst Pius IX. (30)
Papst Leo XIII. (69)
Ulrich Nersinger

06.08.2024

Ulrich Nersinger

Nach dem Tod des seligen Pius?IX. (1846-1878) und dem Amtsantritt des großen Sozialpapstes Leos XIII. (1878-1903) drohte eine Rebellion der Päpstlichen Schweizergarde. Weder war ihr der übliche Totensold, noch der mehr oder weniger verbriefte Krönungssold ausgezahlt worden. Der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer brachte die Situation treffend in einem Gedicht zu Papier: “Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlang / Den von Raffaels Fresken verherrlichten Gang / In der puffigen alten geschichtlichen Tracht.” In späteren Versen heißt es dann unumwunden: “Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort / So kann es nicht gehn, und so geht es nicht fort! / Du sparst an den Kohlen, du knickerst am Licht / An deinen Helvetiern knausre du nicht!”

Dem Papst stellen sie sich als “bescheidene Leute von Ahne zu Kind” vor, aber mit klarer Forderung: “Doch werden wir an den Moneten gekürzt, / Wir kommen wie brüllende Löwen gestürzt! / Herr Heiliger Vater, die Taler heraus! / Sonst riumen wir Kisten und Kasten im Haus / Potz Donner und Hagel und höllischer Pfuhl! / Wir versteigern dir den Apostolischen Stuhl!” Das Gedicht schließt mit den Worten: “Der Heilige Vater bekreuzt sich entsetzt / Und zaudert und langt in die Tasche zuletzt – / Da werden die Löwen zu Lämmern im Nu: / ‘Herr Heilger Vater, jetzt segne uns du!'”

Preußischer Drill im Gardequartier

Nach dem Ableben des Kommandanten der Schweizergarde, Oberst Leopold Mayer von Schauensee, am 15. Oktober 1910 wurde zu seinem Nachfolger Jules Maxime Repond (1853-1933), ein Brigadeoberst und Professor an der juristischen Fakultät der Universität Freiburg, ernannt.
Repond brachte sofort “einen scharfen Wind in die Garde”, so der spätere Gardekaplan Krieg. Er begann unverzüglich, Uniform, Bewaffnung und Disziplin radikal zu reformieren. Mit ihm zog der preußische Drill in das beschauliche Gardequartier der Schweizer ein.

Unter Leo XIII. und dem heiligen Pius X. (1903-1914) hatte die Leibgarde des Heiligen Vaters mit enorm großen Schwierigkeiten zu kämpfen, die den letzteren Papst sogar an eine Auflösung der Truppe denken ließen. Viele Mitglieder des Korps waren keine Eidgenossen mehr, sondern Söhne oder Enkel in Rom lebender Schweizer. Disziplin und Moral der Garde hatten einen ungewöhnlichen Tiefstand erreicht. Mit Reponds Auftreten à la Prusse kam es im Juli 1913 in Abwesenheit des Kommandanten zum Aufstand in der Garde. Johann Holenstein, der kurz nach der Revolte als Rekrut in Rom eingetroffen war, erinnerte sich: “Ein Streik war ausgebrochen. Eines morgens weigerte sich die Mannschaft, zur Wache aufzuziehen, und forderte die sofortige Entlassung des bei der Truppe sehr unbeliebten Gardehauptmanns Glasson. Erst nach Verhandlungen mit dem damaligen Staatssekretär trat die Wachmannschaft zu ihrem Dienst an.”

Eine Schweizer Zeitung gab ihren Lesern zur Auskunft: “Die letzte Revolte soll dadurch hervorgerufen worden sein, dass die Gardisten militärisch gedrillt und viel schärfer als früher zum Dienst herangezogen wurden. Sie sollten exerzieren, ja sogar turnen, um sich eine bessere Haltung anzugewöhnen. Ein aus dem Spital eben entlassener Gardist sollte zum Turnen gezwungen werden, er griff den Unteroffizier, der ihn in Arrest abführen wollte, tätlich an, und als ein Offizier einschreiten wollte, wurde er von den anderen Gardisten daran gehindert. Der Oberst Repond und ein Hauptmann Glasson, der eine Deputation der Schweizergarde mit dem Revolver bedroht haben soll, wurden beurlaubt und werden wohl auf ihre Posten nicht zurückkehren.”

Repond behielt jedoch das Kommando, Hauptmann Glasson aber wurde zur Demission aufgefordert. Gut dreißig Gardisten wurden samt ihren Rädelsführern aus dem Dienst entlassen. “Es wurde berichtet, die Krawallmacher hätten das Quartier mit ‘Hofrufen auf Garibaldi?verlassen” (Vincenz Oertle).

Streikwelle im Vatikan

Fast sechs Jahrzehnte später drohte dem weltlichen Herrschaftsgebiet des Papstes eine regelrechte “Streikwelle”. Das Jahr 1970 sollte dem Vatikan eine Reihe sozialer Unruhen bringen. Viele Angestellte des Kirchenstaates waren unterbezahlt und forderten zu Recht eine finanzielle Besserstellung. So gab es einen halbstündigen Warnstreik in der Druckerei des “Osservatore Romano”, dem sich auch einige Redakteure des Blattes anschlossen. Im September streikten ihre Kollegen von der “Tipografia Polyglotta Vaticana” (Vatikanische Druckerei) für drei Stunden. Die offizielle vatikanische Musikkapelle drohte mit der Einlage der “Internationalen” bei einem Staatsbesuch – was die Verantwortlichen im Päpstlichen Staatssekretariat in helle Aufregung versetzte.

Der heilige Paul VI. (1963-1978) nahm eine Reihe von Reformen vor. Überraschenderweise sahen sie jedoch keine notwendigen Verbesserungen im Dienst und in der Besoldung seiner Gendarmen vor. Alle diesbezüglichen Bittgesuche wurden abschlägig beschieden. Dem Kommandanten des Korps, Oberst Spartaco Angelini, gelang es nicht, weder die Belange der Truppe im Staatssekretariat und im Governatorat der Vatikanstadt angemessen einzubringen, noch die Kontrolle über seine Untergebenen in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Sein martialischer Vorname Spartacus brachte dem Kommandanten unter den Römern beißenden Spott und Hohn ein. Eine Reihe hochrangiger Geistlicher hatte sich in den berechtigten Anliegen der Gendarmen stark gemacht. Unter diesen befand sich auch der Kaplan des Korps, Monsignore Giovanni Sessolo. Dieser wurde daraufhin als zu nachgiebig gescholten und ersetzt.

Unter dem Pseudonym “Hieronymus” berichten Insider in dem Buch “Vatikan intern”: “Die Gendarmen wehrten sich ihrer Haut: Proteste, Streikdrohungen, ein halbstündiger Warnstreik. Anfang September 1970 spitzte sich die Lage doch derart zu, dass die Arbeitgeber eine Urlaubsstörung ihres Monarchen befürchteten, einen Protestmarsch der Gendarmerie vor die Tore des päpstlichen Landsitzes in Castel Gandolfo.” Die Gendarmen verblieben jedoch im Vatikan. Das Angebot des Staatssekretariates, ihnen einen Tagesausflug zu finanzieren, schlugen sie als eine “Gutsherrengeste” aus.

Im September 1970 entschied der Papst, “dass Wir nach reiflicher Überlegung und mit großem Bedauern zu dem Entschluss gekommen sind”, die Nobelgarde und Palatingarde aufzulösen. Die Gendarmerie aber solle in eine zivile Polizeieinheit umzuwandeln sein; einzig die Schweizergarde dürfe als bewaffnetes Korps bestehen bleiben. Die Entmilitarisierung der Gendarmerie war erst im letzten Augenblick in das päpstliche Schreiben aufgenommen worden. Die “Rebellionen” der Vormonate hatten dazu ihren Beitrag geleistet.

Arbeitskampf bleibt eine Option

Und wie sieht heute im Vatikan die “Streiklage” aus? Seit Leo XIII. haben die Päpste bedeutende, ja bahnbrechende Sozialenzykliken erlassen. Deren Umsetzung im Kirchenstaat lässt jedoch zu wünschen übrig. Aktuell beklagt man längst überfällige Gehaltseinstufungen und -erhöhungen und die Mieten in vatikanischen Immobilien und Gästehäusern wurden angehoben.

Mittlerweile gibt es in der Vatikanstadt eine “Associazione Dipendenti Laici Vaticani (ADLV)”, eine “Vereinigung der Arbeitnehmer der Laien im Vatikan”, deren Wirken als “Gewerkschaft” jedoch sehr begrenzt ist. Nach den sozialpolitischen Grundsatzreden von Papst Franziskus Anfang Juli in Triest hat die ADLV mit Nachdruck die konsequente Umsetzung der Papstworte im Vatikan gefordert. Streiks oder deren ernsthafte Androhung im Schatten von Sankt Peter sind aktuell nicht zu verorten – noch nicht.

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