Bischof von Amsterdam
Bischof von Amsterdam: Wir können keinen neuen Glauben erfinden – Jan Hendriks, Bischof von Haarlem-Amsterdam, empfiehlt der Kirche in Deutschland, nicht dieselben Fehler zu machen wie die niederländische Kirche vor über 50 Jahren
Quelle
Bischof Hendriks warnt vor Verwässerung des Evangeliums | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Kohlgraf: “Ich verstehe jetzt, warum Rom in Habachtstellung ist”
Holländischer Katechismus
Lumen gentium
23.08.2024
Dorothea Schmidt
Sie haben viele Artikel über Spiritualität, Kirchenrecht und das Zweite Vatikanische Konzil veröffentlicht und eine Reihe von Büchern geschrieben, unter anderem über die liturgischen Jahre A, B und C und über das Gebet. Schreiben oder planen Sie bereits ein neues Buch?
Es wird bald ein Artikel über Maria in der vornizäischen Tradition von mir herauskommen, das Teil eines Buches mit dem Titel “Geboren aus der Magd Maria” (“The Apostles‘ Creed. Born of the Virgin Mary”) ist.
Einen Beitrag in der Corona Zeit hatte den Titel “Beten in Zeiten der Prüfung”. Die Kirche befindet sich generell in einer Zeit der Prüfung, auch in den Niederlanden. In den letzten Jahren mussten viele Kirchen geschlossen werden. In Ihrer Diözese waren etwa 60 Prozent der Kirchen betroffen. Was waren überwiegend die Gründe?
Die 60 Prozent sind lediglich eine gute Schätzung. Man hat sich die Finanzen angeschaut und überlegt, welche Kirchen man behalten kann. Entscheidend war hier eine gute Erreichbarkeit. Für junge Menschen war es besonders wichtig, andere junge Familien zu treffen. Wenn eine junge Familie jede Woche in der Sonntagsmesse allein zwischen Menschen über 80 sitzt, dann ist das nicht attraktiv.
Hier in den Niederlanden müssen wir die Kirchen selbst bezahlen. Es gibt keine finanziellen Beiträge der Regierung, außer, es handelt sich bei der Kirche um ein Nationaldenkmal. Dann gibt es einen Zuschuss für Renovierungen und auch nur einen Zuschuss. Wenn also weniger Menschen sich einbringen und engagieren, dann können sich Kirchen nicht mehr halten. Um eine Kirche zu erhalten, braucht es neben Geld aber auch Freiwillige und natürlich Gläubige.
Fast 60 Prozent der Niederländer sind konfessionslos, der Glaube an Gott und Jesus spielt kaum eine Rolle.
Einerseits ist das die Situation der Niederlande. Wir spüren die Folgen der Säkularisation und des Prozesses nach dem Pastoralkonzil. Dadurch ist eine ganze Generation ohne Glaubenswissen aufgewachsen. Andererseits tauchen immer mehr junge Leute wie aus dem Nichts auf. Oft kommen sie nicht aus katholischen Familien, wollen aber in die katholische Kirche aufgenommen werden, weil sie berührt worden sind. Dieses Jahr haben wir 250 junge Menschen, die zum katholischen Glauben gekommen sind, darunter Moslems. Tendenz steigend. Wir sehen —und das darf man nie vergessen —, dass es nicht unsere Kirche ist, sondern es ist der heilige Geist, der die Kirche leitet. Es ist Gottes Kirche.
In den 60er Jahren ging es steil bergab mit dem Glauben der Niederländer, vergleichbar mit der Situation in der Kirche in Deutschland heute. Papst Franziskus hatte mehrfach gebeten, den Synodalen Weg auf die Linie des Zweiten Vatikanums und des Kirchenrechts zurückzubringen. Sie sind Fachmann in Kirchenrecht und dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Hauptprobleme dieses Reformprozesses in Deutschland?
Zunächst einmal: Ich spreche auch aus der Erfahrung in den Niederlanden. Ich habe das Pastoralkonzil in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts selbst noch mitbekommen. Dort hatten die Gläubigen dieselben Ideen wie sie nun auf dem Synodalen Weg in Deutschland nach vorn kommen. Ich kann nur auf die Folgen hinweisen, die diese Ideen bei uns hatten: Sie haben sehr viel Spaltung und Zerrissenheit gebracht — unter den Gläubigen, mit Rom und der Weltkirche – und zu einer starken Verweltlichung geführt. Menschen haben dem Glauben den Rücken gekehrt.
In Deutschland meint man, dem Zeitgeist folgen zu müssen, um anschlussfähig zu bleiben. Die Lebenswirklichkeiten der Menschen von heute werden zum Kompass für die Kirche…
…so wie man damals in den Niederlanden dachte, dass sie die Antwort auf die Verweltlichung Verweltlichung sei. Man meinte, säkularerer werden und bestimmte Dinge im Glauben aufgeben zu müssen, wenn man den Anschluss nicht verlieren und mit der Zeit mitgehen könne. Aber das war nicht die richtige Antwort. Im Gegenteil. Sie hat dazu geführt, dass der Verweltlichungsprozess auch in der Kirche noch beschleunigt wurde.
Der Mainzer Bischof Kohlgraf, der vor wenigen Monaten mit einigen weiteren deutschen Bischöfen in den Niederlanden gewesen ist, sagte etwas anderes: Er meinte, als Papst Johannes Paul II. den niederländischen Reformprozess gestoppt habe, habe er vor allem sehr schlecht kommuniziert, was die Säkularisierung sogar noch gefördert habe. Nach dem, was Sie sagen, war das nicht so, aber vielleicht war es ein Aspekt?
Es war nicht bloß ein Kommunikationsproblem. Das Problem war wirklich inhaltlicher Art. Ein Beispiel: Papst Paul VI. hat eine Enzyklika über den Zölibat herausgebracht und das Pastoralkonzil beschloss dann, den Pflichtzölibat abzuschaffen. Ähnlich war es dann bei der Ehe und der Sexualität; ganz neue Auffassungen sollten die alten ablösen. Da gegenzusteuern und die Bischöfe davon zu überzeugen, dass das so nicht geht, war sehr schwierig. Deutschland befindet sich heute in einer vergleichbaren Situation.
Was würden Sie als Bruder im Glauben und vor dem Hintergrund der niederländischen Geschichte den deutschen Bischöfen mit Blick auf den Synodalweg raten, um dieselben Entwicklungen zu vermeiden?
Ich hoffe, dass sie aus der Erfahrung in den Niederlanden lernen. Statt den Glauben zu verwässern wäre es wichtig, sich ehrlich zu machen und zu sagen, wenn man selbst nicht mehr ganz dran glauben kann, was die Kirche lehrt. Lumen Gentium lehrt uns, dass wir immer in Einheit mit der jahrhundertealten kirchlichen Tradition gehen müssen. Wir können keinen neuen Glauben erfinden. Was die Kirche gelehrt und geglaubt hat, dass beispielsweise die Ehe der geeignete Rahmen für Sexualität ist, kann sie nicht einfach ändern.
Was es sehr braucht, ist das Glaubenszeugnis, ein nach außen hin sichtbares Leben aus dem Glauben. Menschen müssen sehen, wie wichtig das Leben aus dem Glauben für uns und überhaupt für das Leben eines jeden ist. Jetzt geht es darum, Zeugnis zu geben von der Würde und vom unserm über 2000 Jahre alten katholischen Glauben.
Wie es die Heiligen getan haben…
Genau. Wir haben diese Woche den Heiligen Jean Eudes gefeiert. Oder nehmen Sie den heiligen Ludwig Maria Grignon von Montfort, Bernhardin von Siena oder andere — das waren Volksmissionare, die umhergingen und das Feuer des Glaubens hinaustrugen. Das bringt echte Erneuerung, Gottes Gnade vorausgesetzt natürlich. Der Glaube ist etwas Übernatürliches, das dürfen wir nicht vergessen.
Nach dem Orientierungstext des Synodalen Weges sollen Gläubige tun dürfen, was nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nur dem Papst und den Bischöfen zusteht: nämlich Bibel und Tradition autoritativ auszulegen, womit das Bischofsamt ausgehöhlt würde. Und sie wollen, dass Frauen zu Diakonen geweiht werden können. Gibt es solche Forderungen auch in den Niederlanden? Wenn ja, wie gehen Sie als Kirche damit um?
Die Jüngeren gehen gerade wieder in die entgegengesetzte Richtung: zu den Wurzeln unseres Glaubens. Es sind die Älteren, die mit den Themen des Pastoralkonzils von damals kommen. Was die Rolle der Frau in der Kirche angeht, so fordern Frauen auch in den Niederlanden eine stärkere Beteiligung in Leitungspositionen in der Kirche, es geht aber nicht um die Weihe für Frauen, sondern um Aufmerksamkeit: Wie kann die Rolle der Frau in der Kirche gestärkt und hervorgehoben werden?
Haben Sie eine Antwort darauf?
Hier können die neuen kirchlichen Bewegungen wie zum Beispiel die Fokolare eine Inspiration sein. Frauen können auch kirchlichen Gerichten und in der römischen Kurie eingesetzt werden. Wichtig ist, dass man tut, was kirchenrechtlich möglich ist und im Rahmen der kirchlichen Lehre bleibt. Der Glaubenssinn aller Gläubigen ist ein wesentliches Merkmal der Kirche, lehrt das Zweite Vatikanische Konzil (Lumen Gentium 14). Das Konzil erwähnt hier sowohl die Führung durch den Heiligen Geist, die Einheit mit dem Lehramt und die Treue zum überlieferten Glauben. Das Lehramt von Papst und Bischöfen wird in Lumen Gentium 25 näher erläutert. Durch ihren Dienst wird die Einheit des Glaubens bewahrt.
Sie sagten eben, die jungen Menschen gingen zurück zu den Wurzeln des Glaubens. Welche Themen beschäftigen die jungen Menschen?
Das ist sehr unterschiedlich: Unter den Jugendlichen sind die Charismen, Berufungen und Interessen so breit gefächert wie in der ganzen Kirche: Es gibt Jugendliche, die sich dafür einsetzen, andere Jugendliche zusammenzubringen und mit ihnen den Glauben und die Freundschaft zu teilen, es gibt solche, die sich für die Armen einsetzen, zum Beispiel bei Sant’ Egidio. Es gibt solche, die sich für die Liturgie interessieren, oft in klassischer Form, oder denen die Vertiefung und Glaubensbildung besonders am Herzen liegt.
Ich hatte neulich ein Gespräch mit einer Oma aus unserer Pfarrei, die erzählte, dass sie nichts davon halten würde, wenn die heilige Messe unter der Woche manchmal etwas traditioneller gefeiert würde, aber ihr Enkel, der fand das wunderbar! Also einerseits hat sie ein bisschen darüber gemeckert. Auf der anderen Seite fühlte ich, dass die Oma eigentlich auch schön findet, dass die Messe ihren Enkel so beschäftigt. Der heilige Geist arbeitet.
Das ist ermutigend. In Deutschland hat man eher das Gefühl, dass wir mehr diskutieren und gegeneinander arbeiten als den heiligen Geist machen zu lassen.
Das haben wir in den Niederlanden auch erlebt, dass es mehr Diskutier-Clubs gab, der Glauben war keine Grundlage mehr für das Leben der Menschen. In den 60er Jahren wurde hier sogar der Katechismus abgeschafft (und für Erwachsene der Holländische Katechismus, “De Nieuwe Katechismus” eingeführt, Anm. der Red.). Schüler, die bis dahin jeden Morgen in der Schule Katechesen bekamen, wussten bald nichts mehr über den katholischen Glauben. Es entstand eine Bildungslücke. Die Säkularisierung der Wohlfahrtsgesellschaft verstärkte diesen Trend. Es muss uns nicht wundern, dass die Niederlanden so säkular geworden sind.
Sie sind Referent für katholisches Bildungswesen und Delegierter der Bischöfe für die Akkreditierungsaufgaben von Bildungseinrichtungen des niederländischen katholischen Schulrates (Nederlandse katholieke Schoolraad, NSKR). Inwieweit gelingt es heute, katholische Katechese in den Schulen voranzubringen, um den Glauben zu stärken?
Die Bischöfe haben in den 60er Jahren verordnet, dass alle katholischen Schulen, die meist von religiösen Orden und Pfarreien geleitet wurden, in unabhängige Hand von Laienvereinigungen gegeben werden. Seitdem sind katholische Schulen nicht mehr in katholischer Trägerschaft. Das hat Spuren hinterlassen. Was wir jetzt tun können, ist, ein paar Bedingungen an die Katholizität einer Schule zu stellen. Zudem können wir versuchen, katholische Schulen zu unterstützen und in ihrer katholischen Identität zu stärken. Wir achten mehr darauf, dass es in jedem Bistum einen Delegierten für das katholische Bildungswesen gibt, der mit Schulen in Kontakt steht und sie ermutigt oder Katechesematerial zur Verfügung stellt. Zur Zeit geben wir regelmäßig Briefe über die katholischen Identität von Schulen heraus und laden zu Einkehrtagen ein.
Können Sie schon Früchte sehen?
Langsam sehen wir, dass das mehr und mehr angenommen und unser Material genutzt wird, aber die Situation ist hier, das muss ich schon sagen, sehr säkularisiert. Wir geben aber unser Bestes und unterstützen sie, damit sie ihre katholische Identität leben können.
Seit einigen Jahren entstehen in den Niederlanden missionarische Gemeinden. Wie sind diese entstanden, was sind missionarische Gemeinden und was sind die Früchte bis jetzt?
Die Idee dazu kommt aus dem Bistum Breda und hat dann das ganze Land erfasst. Hinter der Idee stehen die Bücher von James Mallon über die “Divine Renovation”. Es gab Treffen auf Landesebene, in denen Pfarreien ermutigt wurden, das Konzept in die Tat umzusetzen. Hier im Bistum Haarlem-Amsterdam geschieht dies an verschiedenen Orten. Wir haben dabei unseren Fokus auf die Jugend- und Familienpastoral gelegt. Dank Geldern aus Fonds konnten wir dafür eine Stelle ausschreiben. Ein Ehepaar ist für die Familien zuständig. Es bietet beispielsweise an zehn Orten im Bistum monatlich einen Familientag mit Katechese, Begegnung, Essen, Spielen, Programm für die Glaubensbildung und Gebet an. So sollen Familien unterstützt werden auf ihrem Glaubensweg.
Kann man von einer Trendwende sprechen?
Die Atmosphäre hat sich jedenfalls sehr stark verändert. Vor 30 Jahren war sie noch geprägt durch Diskussionen, Gegensätze, keine Priester haben wollen, Laien wollten an den Drücker. Das bedeutete aber, dass niemand zum Glauben kommt, weil man durchs Diskutieren den Glauben nicht weckt. Glauben spielt sich auf einem anderen Niveau ab. Jedenfalls ist das Klima jetzt ganz anders, auch in den Pfarreien hat es sich sehr verbessert. Und unter den Priestern herrscht viel größere Einheit.
Hier spaltet sich die Kirche auch in einem Punkt: LGBTQ. Neulich wurde in den Medien, auch in den Niederlanden, viel Kritik an der Eröffnungszeremonie und der Durchführung der Olympischen Spiele geäußert. Wie steht es mit Ideologien in der Kirche in den Niederlanden und wie gehen Sie generell mit diesem Problem um?
Wenn man hier abends durch die Programme zappt, geht es tatsächlich fast jeden Abend um Dragqueens, Lesben, Homo, Queer, Trans etc. In den Städten sieht man überall die Regenbogenflaggen. Die Gaypride-Woche in Amsterdam hat heuer zwei Wochen gedauert und soll nächstes Jahr auf vier Wochen ausgedehnt werden. Da wird ein enormer Druck ausgeübt. Es wirkt so, als gäbe es in der Welt kein wichtigeres Thema als dieses. Zugleich wurden bei den letzten politischen Wahlen Parteien gewählt, die nicht so um diese Dinge kreisen, die Partei mit dem größten Widerstand gegen LGBTQ+ ist sogar stärkste Partei. In der Kirche spielt das Thema auch manchmal eine Rolle, allerdings eher marginal. Es gibt aber ab und zu Vor- bzw. Zwischenfälle wie neulich als ein Mann aktiv in der Homosexuellenbewegung Priester werden wollte oder es gab eine Agape-Feier mit Brot und Wein auf einem Homo-Monument.
Wie wird die Kirche – in den Niederlanden, aber auch weltweit – in 10 Jahren aussehen. Sehen Sie Möglichkeiten für eine echte Erneuerung? Was sind Ihre Wünsche für die Kirche?
Mein Wunsch ist, dass die Kirche immer wieder zu ihren Glaubenswurzeln zurückkehrt und dass wir offen sind für das, was der heilige Geist der Kirche sagen will. Dabei dürfen wir uns nicht vom Zeitgeist leiten lassen, sondern müssen uns im Gegenteil gerade vom Zeitgeist abwenden zum heiligen Geist und gut unterscheiden. Christus ist für den Sünder gekommen. Wir sind in seinen Erlösungsplan aufgenommen, weil wir Sünder sind. Es geht nicht darum zu sagen, dass jemand in der Kirche besser ist als ein anderer. Wir müssen jeden Einzelnen annehmen, wie er ist. Zugleich ist jeder gerufen, den Weg der Bekehrung und Erneuerung zu gehen und sich dabei vom Geist Gottes leiten zu lassen und im Glauben zu wachsen.
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