Gegen ideologische Kopfstände – Gesellschaft in Schieflage

Am Vorabend eines drohenden multiplen gesellschaftlichen und politischen Organversagens hilft nur eine Besinnung auf Werte und Tugenden

Quelle

13.10.2023

Baron Vinzenz von Stimpfl-Abele

Wir leben in einer wirren und für viele verwirrenden Zeit, in der Unsicherheit und Verunsicherung wachsen. Wer hätte es vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass Europa durch Krieg und Krisen geprägt und gebeutelt sein würde? Wer hätte gedacht, dass die Politik tragende christlich-europäische Werte immer mehr, ja fast systematisch in Frage stellen würde? Wer hätte angenommen, dass unsere Gesellschaft sich in beängstigendem Tempo polarisiert und radikalisiert? Irgendwie kann man sich des Gefühls nicht erwehren, am Vorabend eines multiplen gesellschaftlichen und politischen Organversagens zu stehen.

Um in dieser Auseinandersetzung erfolgreich zu sein, bedarf es der Anständigkeit, die definiert wird durch Ehre, Pflichtbewusstsein und Verantwortung. In einer Zeit, in der sich eine massive gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise unübersehbar drohend zusammenbraut, diskutieren und etablieren wir die sogenannte “Work-Life-Balance”. Es ist doch absurd und brandgefährlich, dass wir in einer Situation, in der uns wohl nur eine Rückbesinnung auf den Leistungsgedanken vom Abgrund wegbringen kann, an dessen Kante wir schon stehen, lieber einem Trend folgen, in dem sich Arbeit und Leben als Gegenpole gegenüberstehen, so als ob Arbeit das Gegenteil von Leben wäre. Was wir suchen sollten, ist die Balance zwischen individuellen Rechten und Pflichten, statt unter der Verkleidung eines falschen Freiheitsbegriffs ein egozentriertes Weltbild zu propagieren.

Eine digitale Bühne der Eitelkeit

Die Saat der Leistungsfeindlichkeit wird zudem immer früher ausgebracht und zeitigt entsprechend skurrile Früchte: In manchen Schulen wird im Sportunterricht das Wählen von Mannschaften abgeschafft. Begründung: Für die Kinder, die zuletzt gewählt würden, wäre das traumatisierend. Dazu passt, dass in mehreren europäischen Ländern der Druck wächst, auf Schulnoten zu verzichten. In Deutschland fordert “Die Linke” sogar, Hausübungen abzuschaffen. Bereiten wir so die Jugend auf das Leben und Europa auf die Zukunft vor?

Niemanden zurückzulassen, ist für eine Gesellschaft im Allgemeinen und gerade in Bezug auf Kinder wichtig. Aber wenn es zur Doktrin wird, zu versuchen, Unterschiede einfach durch ein Nivellieren nach unten auszuradieren, dann schwächt eine Gesellschaft ihre Leistungsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und Resilienz, wodurch sie die eigene Zukunft ernsthaft gefährdet. Besonders schlimm ist, dass diese Trends von Politikern, Journalisten und Influencern auch noch befeuert werden!

Apropos “Influencer”: Hatte die Weisheit früher in den meisten Kulturen einen besonderen Stellenwert und damit jene Kombination aus Intelligenz, Wissen, Erfahrung und Reflexionsfähigkeit, die Weisheit in ihrem Kern ausmacht, so hat das Pendel heute in maximaler Amplitude auf die Gegenseite ausgeschlagen. Heute folgt man jungen selbsternannten Trendsettern und diese verdienen in vielen Fällen nicht nur gutes Geld daran, sondern beeinflussen Wirtschaft, Medien und – was noch viel problematischer ist – unsere Jugend. Ich will hier keinesfalls verallgemeinern: Es gibt definitiv auch Influencer, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich um sinnvolle Inhalte bemühen, aber in den meisten Fällen geht es leider nicht um Substanz oder Werte, sondern ums Geschäft. Um eine digitale Bühne der Eitelkeit. Das Phänomen der Influencer ist mehr als eine Modeerscheinung, nämlich Ergebnis und Ausdruck des rapiden Respekt- und damit Bedeutungsverlusts von Elementen, die unsere Gesellschaft eigentlich zusammenhalten sollten, vor allem von Familie und Kirchen. Die sich dadurch ergebende klaffende Lücke nützen die Influencer, die sich tief in allen Lebensbereichen einnisten. Es ist ein Alarmsignal, wenn in einer Gesellschaft tragende Institutionen in Frage gestellt werden, man aber adoleszenten Götzen nachläuft! Da ist etwas in Schieflage geraten.

In unserer Gesellschaft ist so einiges in Schieflage

Wenn man die Klassiker der Jugendliteratur von Karl May bis “Räuber Hotzenplotz” nach Kriterien der sogenannten “political correctness” zensiert und aktuell auch noch aus Schneewittchen ein SchneeWOKEchen machen will, weil der Kuss des Prinzen ohne vorherige Zustimmung erfolgte, wenn man das Symbol des Kreuzes in der Gesellschaft zurückdrängen, wenn man Worte wie Heimat, Vater, Mutter aus unserem Sprachgebrauch verdrängen will, wenn die Sekte der Klimakleber Städte, ja Staaten in Geiselhaft nimmt, wenn gesellschaftlicher Diskurs immer schwieriger wird, weil gerade jene, die am lautesten nach Toleranz schreien, Andersdenkenden gegenüber gnadenlos intolerant sind, wenn auch konstruktive Islam-Kritik oftmals mit lautem Aufschrei in das Eck der Islam-Feindlichkeit gedrängt wird, man aber die christlichen Kirchen jederzeit angreifen kann, wenn man auf die Bildungskrise mit einer Verbildungsoffensive reagiert, dann wird klar, dass unsere Gesellschaft mehr Anstand und weniger ideologischen Kopfstand braucht.

Dann müssen wir erkennen, dass in unserer Gesellschaft so einiges in Schieflage geraten ist und so manches schiefläuft. Dann müssen wir dagegen kämpfen, dass mithilfe von Randthemen die zentrale Substanz unserer christlich-abendländischen Werte ausgehöhlt wird, dass aus dem an sich so wichtigen Schutz von Minderheiten nicht ein Ignorieren der Mehrheiten wird.

Der Autor ist Prokurator des Sankt- Georgs-Ordens, eines europäischen Ordens des Hauses Habsburg-Lothringen.

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