Bischof Irynej Bilyk
Ukrainischer Bischof über die Bedeutung der Kirche im Krieg – “Beten und Handeln gehören zusammen”
Quelle
Ukrainischer Bischof nennt Kyrills Verhalten eine Tragödie – DOMRADIO.DE
Bischof Irynej Bilyk, OSBM (canonic.org.ua)
Santa Maria Maggiore
Wie geht es ukrainischen Geflüchteten in der Schweiz? – Echo der Zeit – SRF
Judith Huber: Zwei Jahre Krieg in der Ukraine – Tagesgespräch – SRF
Ukrainischer Bischof über die Bedeutung der Kirche im Krieg – “Beten und Handeln gehören zusammen”
Bei einem privaten Besuch in Deutschland hat Bischof Irynej Bilyk aus Rom über das Leid seiner Landsleute in der Ukraine gesprochen. Die Welt dürfe in ihrer Solidarität nicht nachlassen, bat er. Frieden gebe es nur mit Gerechtigkeit.
Domradio.de: In Rom hat schon immer eine große ukrainische Exilgemeinde gelebt, die seit den russischen Angriffen auf die Ukraine und den daraus resultierenden Fluchtbewegungen noch größer geworden ist. In Santa Maria Maggiore feiern Sie regelmäßig Messen mit den Geflüchteten und für den Frieden. Was hören Sie aus der Heimat? Sind Sie mit den Menschen dort in Kontakt?
Bischof Irynej Bilyk (Ehemaliger Bischof von Butschatsch/ Ukraine und seit 2007 Kanoniker an der römischen Basilika Santa Maria Maggiore): Ich telefoniere täglich in die Ukraine. Daher weiß ich, dass die Menschen dort vor allem von der Hoffnung leben, eines Tages diesen Krieg gegen den Aggressor Russland zu gewinnen. Sie sind weder panisch noch pessimistisch. Auch wenn mein Volk sehr leidet, hat es großes Gottvertrauen und hofft auf Frieden. Die Ukrainer sind sehr gläubig und die Kirchen voll, seit Kriegsbeginn sogar übervoll. Gerade unter den Soldaten gibt es kaum jemanden, der nicht an Gott glaubt. Viele sprechen darüber, gerade wenn sie wie durch ein Wunder die schrecklichen Bomben- und Raketenangriffe überleben. Das ist schließlich wie ein Kampf zwischen David und Goliath.
Domradio.de: Die ukrainische Gemeinde innerhalb Roms ist an Santa Maria Maggiore angesiedelt. Wie erleben Sie die Menschen dort?
Bilyk: Natürlich bekomme ich das ganze Ausmaß des Krieges in allen seinen Facetten mit: die Sorgen und Ängste der Ukrainerinnen und Ukrainer um die in der Heimat Zurückgelassenen oder auch die Traumata derer, die nach Italien vor der Zerstörung und Brutalität der Kämpfe geflüchtet sind. In Rom haben wir allein vier Schwerpunktgemeinden mit ukrainischen Geflüchteten. In Santa Maria Maggiore feiern wir jeden Sonntag in einer Seitenkapelle die heilige Messe zusammen. Als Seelsorger bin ich zurzeit sehr gefragt, auch um Menschen zu besuchen oder zu segnen – wenn ich allein an die vielen verletzten Kinder denke, die Opfer des Krieges geworden sind und im römischen Krankenhaus “Bambino Gesù” behandelt werden.
Seit Ausbruch des Krieges wurden hier etwa 1.600 Kinder behandelt, wobei die meisten von ihnen die Möglichkeit erhalten, mit ihren Familien in passenden Unterkünften zu leben, die vom Krankenhaus betrieben werden, oder in Unterkünften, die von anderen Wohltätigkeitsorganisationen bereitgestellt werden. Hier wird umfassend Hilfe geleistet: auch Kleidung und Essen oder Windeln für Kinder werden von “Bambino Gesù” zur Verfügung gestellt. Es gibt Ansprechpartner für die ausländischen Patienten der Klinik, meist Freiwillige, die hier helfen, sich um die kleinen Patienten und ihre Familien zu kümmern.
Natürlich sind viele Kinder auch traumatisiert und benötigen psychologische Hilfen, um kriegsbedingte Schockzustände und Blockaden wieder zu lösen. Für die meisten ist das zuhause Erlebte unvergesslich, und es wird noch lange dauern, bis diese Wunden heilen. Sogar der Papst hat die Klinik schon besucht und stand am Krankenbett von Kindern, die Arme oder Beine verloren haben. Rom hat sehr viele Geflüchtete aufgenommen und hilft auf allen Ebenen.
Domradio.de: Welche Bedeutung kommt der ukrainischen Kirche in diesem Krieg zu?
Bilyk: Die mit Rom unierte ukrainische griechisch-katholische Kirche ist nach den orthodoxen Kirchen die drittgrößte Kirche des Landes. Ihr gehören etwa fünf Millionen Ukrainer an, eine weitere Million von Gläubigen lebt im Ausland und ist über viele Länder verstreut. Etwa zehn Prozent der Ukrainer bekennen sich zu ihrer Kirche, wobei der Anteil in der Westukraine deutlich höher ist als in den übrigen Landesteilen. In der historischen Region Galizien, in der sich auch das Erzbistum Ivano-Frankivsk befindet, ist die griechisch-katholische Kirche die größte Religionsgemeinschaft.
Was die Situation in Italien angeht, ist es so, dass es vor dem Krieg rund 150 ukrainische Gemeinden – davon wie gesagt allein vier in Rom – gab, weil in den letzten Jahren vermehrt die Arbeitsmigration zugenommen hat. Inzwischen sind noch 25 zusätzliche Gemeinden dazu gekommen. Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass der Krieg die Menschen noch gläubiger gemacht hat, weil sie erleben, dass sie es alleine – ohne ihren Glauben, ihre religiöse Überzeugung – nicht schaffen können, sie auf Gottes Hilfe und Beistand in dieser Ausnahmesituation angewiesen sind. Hinzu kommt, dass die Kirchen seit dem 24. Februar 2022 für viele verzweifelte Menschen – im doppelten Wortsinn – der letzte Zufluchtsort geworden sind und diese auch von anderen Konfessionen heimgesucht werden.
Mittlerweile kommt der Kirche nicht nur eine rein seelsorgliche Bedeutung zu, sondern auch eine materielle. So werden in manchen Kirchen auch Mahlzeiten für Bedürftige ausgegeben, weil viele alles verloren haben und sie sich die Dinge des täglichen Bedarfs nicht mehr so ohne weiteres leisten können. Dem gegenüber steht, dass in einigen von Russland besetzten Regionen – zum Beispiel in Donezk, Luhansk und Teilen der Region Saporischschja – alle katholischen Priester verhaftet und ausgewiesen worden sind oder an der Ausübung ihrer Arbeit massiv gehindert werden.
Domradio.de Santa Maria Maggiore ist die größte Marienkirche Roms und gleichzeitig eine der vier Papstbasiliken, in der sich Papst Franziskus regelmäßig – gerade vor großen anstehenden Reisen – zum Gebet aufhält. Welche konkrete Hilfe kommt denn aus dem Vatikan?
Bilyk: Der Heilige Vater lässt keine Chance ungenutzt, um die Menschen weltweit zum Gebet für die Ukraine und die Menschen, die dort Furchtbares erleben, aufzurufen und das ukrainische Volk immer wieder seiner Solidarität zu versichern. Das tut er regelmäßig bei der Mittwochaudienz oder am Sonntagmittag beim Angelus. Dabei betont er stets, dass das Gebet für die Wiedererlangung des Friedens unverzichtbar sei. Außerdem war Präsident Selenskyj während seiner Reise nach Westeuropa vor wenigen Wochen auch zu einer Privataudienz in den Vatikan eingeladen, bei der es unter anderem darum ging, wie eine Friedensmission aussehen und welche Vermittlerrolle dabei der Papst einnehmen könnte. Franziskus und sein Chefdiplomat Kardinal Pietro Parolin haben seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine mehrere Male die Bereitschaft zu einer diplomatischen Vermittlung durch den Heiligen Stuhl erklärt.
Domradio.de: Sie selbst kennen aus eigener Erfahrung, wenn die Kirche zum Hoffnungsanker im eigenen Leben wird. Sie mussten Ihr Theologiestudium heimlich absolvieren und hatten als junger Erwachsener immer wieder persönliche Repressalien durch das sowjetische Regime zu befürchten, wurden nach dem Abitur in die Armee einberufen, um an einem Studium gehindert zu werden, und wurden schließlich nach einem abgeschlossenen Physik- und einem Theologiestudium 1978 im Untergrund geweiht. Auch die Bischofsweihe 1989 erlebten Sie als letzter Bischof, der in der Sowjetunion überhaupt noch geweiht wurde, im Untergrund. Wie schauen Sie mit einem solchen Erfahrungshorizont auf diesen Krieg?
Bilyk: Stalin war ein erbitterter Feind der katholischen Kirche. Auf seinen Erlass hin verbot der KGB 1946 die katholische Kirche. Doch trotz dieses Verbotes, das bis 1989 galt, gibt es sie noch – sowohl in der Ukraine als auch in Russland im Untergrund und in allen nach 1991 selbstständig gewordenen ehemaligen Republiken der alten Sowjetunion: Gläubige der römisch-katholischen Kirche, auch wenn die Gotteshäuser und Klöster der griechisch-katholischen Kirche damals geschlossen und deren Geistliche verhaftet wurden, nach Sibirien verbannt, getötet oder gezwungen wurden, sich der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats anzuschließen. Wer eine Priesterausbildung anstrebte, wurde daran gehindert. Wenn Eltern ihre Kinder mit in die Kirche nahmen, drohte man ihnen, die Kinder wegzunehmen.
Diese Verfolgung dauerte bis zur Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1991 an und betraf auch mich. Auch wenn man glaubte, die Kirche zerschlagen und aufgelöst zu haben, hatte sich längst Widerstand formiert, so dass die Katholiken in den Untergrund gingen und ihre Messen nachts feierten. Statt Hostien verwendeten wir einfaches Brot, und Wein wurde als Medizin getarnt. Doch die Angst, von KGB-Agenten entdeckt zu werden, lief immer mit. Jeden Moment konnte man erwischt werden. Später hat Papst Johannes Paul II. dann einmal alle Bischöfe aus dem Untergrund nach Rom eingeladen. Erst Gorbatschow holte sich die Erlaubnis ein, dass Priester wieder für die griechisch-orthodoxe Kirche tätig sein durften. Als er um Unterstützung für sein Umstrukturierungsprogramm warb, versprach er auch, dass Christen künftig als “Sowjetmenschen, Arbeiter und Patrioten” anerkannt werden würden. Daraufhin wurden die Kirchen wieder geöffnet.
“Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf die militärische und humanitäre Hilfe von außen angewiesen. Die Wahrheit ist, dass Russland die Ukraine überfallen hat, auch wenn die russischen Propagandamaschinen etwas anderes verbreiten.”
Ja, das, was gerade geschieht, ist grausam. Und wir dürfen diese Menschen nicht allein lassen, auch wenn wir uns außerhalb der Ukraine längst an diesen Krieg gewöhnt haben. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf die militärische und humanitäre Hilfe von außen angewiesen. Die Wahrheit ist, dass Russland die Ukraine überfallen hat, auch wenn die russischen Propagandamaschinen etwas anderes verbreiten. Und wir dürfen in unserer Solidarität – auch mit unserem Gebet – nicht nachlassen. Beten und Handeln gehören zusammen. Das hat schon der Apostel Jakobus gesagt: Beten – vor allem auch in Gemeinschaft – ist wichtig, aber ein Glaube ohne Werke ist nutzlos und tot.
Domradio.de: Haben Sie die Ukraine seit Kriegsausbruch schon besucht?
Bilyk: Im Februar war ich im Westen der Ukraine in Drohobych in der Oblast von Lwiw und habe vier junge Männer zu Priestern geweiht. Das ist etwa 100 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Während der Zeremonie gab es Raketeneinschläge und auch sonst jeden Tag Luftalarm. Da spürt man, was es heißt, Angst zu haben. Bis heute zucke ich zusammen, wenn ich nur die Sirene eines Krankenwagens höre. Man wusste ja nie, wo die Geschosse einschlagen. Ich habe erlebt, wie sich die Kinder in ihrer Panik unter den Betten versteckt haben. Für jemanden, der gerade erst zum Priester geweiht wurde, ist das eine große Glaubensprüfung unter Ausnahmebedingungen. Und trotzdem beweisen diese jungen Seelsorger großen Mut, indem sie bei den Menschen bleiben. Und meine nächste Reise steht bereits für Juni fest – wieder zu einer Priesterweihe. Außerdem bringe ich wiederholt Reliquien in die Ukraine. Denn die Reliquienverehrung hat in der Ukraine einen hohen Stellenwert und hilft den Menschen in ihrem Glauben.
Domradio.de: Was können wir tun, die wir seit über 15 Monate ohnmächtig diesem Krieg zuschauen, dessen Gewaltspirale sich durch immer mehr Waffenlieferungen höher und höher schaukelt?
Bilyk: Wir können uns mit unserem Gebet an die Seite der Frauen, Männer und Kinder stellen, denen in diesem Krieg großes Leid zugefügt wird, und dafür beten, dass der Schlange, wie es in der Bibel steht, ihr Kopf abgeschlagen wird. Freiheit für mein Volk und einen Frieden, wie wir ihn uns für unser Land wünschen, kann es jedenfalls nur mit Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit geben.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.
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