Syrien ist ein Treffpunkt der Kulturen

Was in Syrien seit 2011 untergeht, ist für europäische Christen nichts Fremdes, sondern eine Wiege der eigenen Zivilisation

Quelle
Kloster Unserer Lieben Frau von Saidnaya – Wikipedia
Syrien

12.01.2024

Stephan Baier

Syrien hat viele Schichten, und nirgendwo ist das besser erlebbar als in der prachtvollen Omajjaden-Moschee im Zentrum der Altstadt von Damaskus. Wenn hier sunnitische und schiitische Pilger, letztere oft laut wehklagend, am Schrein Johannes des Täufers beten, erinnert das nicht bloß daran, dass der Täufer von Christen wie von Muslimen als Prophet verehrt wird. Hier, wo in der römischen Antike ein Jupiter-Tempel stand, beteten über Jahrhunderte die Christen dieses Landes. Als die arabischen Truppen unter Khaled bin Al-Walid Damaskus im Jahr 634 eroberten, mussten sie das Osttor mit Gewalt nehmen, während ihnen die belagerten Christen das Westtor öffneten. Daraufhin erklärte der Kalif die östliche Hälfte der Johannes-Basilika zur Moschee, während der Westteil weiter als Kirche genutzt werden durfte. 72 Jahre währte diese religiöse Koexistenz.

Das moderne Syrien zeigte sich lange stolz darauf, eine Heimat aller “himmlischen Religionen” zu sein, womit neben dem Islam das Judentum und das Christentum gemeint sind. Vor dem blutigen Krieg, in den der sogenannte “Arabische Frühling” das kulturell vielschichtige Syrien stürzte, gab es ein friedliches Nebeneinander von Christen und Muslimen auf vielen Ebenen. Manchmal auch ein buntes Miteinander, etwa wenn Souvenirhändler in der Altstadt von Damaskus christliche Rosenkränze und muslimische Gebetsketten, Broschüren über den Apostel Paulus wie über den islamischen Helden Saladin verkauften. Als “Symphonie mit sehr viel Harmonie” und als “Treffpunkt der Kulturen” bezeichnete der frühere melkitische Patriarch Gregorios III. Laham seine Heimat gerne.

Bunte, traditionsreiche konfessionelle Vielfalt

Vor 2011 waren etwa 1,7 von gut 20 Millionen Einwohnern Syriens Christen. Und das in einer bunten und traditionsreichen konfessionellen Vielfalt: Da gab es griechisch-orthodoxe, syrisch-orthodoxe und armenisch-apostolische Christen, zudem Katholiken des syrischen, melkitischen, armenischen, chaldäischen und lateinischen Ritus. Nicht nur die Bekehrung des Paulus vor den Toren von Damaskus, seine Heilung und Taufe durch Hananias, den die ostkirchliche Tradition als ersten Bischof von Damaskus verehrt, sondern auch der von Kaiser Justinian nach einer Marienerscheinung gegründete Wallfahrtsort Saydnaya und die Christen-Hochburg Maalula verbinden die Konfessionen.

An einer Harmonie der Religionen und einem Schutz der christlichen Minderheiten war aber auch das Assad-Regime pragmatisch durchaus interessiert. Denn der seit 2000 amtierende Präsident Bashar al-Assad und sein zuvor drei Jahrzehnte herrschender Amtsvorgänger und Vater, Hafiz al-Assad, gehören selbst einer religiösen Minderheit an, der schiitischen Splittergruppe der Alawiten. Kein Wunder, dass sie in den konfessionellen Minderheiten eher eine Stütze ihrer Herrschaft sahen, in der sunnitischen Mehrheit dagegen eine potenzielle Bedrohung. Nicht ein buntes christliches Glaubensleben, sondern eine Radikalisierung der Sunniten aus dem Geist des Salafismus schien ihnen – mit Recht, wie sich zeigte – eine Gefahr zu sein.

Wirtschaftssanktionen nehmen Syrien die Luft zum Atmen

Was in Syrien seit 2011 untergeht, ist für europäische Christen nichts Fremdes, sondern eine Wiege der eigenen Zivilisation. Damaskus und Aleppo gehören nicht nur zu den ältesten durchgehend besiedelten Städten der Welt, sondern auch zu den Metropolen mit der ältesten christlichen Tradition. Für geschichtsbewusste Muslime ist Damaskus nicht bloß die “Perle des Morgenlands”, sondern – nach Mekka, Medina und Jerusalem die viertheiligste Stadt des Islam. Christen wandeln hier auf den Spuren des Paulus und des Hananias. In Aleppo, das 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, gab es ein eigenes Christenviertel mit Kirchen von elf christlichen Konfessionen.

Der Krieg, der 2011 begann und alles andere als ein Bürgerkrieg war, tauchte Syrien in Blut und Tränen. Bis heute nehmen die westlichen Wirtschaftssanktionen dem Land die Luft zum Atmen. Wenn Assad trotz aller Entschlossenheit des Westens, der Türkei und Saudi Arabiens, ihn zu stürzen, sich an der Macht hielt, dann nur durch das Eingreifens Russlands und des Iran. Und so sind es nun tragischerweise Moskau und Teheran, die in Damaskus das Sagen haben.

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