Pizzaballa: Allen zuhören können, um mit allen reden zu können

Kann man auch mit Terroristen reden? Ja, sagt der Lateinische Patriarch von Jerusalem. In einem Interview mit der Zeitung “L’Osssevatore Romano” bekräftigt Kardinal Pierbattista Pizzaballa, dass man mit allen reden muss

Quelle

Mario Galgano – Vatikanstadt

“Wir reden mit allen”, antwortet der Kardinal von Jerusalem. Wenn es möglich wäre, sogar mit ihnen, fügt Pizzaballa hinzu und meint damit die Terroristen. Andererseits würde die ganze Geschichte Jesu keinen Sinn machen, wenn man nicht mit den Sündern reden müsste, erklärt der Patriarch von Jerusalem. “Seid klar mit allen, aber redet mit allen”, wiederholt er in dem Interview mit der Vatikanzeitung.

Man kann jeden hier und jetzt lieben

“Man muss alle lieben”, erklärt Pizzaballa. “Das ist die große Herausforderung, die wir als Christen hier haben”, sagt er über die Rolle der Christen im Heiligen Land. Christen müssten fähig sein, den Juden und den Muslim, den Israeli und den Palästinenser zu lieben. “Auch wenn sie unsere Liebe nicht anerkennen.”

Einheit der Christen im Heiligen Land wiederherstellen

Die Christen im Heiligen Land seien nicht gespalten. “Verwirrt ja, müde, aber nicht gespalten”, so Pizzaballa. Verwirrt, weil der emotionale Einfluss, auch sie betroffen habe. “Zum Beispiel hat die hebräischsprachige Gemeinschaft auf den ersten Brief der Patriarchen des Heiligen Landes schlecht reagiert, und die arabische Gemeinschaft kann in anderer Hinsicht dasselbe sagen”, erläutert der Kardinal. Für ihn sei das Wichtigste, dass die Gläubigen gesehen hätten, dass ihr Bischof da sei. “Der Bischof mag manchmal gemocht werden und manchmal nicht, aber er ist da”, wiederholt er. Danach würden sie miteinander reden müssen, sich gegenseitig verstehen. Das werde nicht leicht sein, aber sie würden es schaffen, ist er zuversichtlich. Genauso wie es allgemein in den Gesellschaften, die diese Länder bewohnen, getan werden müsse.

Und dann werde diese kleine christliche Gemeinschaft in der Lage sein müssen, allen etwas zu sagen. “Aber jetzt ist es noch zu früh, denn es gibt noch so viel Schmerz, und wenn es Schmerz gibt, wird der Raum für Analyse und Reflexion enger”, erläutert Patriarch Pizzaballa. Trauer absorbiere viel Energie, also werde es Zeit brauchen. “Eine Sache, die mir in diesen Tagen klar geworden ist – und vielleicht bin ich in dieser Hinsicht ein wenig schwach – ist, dass es ein großes Bedürfnis nach Nähe, nach Zuneigung gibt”, fügt er an. Er wurde schon gefragt, ob er die Christen im Heiligen Land liebe. “Das ist wichtig, das sollte nicht unterschätzt werden.”

“Die größte und tröstlichste Nähe war natürlich die von Papst Franziskus…”

Was ihn selber betreffe, so sei ein gewisses Maß an Einsamkeit notwendig und auch gewinnbringend, wenn man eine Verantwortung trage. “Und man muss dies auch wertschätzen”, so Pizzaballa. “Die größte und tröstlichste Nähe war natürlich die von Papst Franziskus, der mich sogar vor ein paar Tagen zurückgerufen hat. Ich möchte noch etwas zur Ausrichtung unserer christlichen Gemeinschaft hinzufügen”, sagt der Patriarch von Jerusalem und erläutert:

“Sicherlich schmerzt mich die Polarisierung, von der die Christen betroffen sind, aber schließlich sind die Gläubigen Menschen wie alle anderen auch, und wie alle anderen leben sie auch von Gefühlen. Wenn etwas Ähnliches in Italien, Spanien oder Frankreich geschehen wäre, hätten die Christen dann anders reagiert?”

Und dann böte diese Tragödie auch, “wenn man so sagen darf”, eine Gelegenheit, die eigene Identität zu überdenken. Er habe kürzlich einen Anruf bekommen, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass die Kurse zur geistlichen Orientierung, die sie in den Räumlichkeiten des Seminars in Beit Jala angeboten hätten, mit Anmeldungen überhäuft würden: “Es besteht ein großer Bedarf an einem Wort der Nähe und der Erklärung der Lage.”

osservatore romano, 8. November 2023

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