Im Feuer des Zweifels geläutert

Interview mit C.S:-Lewis-Spezialisten – Dass der Autor der “Chroniken von Narnia” mit der Sorge um seine Freiheit an die Gottesfrage heranging, macht ihn zu einem wichtigen Gesprächspartner in der heutigen Autonomiedebatte, meint C.S.-Lewis-Spezialist Norbert Feinendegen

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Apostel der Skeptiker: C. S. Lewis als christlicher Denker der Moderne : Feinendegen, Norbert: Amazon.de: Bücher (2)
C.S.Lewis
Die Chroniken von Narnia

19.11.2023

Stefan Rehder

Herr Feinendegen, Sie haben Physik, Philosophie und Theologie studiert, zählen zu den besten C.S.-Lewis-Kennern, gehörten jahrelang dem Vorstand der deutschen “Inklings”-Gesellschaft an und haben sich mit sämtlichen Facetten von Lewis’ Leben und Werk befasst. Wer fasziniert Sie mehr: der Roman- und Fantasy-Schriftsteller, der Literaturwissenschaftler oder der Philosoph und Apologet C.S. Lewis?

Am stärksten fasziniert mich die Einheit dieser drei scheinbar separaten Autoren: Der C.S. Lewis, der die Romane und Fantasy-Geschichten schrieb, ist unverkennbar derselbe, der sich als Literaturwissenschaftler äußerte und als Philosoph und Apologet in Erscheinung trat. Dabei schimmert seine im Feuer des neuzeitlichen Gotteszweifels geläuterte christliche Philosophie auch in seinem literarischen Werk und seiner Literaturwissenschaft überall durch und verleiht beidem eine bleibende Relevanz. Insofern würde ich sagen, dass mich der Denker Lewis am meisten fasziniert.

2019 haben Sie mit “Durchblicke” deutschsprachigen Lesern bisher nur auf Englisch veröffentlichte Texte zugänglich gemacht, in denen Lewis sich zu Fragen des Glaubens, der Kultur und Literatur äußert. Nun haben Sie mit “Überrascht von Gott” ein neues Buch vorgelegt, in dem Sie Lewis Bekehrung zum christlichen Glauben nachzeichnen. Man könnte meinen, dazu müsse längst alles gesagt sein. Es gibt nicht nur etliche Biografien Lewis’. In “Surprised by Joy” (dt.: “Überrascht von Freude”) hat er sich auch selbst dazu verbreitet.

Es war die Entdeckung, dass über Lewis Weg zum Glauben noch nicht alles gesagt ist, die mich veranlasst hat, das Buch zu schreiben. Viele Quellen zur ersten Hälfte von Lewis’ Leben sind erst in den letzten Jahren zugänglich geworden und finden in den bisherigen Biografien so gut wie keine Berücksichtigung. Die Beschäftigung mit diesen Quellen hat mir klar gemacht, wie zutreffend Lewis’ Darstellung seiner spirituellen Entwicklung in “Surprised by Joy” ist, wie wenig sie aber bisher verstanden wurde.

Was betrachten Sie als Ihre wichtigste Entdeckung?

Lewis nennt seine Bekehrung oft eine nahezu rein intellektuelle Angelegenheit, und das stimmt in einer gewissen Weise auch. Was mich jedoch erstaunt hat, ist die Rolle, die seine Erfahrungen dabei gespielt haben. Im autobiografischen Fragment “Early Prose Joy” bezeichnet Lewis sich sogar als einen “empirischen Theisten”. Das bezieht sich in erster Linie auf seine Erfahrungen tiefer Sehnsucht und Freude (“Joy”), kaum weniger wichtig war aber die Erfahrung seines Gewissens. Letztlich waren es Erfahrungen von Schönheit, Güte und Heiligkeit, die Lewis antrieben, nach einer Weltsicht zu suchen, die das Erfahrene nicht leugnen muss, sondern verständlich machen kann. Als er diese Weltsicht gefunden hatte, war er – entgegen seiner erklärten Absicht! – beim Christentum. Ich glaube, viele Menschen, die sich nicht als Christen bezeichnen, machen auch heute solche Erfahrungen, bei denen man anknüpfen könnte und sollte.

“Letztlich waren es Erfahrungen von Schönheit, Güte und Heiligkeit, die Lewis antrieben, nach einer Weltsicht zu suchen, die das Erfahrene nicht leugnen muss, sondern verständlich machen kann”

In “Überrascht von Gott” zeigen Sie, wie sich Lewis nacheinander vom überzeugten Materialisten zum Realisten, Idealisten und Theisten wandelt, bevor er zum Glauben an Christus findet. Lewis habe, geprägt durch einen mitunter tyrannischen Vater und eine traumatische Schulerfahrung, schon früh eine profunde Aversion gegen “Einmischungen” in sein Leben entwickelt. Wie nachteilig hat sich dies auf seinen Weg ausgewirkt?

Ich denke nicht, dass sich diese Erfahrungen extremer Fremdbestimmung nur nachteilig auf Lewis’ Glaubensweg ausgewirkt haben. Sie hatten auf jeden Fall einen positiven Effekt: Sie ließen ihn den Wert der Freiheit entdecken. Diese Erfahrungen haben seine Anerkennung eines personalen Gottes allerdings erheblich verzögert: Das Letzte, was Lewis wollte, war, sich auch noch einer willkürlich und missbräuchlich agierenden kosmischen Autorität unterordnen zu müssen. Umso größer – und wichtiger – war seine Entdeckung, dass sich Freiheit und der Glaube an einen personalen Gott nicht ausschließen, sondern dass wir erst durch die Beziehung zu Gott wahrhaft frei werden. Diese Entdeckung spiegelt sich auch in Lewis’ Romanen. Die Figuren, die aus ihrem Vertrauen zu Gott heraus leben (z.B. Lucy und das Ehepaar Biber in Narnia), sind die freiesten von allen Geschöpfen: Sie sind am wenigsten durch ihre Ängste und Triebe geprägt und handeln wahrhaft selbstbestimmt. Dass Lewis ursprünglich mit der Sorge um seine Freiheit an die Gottesfrage heranging, macht ihn nach meiner Ansicht zu einem wichtigen Gesprächspartner auch in der heutigen Autonomiedebatte.

Zu den Menschen, die Lewis am meisten geprägt haben, gehörte Owen Barfield, der mitunter auch als der “erste und letzte Inkling” bezeichnet wird. Mit Barfield verband Lewis nicht nur eine besonders enge Freundschaft, sondern auch “The Great War”, wie beide ihre Auseinandersetzung nannten. Worum ging es in diesem “großen Krieg” genau?

Owen Barfield wurde 1923 ein Anhänger der Anthroposophie, jener seltsamen Mischung aus fernöstlicher Meditation, Okkultismus, esoterischer Weisheitslehre und Christentum. Was Lewis an dieser Lehre besonders abschreckte, war die Annahme, es gebe jenseits der materiellen Welt eine geistige Realität, die in die materielle Welt hineinwirken kann. Das wollte er auf keinen Fall. Lewis musste aber später zugeben, dass Barfield recht hatte – wenn auch nicht exakt in der von ihm behaupteten Weise. Der Gott des Christentums ist ein geschichtlich handelnder Gott: Er kann Wunder wirken, er wurde in Jesus Christus Mensch, und er spricht durch die Erfahrungen unseres Lebens zu uns.

Nachdem Lewis Theist wurde, macht er sich, wie Sie schreiben, auf die Suche nach der “wahren Religion”. Er befasst sich unter anderem mit dem Hinduismus und dem Judentum. Bei der Beschäftigung mit der Person Jesu und dem neuen Testament seien ihm seine literaturwissenschaftlichen Kenntnisse zu Hilfe gekommen. Können Sie skizzieren, wie Sie das meinen?

Lewis verfügte über eine breite Kenntnis der Literaturgeschichte, und er arbeitete als Anglist mit der historisch-kritischen Methode. Nach seiner Einschätzung sind die Evangelien definitiv keine Mythen oder Legenden, sondern berichten Dinge, die im Kern historisch stattgefunden haben. Da war er also anderer Ansicht als viele moderne Exegeten (aber ganz auf der Linie dessen, was Papst Benedikt XVI. in seinen Jesus-Büchern schreibt). Nahm man die Evangelien aber ernst als Quellen für die Persönlichkeit des historischen Jesus, so ergab sich ein Problem: Jesu Lehre zeugte von einer solchen Klarheit und Vollkommenheit, dass man ihn nur als einen der weisesten Menschen betrachten konnte, die je gelebt haben. Im scheinbaren Widerspruch dazu standen seine Aussagen über sich selbst: die Behauptung, er sei größer als Mose, er sei der letzte Richter aller menschlichen Angelegenheiten, er könne Sünden vergeben (ein Recht, das nach jüdischer Auffassung nur Gott selbst zukam). Lewis wurde klar, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder war dies die größte Hybris, die je über die Lippen eines Menschen gekommen war oder aber Jesus konnte diese Dinge sagen, weil sie stimmten – weil er der Mensch gewordene Gottessohn war.

“Nach seiner Einschätzung sind die Evangelien definitiv keine Mythen oder Legenden, sondern berichten Dinge, die im Kern historisch stattgefunden haben

Die Auseinandersetzung mit Lewis apologetischen Schriften hat viele Menschen geradewegs in die Arme der katholischen Kirche geführt. Lewis selbst konnte nicht nur Konvertiten wie G.K. Chesterton viel abgewinnen, sondern führte auch mit engen katholischen Freunden wie J.R.R. Tolkien lange und tiefe Gespräche über den Glauben. Er glaubte an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie, praktizierte die Ohrenbeichte, war von der Existenz des Fegefeuers als Ort der Reinigung überzeugt und lehnte entschieden die Priesterweihe von Frauen ab. Warum ist er eigentlich Anglikaner geblieben und hat selbst nie, wie die Anglikaner sagen, “den Tiber durchschwommen”?

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Viele Leute meinen, es seien die Vorurteile seiner protestantischen Kindheit gewesen, die Lewis davon abhielten, katholisch zu werden. Das glaube ich nicht. Lewis musste weit größere Vorurteile überwinden, um überhaupt Christ zu werden, und er wusste, wie stark die Erlebnisse seiner Kindheit noch sein Empfinden als Erwachsener prägten. Mir scheint, er tat sich schwer, das Vertrauen, das er schließlich zu Gott gefunden hatte, auch gegenüber der Institution Kirche aufzubringen. Angesichts der Erschütterungen, die die Katholische Kirche in den letzten Jahren erlebt hat, ist das aus unserer heutigen Perspektive sicher nachvollziehbar. Nach der Entwicklung, die die anglikanische Kirche seit seinem Tod genommen hat, frage ich mich allerdings manchmal, ob Lewis, hätte er länger gelebt, nicht doch noch katholisch geworden wäre. Er selbst hätte die Frage übrigens für nicht so wichtig gehalten. Nach seiner Ansicht hat das, was die ernsthaft Glaubenden aller Konfessionen miteinander verbindet, weit mehr Gewicht als das, was sie voneinander trennt.

Dr. Norbert Feinendegen, geboren 1968 in Krefeld, studierte Physik, Philosophie und Theologie in Aachen und Bonn. 2007 Promotion in Systematischer Theologie mit der Arbeit “Denk-Weg zu Christus. C.S. Lewis als kritischer Denker der Moderne”. Langjähriges Vorstandsmitglied der deutschen Inklings-Gesellschaft. Mitherausgeber unveröffentlichter Schriften von Lewis. Freier Autor und Referent in der Erwachsenenbildung.

 

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