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Wie C.S. Lewis in “Die Abschaffung des Menschen” die Diktatur des Relativismus demaskierte

Eine Leseempfehlung von Stefan Ahrens

Berlin, kath.net, 14. Juni 2013

“Erst kürzlich lernte ich ‘The Abolition of Man’ von Clive S. Lewis kennen, der 1943 auf eine kürzere, nüchterne und weniger dialektische Weise all das gesagt hat, was Die Dialektik der Aufklärung zu sagen versucht.” (Robert Spaemann, 1983)

Neben dem “Hobbit” und “Herr der Ringe”-Autor J.R.R. Tolkien dürfte auch unter nichtgläubigen Zeitgenossen kaum ein christlicher Autor bekannter sein als C.S. Lewis (1889-1963). Denn genauso wie der mit ihm zeitlebens befreundete bekennende Katholik Tolkien hat es der Anglikaner Lewis vor allem mit seinem Kinderbuchklassiker “Die Chroniken von Narnia” geschafft, auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch viel gelesen zu werden. Und dieses nicht zuletzt dank Hollywoods Blockbuster-Kino der letzten Jahre, welches sowohl Tolkiens fantasievolle Mittelerde-Epen als auch die nicht weniger ambitionierten und mit christlichen Symbolen durchzogenen Narnia-Abenteuer für sich entdeckte und diese in höchst erfolgreiche Filmreihen für ein breites, eher “religiös unmusikalisches” Mainstreampublikum verwandelte.

C.S. Lewis: Mehr als ein christlicher Märchenonkel

Doch Lewis, der zu den Lieblingsautoren des emeritierten Papst Benedikt XVI. gezählt werden kann, war mehr als nur ein “christlicher Märchenonkel”, für den der eigene Glaube ausschliesslich Privatsache hätte bleiben sollen. Vielmehr war der in Belfast geborene Tutor und Professor für englische Literatur des Mittelalters und der Renaissance in Oxford und Cambridge zur Mitte des 20. Jahrhunderts einer der glühendsten und geistreichsten Apologeten des christlichen Glaubens im angelsächsischen Raum. Jedes literarische Genre und rhetorische Mittel war dem anglikanischen Christen recht, um in Büchern oder in BBC-Radioansprachen die Schönheit und Relevanz des Christentums aufzuzeigen. Seine – auch gerade unter Katholiken – viel gelesenen Bücher wie “Dienstanweisungen für einen Unterteufel” sowie seine Essays “Über den Schmerz”; “Was man Liebe nennt. Zuneigung, Freundschaft, Eros, Agape” oder “Pardon, ich bin Christ” widmen sich mit einer Tiefe und Leidenschaft dem Christsein sowie den zeitlosen Sinnfragen des Menschen, die heutzutage ihresgleichen sucht.

Ebenfalls in diese Reihe gehört zweifellos das vor genau 70 Jahren erschienene “Die Abschaffung des Menschen” (engl. “The Abolition of Man”), welches von seinem Anspruch und auch seiner bisweilen erschreckenden Weitsicht den Vergleich mit im deutschen Sprachraum weitaus bekannteren Büchern wie Aldous Huxleys “Schöne Neue Welt”, George Orwells “1984” oder – mit Abstrichen – Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Dialektik der Aufklärung nicht zu scheuen braucht. Nach Meinung des grossen Theologen Hans Urs von Balthasar, der “Die Abschaffung des Menschen” im deutschsprachigen Raum publizierte und mit einer äusserst engagierten Einführung regelrecht adelte, handelt es sich bei diesem um “das Ernsteste wohl, was Lewis je verfasst hat” und im Zeitalter des Werterelativismus, Gender Mainstreaming und des immer stärker aufweichenden Lebensschutzes wird man dieses Buch als wahrlich prophetisch betrachten müssen.

Aufgrund der 70. Wiederkehr des Erstveröffentlichung sowie des 50. Todestages von Lewis (er starb – genau wie John F. Kennedy und Aldous Huxley – am 22. November 1963) lohnt es sich, dieses Buch (möglicherweise erneut) in die Hand zu nehmen.

Von der Manipulation der Sprache zur Auflösung universeller Werte

“Die Abschaffung des Menschen” ist eine Zusammenfassung von drei Vorlesungen, die C.S. Lewis vom 24. bis 26. Februar 1943 im Rahmen der “Riddell Memorial Lectures“ an der Universität Durham gehalten hat. Eine vermeintlich belanglose Passage eines Lehrbuchs der englischen Sprache für die Oberstufe in britischen Schulen (The Control of Language: A Critical Approach to Reading and Writing (1939) von Alex King und Martin Ketley; von Lewis ausschliesslich als Das Grüne Buch von “Gaius” und “Titius” zitiert) nimmt der Literaturprofessor Lewis zum Anlass, die geistige Verfassung der Gegenwart sowie ihre künftigen Gefährdungen darzulegen. Er zitiert aus eben diesem Lehrbuch eine Passage, in welcher ein junger Mann beim Anblick eines majestätisch anmutenden Wasserfalls sagt, dass dieser “erhaben” sei. Doch die Verfasser des besagten Lehrbuchs beeilen sich sogleich, den jugendlichen Sprecher zu korrigieren: Denn eigentlich seien alle Aussagen, die ein Werturteil ausdrücken, in Wirklichkeit keine Aussagen über die tatsächliche Beschaffenheit eines Gegenstandes oder einer Sache selbst, sondern vielmehr (Selbst-)Aussagen über die subjektiven Empfindungen des Sprechers im Angesicht eines Gegenstandes, Ereignisses oder einer Handlung.

Die Reaktion Lewis´ auf diese Äusserungen von “Gaius” und “Titius” mag im ersten Moment wie eine Erwiderung in Form von sprachwissenschaftlichen Spitzfindigkeiten eines Experten anmuten. Jedoch beginnt Lewis dann in atemberaubender Weise Schritt für Schritt die philosophische Dimension herauszuarbeiten, die hinter diesen scheinbar nur linguistischen Bemerkungen der beiden Verfasser steckt. Sie fusst für Lewis in letzter Konsequenz in einer Haltung, die jede objektive Wahrheit und jeglichen Anspruch auf einheitliche moralisch-ethische Standards leugnet und damit Mensch und Welt der vollständigen Verfügbarkeit durch den Menschen ausliefert.

Lewis betont in aller Schärfe, dass dieser als Sprachwissenschaft getarnte philosophische Relativismus junge Menschen davon abhält, Handlungen und Gegenstände als objektiv gut oder schlecht bewerten zu können. Dieses müssten sie jedoch lernen, um in ihrem Leben schwerwiegende Entscheidungen treffen zu können. Hierbei erinnert Lewis an Denker wie Platon, Aristoteles oder Augustinus, die es pädagogisch sogar für notwendig erachtet haben, dass man “schlechte Dinge” regelrecht zu hassen lernen sollte, während umgekehrt “gute Dinge” geliebt werden sollten.

Letztendlich stellt Lewis fest, dass es nicht nur möglich sein muss, einen imposanten Wasserfall als “erhaben” bezeichnen zu dürfen, sondern es auch geradezu notwendig ist die Existenz einer objektiven Wahrheit sowie die Einsicht in das Gute zu erkennen sowie zu erlernen.

Lewis´ “Tao” : Verteidigung von objektiver Wahrheit und Naturrecht

Um nicht einer sauertöpfischen Moral oder gar der christlichen Apologetik bezichtigt zu werden vollführt C.S. Lewis schliesslich einen genialen Schachzug, mit welchem er seine Verteidigung der objektiven Wahrheit vorantreibt. Er tut dieses, indem er das klassische, durch Stoa und Christentum massgeblich entwickelte Naturrechtsdenken stark macht – ohne es jedoch als solches zu bezeichnen.

Neben bereits erwähnten Denkern wie Platon, Aristoteles und Augustinus zitiert er nämlich auch beispielsweise chinesische Denker wie Konfuzius oder zitiert neben jüdisch-christlichen Texten ebenfalls aus Heiligen Texten des Hinduismus, des Islams, amerikanischer Ureinwohner oder der nordischen Mythologie. Im Verknüpfen ihrer Gedankengänge und in der Sichtung gemeinsamer sittlicher Grundsätze in allen Kulturen stellt Lewis ziemlich eindrucksvoll bei allen Variationen im Einzelnen die empirisch nachweisbare Existenz eines weltumspannenden Grundkonsenses in Bezug auf das Gute und das Schlechte in allen Kulturen und zu allen Zeiten heraus. Diese objektiv sittliche Norm, ohne die keine Werturteile gefällt werden können und die zum Ausdruck bringt, dass der Mensch das Gute nicht einfach “erfindet”, sondern er dieses in seiner Vernunft bereits vorfindet und diesem gehorchen muss, bezeichnet er mit dem für potentielle Christentumskritiker unverfänglich wirkenden Begriff des “Tao”.

Im Anhang zu “Die Abschaffung des Menschen” listet Lewis sogar eine Reihe von universellen Grundwerten auf, die er als Teile des von ihm bezeichneten Tao sah – unterstützt durch Zitate aus verschiedenen Religionen, Philosophien und Kulturen, die alle diese Grundwerte als gleichermassen essentiell erachten.

Mit dem Tao-Begriff versucht Lewis auszudrücken, dass es Handlungen und Dinge geben kann, welche den Menschen davon abhalten ein gelungenes Leben zu führen.

Kriterien für ein gelungenes Leben stellen jedoch nicht beispielsweise materieller Erfolg oder totale Ungebundenheit oder Selbstverwirklichung dar, sondern – so alle Kulturen unisono – letztendlich allein nur, ob es im Laufe des eigenen Lebens gelingt, sich in eben dieses von Lewis so bezeichnete Tao einzufügen. Die Erfahrung aller Kulturen lehre, so Lewis, dass alle Versuche, sich ausserhalb eben dieses Tao zu verwirklichen das Scheitern des eigenen Lebens und im grösseren Massstab ganzer Kulturen bedeuten müssen.

Vor allem die Tendenz, den wissenschaftlichen Fortschritt dafür zu missbrauchen, die menschliche Natur immer stärker manipulieren zu können, sieht Lewis nicht nur als eine Konsequenz einer weitverbreiteten Abkehr vom Tao, sondern als schreckliches Fanal und einen Frontalangriff – nicht nur auf das Tao, sondern auch auf den Menschen selbst. Denn, so Lewis bitter: Nicht ein vollkommen von allen natürlichen Begrenzungen emanzipierter Mensch wird das Endergebnis dieser Handlungen sein, sondern das Ende des Menschen als solchen so wie wir ihn kennen.

Seine Prognose: Die Natur ist stärker als jede wissenschaftliche Manipulation. Sie wird zurückschlagen und am Ende siegen. Und sehr wahrscheinlich die vom Menschen begonnene Selbst-Abschaffung vollenden.

“Die Abschaffung des Menschen” – Aktueller denn je

Wie Lewis im Einzelnen auf knapp 90 Seiten dieses scheinbar harmlose Geplänkel über sprachwissenschaftliche Spitzfindigkeiten zu einem wahrlich apokalyptischen Höhepunkt hinführt und die titelgebende “Abschaffung des Menschen” in grausige Aussicht stellt, ist kaum wiederzugeben sondern muss selbst gelesen werden. Man kann jedenfalls Hans Urs von Balthasar nur vollumfänglich zustimmen, wenn er in seiner Einführung zur deutschen Ausgabe zu diesem literarischen “Crescendo” anmerkt: “(Z)u Beginn meint man eine Fliege summen zu hören, bald darauf einen starken Motor, zuletzt muss man sich, als wäre man in der Schlacht von Stalingrad, die Ohren zuhalten.” (Einführung, S. 10)

Lewis´ Einsicht, dass wahre Freiheit nur durch Bindung an eine objektive Wahrheit möglich ist und diese Erkenntnis von allen Kulturen zu allen Zeiten geteilt wurde, dürfte gegenwärtig aktueller denn je sein. Gerade im Zeitalter von Gender Mainstreaming und des immer brüchiger werdenden Lebensschutzes sträuben sich einem aufmerksamen Leser bei der Lektüre von “Die Abschaffung des Menschen” sämtliche Nackenhaare. Denn vieles, was Lewis im Angesicht des 2. Weltkrieges beschreibt, ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts bereits vielfach politische und wissenschaftliche Realität geworden. Deshalb gilt – genauso 1943 wie 2013 – die Aussage von C.S. Lewis: “(Dieser) Prozess, der, falls man ihm nicht Einhalt gebietet, den Menschen zerstören wird, spielt sich unter Kommunisten und Demokraten ebenso augenfällig ab wie unter Faschisten. Die Methoden mögen sich zunächst in der Brutalität unterscheiden. Aber manch ein sanftmütiger Naturgelehrter mit Zwicker, manch ein erfolgreicher Dramatiker, manch ein Amateurphilosoph in unserer Mitte verfolgt auf Länge genau dasselbe Ziel wie die herrschenden Nazis in Deutschland. Das traditionelle Wertsystem soll `abgetakelt´ und die Menschheit in eine neue Form umgeprägt werden, nach dem Willen einiger glücklicher Leute der einen glücklichen Generation, die gelernt hat, wie man es macht.” (S. 75)

kath.net-Lesetipp

Die Abschaffung des Menschen
Von Clive St. Lewis
103 Seiten
2012 Johannes Verlag Einsiedeln
ISBN 978-3-89411-157-1
Preis: 7.80 EUR

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