Türkei: Erster christlicher Kirchenneubau seit 100 Jahren

In der Türkei ist der erste Neubau einer christlichen Kirche seit Gründung der Republik 1923 eröffnet worden. An der Zeremonie in der syrisch-orthodoxen St.-Ephrem-Kirche in Istanbul nahmen am Sonntag (8.10.2023) Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und zahlreiche Spitzenvertreter der christlichen Kirchen teil. Für Radio Vatikan war Marion Sendker vor Ort

Quelle
Erster Kirchenneubau in der Türkei seit Republikgründung eröffnet – BRF Nachrichten
Eine neue syrisch-orthodoxe Kirche für Istanbul seit 1923 | CHRIST IN DER GEGENWART (herder.de)
Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien – Wikipedia
Türkei – Bau der ersten christlichen Kirche seit 1923 in Rekordzeit abgeschlossen – Agenzia Fides

Marion Sendker – Istanbul

Auf diesen Tag haben die Gläubigen der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Istanbul in der Türkei jahrelang gewartet: Ein Chor singt zu Ehren der Eröffnung der Mor-Efrem-Kirche. Sie ist das erste christliche Gotteshaus, das in der nun einhundertjährigen Geschichte der Republik Türkei komplett neu gebaut worden ist. Erzbischof Yusuf Cetin, der Metropolit von Istanbul, Ankara und Izmir, erklärt:

“Unsere Gemeinschaft hat sich in der Türkei zwar verringert, aber wir sind – nach unseren armenischen Brüdern – die zweitgrößte christliche Bevölkerung im Land. In Istanbul ist es uns sehr wichtig, dass die Menschen eine zweite Kirche haben. Denn hier haben wir viele Gemeinden.”

Rund 20.000 Syrisch-Orthodoxe leben mittlerweile in der Metropole, hatten bisher aber nur eine Kirche. In ihrer Not seien die Gläubigen auf die Gotteshäuser anderer christlicher Gemeinschaften ausgewichen, erzählt Metropolit Cetin:

“Bei manchen, großen Zeremonien stand mehr als die Hälfte der Gemeinde draußen. Das ist schwierig, wenn es draußen sehr kalt oder sehr heiß ist. Und da es sich nicht um unser Eigentum handelte, konnte es auch nicht nach Belieben genutzt werden. Deshalb haben wir vor 13 Jahren den Präsidenten und den Premierminister besucht und einen Dialog gestartet.”

“Vor 13 Jahren Dialog gestartet”

Der Bau einer Kirche ist in der Türkei erst seit den Nullerjahren erlaubt – und von sehr vielen Genehmigungen und Auflagen abhängig. Ohne gute Beziehungen zum Staat und das Wohlwollen der Regierung ist so ein Vorhaben kaum realisierbar. Entsprechend dankbar sind die Syrisch-Orthdoxen der Regierung Recep Tayyip Erdogan. Für das Gemeindemitglied Ilhan Güzelis ist der Staatspräsident “ein Schutzengel”:

“Mit allen Formalitäten, mit dem Bau und den Genehmigungen, es ist alles problematisch gewesen”

“Mit allen Formalitäten, mit dem Bau und den Genehmigungen, es ist alles problematisch gewesen und unser Staatspräsident hat das alles gelöst. Wir haben eine sehr schöne Kirche gebaut unter seiner Leitung und Hilfe.”

Unter Erdogans Regierung wurden der Gemeinde ein Grundstück im Stadtteil Yesilköy zugewiesen und bürokratische Hürden überwunden. Dazu gehört auch ein Gerichtsprozess mit der katholischen Gemeinde in der Gegend: Sie war einst Eigentümerin der Freifläche und wollte wieder als solche anerkannt werden. Danach, so hieß es damals vom zuständigen Pfarrer, sei man bereit, den Syrisch-Orthodoxen einen Teil des Grundstücks zu überlassen. Das Gericht stoppte den Bauprozess zunächst, der Papst und der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel versuchten zu vermitteln. Am Ende soll es eine Spende der Syrisch-Orthodoxen an die Geschwister im Glauben gegeben haben.

Fragt man heute bei den Katholiken in Istanbul nach, ist vom Streit keine Rede mehr. Der Kirchenbau sei ein historisches Ereignis, freut sich zum Beispiel Dominikanerpater Claudio Monge von der Gemeinde Sankt Peter, mehrere Kilometer von dem früher umstrittenen Grundstück entfernt:

“Alle, die sich für ein inklusives Land eingesetzt haben, das Vielfalt respektiert und sie als Bereicherung betrachtet, können sich nur freuen!”

“Nicht nur alle Christen, sondern auch alle, die sich für ein inklusives Land eingesetzt haben, das Vielfalt respektiert und sie als Bereicherung betrachtet, können sich nur freuen! Die lateinische katholische Gemeinschaft, die seit Jahren einige ihrer Kirchen mit den syrisch-orthodoxen teilt, als Zeichen tiefgreifender ökumenischer Gastfreundschaft und die sogar das Land für dieses neue Gebäude zur Verfügung gestellt hat, arbeitet unermüdlich für Einheit in Vielfalt in diesem Land.”

Er wünscht sich, dass sich auch anderen nicht-muslimischen Gemeinschaften die Türen weiter öffnen. In Istanbul wohnen zum Beispiel viele Katholiken in Neubaugebieten, dort gibt es aber keine Kirchen. Manche Gläubige sind ein bis zwei Stunden unterwegs, um zur Messe zu gehen.

Neuanfang?

Auch die Syrisch-Orthodoxen hoffen, dass ihr Kirchenneubau nur der Anfang ist. Denn die Situation für ihre Gemeinschaft in der Türkei sei durchaus komplex, findet der Bundesvorsitzende der Aramäer, Daniel Demir, der extra aus Deutschland zur Eröffnung in Istanbul angereist ist:

“Wir erinnern uns an die Enteignungsverfahren 2008, 2009 und 2010, die ja auch noch fortdauern…”

“Es gibt Schwierigkeiten. Wir erinnern uns an die Enteignungsverfahren 2008, 2009 und 2010, die ja auch noch fortdauern. Und dementsprechend versucht man natürlich auch das gerichtlich und und über die Verfahren wieder zurückzugewinnen. Aber trotzdem ist das natürlich immer wieder anstrengend und mit Kosten verbunden.”

Wieder geht es um Grundstückstreitigkeiten, dieses Mal im Südosten und vor allem mit dem türkischen Staat. Politischer Wille dürfte da hilfreich sein. Wenig verwunderlich drehte sich bei der Eröffnungsfeier der Mor-Efrem-Kirche alles um eine Person: Staatspräsident Erdogan. Der lobte sich und seine Regierung einen Tag nach der Feier:

“Umarmende Haltung“ kann noch ausgeweitet werden

“Die Kirche, die wir gebaut haben, ist ein Symbol der Religions- und Glaubensfreiheit in unserem Land. In einer Zeit, in der Spaltungen, Konflikte und Hassverbrechen wegen religiöser und ethnischer Herkunft in unserer Region und der Welt zunehmen, ist diese umarmende Haltung der Türkei sehr wichtig.”

Wichtig wäre diese “umarmende Haltung” auch für andere Belange der Christen in der Türkei: Es gibt historische Klöster, deren Nutzung noch immer von den Behörden abhängt, auch Aufenthaltsgenehmigungen ausländischer Priester müssen meist jährlich erneuert werden und das Priesterseminar des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel ist nach wie vor geschlossen.

vatican news – ms/sst, 10. Oktober 2022

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