Im Auge des Taifuns

Wer auch immer in der jüngeren Vergangenheit an der Seite eines Papstes stand: Die Privatsekretäre hatten einen nicht unbeträchtlichen Einfluss, allerdings nur auf Zeit – Ein Überblick darüber, was mit ihnen danach geschah

Quelle
Pascalina Lehnert
Kardinal Capovilla
‘Im Schatten der Päpste’ von ‘Josef A. Slominski’ – Buch – ‘978-3-7462-4676-5’ (orellfuessli.ch)

26.09.2023

Ulrich Nersinger

Wer den “Annuario Pontificio”, das Päpstliche Jahrbuch, konsultiert, wird erstaunt feststellen, dass in diesem offiziellen Nachschlagewerk des Vatikans das Amt eines Privatsekretärs des Heiligen Vaters nicht aufgelistet wird. Ja, und es gibt im Grunde nicht einmal eine “Stellenbeschreibung” für Papstsekretäre, wie die Journalistin und Vatikankorrespondentin Christa Langen-Peduto in ihrem Buch über den “Alltag der Papstsekretäre” zu Recht anmerkt. Wenn man das Pontifikat von Pius XII. (1939–1958) betrachtet, dann lässt sich kaum eruieren, wer damals dem üblichen Profil, das man für einen Privatsekretär ansetzt, entsprach. War es Monsignore Pio Rossignani, Pater Robert Leiber SJ oder die Ordensfrau Pascalina Lehnert?

Monsignore Rossignani arbeitete im Päpstlichen Staatssekretariat und war mit dem Papst durch die Heirat von dessen Schwester Elisabetta Pacelli mit Luigi Rossignani verwandt; und der Jesuit Leiber wohnte nicht einmal im Vatikan. Es war wohl die Madre, wie man sie in Rom nannte, die in ihrem Aufgabenbereich der Charge eines Privatsekretärs am ehesten entsprach. Sie hatte beim Papst, als dieser Apostolischer Nuntius in Deutschland und später Kardinalstaatssekretär in Rom war, in dessen Diensten gestanden.

Madre Pascalina -“herrschte” mit starker Hand, aber uneigennützig

Über den päpstlichen Haushalt (und sogar über ihn hinaus) “herrschte” die Ordensfrau mit starker Hand – und verließ dabei nicht selten ihren Kompetenzbereich. So griff sie in die Länge der Privataudienzen ein, wenn sie deren Dauer für den Papst zu belastbar hielt. Hochrangige Ernennungen wurden ihrer Unterstützung zugeschrieben – den von Pius XII. in das Kardinalskollegium berufenen Kanadier Paul-Émile Léger nannte man in Rom spöttisch “Natus ex Virgine” (“Geboren aus der Jungfrau”).

Doch das Handeln Pascalinas war stets uneigennützig. Bei einem Trauergottesdienst zu ihrem 10. Todestag im Jahre 1983 sagte Kardinal Joseph Ratzinger: “Madre Pascalina hat als Haushälterin und Sekretärin durch ihre praktische und nüchterne Art verstanden, für Pius XII. den menschlichen Lebensraum zu schaffen, den er brauchte, um seiner Aufgabe in einer schwierigen Zeit gerecht werden zu können.”

Capovilla- eine unschätzbare Hilfe

Mit der unübersehbaren Dominanz der Madre konnten die Privatsekretäre der folgenden Pontifikate durchaus konkurrieren. So war Loris Francesco Capovilla an der Seite Johannes’ XXIII. (1958-1963) als dessen Sekretär unzweifelhaft wahrzunehmen. Für Angelo Roncalli, der mit 77 Jahren den Stuhl Petri bestieg, war er eine unschätzbare Hilfe. Er wich dem Pontifex kaum von der Seite. Vier Jahre nach Roncallis Tod berief ihn Paul VI. (1963-1978) zum Oberhirten der Erzdiözese Chieti.

In der Leitung des Bistums soll er aber keine glückliche Hand gehabt haben. 1971 ernannte ihn der Papst zum Vorsteher der Territorialprälatur von Loreto. 1988 reichte er seinen Rücktritt ein. Böse römische Zungen sprachen davon, die meiste Zeit als Oberhirte habe er damit verbracht, die Soutanen Johannes’ XXIII. zu zerschneiden und als Andenken an den verstorbenen Pontifex an Gläubige in aller Welt zu verschicken. 2014 nahm Papst Franziskus Capovilla als 98-Jährigen in das Kardinalskollegium auf.

Jeder hat einen Schatten, Paul VI. hatte zwei

An Pasquale Macchi kam kaum jemand vorbei, der den Kontakt zu Paul VI. (1963-1978) suchte. Macchi war schon 1954 der Privatsekretär des damaligen Erzbischofs von Mailand geworden. Selbst die engsten Freunde des Papstes mussten im Apostolischen Palast ein kleines Informationsnetz aufbauen, das sie darüber informierte, wann Macchi “außer Haus” war. “Nur so konnten wir uns etwas mehr Freiheiten in den Begegnungen mit dem Heiligen Vater verschaffen”, gestand Kardinal Sergio Pignedoli nach dem Tod des Pontifex ein. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti scherzte, jeder Mensch habe einen Schatten, Paul VI. aber zwei.

Ein Insiderbuch aus dem Jahre 1973 verriet: “Auch im Vatikan ist Don Macchi bewusst Mailänder geblieben und hat damit die Römer verärgert. Einmal wurde ihm die Luft aus den Reifen gelassen.” Macchi trat besonders ins Lampenlicht, als er 1971 bei dem Papstbesuch auf den Philippinen einen Attentäter blockierte, der mit einem Messer auf den Papst losrannte. Von 1988 bis 1996 stand er, mit der Würde eines Titularerzbischofs ausgezeichnet, der Prälatur von Loreto vor.

Der 33 Tage-Sekretär

Johannes Paul I. (1978) hatte nach dem Konklave, das ihm zum Papst kürte, Diego Lorenzi, einen Priester der “Don-Orione-Gemeinschaft”, der dem einstigen Kardinalpatriarchen von Venedig seit 1976 zur Seite stand, auch im Vatikan mit den Agenden eines Privatsekretärs betraut. Don Diego Lorenzi war mit vatikanischen Gepflogenheiten nicht vertraut und verfügte im Kirchenstaat über keinerlei Hausmacht. Man “entsorgte” ihn nach dem Ableben des 33-Tage-Papstes ins ferne Ausland. Der Geistliche ging als Missionar auf die Philippinen und verschwand gänzlich von der Bühne der Öffentlichkeit.

Als rechte Hand seines Herrn erwies sich Stanislaw Dziwisz. Zwölf Jahre hatte er Johannes Paul II. (1978-2005) in Polen zur Seite gestanden, fast 27 Jahre wohnte er mit ihm im Apostolischen Palast des Vatikans. Dziwisz erkannte schon sehr bald, dass sich der Papst in seiner neuen Umgebung nicht immer wohlfühlte. So organisierte er im Geheimen für den Pontifex Ausflüge in die Umgebung Roms, im Winter sogar solche zum Skilaufen.

Erste Papstsekretäre mit Bischofswürde

Seinem Sekretär verlieh der Papst 1998 die Bischofswürde und ernannte ihn zum beigeordneten Präfekten des Päpstlichen Hauses – wohl auch, um Dziwisz, der im Vatikan nicht nur Freunde besaß, abzusichern. Er war der erste Sekretär eines Papstes, der noch zu Lebzeiten seines Dienstherrn zum Bischof erhoben wurde – eine Geste, die sich im darauffolgenden Pontifikat wiederholte.

Benedikt XVI. (2005-2013) verlieh seinem Sekretär Georg Gänswein ebenfalls die Bischofswürde und ernannte ihn zum Präfekten des Päpstlichen Hauses. Mit dem überraschenden Rücktritt Papst Benedikts XVI. musste Erzbischof Gänswein sich auf einen kaum zu bewältigenden Spagat einlassen – gleichzeitig Präfekt des Päpstlichen Hauses und Privatsekretär eines emeritierten Papstes zu sein, eine Konstellation mit Konfliktpotenzial.

Weder Praxis oder Etikette noch Barmherzigkeit

Unter Franziskus sieht die Rolle der Papstsekretäre wieder anders aus. Für Christa Langen-Peduto stehen sie nicht im Licht der Öffentlichkeit, im Gegenteil, “sie werden oft gar ausgeblendet. Bewusst blasse Schatten des Papstes”. In der Bedeutung und Stellung von Privatsekretären, so kommentieren es nicht wenige Stimmen im Vatikan, sei man nun anscheinend wieder annähernd zur Praxis von Pius XII. zurückgekehrt. Andere Potenzen im Umfeld des Pontifex hätten den Einfluss der Privatsekretäre übernommen – aber in einer Reihe mit der Madre, vor allem in deren absoluten Uneigennützigkeit, ständen diese Protagonisten nicht.

Für das Gros der Privatsekretäre ging mit einem neuen Pontifikat der Verlust ihrer früheren Macht einher. Den Apostolischen Palast, den inneren Zirkel des Vatikans, hatten sie zu verlassen. Jedoch wurden sie, unabhängig von der Einstellung des Nachfolgers ihres Dienstherrn, üblicherweise belohnt. Oft waren ihnen bischöfliche Titularsitze, reguläre Diözesen und manchmal sogar das Kardinalat sicher – wenn auch bisweilen mit Verzögerung. Selbst die Madre war mit Dank und einer päpstlichen Auszeichnung bedacht worden. Keinen Lohn oder Dank zu empfangen, gleichermaßen von “Haus und Hof“ verjagt zu werden, entsprach selbst bei schwerwiegenden Konflikten nicht der vatikanischen Praxis und Etikette, geschweige denn dem Anspruch christlicher Barmherzigkeit.

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