“Viel Arbeit!”
Mit Josef Lange sitzt dem Rat für deutsche Rechtschreibung ein erfahrener Beamter mit klarem Kompass vor – Ratzinger Schüler mit politischer Erfahrung Josef Lange
Quelle
Deutsche Rechtschreibung: Dr. Josef Lange im Gespräch – DPhV e.V.
Der Rat für Rechtschreibung rät nicht zum Sternchen | BR24 – YouTube
23.07.2023
Als am vergangenen Wochenende der Rat für deutsche Rechtschreibung in Eupen, Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, tagte, saß bei der Vorstellung der Beratungsergebnisse neben dem ostbelgischen Ministerpräsidenten Oliver Paasch ein emsig in sein Notebook hineintippender Herr mit vollem weißem Haar, den zunächst nur wenige der anwesenden Journalisten kannten. Auch als einziger Krawattenträger fiel er auf. Als er dann am Abend in allen Hauptnachrichtensendungen sehr ausgewogene Kommentare zu Gendersternchen und deren Position außerhalb des Kernbestandes deutscher Sprache abgeben durfte, wuchs das Interesse an diesem Mann weiter.
Wenn man Josef Lange als erfahrenen Verwaltungsbeamten bezeichnete, wäre das nicht falsch, würde damit aber nicht ansatzweise dessen großen Erfahrungshorizont widerspiegeln, der ihn letztlich auch an die Spitze dieses Gremiums geführt hat, in dem gerne kontrovers über Sprache gestritten wird. Zuweilen ist dies eine Stressaufgabe, die Lange souverän mit hohem Arbeitspensum, -tempo und -ethos meistert und das, obwohl der Mann bereits in seinem 76. Lebensjahr steht.
In den sechziger Jahren studierte Lange unter anderem Katholische Theologie. In Münster hörte er Karl Rahner, an der damals noch jungen Universität Regensburg belegte er Dogmatik bei Joseph Ratzinger. Er kann sich noch daran erinnern, dass er sich einmal eine kontroverse Diskussion mit dem späteren Papst leistete, die ihn zu einer Erkenntnis brachte: “Wenn Kirche sagt, dass sie nicht politisch tätig wird, ist das schon eine politische Aussage.” Professor Ratzinger teilte seine Haltung nicht. “Oder er wollte sie nicht teilen”, erinnert sich Lange. “Er war eine beeindruckende Persönlichkeit, die zeitlebens Wissenschaftler geblieben ist. Zu seiner Ehrenrettung muss ich allerdings sagen, dass ich trotzdem eine gute Note von ihm bekam”, freut sich Lange heute noch spitzbübisch. “Jedenfalls hat mein katholischer Glaube zeitlebens die Grundkoordinaten meines politischen Handelns definiert und bestimmt”, betont er. Später, als es Lange in die Politik verschlug, galt für ihn dann das darauf fußende Motto “Die Frage ist nicht, was ist rechtlich zulässig, sondern was kann ich ethisch und moralisch vor meinem Gewissen vertreten.”
Staatssekretär bei Christian Wulff
Ende der siebziger Jahre wird Josef Lange Mitglied der CSU, “nach vier Flaschen Frankenwein, die wir getrunken hatten”, erinnert er sich. Da ist er Referent für Grundsatzfragen der Universitätsentwicklung, Presse und Information und Persönlicher Referent des Gründungspräsidenten der Universität Bayreuth. Der Wissenschaft bleibt er treu, ab 1979 als Referatsleiter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bonn, bis er 1984 an die Geschäftsstelle des Wissenschaftsrates in Köln wechselt. Im Rheinland fühlt sich der gebürtige Westfale wohl. Ab 1990 wird Lange für zehn Jahre Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz. In dieser Zeit ist er in zahlreichen wissenschaftspolitischen Gremien vertreten, unter anderem 1993/1994 im Gründungsausschuss der Universität Erfurt.
Im Januar 2000 erfolgt dann der Wechsel in die Berliner Landespolitik: Eberhard Diepgen (CDU) holt ihn als Staatssekretär an die Spitze der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin. Im Juni 2001 wird Diepgen jedoch abgewählt, so dass sich Lange vorübergehend als Berater unter anderem für das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und für die Regierung Serbiens verdingt. Bernhard Vogel ist bereits zehn Jahre Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, als er Lange 2002 in die Thüringer Staatskanzlei nach Erfurt lockt, wo er die Abteilung “Ressortkoordinierung” leiten soll. Doch schon nach einem Jahr in dieser Tätigkeit ereilt Josef Lange ein Ruf aus Hannover. Dort hatte im Frühjahr 2003 Christan Wulff nach zunächst zwei erfolglosen Anläufen die niedersächsische Landtagswahl gewonnen und stand nun einer Regierungskoalition aus CDU und FDP vor. Auch wenn später einige Mitglieder des ersten Kabinetts Wulff Karriere machten, wie Ursula von der Leyen oder Philipp Rösler, mangelte es doch an regierungserfahrenen Kräften. Manche Minister konnte Wulff nicht nach Eignung, sondern musste sie nach Regionalproporz berufen. Lutz Stratmann, im Schattenkabinett noch als Umweltminister gehandelt, wurde überraschend Minister für Wissenschaft und Kultur, da das Umweltressort von der FDP beansprucht wurde. Wulff und Stratmann verband eine herzliche Abneigung, aber als Ministerpräsident des zweitgrößten Flächenlandes musste er das ehemals selbstständige Oldenburg berücksichtigen, wo die CDU zumindest im katholischen Oldenburger Münsterland damals noch Ergebnisse von über 60 Prozent der Wählerstimmen einfuhr. Stratmann war freundlicher Oldenburger aber weder in Wissenschaft noch Kultur besonders bewandert und so stellte ihm Wulff am 4. März 2003 Josef Lange als Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur an die Seite.
Genderdebatte ficht ihn nicht an
Die schwarz-gelbe Koalition in Niedersachsen war ab 2004 Vorreiter bei der Einführung sogenannter “Studierendenbeiträge”, im Volksmund Studiengebühren genannt. Lange hatte dies vor dem Kabinett zu vertreten, unter anderem gegen den Widerstand des Ministerpräsidenten Christian Wulff, der annahm, dass er nicht hätte studieren können, wenn es zu seiner Zeit solche Gebühren gegeben hätte. Noch heftiger war erwartungsgemäß der Widerstand an den Universitäten, vor allem in Braunschweig und Göttingen kam es zu teils gewalttätigen Demonstrationen, aber auch Langes Ministerium in Hannover war von Studentengruppen und Medien regelrecht belagert worden.
Einen erfahrenen Mann wie Lange kann also eine aufgeregte Debatte um Gendersternchen und Binnen-I nicht anfechten. Als Geheimnis seiner Energie in fortgeschrittenem Alter verrät er: “Viel Arbeit!” Nicht nur die zahlreichen Gremien, in denen der Ex-Staatssekretär immer noch vertreten ist, sondern auch sein Engagement in der Katholische Kirche hielt ihn stets auf Trab. So ist er seit Juli 2018 Vorsitzender des Hochschulrates der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und seit 2019 Vorsitzender des Hochschulrates der Universität Vechta. 2021 kam noch eine Mitgliedschaft im Universitätsrat Regensburg hinzu. Sein Amt als Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung übt er seit 2017 aus.
Lange Jahre Berater der DBK
Weniger bekannt ist, dass Lange für die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) auch zwanzig Jahre lang Berater der Kommission für Wissenschaft und Kultur und bis vergangenen Herbst fünf Jahre lang auch der Kommission für Grundfragen war. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde ihm 2014 für seine Verdienste um die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Bildungspolitik das Großkreuz des päpstlichen Gregoriusordens verliehen. “Es geht immer auch um soziale Gerechtigkeit”, sagt Lange. Und so engagiert er sich an seinem bisherigen Wohnort Hannover-Bothfeld vier Jahre lang im Pfarrgemeinderat. Kurz vor der Sitzung in Ostbelgien sind Lange und seine Frau Ursula, mit der er seit 49 Jahren verheiratet ist, noch einmal umgezogen. Zurück ins Rheinland, in die Nähe der Kinder und der betreuungsintensiven Enkel, gemäß Langes Erfolgsrezept: “Viel Arbeit!”
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