Werden die Steine schreien?

Die Menschen, die vor 9 000 Jahren ihre Felsmalereien erstellten, sahen ihre Kinder und ihre Kranken und ihr bescheidenes gutes alltägliches Leben und dachten: Gott!

Quelle
Stärker als alle Kriege (erzdioezese-wien.at)
Zederberge – Wikipedia

11.04.2023 – Peter Schallenberg

An jenen etwas rätselhaften Satz Jesu “Ich sage Euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!” (Lk 19,40) aus dem Lukasevangelium, aus dem Bericht des Einzugs Jesu in Jerusalem, als die Pharisäer von Jesus verlangen, er solle den Leuten den Ruf “Hosianna, gepriesen sei der König im Namen des Herrn!” verbieten, musste ich vor vier Wochen denken. Wir waren zu Besuch bei Freunden in Kapstadt, dort in der Villa Maria von Schönstatt, und fuhren nach einigen Tagen nach Westen. Drei Stunden auf dem Weg zur Grenze zu Namibia liegt das überaus schroffe und zerklüftete Gebirge der Zedernberge, die Heimat des berühmten Roiboos-Tees. Dort wanderten wir über Stock und Stein, um nach mühseligem Weg zu den ältesten Felsbildern der Welt zu gelangen, gemalt von Menschen vor 9 000 Jahren mit Kreide auf den Stein, erhalten frisch bis heute.

Am Ursprung der Religion

Es ist der Ursprung der Religion, der Gottesverehrung. Zu sehen sind Tiere und Pflanzen, Kinder und tanzende Menschen, auch einmal auf einem Bild viele spindeldürre Menschen gemeinsam um einen Tisch. Kein Zweifel: Die Menschen damals begannen auf diese Weise, an die Ewigkeit zu denken und die Götter zu verehren: Sie malten das, was ihnen lieb und teuer und wertvoll war und dankten dafür den Göttern, und beteten für die verstorbenen Ahnen, dass sie vielleicht auf ewig dort seien, wo die Götter leben. Wo das eigentliche Leben nach all dem mühseligen Überleben ist.

Vergängliches Lebens auf dem Weg zur Ewigkeit

Mich hat das dort hoch droben in den einsamen Bergen Südafrikas sehr beeindruckt. Das ist die Erde, aus der Christentum wächst; das ist der heilige Boden, der die Schuhe ausziehen lässt; das ist der Fels des Glaubens gegen den Atheismus. Diese Menschen damals vor 9 000 Jahren sahen ihre Kinder und ihre Kranken und ihr bescheidenes gutes alltägliches Leben und dachten: Gott! Gott ist es sicher, der uns erschaffen hat und uns anbauen und leben und gedeihen lässt, und der uns am Ziel erwartet. Mit den Früchten unseres Lebens. Mit dem Scheitern und Gelingen, mit Sünde und Schuld. Mit den Aufzeichnungen unseres vergänglichen Lebens auf dem Weg zur Ewigkeit.

Und das Denken verdichtet sich zum Glauben über das Sehen hinaus: Man muss Felsbilder zeichnen und Kirchen bauen, damit der Glaube an Gott nicht verdunstet in der Hitze des Arbeitstages. Damit die Steine schreien, wenn der Mensch es vergisst: Du bist in dieser Welt nicht, um einfach nur den ausgebauten Sozialstaat zu genießen oder möglichst sozialverträglich zu überleben oder über Lohnzuwächse zu streiten. Du bist hier, damit Du dort sein wirst. Alles hier ist Mittel für dort. Denk an die glaubensfesten Felsen in Südafrika! Sollten wir kleingläubiger und kleinmütiger sein als unsere Vorfahren vor 9 000 Jahren? Sollten wir uns etwa begnügen mit dem Genuss von vergänglichem Wohlstand ohne an das Ziel des wohligen Lebens auch nur einen Gedanken zu verschwenden? Dann würden die Steine schreien!

Der Autor ist Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Peter Schallenberg
Jesus Christus
Lukasevangelium

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel