Kann die Kirchenlehre “weiterentwickelt” werden?
Rom, 24. September 2022 (CNA Deutsch)
Beim diesjährigen Treffen des Ratzinger-Schülerkreises in Rom haben Theologen und Experten über die Möglichkeit einer “Weiterentwicklung der Lehre der Kirche” diskutiert.
Unter dem Titelthema des Symposiums “‘Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe’ (1 Kor 11,23) – Verbindliche Wahrheit und Weiterentwicklung der Lehre der Kirche” referierten am heutigen Samstagnachmittag unter anderem Kardinal Kurt Koch, der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, Professor Uwe Michael Lang, Prälat Markus Graulich sowie Prälat Helmut Moll.
Normalerweise steht bei den Schülerkreistreffen auch immer ein Besuch beim emeritierten Papst Benedikt XVI. auf dem Programm. Dieser musste aufgrund der gesundheitlichen Umstände des emeritierten Papstes in diesem Jahr jedoch ausfallen, wie Erzbischof Georg Gänswein mitteilte, Kardinal Koch übermittelte jedoch die ausdrücklichen Grüße Papst Benedikts zu Beginn der Veranstaltung.
Der katholische Fernsehsender EWTN übertrug das Symposium live.
Bischof Voderholzer: Fortschritt, aber keine Brüche
Nach einer kurzen Einführung durch Kardinal Kurt Koch betrat der Bischof Rudolf Voderholzer das Rednerpodium. Voderholzer, der auch Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. in Regensburg ist, legte dar, dass das Lehramt der Kirche durchaus einen Fortschritt der Apostolischen Überlieferung unter dem Beistand des Heiligen Geistes kenne. Der Regensburger Bischof erinnerte daran, dass Joseph Ratzinger / Papst Benedikt selbst lieber von einer “Dogmengeschichte” als von einer “Dogmenentwicklung” sprach und wandte sich gegen die heute von einigen deutschen Theologen gängige Überzeugung, die Lehre müsse “weiterentwickelt” und verändert werden.
Die Lehre der Kirche kenne zwar Wachstum und Fortschritt, aber keine Brüche, so Voderholzer. Anhand von Beispielen von beim Zweiten Vatikanischen Konzil getroffenen Lehraussagen unterstrich Voderholzer, dass die grundsätzliche Kontinuität erhalten bleibe, selbst dann, wenn sich bestimmte Detailbestimmungen ändern.
“Wie in ‘Sacramentum ordinis’ richtig gesagt wird, kann die Kirche Bestimmungen, die sie selbst erlassen hat, ändern”, so der Bischof, “im Bezug auf den Weihevorbehalt für Männer in Ordinatio sacerdotalis freilich weiß sich die Kirche an die Praxis Jesu und der Apostel gebunden.”
Kritik am “Synodalen Weg”
Kritik äußerte Voderholzer auch am “Synodalen Weg” in Deutschland, der nicht nur eine Änderung der Sexuallehre, sondern auch eine “Öffnung des Weiheamtes” fordere. Wörtlich:
“Papst Franziskus hat in etlichen eindeutigen Aussagen (von freilich unterschiedlichem Gewicht) diese Lehre bekräftigt. Eine Abkehr davon stellte einen Bruch mit einer 2000-jährigen Überlieferung dar; das Insistieren auf der genannten Forderung birgt die ernste Gefahr einer Kirchenspaltung.”
Selbstverständlich werde es auch weiterhin eine “legitime Weiterentwicklung der Lehre geben”, dieser “mögliche Fortschritt” müsse jedoch in “den Kontext des gesamten Glaubensverständnisses eingebettet sein”. Voderholzer: “Für die ‘Weiterentwicklung’ einer Lehre ist Heiligkeit der beste Mutterboden, und heilige Frauen und Männer sind die besten Kronzeugen.”
Graulich: Dogma und Kirchenrecht dienen dem Seelenheil
Vor der abschließenden Podiumsdiskussion wurden noch ergänzende Statements vorgetragen. Den Anfang machte Prälat Markus Graulich SDB, der als Untersekretär des Dikasteriums für die Gesetzestexte in Rom arbeitet.
“Die rechte Lehre und die rechte Lebensweise, Orthodoxie und Orthopraxie, gehen in der Kirche, als Gemeinschaft der Glaubenden, von Anfang an Hand in Hand”, so Graulich. “Das Leben ist nicht vom Glauben und der Glaube nicht vom Leben zu trennen.”
Das Lehramt stelle die rechte Lehre (Orthodoxie) sicher, das Kirchenrecht wiederum gebe eine Antwort auf die Frage nach der rechten Praxis (Orthopraxie). Der Prälat wörtlich:
“Die Normen des Kirchenrechts sind daher an die Offenbarung und den daraus entspringenden theologischen Grundlagen gebunden, die das lebendige Lehramt der Kirche vorlegt. Sie dienen dem Volk Gottes dazu, sich auf das Ziel hin auszurichten, das ihm vom Herrn vorgegeben wurde. Wie der Glaube nicht ohne das Bekenntnis zu den Glaubenssätzen auskommt, sich aber darin nicht erschöpft, so kommt die Praxis des Glaubens nicht ohne den Maßstab des Gesetzes aus, ohne sich aber darauf zu beschränken.”
Größe und Grenze von Dogma und Kirchenrecht lägen letztlich darin, so Graulich weiter, dass sie über sich selbst hinausweisen “auf die im Ereignis der Offenbarung liegende Heilswirklichkeit und Heilsgerechtigkeit”. Die Aufgabe des Dogma und des Kirchenrecht sei es also, dem Heil der Seelen zu dienen.
Lang: Ratzinger warnte vor “Neuerungssucht”
Professor Uwe Michael Lang ergriff im Anschluss das Wort und sprach über Lex orandi und Lex credendi und die Bedeutung der Liturgie und der Kirchenväter. Lang unterstrich dabei auch die prophetischen Worte Joseph Ratzingers, der bereits zu Zeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils vor einer “Neuerungssucht” warnte. Der Professor wörtlich:
“Ratzinger gehörte zu den wenigen, aber bemerkenswerten Stimmen, die kritische Anfragen an die nachkonziliare Liturgiereform schon in ihren frühen, enthusiastischen Jahren stellten. In seiner Analyse zeigte er die Ambivalenz eines liturgischen Purismus auf, der von der Wiederbelebung einer vermeintlich klassischen Gestalt (in diesem Fall der römische Ritus vor der karolingischen Reform) umgeschlagen ist in einen undifferenzierte Neuerungssucht.”
Lang regte auch dazu an, “in der Rückschau auf fast sechzig Jahre Liturgiereform deren Stärken und Schwächen” offen zu diskutieren. Er betonte: “Auch wenn die konkrete Umsetzung der Konzilskonstitution in den Händen heiliger Päpste lag, kann dafür nicht die Unfehlbarkeit der Kirche wie in Sachen der Glaubens- und Sittenlehre beansprucht werden – ebensowenig wie für die Liturgiereform des heiligen Pius V. nach dem Konzil von Trient”.
Prälat Moll über den Werdegang Benedikts XVI.
Abschließend sprach Prälat Helmut Moll über die “Wurzeln der Theologie und des Denkens Joseph Ratzingers”. Anhand von biologischen Wegmarken wie die bayerische Herkunft des späteren Papstes zeichnete Moll die Entwicklung Ratzingers nach.
Besonders die Jesus-Bücher, die Ratzinger als Papst Benedikt XVI. fertigstellte, seien eine “Frucht seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, die in ihrer Methodik versucht, die Grenzen der historische-kritischen Methode zu überwinden”, so Moll.
Hintergrund
Der historische Schülerkreis ist eine Gemeinschaft ehemaliger Schüler Ratzingers und besteht seit 1977. Seit 2008 wird er ergänzt durch den sogenannten Neuen Schülerkreis (seit 2017 eingetragener Verein), der jüngere Theologen versammelt, die sich der Erforschung seines Werkes widmen.
Die Schüler Benedikts XVI. vertieften in den vergangenen Jahren Themen wie das Sprechen über Gott, die spirituelle Krise Europas, die Christenverfolgung und die Beziehung zwischen Kirche und Staat und Gesellschaft, zuletzt auch über das Priesteramt oder der Frage nach Gott in gegenwärtigen Herausforderungen.
Die Aufzeichnung der Live-Übertragung von EWTN:
Schreibe einen Kommentar