Die Kirche heute – Villa Kunterbunt 2.0?

Die Kirche heute – Villa Kunterbunt 2.0? – Alexander Kissler über “Die infantile Gesellschaft”

Quelle
Die “Sieben Pforten des Paradieses” und die “Sieben Pforten der Hölle”
500. Todestag von Hieronymus Bosch – Sündiges Treiben und Höllenqualen
Bewegt uns die Frage noch, ob wir gerettet werden?

Von Thorsten Paprotny, 7. August 2021

Der Publizist Alexander Kissler, seit 2020 politischer Redakteur der renommierten “Neuen Zürcher Zeitung” in Berlin, kennt sich aus mit der kunterbunten Gegenwart, mit Deutschland und auch natürlich mit der römisch-katholischen Kirche, der er treu angehört. In seinem lesenswerten Buch “Die infantile Gesellschaft. Wege aus der selbstverschuldeten Unreife” analysiert er unter anderem die regionale wie internationale schöne neue Kirchenwelt, zunächst in England.

In der Kathedrale von Rochester, altehrwürdig und wunderschön prächtig, darf Minigolf gespielt werden. Kissler fragt die anglikanischen Schwestern und Brüder – in bestem Genderneudeutsch, wie es das Bistum Hildesheim rigoros empfiehlt, würde das allerdings “die Geschwister” heissen – verständlicherweise: “Wen wollt ihr damit in welcher Absicht locken?” Die dortige Pastorin versteht das Minigolf-Projekt als “ekklesiale Marketingmassnahme”. Kissler schreibt: “Menschen sollen aus irgendeinem Grund veranlasst werden, die Kirche zu betreten, und wenn sie schon einmal da sind, haben sie vielleicht zwischen zwei Minigolfschlägen Zeit zu bemerken, dass sie sich in einer Kirche befinden und dass Kirchen einmal Gotteshäuser hießen. So weit die Hoffnung.” Und bemerkt: “Der Weg zur Hölle ist mit Fun gepflastert.”

In Deutschland toben sich einige Konfessionen multimedial aus. Im Corona-Jahr 2020 gab es Festspiele der Virtualität und digitale neue Gottesdienstformate. Bereits davor war Deutschland das “Mekka der Kletterkirchen”. Überall darf – katholisch oder protestantisch – mal geklettert werden, auf dem Weg der Selbstfindung, zur neuen Identität oder einfach mal so, um hinaufzukommen, im Hier und Jetzt, aber “nicht für das Himmelreich”. Wer glaubt schon noch an Gott in den Kirchen heute? Wissen Sie das? Sie vielleicht schon, weil Sie – wie einige treue Bischöfe und Priester – einfach nur ganz normal und römisch-katholisch sind – aber gilt das auch mehrheitlich für die Repräsentanten der verwalteten Kirche heute?

Heute meinen viele, dass die Kirche attraktiver werden müsse – aufgeschlossen, nett, sympathisch, cool und authentisch, zum Beispiel –, und dann wird die Kirche einfach nur noch albern und peinlich. Darauf weist Kissler in “Die infantile Gesellschaft” hin, anschaulich und pointiert. Mit banalen Slogans sei der “Weg in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit” markiert – “nach Weltlichkeit dürstet es die infantile Kirche”. Kissler verweist auf den ökumenischen Silvestergottesdienst zur Klimarettung, dargeboten am 31. Dezember 2019 im Zoo-Panorama, das nahe dem Zoo Hannover gelegen ist. Das Fernsehen übertrug live. Dort sprach erst Ben Becker über die “zahme Natur”, mit vielen “possierlichen Schilderungen”. Hinter so viel Natur müsse doch ein “lieber Schöpfer” wohnen: “Es ist ein also ein sehr kindlicher Blick auf Welt und Gott, den uns die beiden Kirchen präsentieren, noch ehe sie selbst in Gestalt zweier Bischöfe das Wort ergreifen. … Die liebe Natur begründet eine liebliche Religion.” Die “Ökumene des Kitsches” funktionierte prächtig. Es gab auch einen inszenierten Dialog mit ein paar Jugendlichen. Landesbischof Ralf Meister und Bischof Heiner Wilmer fügten sich in die Szenerie passend ein und hielten symbolische Reden in einer “Welt hochtourigen Lamentierens”: “Man klagt in einer Welt, die man sich mit Kinderfarben harmlos ausmalt, allerschlimmste Kräfte an. Man ortet das grosse Verhängnis in einer Welt aus Einhörnern.” Was sagen die Bischöfe dazu – am letzten Tag des Jahres 2019? “Man buhlt um die nächste Generation, man will sein wie sie.” Die Jugendlichen hätten erkannt, scheinbar, was die Erwachsenen nicht sähen: Die Welt müsse gerettet werden, am besten von Deutschland aus. Alexander Kissler schreibt: “Der geweihte Erwachsene, der Jugendlichen Reife attestiert, redet aber am unvernünftigsten von allen. Er verdammt den Glauben der Kinder, um Kindern jene Reife andichten zu können, die er den Erwachsenen abspricht. Die Infantilitätsfalle schnappt zu. Bruder Heiner hat sich selbst schachmatt gesetzt. … Die Kirchen reden lieber von Klimaschutz, Islam und Amazonas als von Jesus Christus.”

Retten konnten aber die beiden tüchtigen Bischöfe nicht einmal das Regenwald-Zoo-Panorama, ein grosses Verlustgeschäft. Wer möchte schon für viel Geld digitale Regenwälder sehen? Das “Panorama” wird eine “Themenwelt” im Zoo, nun denn. So erklärte Zoo-Geschäftsführer Andreas Castorff: “Die separate Vermarktung von Panorama und Zoo ist leider am Markt nicht so angenommen worden, wie unsere Erwartungen im Hinblick auf die Besuche der faszinierenden Werke von Yadegar Asisi an anderen Standorten vermuten liessen.”

Wer mehr über die “Die infantile Gesellschaft” und kirchliche Lebenswirklichkeiten heute wissen möchte, wird von Alexander Kissler gut unterhalten und bestens informiert. Sein anregendes Buch, scharf pointiert, ist unbedingt empfehlenswert.

Alexander Kissler, “Die infantile Gesellschaft – Wege aus der selbstverschuldeten Unreife”, ist bei Rowohlt erschienen und hat 256 Seiten.

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