Köln: “Ein Stein vom Herzen gefallen”

‘Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen: Es wurden Namen genannt, was ich hervorragend fand, weil diese Vertuschung, die hier im Erzbistum stattgefunden hat, keine anderen Konsequenzen haben durfte’

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Kardinal Woelki übersteht “Vorverurteilungen und Nebelkanonen“

Köln: “Ein Stein vom Herzen gefallen”

Auch im Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln gab es in der Vergangenheit große Auseinandersetzungen über den Umgang mit dem ersten Gutachten. Wie blickt man dort jetzt auf die Ergebnisse des Gercke-Gutachtens, das am Donnerstag veröffentlicht wurde?

Das fragte das Kölner Domradio Peter Bringmann-Henselder, der zum Betroffenen-Beirat des Erzbistums Köln gehört.

Jetzt ist das lange erwartete Gutachten veröffentlicht. Wie bewerten Sie das, was Sie gehört und gelesen haben?

Bringmann-Henselder: Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen: Es wurden Namen genannt, was ich hervorragend fand, weil diese Vertuschung, die hier im Erzbistum stattgefunden hat, keine anderen Konsequenzen haben durfte. Und für mich wirklich überraschend war, dass Kardinal Woelki unverzüglich personelle Konsequenzen gezogen und Weihbischof Schwaderlapp und Offizial Assenmacher von ihren Aufgaben entbunden hat. Damit hatte ich nicht gerechnet und deswegen habe auch auf dem Podium kurzzeitig meine Fassung verloren.

Sieht das der ganze Betroffenenbeirat so, oder ist das ihre persönliche Meinung?

Bringmann-Henselder: Es gab nach der Pressekonferenz ein Gespräch mit Professor Gerke und Kardinal Woelki unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ich hatte den Eindruck, dass alle aus dem Betroffenenbeirat mit dem Ergebnis einverstanden waren. Ungereimtheiten konnten wir in dem Gespräch noch klären.

Es gab in den vergangenen Monaten massive Kritik an Kardinal Woelki, dem vorgeworfen wurde, er würde das erste Gutachten zurückhalten. Darüber gab es auch Streit innerhalb des Betroffenenbeirates, zwei Mitglieder haben ihn verlassen. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?

Bringmann-Henselder: Ich habe den Kardinal 2016 in Berlin erlebt, als er für die Caritas gesprochen hat und aus meiner Sicht der Einzige war, der sich in die Öffentlichkeit gestellt und gesagt hat: Wir haben es gewusst. Und dann die Fehler in den Einrichtungen der Caritas auch benannt hat.
Deshalb war für mich die Entscheidung, das erste Gutachten nicht zu veröffentlichen, richtig. Darüber gab es grosse Auseinandersetzungen, auch im Betroffenenbeirat. Einige forderten der Herausgabe des Gutachtens, aber der Grossteil war sich einig, dass wir das zweite Gutachten abwarten wollten.

Trotzdem herrscht in Medien und Öffentlichkeit eine Meinung vor, Woelki müsse persönliche Konsequenzen ziehen, auch wenn das Gutachten ihm keine Pflichtverletzung nachweist. Das Argument lautet, er habe das Vertrauen der Menschen verspielt. Wie sehen sie das?

Bringmann-Henselder: Kritik wird es immer geben, egal wie das Gutachten aussieht, Auch wenn es so wäre, wie es die Öffentlichkeit und die Medien es gern auch gehabt hätten. Da wird sich jetzt auch Einiges zurecht gedreht, damit man Woelki weiterhin kritisieren kann.
Ich bin der Meinung, man sollte auf dem Boden der Tatsachen bleiben, sollte private Sachen aussen vorlassen und anerkennen, dass hier der erste Schritt gemacht wurde. Das ist ein Fundament, auf dem man aufbauen kann.

Sie selbst wurden in Ihrer Kindheit in einem Kölner Kinderheim von einem Priester missbraucht. Hilft die Aufarbeitung und so ein Gutachten bei der Bewältigung solcher Traumata?

Bringmann-Henselder: Bei meiner persönlichen Geschichte mit dem Pfarrer, der mir Leid zugefügt hat, hilft das nur indirekt. 2012 ist er bereits verstorben, würde er noch leben, hätte ich mit diesem Gutachten die Chance gehabt, gegen den Pfarrer vorzugehen, weil durch die Vertuschung durch den damaligen Generalvikar die Verjährungszeit bei mir ausgehebelt wurde. Dann hätte ich jetzt juristisch gegen ihn vorgehen können.

Wie ist Ihr heutiges persönliches Verhältnis zur Kirche?

Bringmann-Henselder: Der Generalvikar sagte damals zu mir: “Das muss der Pfarrer mit seinem Gewissen und dem lieben Gott ausmachen.” Daraufhin bin ich gleich zum Amtsgericht gegangen und aus der Kirche ausgetreten. Ich wurde gläubig erzogen und bin es immer noch. Aber ich brauche keine Kirche mehr für meinen Glauben. Ich weiss, dass die Kirchen viele soziale und caritative Aufgaben übernehmen, die sonst keiner machen würde, deswegen halte ich sie für wichtig. Aber sie muss sich verändern.

Jetzt ist das Gutachten auf dem Tisch. Was sind die Forderungen des Betroffenenbeirates?

Bringmann-Henselder: Vieles was das Gutachten schreibt, etwa zur künftigen Aktenführung oder zur Präventionsarbeit, deckt sich mit unseren Forderungen. Konkret werden wir dem Kardinal in der kommenden Woche Vorschläge machen.
Und wir werden weitermachen. Auf jeden Fall bis Ende des Jahres und danach entscheidet sich, wie sich ein anderer Betroffenenbeirat zusammensetzen wird und die Arbeit fortführt. Denn mit dem Gutachten alleine ist es nicht getan. Wir müssen darauf aufbauen und dem Erzbistum bei der Aufarbeitung helfen, weil es das alleine nicht schafft. Es muss auch weiterhin viel passieren.
Einer meiner Vorschläge wäre: Das Erzbistum sollte Betroffene juristisch begleiten. Nicht mit den eigenen Rechtsanwälten, sondern – indem es die Kosten übernimmt – ihnen ermöglichen, dass von unabhängigen Rechtsanwälten begleitet werden bis hin zu eventuellen Schadenersatzforderungen oder Urteilen.

domradio – sk, 19. März 2021

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