Gehorsam, was ist das eigentlich?

Gehorsam, was ist das eigentlich? – Die Arten des Gehorsams

Quelle
Liturgische Eigentümlichkeiten bei Christmette im Bistum Würzburg

Gedankensplitter – Einzeltext – Stefan Fleischer

Das Problem bei der Diskussion über den Gehorsam ist wohl meist, dass die Vielschichtigkeit dieses Begriffs zu wenig beachtet wird. In groben Zügen kann der Gehorsam in drei Arten eingeteilt werden, in den Gehorsam aus Zwang, in den Gehorsam aus Einsicht und in den Gehorsam aus Vertrauen, wobei es, wie überall im Leben, nicht immer möglich ist, die Grenzen klar zu ziehen. Deshalb wird heute sehr oft nur der Gehorsam aus Einsicht als gut bezeichnet, der Gehorsam aus Zwang strikte abgelehnt und der Gehorsam aus Vertrauen schlicht vergessen.

Dabei ist der Gehorsam aus Vertrauen jener Gehorsam, den das Kind normalerweise als erstes lernt und gegenüber seinen Eltern und Erziehern leistet. Einsicht in die Richtigkeit aller getroffenen Entscheide der Erziehungsberechtigten kann, je jünger das Kind desto weniger, erwartet werden. Gute Erzieher aber verstehen es, das nötige Vertrauen zu schaffen, damit das Kind ihre Anweisungen auch dort als sinnvoll empfinden, wo sie sie nicht verstehen. Das ist der Idealfall. Manchmal aber ist auch hier Druck in irgendeiner Form nötig, besonders wenn die Jugendlichen die Selbstständigkeit zu proben beginnen, ohne noch über genügend Einsicht zu verfügen.

Der Gehorsam aus Einsicht ist im Idealfall ein selbständiges, eigenverantwortliches Handeln, meist jedoch einfach Handeln aus einem Konsens heraus. Der Gehorsam gegenüber den Gesetzen und Vorschriften des Staates ist ein solches Handeln aus Konsens. Der einzelne Bürger weiss, dass diese Gesetze und Vorschriften nie das absolut Richtige sind, dass sie nie allen Situationen voll gerecht werden können, dass sie immer wieder diskutiert und angepasst werden müssen. Doch solange sie Gültigkeit haben ist der Gehorsam gefordert, weil sonst die Gemeinschaft nicht optimal funktionieren kann.

Gehorsam aus Zwang wird, wie wir schon beim Kindesgehorsam gesehen haben, sich nie ganz vermeiden lassen. Dazu ist der Mensch zu egozentrisch oder gar egoistisch. Deshalb sind sozusagen überall, wo Gehorsam gefordert ist, auch Sanktionen für den Ungehorsam vorgesehen. Selbstverständlich wird der Gehorsam auch immer wieder in schlechter Absicht erzwungen. Im Normalfall jedoch sind Zwangsmassnahmen im Interesse der Gesellschaft oft einfach notwendig, weil die Freiheit des Einzelnen seine Grenzen an der Freiheit des Anderen finden muss.

Der Gehorsam in der Kirche sollte im Idealfall ebenfalls der kindliche Gehorsam aus Vertrauen sein. Der erste Grund dieses Vertrauens ist nämlich immer Gott, unser Vater. Zudem glauben wir, dass Christus der Herr und das Haupt seines mystischen Leibes, der Kirche ist. Deshalb glauben wir und vertrauen darauf, dass seine Weisungen und Anordnungen immer richtig und zu unserem Besten sind. Aus diesem Vertrauen auf Gott heraus fliesst dann unser Vertrauen in unsere Mutter, der Kirche. Wir glauben, dass Christus selbst seine Diener ruft und leitet, und dass er auch dort alles zum Besten zu lenken vermag, wo seine Diener – tatsächlich oder auch nur scheinbar – versagen.

Aber auch der Gehorsam aus Konsens spielt eine wichtige Rolle in der Kirche. Es gibt sehr viele Vorschriften und Regelungen, die nicht den Anspruch erheben, absolut richtig oder das absolut Beste zu sein, die diskutierbar, und veränderbar sind. Aber all diese Vorschriften haben den Zweck, das Zusammenleben der Gläubigen in der universellen Kirche möglichst optimal zu gestalten, den Schwächen der Menschen Grenzen zu setzen, die Einheit zu wahren und auch nach aussen zu zeigen. Auch hier sollte eigentlich gelten, was in jeder normalen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit ist. Solange Gesetze und Vorschriften Gültigkeit haben, fordern sie den Gehorsam. Eigenmächtigkeiten verletzen immer die Einheit, führen zu Zank und Streit und im Extremfall zu Spaltung. Das zeigt die heutige Situation der Kirche überdeutlich. Für Korrektur- und Änderungswünsche sind deshalb die vorgesehenen Entscheidungswege einzuhalten.

Und manchmal kommen auch in der Kirche die Verantwortlichen nicht darum herum, Sanktionen, Zwangsmassnahmen zu ergreifen. Ich glaube, wir dürfen – bis zum Beweis des Gegenteils – davon ausgehen, dass solche Massnahmen, ja dass jeglicher Zwang, immer im Interesse der ganzen Kirche ergriffen werden. Die Zurückhaltung, die die Kirche heute diesbezüglich an den Tag legt (und die dann auch wieder nicht immer verstanden wird) spricht eine deutliche Sprache.

Generell muss also gesagt werden, dass der Gehorsam einer der grundlegenden Faktoren des menschlichen Zusammenlebens ist. Je idealer die Menschen innerhalb einer Gemeinschaft sind, desto mehr Einsicht wird es geben, desto weniger Zwang wird angewendet werden müssen. Je mehr sich aber Rechthaberei und Egozentrismus bis hin zum Egoismus ausbreiten, desto nötiger werden, im Interesse aller, Druck und Zwang. Es muss deshalb unser Bestreben sein, den Menschen und insbesondere den Gläubigen, die positiven Seiten des Gehorsams wieder näher zu bringen. Das heisst nicht, blinden Gehorsam zu fordern. Doch es heisst, den Menschen die Augen zu öffnen für die gesellschaftlichen Zusammenhänge einerseits, und andererseits für Gott, unseren Vater, der von uns jenen Glauben und jenes Vertrauen erwartet, aus denen heraus wir die Freude am Gehorsam entwickeln können, die uns dann erlaubt, auch dort zu gehorchen, wo wir nicht ganz verstehen.

So gesehen ist der Gehorsam zu Recht einer der evangelischen Räte, welcher nicht nur im Klosterleben sondern auch im Leben aller Gläubigen eine wichtige, wenn nicht eine entscheidende Rolle spielt.

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