Der „Kontinent der Hoffnung“ in der Ewigen Stadt

Die 150-Jahr-Feier der Gründung des lateinamerikanischen Kollegs „Pius“

Quelle
Vatikan
Papst: wo steht der Arme in deinem Leben?
Vatikan 2018 – Ansprache von Papst Franziskus an die Gemeinschaft des lateinamerikanischen Kollegs

Die 150-Jahr-Feier der Gründung des lateinamerikanischen Kollegs „Pius“. – Der „Kontinent der Hoffnung“ in der Ewigen Stadt

Eines der Zeichen für die Vorliebe der Päpste für die Kirche Lateinamerikas (von Paul VI. als „Kontinent der Hoffnung“ bezeichnet) ist das Päpstliche lateinamerikanische Kolleg „Pius“. Das vor 150 Jahren von Pius IX. gegründete Institut wird schon von jeher von den Jesuiten geleitet. Generationen von Priestern und Bischöfen sind durch diese Schule gegangen. Hier ihre Geschichte.

Von Pina Baglioni

„San Pedro y el Vaticano desde la azotea del Colegio (en G. Belli 3)“ steht unter dem alten Schwarzweissfoto geschrieben. Es könnte in den 1930er Jahren aufgenommen worden sein. Ganz sicher aber an einem Sonnentag: sechs Seminaristen beim Spaziergang auf der Terrasse des Kollegs in der Via Gioachino Belli, im römischen Viertel Prati, das Brevier in der Hand. Einer ist über die Brüstung gebeugt, um die Kuppel der Peterskirche zu bewundern, die man im Bildhintergrund erkennen kann.

Der kolumbianische Jesuitenpater José Adolfo González Prados, seit vier Jahren Rektor des Päpstlichen lateinamerikanischen Kollegs, zieht mit einer gewissen Zurückhaltung die wertvolle Sammlung alter Fotos hervor, die er in einem Metallschrank aufbewahrt. Er zeigt uns andere Aufnahmen, andere Gesichter von Seminaristen aus den vergangenen Jahrzehnten. Bizarr muten die aus den 1970er Jahren an: Fast alle haben lange Haare, tragen Jeans und Turnschuhe. „1973 war ich Vizerektor am lateinamerikanischen Kolleg ‚Pius‘,“ erklärt Pater González. „Schon damals waren wir mehr Priester als Seminaristen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass die Seminaristen damals nichts wissen wollten vom Talar, sie wollten so angezogen sein wie ihre Altersgenossen. Doch diese ‚turbulenten‘ Jahre sind vorbei, und heute wollen die Priester des Kollegs nicht mehr verbergen, was sie sind: sie ziehen gerne den clergyman an,“ sagt er und zeigt uns, wer auf den Fotos Bischof, Kardinal, oder ein bedeutender Theologe geworden ist. Und wer dagegen nach seiner Rückkehr in die Heimat, wo er Zeugnis ablegen wollte für das Evangelium, den Tod gefunden hat. „Märtyrer hat es bei uns immer gegeben; und daran hat sich nichts geändert: beispielsweise den Kolumbianer Isaia Duarte Cancino, Bischof von Cali, den die narcos auf dem Gewissen haben. Von 1937 bis 1942 hat auch Erzbischof Óscar Arnulfo Romero aus El Salvador hier an der Gregoriana Theologie studiert,“ erinnert er sich. „Derzeit sind einige Seligsprechungsprozesse für ehemalige Studenten unseres Instituts im Gange, die in Ausübung des Priesterdienstes ums Leben gekommen sind.“

Der Rektor ist kein Mann grosser Worte. Er unterrichtet das Fach Spiritualität an der Universität Gregoriana. „Keinen der wichtigsten Kurse,“ wehrt er ab. Und als Beweis für die anderthalb Jahrhunderte, in denen sich das lateinamerikanische Kolleg einen mehr als guten Namen gemacht hat, zeigt er uns eine aufschlussreiche Aufzeichnung: Seit dem 21. November 1858 – dem Gründungstag – bis zum Oktober 2008 brachte das Kolleg 32 zukünftige Kardinäle hervor, 438 zukünftige Bischöfe; beherbergte 3.971 Priester oder Seminaristen. „Seit 1975 haben wir hier nur Priester, die nicht älter sind als 35. Bis 1974 waren Seminaristen bei uns: jetzt sind wir in Wahrheit ein Priesterkonvikt, aber wir wollen uns auch weiter als Kolleg bezeichnen – und das nicht nur aus Gründen der Tradition, sondern weil wir hoffen, dass uns die göttliche Vorsehung eines Tages neue Seminaristen schickt.“

Heute leben in dem Päpstlichen Kolleg, das seinen Sitz seit 1973 in der Via Aurelia antica hat, gleich hinter der Vatikanstadt, 70 Priester. Sie kommen aus Kuba, Santo Domingo, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Haiti, Venezuela, Peru – vor allem aber aus Kolumbien. Fast alle studieren an der Universität Gregoriana, wo sie das Lizentiat erwerben oder ihren Doktor in Theologie machen wollen – vielleicht auch in Philosophie, Kirchenrecht, Kirchengeschichte, Biblistik, Missiologie und Sozialwissenschaften. Nach Abschluss ihrer Ausbildung und Rückkehr in die Heimat unterrichtet mehr als die Hälfte von ihnen an den dortigen Seminaren, dem Wunsch ihrer Bischöfe entsprechend.

Auch um die Feiern zum 150. Jahrestag der Gründung dieser namhaften Institution im kommenden Februar will man nicht viel Aufhebens machen. „Wir werden ‚im kleinen Kreis‘ feiern: mit vier Bischöfen aus Lateinamerika, die mit uns gemeinsam eine wunderbare Geschichte nachvollziehen werden. Der wichtigste Termin ist jedoch der 19. Februar: der Tag, an dem uns Benedikt XVI. empfangen wird. Und darüber sind wir mehr als glücklich.“

Man muss nur einen Blick auf die Wände der langen Korridore werfen, auf die kleinen und grossen Säle des Kollegs, um zu verstehen, wer die Begründer dieser wunderbaren Geschichte waren. All diese Gemälde, Marmorbüsten, Inschriften führen letztendlich zu Papst Pius IX. und dem chilenischen Priester Ignacio Victor Eyzaguirre, den beiden Gründern des lateinamerikanischen Kollegs. Es ist ergreifend, wenn man sich hier umsieht und plötzlich auf das Messgewand stösst, in dem Giovanni Maria Mastai Ferretti, der zukünftige Papst Pius IX., zum Priester geweiht wurde. Der Stoff dazu stammt von dem Umhang, den seine Mutter bei ihrer Hochzeit trug. Auf dem angenähten Stoffstück steht auf Lateinisch und Arabisch „Pius IX.“ geschrieben. „Diese arabische Aufschrift ist ein wahres Mysterium. Niemand weiss, wer sie geschrieben hat, wann und warum,“ erzählt der Rektor. Hier am Eingang hängt auch das Foto eines lächelnden Johannes Paul II., der dem Kolleg am 17. Januar 1982, zum 125. Jahrestag der Gründung, seinen Besuch abgestattet hat.

Aber nicht nur das Gedächtnis Pius‘ IX. und das Eyzaguirres ist hier lebendig – auch das der Muttergottes. Eine grosse Statue von Nuestra Señora del Colegio aus dem römischen Viertel Prati, von vielen kleinen Engeln umgeben, hält vor der Kapelle Wache. Und dann ist da noch die Virgen morenita von Guadalupe, Schutzpatronin und Königin Lateinamerikas. Darstellungen von ihr sind ganz einfach überall zu finden; in allen nur möglichen Formen und Herstellungstechniken. Wie das Mosaik der herrlichen Kapelle des katalanischen Priesters Luigi Palomera, mit dem Altar im Zentrum, gedacht für die Konzelebrationen. „Der am meisten erwartete Moment der Woche findet hier statt: jeden Donnerstag um 19 Uhr feiern alle gemeinsam die Messe. Während der Eucharistie werden die liturgischen Gesänge von lateinamerikanischen Blasinstrumenten begleitet. Nicht umsonst sind wir ein Stück Lateinamerika im Herzen Roms.“

Pius IX. und Pater Eyzaguirre

Den Gedanken, im Herzen Roms ein kleines Stück Lateinamerika für die Ausbildung des lateinamerikanischen Klerus zu schaffen, haben wir der Hartnäckigkeit eines Priester zu verdanken: Ignacio Victor Eyzaguirre. „Wenn es ein Land auf der Welt gibt, das sein Gemeinschaftsband mit dem Zentrum der katholischen Einheit verstärken will, dann ist das zweifelsohne Amerika,“ schrieb er im Januar 1856 in einem für Pius IX. bestimmten Dokument. „Und warum sollte der Hl. Stuhl, der in der Hauptstadt der Christenheit manches kirchliche Seminar für Länder Europas und Asiens unterstützt und fördert, ein solches für den spanischen und portugiesischen Teil Amerikas nicht in fromme Erwägung ziehen wollen?“.

Unter Joseph I. von Portugal und Carlos III. von Spanien machte die lateinamerikanische Kirche schwere Zeiten durch. In den Jahren 1759 – 1767 war es den beiden gelungen, 328 Missionare der Gesellschaft Jesu aus Brasilien zu verjagen; weitere zweitausend aus allen anderen spanischsprachigen Ländern. Die gewaltsame Vertreibung der Jesuiten und die Folgen, die das auf die reducciones Paraguays und das gesamte auf dem Kontinent vollbrachte Werk hatte, wirkten sich auch auf die bisher beachtlichen Berufungen aus. Um 1820 gefährdeten die Unabhängigkeitsbestrebungen der spanischen Kolonien sogar das Überleben der Kirche.  Eine merkwürdige Fügung des Schicksals führte dem Urheber dieses für die Geschichte der lateinamerikanischen Kirche so wichtigen Projekts den ersten Papst über den Weg, der lateinamerikanischen Boden betreten hatte: Im Juli 1823 war Giovanni Maria Mastai Ferretti – damals ein junger, knapp 30-jähriger Priester – mit der päpstlichen Legation unter Leitung von Msgr. Johannes Muzi nach Chile und Argentinien gereist. Die Reise war auf Wunsch der chilenischen Regierung erfolgt, die den Hl. Stuhl 1822 um Anerkennung der Republik und Ernennung eines päpstlichen Repräsentanten gebeten hatte. Seit der Einladung war jedoch einige Zeit verstrichen – und als die päpstliche Legation endlich in Südamerika anlegte, war eine neue Regierung an der Macht, die keinen päpstlichen Repräsentanten wollte. Giovanni Mastai Ferretti liess sich jedoch nicht entmutigen und sammelte alle notwendigen Informationen, die dabei helfen konnten, eine grössere Nähe zum Hl. Stuhl voranzutreiben. Das geht aus vielen Zeugnissen und Briefen hervor, die er an Kardinal-Staatssekretär Giulio della Somaglia geschrieben hat (G. De Marchi, Lezioni di storia della diplomazia pontificia, pro manuscripto).

Als der Chilene Eyzaguirre 1856 um Audienz bei Pius IX. bat, schien dieser nur darauf gewartet zu haben: Eyzaguirre wurde vom Papst nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern dieser sagte ihm auch seine volle Zustimmung für die Gründung eines lateinamerikanischen Kollegs und jede nur mögliche Hilfe zu.

Die ersten Niederlassungen

Als Eyzaguirre nach Lateinamerika reiste, hatte er einen ganzen Packen Briefe bei sich. Briefe, in denen der Papst die südamerikanischen Bischöfe um Seminaristen und Fonds für das geplante Kolleg bat. Im Januar 1858 – Eyzaguirre hatte inzwischen den ganzen Kontinent bereist – kehrte er mit 58.700 Pesos in der Tasche und den ersten Schülern nach Rom zurück: zehn Argentiniern, sechs Kolumbianern und Peruanern. Die begabtesten Studenten aus sieben Diözesen. Ein Teil des Geldes wurde für die Anmietung einer provisorischen Unterkunft gleich bei der Kirche Sant’Andrea della Valle verwendet. Die Einweihung erfolgte am 21. November desselben Jahres in der Kapelle des Hauses. Bei dieser Zeremonie weihten sich die 17 Studenten feierlich der Muttergottes. Der Papst bestimmte inzwischen, dass die Leitung der neuen Institution den Patres der Gesellschaft Jesu übertragen werden solle. Die Ausbildung der jungen Männer sollte von den Geistlichen Exerzitien des hl. Ignatius inspiriert sein. Die besten Studenten wurden an das Kolleg in Rom geschickt, wo sie Dogmatik, Moraltheologie und Philosophie studierten. Darüber hinaus wurden sie in allen Fächern auch privat unterrichtet. Die weniger Gebildeten, die kein Latein konnten, schickte man auf ein öffentliches Gymnasium. Drei Jahre später zogen die Seminaristen zu den Benediktinern bei Santa Maria sopra Minerva um. Es war keine einfache Zeit: die Studenten konnten sich nur schwer an die eiserne Disziplin des Kollegs gewöhnen, und im Februar 1863 musste eine Kommission „für die gute Leitung und Bewahrung des Kollegs“ eingerichtet werden. Mehr als diese Kommission scheint jedoch die Initiative des Rektors bewegt zu haben: Francisco Vannutelli beschloss, eine Marianische Kongregation ins Leben zu rufen, die die Seminaristen jeden Tag einlud, gemeinsam den Rosenkranz zu beten und das Ave maris Stella zu singen. Eine Initiative, die sofort Früchte trug, ein intensiveres spirituelles Leben bewirkte, die Einhaltung der Regeln, zu Krankenbesuchen in den Hospizen anregte, zum eifrigen Messedienst und grösserem Fleiss bei den häuslichen Arbeiten. Dann aber begannen die armen Seminaristen nach und nach zu erkranken – Schuld ihrer prekären ersten Unterkünfte im Zentrum Roms, die im Sommer erdrückend heiss, im Winter schlecht beheizt waren. Manche erlagen dem Fieber, andere der Tuberkulose. So dass man sich 1867 gezwungen sah, sich in Sant’Andrea al Quirinale niederzulassen, gleich neben der Residenz des Papstes, wo ein anderes Klima herrschte. In jenem Jahr jährte sich auch der 1800. Jahrestag des Martyriums von Petrus und Paulus, und die 500 lateinamerikanischen Bischöfe, die aus jedem Winkel der Erde nach Rom gekommen waren, brachten neue Studenten für das Kolleg mit, deren Zahl sich inzwischen auf 59 belief (vgl. Luis Medina Ascencio S.J., Historia del Colegio Pío Latino Americano. Rom:1858-1978, Editorial Jus, 1979, SS. 45-53). Aber 1867 war auch deshalb ein erinnerungswürdiges Jahr, weil der Papst dem Kolleg erneut tatkräftig unter die Arme griff: er stellte nicht nur Geld, Gemälde und Bücher zur Verfügung, sondern gab auch seine Zustimmung, dass das lateinamerikanische Kolleg ihm zu Ehren „Pius“ genannt werden durfte.

Das erste Plenarkonzil Lateinamerikas

In der Zwischenzeit nahm die Zahl der Gäste des Kollegs immer mehr zu. Im Juli 1870 – die Arbeiten des I. Ökumenischen Vatikanischen Konzils waren gerade im Gange – brachten die lateinamerikanischen Bischöfe weitere Studenten mit nach Rom. Es waren nun schon 82.

Mit dem Ende der zeitlichen Macht und dem nun zur Hauptstadt des Königreichs Italien gewordenen Rom musste der Kaiser von Brasilien höchstpersönlich auf die italienische Regierung einwirken, um die Auslagerung der Studenten von Sant’Andrea auf dem Quirinalshügel zu verhindern. Man erlaubte ihnen, dort zu bleiben bis sie eine neue Unterkunft gefunden hätten. So konnte schliesslich 1887 – zunächst mit Hilfe von Pius IX., dann Leos XIII. – eine neue Niederlassung im römischen Viertel Prati entstehen und dem Nomadendasein des lateinamerikanischen Kollegs ein Ende gesetzt werden. Zumindest für die nächsten 75 Jahre.

Die Zahl der Seminaristen betrug nun schon 120. Und das Kolleg hatte sich einen derart guten Namen gemacht, dass 1899 in den Räumlichkeiten im Viertel Prati das erste Plenarkonzil Lateinamerikas abgehalten wurde. 53 lateinamerikanische Bischöfe und Erzbischöfe nahmen daran teil. Bei dieser Gelegenheit wollte Leo XIII. die Aufforderung, Seminaristen ans lateinamerikanische Kolleg zu schicken, auch auf die Philippinen ausweiten.

Durch diese ganze Geschichte zieht sich ein roter Faden: die kontinuierliche Sympathie nicht nur Pius‘ IX., sondern aller seiner Nachfolger. Am 19. März 1905 forderte Pius X. die lateinamerikanischen Bischöfe auf, „wenigstens einen Schüler im Jahr nach Rom zu schicken und dabei keine Kosten zu scheuen… Weil das von Unserem Vorgänger Pius IX. in Rom gegründete Kolleg sicher das bedeutendste der Werke ist, die die Sorge der Päpste um Lateinamerika zeigen.“ Pius X. war es auch, der dem Kolleg mit dem Brief Sedis Apostolicae den Titel „Päpstlich“ zugestand und es definitiv unter die Leitung der Gesellschaft Jesu stellte. Es war der Wunsch der Päpste nach ihm – Benedikt XV., Pius XI. und Pius XII. –, dass eine immer grössere Zahl zukünftiger Priester aus Lateinamerika in Rom ausgebildet würde. „Die Studenten des lateinamerikanischen Kollegs ‚Pius‘ finden – ebenso wie die anderer Kollegien – in Rom Lehrmeister der Tugend und Wissenschaft“, konnte Pius XII. gar nicht oft genug betonen. „Lehrmeister, die wiederum selbst, ein jeder in seinem Bereich, aus einem strengen Auswahlverfahren hervorgegangen sind“ (Reden und Radioansprachen des Heiligen Vaters Pius XII., Tipografia Poliglotta Vaticana, Vatikanstadt 1956, X, S. 456).

Die Stunde des II. Vatikanischen Konzils

Die Vorliebe der Päpste für dieses Kolleg war mehr als gerechtfertigt: aus den anfänglichen 17 Seminaristen des Jahres 1858 waren 1928/ 29 stolze 300 geworden. Zu viele selbst für die Residenz in der Via Belli. Man beschloss daher, den brasilianischen Teil „auszusiedeln“, aus dem auf Wunsch der brasilianischen Bischöfe am 3. April 1934 das Päpstliche brasilianische Kolleg wurde. Als Niederlassung wählte man die Villa Maffei an der Via Aurelia, ein Grundstück im römischen Umland, das Pius IX. schon 1859 dem neugegründeten lateinamerikanischen Kolleg für seine Studenten zur Verfügung gestellt hatte. Mit der Zeit spalteten sich immer mehr Teile ab, wurden neue Kollegien gegründet: 1961 waren die Filippinos an der Reihe, 1967 die Mexikaner.

In der Zwischenzeit liess sich das lateinamerikanische Kolleg nicht beirren: 1958, bei den Feiern zum hundertjährigen Bestehen, das Papst Pius XII. als „sichtlich von Gott gesegnet und reich an jeder Art von Gütern“ definierte, wurde der erste Kongress der Rektoren der Priesterseminare des lateinamerikanischen Kontinents abgehalten. Im selben Jahr konnte auch die lateinamerikanische Bischofskonferenz (Celam) zum ersten Mal in der Via Belli tagen. Es war jedoch nun an der Zeit, dem Viertel Prati den Rücken zu kehren und sich nach einer Unterkunft umzusehen, die mehr Raum bot: inzwischen gingen jedes Jahr so viele Anfragen aus den lateinamerikanischen Diözesen ein, dass längst nicht mehr alle angenommen werden konnten. Man trug sich mit dem Gedanken, ein neues Gebäude auf dem Grundstück der Villa Maffei zu bauen, wohin sich auch schon das Päpstliche brasilianische Kolleg verlagert hatte.

Im Dezember 1960 segnete Papst Johannes XXIII. im Beisein der Oberen, der Studenten und des gesamten diplomatischen Korps Lateinamerikas die Grundsteinlegung des zukünftigen Kollegs. Es handelte sich um einen Stein aus den Vatikanischen Grotten, genau genommen aus antiken Strukturen beim Petrusgrab. Ein Umstand, an den Paul VI. am 30. November 1963 erinnerte, als er zur Einweihung der neuen Niederlassung in der Via Aurelia in das Kolleg kam: „Mit bewundernswerter Intuition hat man diesen Eckstein ausgelöst… fast eine Art Symbol für die anderen, tieferen Grundsteine, auf die sich das Kolleg stützt: die Treue und die Liebe zum Apostolischen Stuhl,“ sagte er. „Erweist euch dieser feierlichen Stunde, die die gesamte Kirche heute erleben darf, würdig; der Stunde des ökumenischen Konzils: zeigt, dass ihr seinen Geist zu leben wisst und in seine verborgenen Tiefen vorzustossen versteht. Fangt den christlichen Duft der Ewigen Stadt Rom ein und bewahrt ihn euch. Diesen Duft, den ihr schon jetzt in eurem Herzen tragt und den ihr dereinst in eure Heimat tragen werdet.“

Die Zeit des Konzils war eine Zeit der grossen Euphorie. Ein Optimismus, der sich auch auf das neue lateinamerikanische Kolleg übertrug, das seinen Sitz nun in der Via Aurelia hatte. Es war die fünfte „Etappe“ jener Pilgerzeit, die das Kolleg seit seinen Anfängen erlebt hatte. Das neue Gebäude verfügte über 300 Zimmer. Es gab sogar eine eigene Etage für die Jesuitenpatres, eine für die Kardinäle und Bischöfe zu Besuch in Rom, eine weitere für die Ordensschwestern. „Schon bald aber mussten wir erkennen, dass wir viel zu optimistisch gewesen waren,“ erzählt der Rektor, Pater González: „Die Zahl der Seminaristen nahm allmählich immer mehr ab. Es waren die Jahre der grossen Orientierungslosigkeit. Um die vielen Räumlichkeiten dieses Gebäudes zu nutzen, nahmen wir sogar das Lombardische Kolleg bei uns auf. Nach einigen Jahren erkannten wir, dass die Zeit gekommen war, das Haus zu verkaufen und eine kleinere, unseren Bedürfnissen besser angepasste Unterkunft zu suchen. So kam es, dass das lateinamerikanische Kolleg ‚Pius‘ 1973 umzog, sich definitiv in der Via Aurelia antica niederliess.“ Eine sehr schöne Anlage, eingebettet in einen Park aus dem 17. Jahrhundert, gleich beim Institut Don Guanella. Hinter dem Gebäudekomplex steht ein kleines Haus aus dem Jahr 1660 mit einer Bibliothek voller wertvoller kirchenrechtlicher Texte aus den vergangenen Jahrhunderten – ein Geschenk der lateinamerikanischen Bischöfe.

„Die Priester, die ihr Studium heute in Rom vertiefen, sind ‚unbedarfter‘ als die des ’68 Jahres. Von einem ideologischen Standpunkt aus freier,“ fügt der Rektor an. „Sie wissen, dass sie bei der Rückkehr in die Heimat grosse Armut vorfinden werden. Vor allem in den ländlichen Pfarreien. In manchen Ländern, Kolumbien beispielsweise, haben wir auch noch das Problem der Guerilla, die ständigen Massaker von Priestern und Schwestern. Und was man dagegen tun kann, das lernen sie hier in Rom, in der unmittelbaren Nähe des Papstes und der Gräber der ersten Märtyrer. Sie wissen, dass ihr Handeln ‚im Sinne der Kirche‘ zu sein hat: indem sie das Evangelium voller Zuversicht und in aller Schlichtheit verkünden. In dem Bewusstsein, dass die unsrigen, mögen sie auch noch so fasziniert sein von den protestantischen Sekten, denen es gelingt, sich in die Häuser und in die Familien einzuschleichen, immer noch grosses Vertrauen zur Kirche haben, zu deren grossem Herzen, das seit jeher auf der Seite der Unterdrückten ist,“ erklärt er.

„Aber da ist noch etwas, dem sie sich stellen müssen; etwas von noch grösserer Dringlichkeit: der Verlust des Glaubens. Wir müssen wieder den Katechismus unterrichten, das ABC des Christentums. Das ist es, was die Leute von uns erwarten. Und das ist es, was unsere Priester tun müssen.“

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