Istanbul: „Enttäuschung und Sorge“
Mit Blick auf die ausserordentliche Bedeutung des Chora-Klosters löst die türkische Entscheidung, diese in eine Moschee umzuwandeln, weiterhin weltweit Reaktionen aus
Quelle
Porträt der Woche: Patriarch Bartholomaios I.
Seine Enttäuschung über die vom türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan veranlasste Umwandlung von Museumskirchen in Istanbul hat der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel zum Ausdruck gebracht. „Wir wurden durch die Umwandlung der Hagia Sophia und der Chora-Kirche in Moscheen verletzt“, sagte Bartholomaios I. bei einem Gottesdienst in den Kirchenruinen der Stadt Kyzikos am Marmarameer.
Die beiden einzigartigen Denkmäler Konstantinopels seien als christliche Kirchen erbaut worden und Teil des Weltkulturerbes, so der Ökumenische Patriarch. Ihre einzigartigen Mosaiken und Ikonen böten „Nahrung für die Seele“. „Wir beten zum Gott der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens, dass er den Verstand und die Herzen der Verantwortlichen erleuchtet“, schloss Bartholomaios.
Viele ungenutzte Moscheen
„Enttäuschung und Sorge“: So reagiert der griechisch-orthodoxe Erzbischof von Australien, Erzbischof Makarios (Griniezakis), auf die Umwandlung der geschichtsträchtigen Chora-Kirche in Istanbul in eine Moschee. Nach der „Entweihung“ der Hagia Sophia, des „globalen Symbols der Orthodoxie und der Christenheit“, setze die politische Führung der Türkei den Weg der „Missachtung der religiösen Denkmäler der orthodoxen Kirche“ fort, so der enge Mitarbeiter des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I.
Die Regierung von Präsident Erdogan zeige damit auch ihre Verachtung für die Stätten des Unesco-Weltkulturerbes. Derzeit gebe es mehr als 2.000 Moscheen in Konstantinopel/Istanbul, die meisten von ihnen seien auch zu den Gebetszeiten leer, so Erzbischof Makarios.
„Eine Beleidigung der orthodoxen Christen und der Christenheit“
Leider bewege sich die offizielle Türkei in die entgegengesetzte Richtung zur Entwicklung der modernen demokratischen Gesellschaften. Zugleich werde all das in Frage gestellt, was in früheren Zeiten – etwa im Hinblick auf die Hagia Sophia und auf das Chora-Kloster – von führenden Vertretern der türkischen Republik beschlossen worden sei.
Die jüngsten Initiativen der türkischen Staatsführung stellten nicht nur „eine Beleidigung der orthodoxen Christen und der Christenheit insgesamt“ dar, so der australische orthodoxe Erzbischof. Vielmehr würden „Intoleranz, religiöser Fanatismus, nationalistische Ideologie“ gefördert und zugleich die „friedliche Koexistenz“ in Frage gestellt. Metropolit Makarios abschliessend: „Die Verantwortungsträger müssen sich bewusst sein, dass heutige Entscheidungen die historische Realität eines Monuments nicht verändern können, sie können nur die Zukunft bestimmen und das bedeutet eine schwerwiegende Verantwortung“.
„Akt der Respektlosigkeit“
Der zypriotische Präsident Nicos Anastasiades verurteilte die Umwandlung der Hauptkirche des Chora-Klosters in eine Moschee „auf das Entschiedenste“. Es handle sich um einen weiteren „Akt der Respektlosigkeit“ der Türkei gegenüber dem Weltkulturerbe. Der Heilige Synod der autonomen Kirche von Kreta betonte seinen „tiefen Schmerz“ angesichts der „neuerlichen Beleidigung der orthodoxen Kirche und der Weltchristenheit“ angesichts der türkischen Chora-Entscheidung. Die Stätten des Weltkulturerbes seien von herausragenden kulturellen Persönlichkeiten entworfen worden, die berühmten Mosaiken im „Katholikon“ des Chora-Klosters und in der Hagia Sophia „tragen griechische Inschriften“.
Die türkische Herausforderung erfolge im schwierigen Augenblick der Pandemie, der Völker, Religionen und Kulturen zu „Zusammenarbeit, Koexistenz und gegenseitigem Respekt“ einlade, nicht aber zu „Entscheidungen, die das religiöse Bewusstsein, die Identität und den gegenseitigen Respekt beleidigen“. Die Kirche von Kreta rufe die Weltgemeinschaft auf, institutionelle Voraussetzungen zu schaffen, damit die Identität von Stätten des Weltkulturerbes wie des Chora-Klosters bewahrt werden können.
„Schande über die Aktionen der türkischen Verantwortlichen“
Der zypriotische Metropolit von Konstantia, Basilios (Karayiannis), bedauerte in besonders eindringlichen Worten die Umwandlung der Hauptkirche des Chora-Klosters. Ein grosser Teil der Eparchie von Metropolit Basilios ist seit 1974 türkisch besetzt, dementsprechend ist die Zweckentfremdung und Zerstörung kirchlicher Monumente für ihn „tägliches Brot“. Metropolit Basilios deutete an, dass die Kirche von Zypern bereits früh Informationen über die Umwandlung der Chora-Kirche hatte, daher habe es auch in der Erklärung des Heiligen Synods von Konstantinopel bereits einen Hinweis auf Chora gegeben.
Wörtlich sagte Metropolit Basilios: „Schande über die Aktionen der türkischen Verantwortlichen. Wenn die Unesco nicht imstande ist, die Stätten des Weltkulturerbes zu bewahren, dann muss eine andere Organisation geschaffen werden“.
Der orthodoxe Erzbischof von Amerika, Elpidophoros (Lambriniadis), schrieb auf Twitter: „Nach der tragischen Grenzüberschreitung mit der Hagia Sophia jetzt das Chora-Kloster, dieses ausserordentliche Geschenk der byzantinischen Kultur an die Welt. Das türkische Volk verdient keine so engherzige Politik. Die Aufforderungen der internationalen Gemeinschaft werden ignoriert, aber wie lang?“
Türkei weist die Kritik zurück
Das türkische Aussenministerium hat die internationale Kritik in Sachen Chora mittlerweile zurückgewiesen. Der Sprecher des Aussenministeriums, Hami Aksoy, erklärte, Griechenland sei das „letzte Land“, das die Türkei über den Respekt religiöser Rechte belehren könne, da doch „islamische Wallfahrtsstätten und Moscheen, die Teil der osmanischen Tradition waren“, in Griechenland entweiht worden seien. Es sei aber auch „arrogant“ von Seiten Griechenlands, wenn Athen versuche, Ankara Lehren zu erteilen, obgleich „in Griechenland Rechte und Freiheiten der türkischen Minderheit“ eingeschränkt würden.
Wenn alle Gestalten der Geschichte eigentlich Muslime sind…
Der Bereich des Chora-Klosters war 1945 durch ein Dekret des türkischen Ministerrats als Museum deklariert worden. Nach den umfangreichen Restaurierungsarbeiten wurde der Bereich 1958 für die Allgemeinheit zugänglich gemacht. Im November 2019 erklärte der türkische Verwaltungsgerichtshof (Danistay), die Umwandlung in ein Museum sei „ungesetzlich“ gewesen. Ironischerweise beriefen sich die „Danistay“-Richter darauf, dass der Chora-Gebäudekomplex, „insbesondere die Hauptkirche“, nur „entsprechend seiner ursprünglichen Funktion“ genützt werden könne. In Blog-Kommentaren hiess es dazu in den letzten Tagen, dass die türkischen Instanzen sich offensichtlich nicht über die christlichen Wurzeln der Chora-Kirche und unzähliger anderer Gotteshäuser in der Türkei und der „insgesamt der christlichen Geschichte Konstantinopels“ im klaren seien.
Der Jerusalemer Islamexperte Moshe Sharon verwies darauf, dass nach geläufiger islamischer Überzeugung „alle Geschichte islamische Geschichte ist und dass alle Gestalten der Geschichte, von Adam bis heute, eigentlich Muslime sind“. Aus dieser Überzeugung erwachse die „Islamisierung der Geschichte“. Zugleich gebe es auch eine „Islamisierung der Geographie“, daraus ergebe sich, dass der Islam Gebiete nicht erobert, sondern nur zu ihrer ursprünglichen islamischen Bestimmung „befreit“ habe.
„Triumph des Islam über das Christentum“
Die Konsequenzen liessen sich etwa an den Beschreibungen des arabischen Weltreisenden Ibn Battuta (1304-1377) ablesen, der im Sommer 1333 viele kleinasiatische Städte wie Nikaia (Isnik), Ephesos, Attalia (Adalia), Magnesia (Manisa) usw. besuchte. Aus seinen Beschreibungen gehe hervor, dass in vielen kleinasiatischen Städten die Kirchen in Moscheen umgewandelt wurden. Auch die Errichtung der vier grossen Minarette um die Hagia Sophia habe dem Zweck gedient, den „Triumph des Islam über das Christentum“ zum Ausdruck zu bringen.
In der osmanischen Gedankenwelt habe die Umwandlung der Hagia Sophia zur Moschee die Überzeugung von der „Überlegenheit des osmanischen Staates über alle Nationen und des Islam über das Christentum“ symbolisiert – und damit eine Bestätigung der „weltgeschichtlichen Rolle der Osmanen“.
Ein Schlag gegen die religiöse Identität der Unterworfenen
Der griechische Historiker Basilios Meichanetsidis betont, dass die Umwandlung von Kirchen zu Moscheen ein „bewusstes Zeichen der islamischen Überlegenheit“ gegenüber den „Eroberten“ gewesen sei. Diese Umwandlung habe zugleich einen „schrecklichen Schlag“ gegen die religiöse Identität, die individuelle und kollektive Würde, die Menschenrechte und die Religionsfreiheit der „Dhimmi“ (der auf eine zweitklassige Stufe deklassierten christlichen „Untertanen“) bedeutet. Die meisten christlichen Gotteshäuser hätten nach der osmanischen Eroberung dieses Schicksal erlitten.
Auch nach der Proklamation der türkischen Republik seien die meisten byzantinischen Kirchen nicht an ihre legitimen Eigentümer zurückgestellt, sondern höchstens zu Museen erklärt worden. Auch wenn es immer noch grossartige Beispiele der christlichen griechischen Kultur auf türkischem Boden gebe – wie etwa die Hagia Sophia oder die Hauptkirche des Chora-Klosters –, seien diese Ziele des türkischen Eroberungswillens, der sich aus religiösen und historischen Wurzeln nähre.
pro oriente – sk, 24. August 2020
Schreibe einen Kommentar