Ein christlicher Spaziergang durch Syrien UPDATE

Sind die Freunde von gestern Feinde geworden?

Das Heiligtum von Saydnaya in Syrien: VIDEO
Bahira-Basilika
Omajjaden-Moschee
Heiliger Jakobus der Perser
Maalula
Thekla Kloster
Ein Kloster mitten im Islam
*Eindrücke aus dem zerstörten Maalula

Die Tagespost, 29.02.2012, von Stephan Baier

Während Syrien im Bürgerkrieg versinkt und der Westen immer massiver auf einen Regimewechsel drängt, wächst unter den Christen in Syrien die Angst. “Was zählt, ist das Gefühl der Syrer, dass die Freunde von gestern die Feinde von heute geworden sind”, schrieb der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Gregorios Yohanna Ibrahim, vor wenigen Tagen. (Februar 2012, Red.)

Durch alle Stürme der Jahrhunderte hindurch hat sich bis heute in Syrien ein vitales Christentum erhalten. Wird es sich auch durch den Sturm des “arabischen Frühlings” hindurch retten können? Ein Autor der “Die Tagespost” hat Syrien 2004 und 2009 besucht und erinnert sich an Begegnungen mit Menschen und Orten christlichen Glaubens. Ein Spaziergang mit neun Stationen.

Viele Gemeinden hat der Apostel Paulus gegründet, nicht aber jene in Damaskus. Hierher kam er, vor seiner Bekehrung, in der Absicht, die Christen zu verfolgen und eine bereits blühende Gemeinde zu zerschlagen (Apostelgeschichte 9,2). Vor den Toren von Damaskus erfuhr er seine Bekehrung, wurde von Hananias geheilt und getauft. Der Ort seiner Heilung und Bekehrung in der “sogenannten Geraden Strasse” (Apg 9,11) ist bis heute eine Kirche. Lange bevor der christliche Glaube Rom, Byzanz oder Ephesus erreichte, lebte er bereits in Damaskus. Anders als in manchen Gegenden Kleinasiens und Nordafrikas geben davon nicht nur Ruinen Zeugnis, sondern prachtvolle Kirchen samt sichtbaren Kreuzen und hörbaren Glocken. Und noch viel mehr die Menschen: Patriarchen und Bischöfe, Priester und Mönche, Gläubige unterschiedlicher Riten und Konfessionen.

1 In Bosra, an der syrisch-jordanischen Grenze, begegnete Mohammed einst als Karawanenhändler dem christlichen Mönch Bahira, der ihm eine göttliche Sendung vorausgesagt haben soll. Die im Jahr 460 geweihte Kirche der Heiligen Jungfrau und die Kathedrale auf den Ruinen eines römischen Tempels sind verfallen, doch das Bewusstsein, dass sich hier Christentum und Islam begegneten, dass der künftige Prophet des Islam hier einem christlichen Mönch lauschte, ist lebendig geblieben. Die Bahira-Basilika erinnert Christen wie Muslime noch heute daran.

2 Gemeinsame Wallfahrtsorte sind nicht selten in Syrien, etwa die Georgs-Kirche in Ezraa, unweit von Bosra. Und natürlich “die Perle des Orients” selbst: Damaskus, eine der ältesten Städte der Welt. Die prachtvolle Omajjaden-Moschee ist das kulturelle und spirituelle Herz der riesigen Stadt. Sie hat auch ein schlankes Jesus-Minarett, und die Legende sagt, dass Jesus am Ende der Zeiten auf diesem Minarett landen werde, um den Antichrist zu richten. Der Mittelpunkt der Omajjaden-Moschee aber ist der grüne, goldverzierte Schrein, in dem der Kopf Johannes des Täufers verehrt wird. Trauben schwarzgekleideter Iranerinnen hängen am Gitter des riesigen Schreins, um Johannes zu verehren, den der Islam als Prophet Isa verehrt. Immer finden sich hier Beter. Johannes Paul II. hatte als erster Papst eine Moschee betreten, um an dieser Stelle zu beten. Auf altem, geweihten Boden freilich, denn die heutige Moschee war einst die christliche Johannes-Basilika, ruhend auf einem antiken Jupiter-Tempel. Kalif Khaled bin Al-Walid verfügte 634, als er Damaskus einnahm, dass die Christen die Westhälfte der Basilika weiter als Kirche verwenden dürfen, die östliche Hälfte aber den Muslimen als Moschee überlassen. 72 Jahre währte diese christlich-muslimische Koexistenz am Schrein des Johannes.

Als zum Abschluss des von Papst Benedikt XVI. proklamierten Paulus-Jahres im Juni 2009 grosse Feierlichkeiten in Damaskus stattfanden, da empfingen die Imame des Landes und Syriens Religionsminister Mohammed Abdulstar Al-Sayyed den päpstlichen Delegaten, Kardinal Rouco Varela, mit den Spitzen der syrischen Kirchen in der Omajjaden-Moschee. Gemeinsam gingen christliche und muslimische Autoritäten zu Johannes dem Täufer. Da beteten der melkitische Patriarch, der spanische Kardinal, die muslimischen Imame und der Vertreter des säkularen Staates einträchtig am Grabmal des Täufers. Da rühmte der Mufti von Damaskus, Bashir Abdulbari, Syriens Reichtum der Religionen und Riten. Da rezitierte der Religionsminister aus dem Koran eben jene Sure, die die Verkündigung der Geburt Jesu durch den Erzengel Gabriel (für Muslime Djibril) schildert. Damaskus sei, so sagte der Minister, die “Heimat aller himmlischen Religionen”.

3 Tatsächlich liegen beim Souvenirhändler in der Altstadt Rosenkränze und Gebetsschnüre, Broschüren über Paulus wie über Saladin einträchtig nebeneinander. Nicht nur einträchtig, sondern euphorisch begrüssten die Christen unterschiedlicher Konfession, die sich zu einer Vesper beim Kloster Tel Kawkab, wo Paulus seine Christusbegegnung gehabt haben soll, den Grossmufti Syriens, Scheich Ahmad Badr Ad-Din Hassoun. Für das Oberhaupt der grössten christlichen Konfession, den griechisch-orthodoxen Patriarchen Ignatius IV. Hazim, war das vom Papst ausgerufene Paulus-Jahr ein Segen: “Wir bedanken uns bei den Brüdern in allen Kirchen und bei den Muslimen, die von Anfang an mitgemacht haben. Wir Syrer feiern alles gemeinsam, ob es ein christliches oder ein islamisches Fest ist.” Und der Grossmufti, der am Ende der Vesper ans Mikrophon gebeten wurde, verglich die Vielfalt der Religionen mit der Buntheit eines Blumenstrausses. “Gott hat Moses, Jesus und Mohammed geschickt, weil er die Menschen liebt! Wir sind alle Gläubige!”, rief der Grossmufti unter dem Applaus der gläubigen Christen.

Die christlichen Konfessionen in Syrien seien “wie eine Familie”, meinte der orthodoxe Patriarch Ignatius damals im Gespräch mit dieser Zeitung. Rund zehn Prozent der 21 Millionen Einwohner Syriens sind Christen: griechisch-orthodox oder melkitisch, syrisch-orthodox oder syrisch-katholisch, armenisch-apostolisch oder maronitisch, und seit dem Beginn der riesigen Flüchtlingswelle aus dem Irak auch chaldäisch. Drei christliche Patriarchen haben ihren Sitz in Damaskus, und wer durch das christliche Viertel der Stadt schlendert, der spürt auch, warum. Allein die Melkiten haben in der Hauptstadt Syriens 21 Pfarreien mit 45 Priestern und zwei Klöstern, Zusammenschlüsse für Laien, 20 katechetische Zentren, an denen 5 000 Kinder von 250 Religionslehrern unterrichtet werden, aber auch ein Kinderheim, ein Altenheim, Suppenküchen, Kindergärten, eine Schule und zwei Kliniken.

4 An der Spitze der melkitischen, also griechisch-katholischen Kirche steht Patriarch Gregorios III. Laham, ein hochbegabter, vielsprachiger und kraftvoller Mann, dem man jederzeit auch eine Karriere in der Politik oder in einem globalen Unternehmen zutrauen würde. Bereits beim Papst-Besuch in Amman hatte ich Patriarch Gregorios erlebt, als er mit einer leidenschaftlichen, französisch-arabischen Rede die Menge zu Begeisterungsstürmen brachte. In Syrien ist er eine gesellschaftliche Grösse, ein geachteter Gesprächspartner der Regierung wie der anderen Religionen, ein rastloser Manager und Seelsorger. Als ich ihn im Juni 2009 in Damaskus interviewte, beschrieb Patriarch Gregorios die Lage der Christen in Syrien so: “Der Staat lässt den Gläubigen freie Bewegung im Beten, Singen und Feiern, auch im Dozieren und in der Veröffentlichung unserer Bücher. Wir erfreuen uns in Syrien einer ganz grossen, einmaligen und modellhaften Freiheit der Religionen und des Glaubens.” Als wir im Februar 2011 angesichts des “arabischen Frühlings“”nochmals sprechen, verteidigt der Patriarch Syrien vehement: “In Syrien ist die Religionsfreiheit am meisten und am besten garantiert, weil wir hier einen säkularen Staat haben. In allen anderen Ländern der Region herrscht der Islam vor. In Syrien ist der Islam zwar gesellschaftlich präsent, aber nicht staatlich.” Noch, so müsste man nun, ein Jahr später, ergänzen.

5 Tatsächlich herrscht im Syrien des Assad-Clans für Christen Kultusfreiheit. Die Verfassung garantiert die Freiheit der Religionsausübung. In den Schulen gibt es islamischen und christlichen Religionsunterricht. Der Staat stellt den Grund für den Bau von Moscheen und Kirchen. Christen werden in der Schule, an der Universität oder beim Militär nicht benachteiligt. Die Kirchen bekommen Wasser und Strom kostenlos, sind von mehreren Steuern befreit. Ausstellungen und Festveranstaltungen, Publikationen und Sondersendungen waren zum Paulus-Jahr in Syrien mit staatlicher Unterstützung möglich. Von religiöser Diskriminierung kann man allenfalls im Erb- und Eherecht sprechen. Volle Gewissensfreiheit gibt es allerdings nicht, denn die Bekehrung eines Muslims zum Christentum ist auch in Syrien verboten. Wie in osmanischer Zeit ist Religionszugehörigkeit auch eine soziale Sache, eine Frage der Identität ganzer Familien.

6 “Offen für alle Gottsucher” sei ihr Kloster, erzählt Oberin Agnes Marijam im melkitischen “Kloster des heiligen Jakobus des Persers”, 90 Kilometer nördlich von Damaskus. Ihre Gastfreundschaft ist kein Trick, sondern orientalische Tradition und echte Überzeugung.

So wie bei dem italienischen Pater Paolo dall’ Oglio, der 1982 nach Syrien kam und sich nun 1350 Meter über dem Meeresspiegel, hoch in den Bergen, im Dair Mar Musa al-Habashi, dem alten Kloster des heiligen Mose von Abbessinien, der Askese und dem Dialog widmet. Sobald man sich von den Mühen des steilen Aufstiegs erholt hat, kann man hoch im Antilibanon nicht nur christliche Fresken aus dem 11. Jahrhundert bestaunen, sondern auch einen italienischen Jesuiten, der mit christlichen wie muslimischen Anhängern nach dem Prinzip von “ora et labora” – auf Arabisch “salat” und “amal” – lebt.

7 Vitaler Glaube prägt bis heute Maalula, ein Bergdorf 60 Kilometer von Damaskus, wo wir eine der ältesten christlichen Kirchen der Welt finden. Sie ist den ersten christlichen Märtyrern des Landes, den römischen Offizieren Sergius und Bacchus, geweiht. Eine junge Melkitin rezitiert hier für Besucher das “Vater unser” auf Aramäisch, in der Sprache Jesu. Arabisch lernen die Kinder hier erst in der Schule, erklärt ein Mönch, denn zuhause werde noch immer Aramäisch gesprochen. Plötzlich erscheint eine Gruppe tiefverschleierter Iranerinnen, drängt in die Kirche und lauscht den Erklärungen. Nur hier könnten sie das Gebet Jesu in seiner eigenen Sprache hören, erklärte mir der dynamische Pater Toufic: “Die Iraner kommen gerne hierher, aus Liebe zu Jesus, den sie als Propheten verehren, und weil ihnen hier das Christentum erklärt wird.” In ihrer Heimat wäre das unmöglich.

8 Im nahegelegenen Thekla-Kloster halten griechisch-orthodoxe Nonnen die Erinnerung an diese selbstbewusste Anhängerin des Paulus wach. Eine besonders attraktive Frau muss sie gewesen sein, stellten ihr die verschmähten Verehrer doch sogar gewaltsam nach, warfen sie auf den Scheiterhaufen und in ein Wasserbecken voll kämpfender Seehunde. Immer wurde sie auf wunderbare Weise gerettet – bis sich schliesslich hier in der syrischen Wüste ein Felsen öffnete, um ihr die Flucht zu ermöglichen. Noch immer gehen die Pilger, die aus ganz Syrien und aus dem Libanon kommen, auf diesem abenteuerlichen Fluchtweg durch den Felsen, noch immer finden sie im Thekla-Kloster fromme Ordensschwestern und einen Ort des Gebets.

9 Das Marienkloster Saydnaya – das assyrische Wort bedeutet übersetzt “Unsere Frau” – thront in 1400 Metern Höhe wie eine mächtige Glaubensburg über der Ebene. Hier wird seit den Zeiten von Kaiser Justinian eine wundertätige Marien-Ikone verehrt, die dem Evangelisten Lukas zugeschrieben wird. Sie zieht Wallfahrer unterschiedlicher Konfession und Religion an, auch viele Kranke, die hier um Genesung beten. Wie das Haus Mariens in Ephesus ist auch Saydnaya für Muslime ein beliebter Pilgerort. Sogar die Schwester des kriegerischen Sultan Saladin soll hier ein Gelübde abgelegt haben. Wenn die orthodoxen Nonnen, die auch ein Waisenhaus unterhalten, wohlgestimmt sind, darf man für ein paar Augenblicke den finsteren, russgeschwärzten, weihrauchschweren Raum betreten, in dem die Ikone verehrt wird. Wie das Christentum in diesem Land hat auch die Gottesmutter von Saydnaya, die Stürme des Islam, der Mongolen, der Kolonialmächte und der säkularen Diktatur überstanden. Und wieder einmal richten sich vieler Christen Blicke hoffend und bangend auf sie.

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