Castelpetroso
Patoralbesuch in den Diözesen Campobasso-Boiano und Isernia-Venafro
Quelle
Heiligtum von Castelpetroso
19.3.1995 Papst Johannes Paul II.
Patoralbesuch in den Diözesen Campobasso-Boiano und Isernia-Venafro – Begegnung mit Jugendlichen der Diözese Abruzzen und Molise
Platz des Heiligtums von Castelpetroso – Samstag, 5. Juli 2014
Ich danke euch dafür, dass ihr so zahlreich und fröhlich hierhergekommen seid. Ich danke Bischof Pietro Santoro für seinen Einsatz in der Jugendpastoral; und ich danke dir, Sara, dass du die Hoffnungen und Sorgen der Jugendlichen aus der Region Abruzzen und Molise zum Ausdruck gebracht hast. Die Begeisterung und die Festtagsstimmung, die ihr zu erzeugen wisst, sind ansteckend.
Die Begeisterung ist ansteckend. Wisst ihr denn, woher dieses Wort stammt: »Enthusiasmus«? Es kommt aus dem Griechischen und heisst soviel wie »etwas Göttliches in sich haben« oder »in Gott sein«. Die Begeisterung zeigt, wenn sie gesunder Art ist, Folgendes: Dass jemand ein göttliches Element in sich trägt und es voller Freude zum Ausdruck bringt. Seid – erfüllt von dieser Begeisterung – offen für die Hoffnung und strebt nach Fülle –, verlangt danach, eurer Zukunft, eurem ganzen Leben einen Sinn zu verleihen, den Weg ausfindig zu machen, der für jeden Einzelnen von euch geeignet ist. Wählt dabei den Weg, der euch Gelassenheit und menschliche Verwirklichung zu schenken vermag. Den richtigen Weg, sich für einen Weg entscheiden … was heisst das? Nicht stillzustehen – ein junger Mensch soll nicht stillstehen! – und vorangehen. Das heisst, einem Ziel entgegengehen; denn man kann sich zwar bewegen und trotzdem einer sein, der nicht vorangeht, sondern einer, »der herumschweift «, der im Leben Pirouetten dreht, um sich kreist, der sich im Kreis dreht … Aber das Leben ist nicht dazu da, dass man »sich im Kreis dreht«, es ist dazu da, »es zu durchwandern«, und das ist die Herausforderung, der ihr euch stellen müsst!
Ihr seid einerseits auf der Suche nach dem, was wirklich zählt, das der Zeit standhält und endgültig ist. Ihr seid auf der Suche nach Antworten, die euren Geist erhellen und euer Herz erwärmen, und zwar nicht nur für einen kurzen Augenblick oder für ein kurzes Stück des Weges, sondern für immer. Das Licht, das für immer im Herzen brennt, das Licht, das für immer im Geist aufstrahlt, das für immer und ewig erwärmte Herz. Andererseits verspürt ihr eine grosse Angst, Fehler zu begehen – es ist wahr, wer vorangeht, kann Fehler machen –, ihr habt Angst, euch zu stark in die Dinge verwickeln zu lassen – das habt ihr schon oft gehört –, die Versuchung, euch immer einen kleinen Fluchtweg offen zu lassen, der bei Bedarf immer neue Szenarien und Möglichkeiten eröffnen kann. Ich gehe in diese Richtung, ich wähle diese Richtung, aber ich lasse diese Türe offen: Wenn es mir dann nicht zusagt, kehre ich um und gehe. Diese Vorläufigkeit tut nicht gut; sie tut nicht gut, weil sie dir den Geist verdunkelt und das Herz erkalten lässt.
Die zeitgenössische Gesellschaft und ihre vorherrschenden kulturellen Leitmodelle – so beispielsweise die »Kultur der Vorläufigkeit« – bieten kein Klima, das günstig wäre für das Heranreifen dauerhafter Lebensentscheidungen mit festen Banden, die auf einem Felsen der Liebe und der Verantwortlichkeit gründen statt auf dem Sand des Gefühls des Augenblicks. Das Streben nach einer individuellen Autonomie wird bis zu dem Punkt getrieben, wo man stets alles in Frage stellt und mit relativer Leichtigkeit wichtige, lange erwogene Entscheidungen kippt, Lebenswege aufgibt, die aus freien Stücken mit Verpflichtungen und Hingabe eingeschlagen worden waren. Das trägt zur Oberflächlichkeit bei der Übernahme von Verantwortungen bei, denn im tiefsten Inneren des Gemütes laufen diese Gefahr, für etwas gehalten zu werden, dessen man sich letztlich auch entledigen kann. Heute wähle ich dieses, morgen entscheide ich mich für etwas anderes … ich gehe dahin, wohin der Wind sich dreht; oder wenn meine Begeisterung, meine Lust auf etwas enden, schlage ich einen neuen Weg ein … Und so geschieht es, dass man durch das Leben »kreist«, wie man es in einem Labyrinth tut. Aber dieser Weg ist kein Labyrinth! Wenn ihr euch in der Situation befindet, durch ein Labyrinth zu irren, das hierhin und dahin führt, und ganz woandershin … haltet ein! Sucht nach dem Faden, um aus dem Labyrinth herauszufinden; sucht nach dem Faden: Man kann nicht sein ganzes Leben damit vergeuden, hin- und herzuirren. Dennoch, liebe Jugendliche, strebt das Herz des Menschen nach grossen Dingen, nach wichtigen Werten, nach innigen Freundschaften, nach Banden, die durch die Prüfungen, die uns das Leben auferlegt, gestärkt werden, statt zu zerreissen.
Der Mensch sehnt sich danach, zu lieben und geliebt zu werden. Das ist eure tiefinnerste Ambition: lieben und geliebt zu werden; und das für immer. Die Kultur der Vorläufigkeit hebt nicht unsere Freiheit hervor, sondern sie raubt uns unsere eigentliche Bestimmung, die wahrsten und authentischsten Ziele. Es ist ein zerschlagenes Leben. Es ist traurig, wenn man in einem bestimmten Lebensalter auf den zurückgelegten Weg zurückblickt und feststellen muss, dass es in verschiedene Stücke zerschlagen wurde, ohne Einheit, ohne Endgültigkeit: Alles provisorisch … Lasst euch nicht die Sehnsucht rauben, in eurem Leben grosse und dauerhafte Dinge zu vollbringen! Das ist es, was euch voranbringt. Begnügt euch nicht mit kleinen Etappensiegen! Strebt nach dem Glück, habt den Mut dazu, den Mut, über euch hinauszugehen und eure Zukunft ganz ins Spiel zu bringen, zusammen mit Jesus.
Allein können wir es nicht schaffen. In Anbetracht des Drucks, der durch die Ereignisse und die verschiedenen Moden ausgeübt wird, können wir allein es niemals schaffen, den rechten Weg zu finden, und selbst wenn wir ihn fänden, so hätten wir nicht genügend Kraft, durchzuhalten und die unvorgesehenen Steigungen und Hindernisse in Angriff zu nehmen. An diesem Punkt ergeht an uns die Einladung des Herrn Jesus: »Wenn du willst … folge mir nach.« Er lädt uns ein, um uns auf dem Weg zu begleiten, nicht um uns auszubeuten, nicht um uns zu knechten, sondern um uns frei zu machen. Er lädt uns zu dieser Freiheit ein, um uns auf unserem Weg zu begleiten. So ist das. Nur gemeinsam mit Jesus – im Gebet mit ihm verbunden und in seiner Nachfolge – können wir klar sehen und die Kraft dazu erhalten, weiter zu machen. Er liebt uns auf immer, er hat uns auf immer auserwählt, er hat sich auf immer einem jeden von uns geschenkt. Er ist unser Verteidiger und grosser Bruder und wird unser einziger Richter sein. Wie schön ist es doch, dem Auf und Ab des Daseins in der Gesellschaft Jesu entgegenzutreten, ihn und seine Botschaft bei uns zu haben! Er beraubt uns weder unserer Autonomie noch unserer Freiheit; ganz im Gegenteil: indem er uns in unserer Schwäche stärkt, ermöglicht er es uns, wahrhaft frei zu sein, frei dazu, das Gute zu tun, stark genug, es auch weiter zu tun, dazu imstande, zu vergeben und dazu, um Vergebung zu bitten. Das ist Jesus, der uns begleitet, so ist der Herr!
Ein Wort, das ich gerne wiederhole, weil wir es allzu oft vergessen, lautet: Gott wird es nie müde, zu vergeben. Und das ist wahr! Seine Liebe ist so gross, dass er uns immer nah ist. Wir sind diejenigen, die es müde werden, um Vergebung zu bitten, aber er vergibt immer, jedes Mal, wenn wir ihn darum bitten. Er vergibt endgültig, er tilgt unsere Sünde und vergisst sie, wenn wir uns demütig und vertrauensvoll an ihn wenden. Er hilft uns dabei, uns nicht entmutigen zu lassen, wenn wir in Schwierigkeiten sind, hilft dabei, sie nicht für unüberwindbar zu halten; und dann werft ihr, voller Vertrauen in ihn, erneut die Netze zu einem überraschenden und überreichen Fischfang aus, ihr werdet Mut und Hoffnung auch dann aufbringen, wenn ihr euch mit den Problemen herumschlagen müsst, die sich aus den Auswirkungen der Wirtschaftskrise ergeben. Mut und die Hoffnung sind in allen Menschen angelegt, aber sie stehen vor allem den Jugendlichen an: Mut und Hoffnung! Es ist gewiss, dass die Zukunft in den Händen Gottes liegt, den Händen eines vorausschauenden Vaters. Das heisst nicht, dass man die Schwierigkeiten und Probleme leugnet, sondern dass man sie – das ja! – als vorläufig und überwindbar betrachtet. Die Schwierigkeiten, die Krisen können mit Gottes Hilfe und dem guten Willen aller überwunden, besiegt und verwandelt werden.
Ich will nicht schliessen, ohne zuvor noch etwas zu einem Problem gesagt zu haben, das euch alle betrifft, ein Problem, das ihr ganz aktuell erlebt: die Arbeitslosigkeit. Es ist traurig, Jugendliche zu sehen, die »weder … noch« sind. Was heisst das, dieses »weder … noch«? Weder studieren sie, weil sie nicht dazu in der Lage sind, weil sie nicht die Möglichkeit dazu haben, noch arbeiten sie. Das ist die Herausforderung, aus der wir alle als Gemeinschaft siegreich hervorgehen müssen. Wir müssen vorangehen, um diese Herausforderung in Angriff zu nehmen! Wir können uns nicht darin ergeben, eine ganze Generation von Jugendlichen zu verlieren, denen die grosse Würde der Arbeit fehlt! Die Arbeit verleiht uns Würde, und wir alle müssen alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass man nicht eine ganze Generation junger Menschen verliert. Unsere Kreativität verbessern, damit die Jugendlichen die Freude jener Würde verspüren können, die die Arbeit verleiht. Eine Generation ohne Arbeit stellt eine künftige Niederlage des Vaterlandes und der ganzen Menschheit dar. Wir müssen hiergegen ankämpfen. Und einander gegenseitig dabei helfen, einen Lösungsweg zu finden, einen Weg der Hilfe, der Solidarität. Die jungen Menschen sind mutig, ich habe es bereits gesagt, die Jugendlichen haben Hoffnung, und – drittens – die Jugendlichen verfügen über die Fähigkeit, solidarisch zu sein. Und dieses Wort Solidarität ist ein Wort, das man heutzutage nicht gerne hört. Manche Leute halten es für ein Schimpfwort. Nein, es ist kein Schimpfwort, es ist ein christliches Wort: Mit dem Bruder vorangehen, um ihm dabei zu helfen, die Probleme zu meistern. Mutig, voller Hoffnung und solidarisch.
Wir sind hier vor dem Heiligtum der Schmerzensmutter versammelt, das an dem Ort errichtet wurde, wo die Muttergottes zwei Töchtern dieses Landes, Fabiana und Serafina, im Jahr 1888 erschienen ist, als sie auf den Feldern arbeiteten. Maria ist Mutter, sie kommt uns immer zur Hilfe: wenn wir arbeiten und wenn wir auf Arbeitssuche sind, wenn wir klare Vorstellungen haben und wenn wir verwirrt sind, wenn das Gebet spontan aus uns hervorquillt und wenn unser Herz geistig trocken ist: Sie ist immer da, um uns zu helfen. Maria ist die Gottesmutter, unsere Mutter und die Mutter der Kirche. Unzählige Männer und Frauen, ob jung oder alt, haben sich an sie gewandt, um ihr Dank zu sagen und sie um eine Gnade zu bitten. Maria führt uns zu Jesus, und Jesus schenkt uns den Frieden. Wir wenden uns voller Vertrauen auf ihre Hilfe an sie, mutig und voller Hoffnung. Der Herr segne einen jeden von euch auf eurem Weg, auf eurem Weg des Mutes, der Hoffnung und der Solidarität. Danke! Jetzt wollen wir zur Muttergottes beten, alle miteinander: Gegrüsset seist du, Maria, …
Anschliessend erteilte der Papst seinen Segen und fügte noch hinzu:
Bitte, ich bitte euch darum, für mich zu beten: bitte, tut es! Und vergesst nicht: »im Leben vorangehen «, niemals »durch das Leben herumirren«!
Danke!
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