Hören auf Gottes lebendiges Wort – Hirtenbrief Fastenzeit 2020

Fastenhirtenbrief 2020 von Bischof Peter Bürcher, Apostolischer Administrator des Bistums Chur (HÖREN)

Quelle
Zur Einführung des Sonntags des Wortes Gottes

Hören auf Gottes lebendiges Wort – Hirtenbrief zur Fastenzeit 2020 von Bischof Peter Bürcher Apostolischer Administrator des Bistums Chur

Dieser Hirtenbrief ist am ersten Fastensonntag, 1. März 2020, in allen Gottesdiensten zu verlesen.

Zur Veröffentlichung in den Medien ist er vom 2. März 2020 an freigegeben.
Bezugsquelle: Bischöfliche Kanzlei, Hof 19, 7000 Chur

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn

In unserem Alltag werden wir von zahllosen Botschaften überschüttet. Auf allen Kanälen werden an uns Ideen, Ideale und Ideologien herangetragen:
über das Internet und die sozialen Medien, aber auch durch klassische Medien wie Zeitungen, Fernsehen oder Radio. In unserem persönlichen Umfeld begegnen wir verschiedenen Lebensstilen und Lebensphilosophien, Meinungen und Haltungen, zu denen wir Stellung nehmen müssen. So stellt sich für jede und jeden von uns immer wieder die Frage: Auf wen soll ich hören?

Diese Frage ist freilich nicht neu. In der ersten Lesung des heutigen ersten Fastensonntags und im Evangelium begegnen wir bereits der Frage: Auf wen soll der Mensch hören? Schon am Anfang der Heiligen Schrift, im Buch Genesis, wird davon berichtet, dass der Mensch auf den Falschen hören kann, dass er dazu verführt werden kann zu wählen, was ihm nicht guttut (Gen 2,7-9; 3,1-7). Und im Evangelium wird selbst unser Herr Jesus Christus vom Teufel drei Mal in Versuchung geführt (Mt 4,1-11).

Dass wir in unserem Leben immer wieder die Wahl haben, ist auf der einen Seite ein Segen.
Denn es zeigt, dass wir frei sind. Die Freiheit ist gerade der schönste Ausdruck unserer menschlichen Würde. Wir sind nicht programmiert, sondern als freie Wesen geschaffen, um das Gute zu wählen.
Dadurch stellt sich uns aber auf der anderen Seite eben immer auch die Frage: Auf wen soll ich hören? Wer zeigt mir das Gute?

Es gibt in der Geschichte der Kirche eine Begebenheit, die zwar schon etwa 1’500 Jahre zurückliegt, die aber nichts von ihrer Aktualität verloren hat: die Bekehrung des Augustinus. Er hatte in seinem bewegten Leben mehrfach auf die Falschen gehört. Er ging in die Irre, lief schlechten Lehrern nach und lebte unter seiner Würde. Auf sein Leben zurückblickend, hat er zu Gott gebetet:
«Du hast uns zu Dir hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ausruhen kann in Dir». Es war dieses unruhige Herz, das Augustinus in den dunklen Stunden seines Lebens hat nach der Wahrheit suchen lassen. Den Moment seiner Bekehrung, die ihm Gott dann geschenkt hat, hat er in seiner Autobiographie, den «Bekenntnissen», so beschrieben:

«Auf einmal hörte ich aus einem Nachbarhaus die Stimme eines Knaben oder Mädchens wiederholt sagen: ‘Nimm, lies, nimm, lies’. Sogleich veränderte sich mein Gesicht, und ich begann angestrengt darüber nachzudenken, ob Kinder bei irgendeinem Spiel etwas Derartiges zu singen pflegen; doch ich entsann mich nicht, es je gehört zu haben. Ich dämmte die Tränenflut und stand auf, ich wusste keine andere Deutung, als dass Gott mir befehle, ein Buch zu öffnen und die Stelle zu lesen, auf die ich als erste stiesse. (…). So kehrte ich eilends zu dem Platz zurück, wo Alypius sass, dort hatte ich nämlich beim Aufstehen das Buch des Apostels [Paulus] hingelegt. Ich nahm es, schlug es auf und las die erste Stelle, worauf meine Augen fielen:

‘Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne massloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht! Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen’ [Röm 13,13f].

Weiter wollte ich nicht lesen, es war nicht nötig. Denn kaum hatte ich den Satz zu Ende gelesen, ergoss sich wie ein Licht die Gewissheit
in mein Herz, und alle Schatten des Zweifels waren zerstoben» (VIII,XII,29).

Diese Begebenheit ist ein ergreifendes Zeugnis dafür, dass das Wort Gottes lebendig ist. Die Heilige Schrift ist nicht eine Ansammlung von Texten, die mehrere Jahrtausende alt und deshalb für uns heute mehr oder weniger unbedeutend sind. Nein, Gottes Wort ist lebendig. Denn so wie Gott jeder Weltzeit, auch unserer, gleich nah ist, weil er ewig ist, so ist auch das Wort Gottes jeder Epoche der Geschichte gleich nah. Das Wort Gottes ist lebendig, es ist an jede und jeden von uns hier und heute gerichtet, so wie damals an Augustinus. Auf dieses Wort sollen wir hören, mitten in den zahllosen Worten, die tagtäglich an unsere Ohren dringen.

Die Würde des Wortes Gottes, lebendig zu sein und uns hier und heute anzusprechen, hat Papst Franziskus durch die Einführung des «Sonntag des Wortes Gottes» bekräftigen wollen. In seinem Schreiben «Aperuit illis» vom vergangenen September hat er den dritten Sonntag im Jahreskreis zum «Sonntag des Wortes Gottes» erklärt. Die Schweizer Bischöfe haben auf diesen Tag hin ein Schreiben an alle Gläubigen verfasst. Es trägt den Titel: «… und Gott sprach…». Die Bischöfe laden darin alle Christinnen und Christen ein, mit dem Wort Gottes Erfahrungen der Begegnung mit Gott und untereinander zu machen.
Diese Reihenfolge, welche die Schweizer Bischöfe vorschlagen, wollen wir auch im Bistum Chur einhalten, wenn wir derzeit gemeinsam den
Weg der Erneuerung der Kirche gehen. Zusammen mit den Mitgliedern des Bischofsrats habe ich diesen Weg am Fest Epiphanie, am 6. Januar, initiiert.
Wir wollen also zuerst neue Erfahrungen mit Gott machen, indem wir konkret jeden Tag in der geistlichen Lesung und im betrachtenden Gebet auf sein Wort hören. Auf Gott hören ist neues Leben!
Wenn das nicht wichtig und konkret ist, dann ist alles andere nichtssagend und leer! Auf die Mitmenschen hören ist die horizontale Dimension dieser vertikalen Verbindung mit Gott. Ohne diese kreuzförmige und konkrete Dimension gibt es kein christliches Leben. «Wer Ohren hat, der höre!» (Mt 11,15)

Demgemäss und der Devise «Nimm, lies, nimm, lies» folgend, wollen wir zu einer erneuerten Gottesbeziehung gelangen. Denn Gott spricht so unmittelbar zu uns, wie er damals Augustinus angesprochen hat. Wenn wir so Gott neu begegnet sind in seinem Wort und in unserem betenden Betrachten darüber, können wir sodann auch aufeinander hören. Und wir können alles, was uns im Hinblick auf unseren christlichen Glauben und auf die Kirche bewegt, im Licht des Wortes Gottes erwägen. Im Raum der Kirche soll dies geschehen.
Denn es ist ja die Kirche, die uns Gottes Wort überliefert hat und die es uns auslegt im Bekenntnis des Glaubens. «Nimm, lies, nimm, lies»: Herzlich lade ich noch einmal alle Gläubigen in unserem Bistum ein, diesen Weg der Erneuerung der Kirche zu gehen im betenden Hören auf das Wort Gottes.

In der gegenwärtigen Stunde möchte ich noch auf einen Aspekt hinweisen, der im Schreiben «Aperuit illis» von Papst Franziskus einen besonderen Platz einnimmt: die Einheit. Der Papst schreibt: «Die Bibel ist das Buch des Gottesvolkes, das im Hören auf die Schrift aus der Zerstreuung und Spaltung zur Einheit gelangt. Das Wort Gottes vereint die Gläubigen und macht sie zu einem Volk» (Nr. 4). Weiter unten im Text kommt Franziskus auf diesen Gedanken zurück, wenn er schreibt: «Das beständige regelmässige Lesen der Heiligen Schrift und die Feier der Eucharistie ermöglichen es den Menschen zu erkennen, dass sie zueinander gehören. Als Christen sind wir ein Volk, das in der Geschichte unterwegs ist, gestärkt durch die Gegenwart des Herrn in unserer Mitte, der zu uns spricht und uns nährt» (Nr. 8).

Der Gedanke von Papst Franziskus, dass das Wort Gottes sein Volk zur Einheit führt, lässt mich wie von selbst an den Anfang meines Dienstes im Bistum Chur zurückdenken. Eine meiner ersten Amtshandlungen war es bekanntlich, der Beisetzung von Bischof Amédée Grab vorzustehen. Ich habe mich damals auch auf das lebendige Wort Gottes bezogen, als ich feststellte: «Der unerwartete Tod von Bischof Amédée fällt im Bistum Chur in eine besondere Stunde. Und sein Tod sollte uns, wie der Tod jedes Menschen, helfen, uns wieder neu auf das Wesentliche zu besinnen: auf Jesus Christus: der Weg, die Wahrheit und das Leben, wie wir im heutigen Evangelium gehört haben (Joh 14,6).

Der Schriftsteller Tertullian hat im 3. Jahrhundert, auf diese Titel Jesu anspielend, gesagt: ‘Christus hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Gewohnheit’. Ich glaube, dass dieses Wort heute in dieser Stunde eine besondere Bedeutung hat. Nur in Christus, in der Wahrheit, sind wir eins. Es sind unsere Gewohnheiten, unsere oft beschränkte oder einseitige Sicht auf die Kirche, auf den Glauben und auf die Welt, die uns von einander trennen. Nur in Christus, der Wahrheit, so wie die Kirche ihn uns verkündet, sind wir eins. Deshalb bedarf es immer wieder der Bekehrung von der Gewohnheit hin zur Wahrheit, damit wir eins sind, eins bleiben oder wieder eins werden».

Liebe Schwestern und Brüder!

Öffnen wir also von neuem unser Herz für das Wort Gottes, indem wir es täglich lesen, indem wir es hören in der Liturgie, indem wir es erklärt erhalten in der Predigt und in der Lehre der Kirche. Lassen wir uns, gerade in der Fastenzeit, vom lebendigen Wort Gottes ansprechen, so wie es beim heiligen Augustinus geschehen ist. Angesichts des Lärms und der oft verwirrenden Sinnangebote, die uns bestürmen, werden dann auch wir wie der heilige Augustinus sagen können: «Es ergoss sich wie ein Licht die Gewissheit in mein Herz, und alle Schatten des Zweifels waren zerstoben». Und je mehr jede und jeder von uns vom Licht des Wortes Gottes erfülltist, umso mehr werden wir dann auch zur Einheit der Kirche beitragen, im Bistum Chur und weit darüber hinaus.

In der Muttergottes Maria ist das Wort Gottes Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh 1,14).

Ihrer Fürsprache sowie der Fürbitte der Patrone unseres Bistums empfehle ich die ganze Bistumsfamilie
und grüsse euch alle herzlich in Christus, unserem Frieden, verbunden mit meinen besten
Segenswünschen für eine fruchtbare Fastenzeit.

Chur, am 26. Januar 2020, Sonntag des Wortes Gottes

+ Peter Bürcher

Vorschlag für Fürbitten für den 1. Sonntag der Fastenzeit 2020 Schweizer Krankensonntag C

Liebe Schwestern und Brüder,

die Fastenzeit ruft uns dazu auf, unser Leben im Licht des lebendigen Wortes Gottes zu betrachten.
Bitten wir Gott, den barmherzigen Vater, uns seinen Heiligen Geist zu senden, um unseren Glauben zu erneuern.

1. Für unseren Papst, unsere Bischöfe, Priester und Diakone:

Schenke ihnen deinen Heiligen
Geist, damit sie als weise Führer erkennen,
wie sie das Volk Gottes auf diesem Weg der
Fastenzeit einladen können, auf das lebendige
Wort Gottes zu hören.

2. Für alle, die in Staat und Gesellschaft ein Amt innehaben:

Stehe ihnen bei, damit sie ein
Beispiel transparenter Ehrlichkeit für das Gemeinwohl
geben und der Versuchung durch
Macht und Geld widerstehen.

3. Für alle, die an Leib und Seele leiden:

Schenke ihnen heute, am Sonntag der Kranken,
und an allen Tagen des Jahres durch dein
lebendiges Wort Kraft und Trost, damit sie in
ihrem Leiden für dich Zeugnis geben.

4. Für uns alle, die wir hier anwesend sind:

Schenke uns die Gnade, dass die jetzige Fastenzeit
unsere Herzen erhellt und dass wir
nach dem Beispiel des hl. Augustinus und vieler
Heiliger eine Zeit der Umkehr erleben.

C – Barmherziger Gott, Du hast uns durch deinen
Sohn den Weg gezeigt, wie wir nach deinem
Willen leben können. Gewähre uns, erleuchtet
durch dein lebendiges Wort und unterstützt
durch die Sakramente, dich zu erreichen,
der Du das wahre Gut bist, durch Christus,
unseren Herrn.

Amen

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