“Katholische Normalität”. Ein Plädoyer

Katholische Normalität heisst: An einfach gläubige Christen denken, die Woche für Woche zur Kirche gehen, um ihre Lichter anzuzünden, um sprachlos und auch ratlos in den Bänken zu sitzen, um den Herrn im Tabernakel anzuschauen und von Ihm angeschaut zu werden

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Von Thorsten Paprotny, 22. April 2019

Wie jeder Fußballfan in Deutschland weiss – ob bekennender Anhänger des Klubs oder nicht –, ist “Mia san mia”, modern ausgedrückt, vielleicht die “DNA von Bayern München”. Jeder Fußballfan weiss auch, dass mit dem Motto weder die Organisationsstruktur noch der Verwaltungsapparat des weltbekannten Vereins gemeint sind. Wenn bürokratische Reformen nötig sind, dann bleibt die “DNA von Bayern München” unangetastet. Fussballfans, sogar die freundliche Klientel des beliebten Klubs aus München, würden verstimmt, grimmig und empört darauf reagieren, wenn gesagt würde: Auch das Versagen von Bayern München ist Teil der DNA dieses Klubs.

Ein anderes Beispiel, aus dem Bereich der Geisteswissenschaften: Am Anfang des abendländischen Denkens stehen Sokrates und Platon. Wir anerkennen bis heute ihre epochale Bedeutung. Beide Philosophen waren homosexuell, beide praktizierten die seinerzeit in der hellenischen Welt goutierte Form der Päderastie. Wir distanzieren uns moralphilosophisch und moraltheologisch wie naturrechtlich vollkommen zu Recht von dieser verstörenden sexuellen Praxis. Diese bestand auch aufgrund von herrschenden Machtverhältnissen in den Lehrer-Schüler-Beziehungen zu jener Zeit. Aber würde jemand ernsthaft wegen dieser moralisch zutiefst abstossenden, dekadenten Lustbarkeiten Einzelner – die Sexualgeschichte der Antike ist breit erforscht – behaupten wollen, dass die Knabenliebe in der “DNA der Philosophie” stecke?  

Heute ist der DNA-Begriff zu einer kirchenpolitischen Stilfigur und beliebten Metapher geworden. Man könnte noch viel darüber sagen, auch wenn längst alles dazu gesagt ist – und das mehr als einmal. Der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer, zwar nicht der Urheber, aber immerhin der Popularisierer der Redewendung, hat die Verwendung der Metapher vor wenigen Tagen, zu Beginn der Karwoche, erneut gerechtfertigt. Das ist sein gutes Recht. Ob der Missbrauch von Macht wirklich in der “DNA der Kirche” steckt? Vielleicht, wenn wir die Kirche als Organisation begreifen und nicht als Stiftung des Herrn. Kardinal Woelki hat längst – im Dezember 2018 – alles Wesentliche dazu gesagt: Klar, katholisch und unmissverständlich, ohne Umschweife und zur Sache. Aus dem Diskurs über die “DNA der Kirche” können wir, scheint mir, auch eines lernen: Es ist müssig, solche Diskurse zu führen, beliebig zu vermehren und fortzusetzen. Vermutlich genügt als Erwägung und Erwiderung einfach: Vielleicht passt auch die zumindest missverständliche Metapher von der “DNA der Kirche” nicht so richtig und nicht wirklich zur “DNA der Kirche”. 

Darum sei ein neuer Begriff, ja ein österliches Gegenprogramm empfohlen: Katholische Normalität.  Den Dialog mit Gott könnten wir neu einüben statt Dialogveranstaltungen, Dialogprogramme, Dialoggottesdienste und Dialogprojekte beliebig auszuweiten. Betende Menschen könnten wir wahrnehmen und ernst nehmen sowie Gebetsgemeinschaften fördern. Darum sollten wir auf positive Beispiele hinweisen. Eine davon ist ganz neu, mitten im Bistum Hildesheim. Es handelt sich weder um ein liturgisches Tanzprojekt noch um einen kirchenpolitischen Debattierklub. Im Gegenteil: Im Mariendom, in der Laurentiuskapelle, nämlich trifft sich seit dem 25. März 2019, seit dem Fest Mariä Verkündigung, einmal in der Woche, vom Kolpingverband unterstützt, eine Rosenkranzgruppe. Modern gesagt: So und nicht anders sieht wirklich Aufbruch aus! Junge Christen dachten: Wir möchten beten, mit Marias Augen auf Christus schauen, hier, mitten in Hildesheim, im Dom. Ein kleines, lokales Phänomen? Dieser Initiative gingen keine Sitzungen oder Deklarationen von Zentralkomitees, Gremien und Projektgruppen voraus. Ich formuliere das anders: Dort sagten einfach normale katholische Christen, vielleicht so wie Sie und ich, im Herzen jung: Wir schauen mal, denn eigentlich sind wir doch Kirche. Wir möchten beten, also fangen wir an zu beten. Gemeinsam. Regelmässig. Von jetzt an also jede Woche. Sind Kirchen nicht Räume des Gebetes? Sogar der schöne Dom Mariä Himmelfahrt, mitten in Hildesheim. Und sie treffen sich dort Woche für Woche. Solche Neuanfänge, solche Aufbrüche werden gebraucht. Dieser Mut des Glaubens kann Vorbild sein für eine neue katholische Normalität. Diese wird dringend gebraucht, im Bistum Hildesheim und anderswo. Aufbrüche wie diese gibt es. Normale Katholiken gibt es. Die Sehnsucht nach katholischer Normalität ist real. Es geht ums Beten, nicht ums Reden. Es geht einzig und allein um die Begegnung mit dem lebendigen Gott, im Gebet, in seinem Wort, im Sakrament. Als positives Beispiel sei darum auch erwähnt: das Gebetshaus in Augsburg und seine Aktivitäten, die man nicht genug loben und für die man nicht genug werben kann. Kennen Sie mehr Beispiele? Berichten Sie davon! Erzählen Sie es einfach weiter. Modern gesagt: So geht Kirche. Das ist Evangelisierung. Gutes weitersagen, weitertragen.

Katholische Normalität heisst: An einfach gläubige Christen denken, die Woche für Woche zur Kirche gehen, um ihre Lichter anzuzünden, um sprachlos und auch ratlos in den Bänken zu sitzen, um den Herrn im Tabernakel anzuschauen und von Ihm angeschaut zu werden. Diese Christen suchen kein neues kirchliches Erweckungsprogramm, keine engagiert klingende, doch so kraftlose und leere Parteitagsprosa und keine Agenda für einen zeitgemässen, zeitgeistlichen Katholizismus. Die einfach gläubigen Christen fragen und schreien nach Gott – und die Suchenden tun das auch. Ich spreche aus der Erfahrung meines eigenen katholischen Lebens, aus den zahlreichen Begegnungen, die ich mit einfach gläubigen, ganz normalen Katholiken hatte und habe. So denke ich an meine frommen Vorfahren, an viele längst verstorbene Familienmitglieder, die nichts hatten als einander, als den Glauben an den dreifaltigen Gott und an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Ich denke an meine Grosseltern und Eltern, die aus Ostpreussen und Schlesien flüchten mussten, die durch die Bombennächte von Dresden, durch bittere Armut und Not in Deutschland gegangen sind, aber an der Kirche des Herrn Halt hatten und in ihr ein Obdach suchten und fanden.

 

 

 

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