Apostolische Reise nach Oesterreich – 19.-21. Juni 1998
Johannes Paul II. Messe im Landhauspark – Predigt, 20. Juni 1998
Quelle
Apostolische Reise nach Oesterreich – 19.-21. Juni 1998
20. Juni 1998
“Der Geist des Herrn ruht auf mir: denn der Herr hat mich gesalbt” (Lk 4, 18)
1. Das ganze Leben Jesu steht unter dem Einfluss des Heiligen Geistes. Am Anfang ist er es, der die Jungfrau Maria im Geheimnis der Menschwerdung umschattet. Am Jordan ist es wieder der Geist, der auf Jesus herabkommt, während der Vater den geliebten Sohn bezeugt. Dann führt der Geist den Sohn in die Wüste. In der Synagoge von Nazareth bestätigt Jesus von sich selbst: “Der Geist des Herrn ruht auf mir” (Lk 4, 18).
Diesen Geist verspricht Jesus den Aposteln als fortwährenden Garanten seiner Gegenwart in ihrer Mitte. Am Kreuz gibt der Sohn den Geist an den Vater zurück (vgl. Joh 19, 30). So besiegelt er den Neuen Bund, der aus dem Osterereignis hervorgeht. Am Pfingsttag schliesslich giesst er den Heiligen Geist über die Urgemeinde aus, um sie im Glauben zu festigen und die Apostel als lebendige und mutige Zeugen auf die Strassen der Welt hinauszusenden.
2. Von damals bis heute wird der mystische Leib Christi, seine Kirche, auf ihrem Weg durch die Zeit vom Wehen desselben Geistes angetrieben. Die Kirche erleuchtet die Geschichte mit dem glühenden Feuer des Wortes Gottes und reinigt die Herzen der Menschen mit den Strömen reinen Wassers, die aus ihrem Innern fliessen (vgl. Ez 36, 25). So wird sie “das durch die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk” (Cyprian, De Dom. Orat., 23).
In dieser Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes hat jeder Getaufte die Möglichkeit, unter “dem Gesetz des Geistes, der Leben in Christus Jesus schenkt” (Röm 8, 2) zu leben. Unter der Führung des Geistes tritt der Christ in den “geistlichen Raum” ein, in dem sich der Dialog mit Gott ereignet. Die Fragen, die der Mensch stellt, sind eigentlich Anrufe, die Gott im Innern des Menschen weckt: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin soll ich gehen?
Liebe Schwestern und Brüder!
Ihr seid Gesprächspartner Gottes! Seit Ihr in der Taufe zu Christus gehört, hat Gott Euch in Christus zu seinen Söhnen und Töchtern adoptiert. Seid Euch dieser hohen Würde bewusst! Verspielt nicht diese grosse Ehre!
Gott hat mit jedem von Euch einen ganz persönlichen Plan. Sein Auge ist jedem liebend zugewandt. Er schenkt allen immer sein Ohr. Wie ein treusorgender und feinfühliger Vater ist Er Euch nahe. Er gibt Euch das, was Ihr zum neuen Leben braucht: Seinen Heiligen Geist.
3. Mit Eurer Eingliederung in die Kirche habt Ihr nicht nur den Namen “Christen”, “Gesalbte” erhalten, sondern auch die Salbung des Heiligen Geistes. Deshalb sollt Ihr nicht nur Christen heissen, sondern es in Wahrheit sein. Der Geist Gottes ruht auf Euch. Denn der Herr hat Euch gesalbt (vgl. Lk 4, 18).
Im neuen Leben, das der Taufe entspringt und sich durch das Wort und die Sakramente entfaltet, finden die Gnadengaben, die Ämter und die verschiedenen Formen des gottgeweihten Lebens ihre Nahrung. Schon der Völkerapostel Paulus hat im Blick auf die Gemeinde von Korinth festgestellt: “Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur einen Geist” (1 Kor 12, 4).
Neue Berufungen sind auch heute möglich durch den Heiligen Geist. Dafür muss man eine Umgebung schaffen, die dem Hören auf Gottes Anruf förderlich ist. Grosse Bedeutung kommt dabei den Pfarrgemeinden zu. Wenn dort eine Haltung wahrer Treue zum Herrn gelebt wird und ein Klima tiefer Religiosität und ehrlicher Bereitschaft zum Zeugnis herrscht, ist es für einen Berufenen leichter, mit “Ja” zu antworten. Die Lebendigkeit einer Pfarrgemeinde wird ja nicht nur an der Anzahl ihrer Aktionen gemessen, sondern an der Tiefe ihres Gebetslebens. Das Hören auf Gottes Wort auf der einen und die Feier und Anbetung der Eucharistie auf der anderen Seite sind die beiden tragenden Säulen, die einer Pfarrgemeinde Halt und Festigkeit geben.
Das Klagen über den Mangel an Priestern und Ordensleuten hilft wenig. Berufungen sind menschlich nicht zu “machen”. Berufungen können aber von Gott erbeten werden. Mein Wunsch ist es, dass Ihr den Herrn der Ernte inständig und stetig um neue Berufungen zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben bittet.
4. Als Jesus am Kreuz seinen Geist an den Vater zurückgab, machte er aus allen Jüngern “ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk” (Ex 19, 6). Er baute sie zu einem “geistigen Haus” auf, “zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen” (1 Petr 2, 5). Dies ist das gemeinsame Priestertum, zu dessen Dienst er die Zwölf berufen hat, dass sie “mit ihm seien” (Mk 3, 14). Dann sandte er sie aus, damit sie in seinem Namen und an seine Stelle handelten.
Durch das Amtspriestertum führt Christus bis heute seine Heilssendung ununterbrochen fort. Er hat dafür Bischöfe und Priester eingesetzt, die “in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, sind; sie verkündigen mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot” (Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis, 15). Sie sind gesandt, um den Armen eine gute Nachricht zu bringen, um den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht und um die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen (vgl. Lk 4, 18). Das Amt in der Kirche ist also keine menschliche Errungenschaft. Es ist eine göttliche Stiftung.
Bei aller Anerkennung und Wertschätzung für die kostbaren Dienste der Laien in den Pfarrgemeinden darf man nicht vergessen: Im sakramentalen Bereich kann der Laie nie das ersetzen, was den Priester auszeichnet. Letztlich kann ein Priester nur von einem Priester ersetzt werden.
5. An dieser Stelle grüsse ich Herrn Bischof Kurt Krenn, der zusammen mit seinem Weihbischof Heinrich Fasching nicht nur mit Sorgfalt dieses heutige Fest des Glaubens vorbereitet hat, sondern sich mit allen Kräften bemüht, auch in Zukunft den Gläubigen in den vielen Pfarren der ihm anvertrauten Diözese Sankt Pölten Priester zu senden. Ich grüsse alle Brüder im Bischofsamt, besonders den Metropoliten, Herrn Kardinal Christoph Schönborn, und den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Bischof Johann Weber.
Ich freue mich, dass der verehrte Herr Bundespräsident Thomas Klestil bei dieser Feier unter uns ist. Mit ihm grüsse ich die Vertreter des politischen und öffentlichen Lebens, die uns die Ehre ihrer Anwesenheit geben.
Wenn ich mich an die Priester und Diakone wende, verbinde ich damit ein Wort der Anerkennung und Dankbarkeit: Diese Gefühle weite ich auf alle geweihten Amtsträger aus, die in den verschiedenen Diözesen dieses Landes wirken. Wie in Sankt Pölten, so gibt es auch in den anderen Teilen Österreichs viele, die sich mit unermüdlicher Hingabe in der Seelsorge aufzehren und sich weder Krankheit noch fortgeschrittenem Alter beugen. Mit Bewunderung blicke ich ebenso auf jene Priester, die bereit sind, sich über die ihnen anvertrauten Pfarren hinaus auch um Nachbargemeinden zu kümmern, damit den Gläubigen die Heilsmittel nicht fehlen. Lob gebührt auch den vielen Ordensleuten, die sich in der Seelsorge einsetzen. Zudem möchte ich die Priester nicht vergessen, die aus anderen Ländern kommen; einige davon sind aus meiner Heimat. Sie alle leisten einen wertvollen Beitrag zur Pastoral.
Liebe Priester, die jungen Menschen schauen auf Euch. Sie sollen feststellen, dass Ihr trotz Eurer Arbeitslast frohe Diener des Evangeliums seid und in der Wahl Eurer Lebensform Erfüllung und Zufriedenheit findet. An Eurem Zeugnis sollen die jungen Menschen sehen: Das Priestertum ist kein Auslaufmodell, sondern eine Berufung mit Zukunft!
6. Wie sollte man hier nicht auch in Dankbarkeit gegenüber dem Heiligen Geist an die vielen Ordensgemeinschaften denken, die in der Geschichte gerade dieser Diözese für die Seelsorge so wichtig geworden sind! Liebe Brüder und Schwestern, ich grüsse Euch aus ganzem Herzen. Ihr lebt nach den evangelischen Räten und bemüht Euch, durch Euer Verhalten den Weg zum Himmelreich zu weisen. Das gottgeweihte Leben gehört ins Herz der Kirche als ein Element, das für die Erfüllung ihrer Sendung entscheidend ist. Es drückt das Wesen christlicher Berufung und die Spannung der ganzen Kirche aus, die als Braut zur Vereinigung mit ihrem einzigen Bräutigam drängt.
7. Nicht vergessen möchte ich die christlichen Eheleute. Auch Eure Lebensform ist eine Berufung! Ich spreche Euch mein Lob aus und ermutige Euch in allen Euren Anstrengungen, aus der Gnade des Ehesakramentes zu leben. Eure Familien mögen “Hauskirchen” sein, in denen die Kinder lernen, den Glauben zu leben und zu feiern.
Ihr Väter und Mütter seid die erste Schule für Eure Kinder. Bemüht Euch um Eintracht im Hause, um den Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, um die regelmässige Teilnahme am kirchlichen Leben, um Gelassenheit und Stärke bei der Lösung der täglichen Schwierigkeiten. Bittet den Herrn, dass Eure Kinder einmal den Weg wählen, den Gott mit ihnen plant! Lasst ihnen auch die Freiheit, in die radikale Nachfolge Jesu Christi zu treten, wenn sie Gottes Ruf dafür verspüren. Kinder sind kein Besitz. Sie sind Euch von Gott für eine bestimmte Zeit anvertraut. Eure Sendung besteht darin, sie in die Freiheit hineinwachsen zu lassen, aus der heraus sie sich verantwortlich binden können.
8. In den Familien entscheidet sich auch die Zukunft von Kirche und Gesellschaft. Neben den vielen pastoralen Initiativen und Hilfen erwähne ich besonders das Internationale Theologische Institut für Studien zu Ehe und Familie, das als junge Pflanze in Gaming eingesetzt wurde und von den Bischöfen Österreichs mitgetragen wird. Gebe Gott, dass daraus ein starker Baum werde, der viele Früchte zugunsten der Wertschätzung von Ehe und Familie hervorbringt.
9. Liebe Schwestern und Brüder!
“Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott” (1 Joh 4, 7). Viele unserer Zeitgenossen haben Gott als Vater verloren. Deshalb fehlt ihnen auch die Muttersprache des Glaubens. Helfen wir ihnen, sich in das Alphabet des Glaubens einzulesen. Zuneigung, Anteilnahme und Liebe gehören in den religiösen Grundwortschatz, den jeder versteht. Darauf kann man eine Grammatik des Lebens aufbauen, die dem Menschen hilft, den Plan, den Gott mit ihm hat, im Heiligen Geist zu buchstabieren.
Lebt in Taten vor, was ihr mit Worten lehrt. Zeigt, dass eine Frucht des Geistes auch die Freude ist. An der Schwelle des dritten Jahrtausends muss der Gedanke wieder neu ins Bewusstsein rücken: Wie Gott mit jedem einen Plan hat, so hat er für jeden auch eine Sendung. Ihr seid nicht nur Nachlassverwalter der Vergangenheit, sondern auch Wegbereiter einer Zukunft, in die der Heilige Geist die Kirche führt!
Euer Landespatron, der heilige Leopold, möge Euch Vorbild und Fürsprecher sein. Er war nicht nur Vater seiner Familie, sondern auch Landesvater. Sein Gedenkstein, den ich bei meinem letzten Pastoralbesuch in Österreich segnen durfte, steht heute hier in diesem neuen Regierungsviertel. Er soll Euch allen Ansporn und Ermutigung sein!
Wir schauen auf die heilige Jungfrau Maria, deren Leben ein Weg im Heiligen Geiste war.
Maria, Magna Mater Austriae, dir vertrauen wir die Sorge um die Berufungen in den Priester- und Ordensstand an.
Maria, Mutter Gottes, trete bei deinem Sohn für die Kirche in Österreich ein. Bewirke, dass ihr viele junge Menschen geschenkt werden, die bereit sind, sich für die Nachfolge Christi zu entscheiden und sich selbst hinzugeben für das Reich Gottes.
Maria, Mutter der Kirche, bitte für uns! Amen.
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