Leben 2.0 – Das letzte Projekt des Menschen?
Ein Überblick über Licht- und Schattenseiten der Synthetischen Biologie
Was wie ein Spiel aussieht, könnte tödlicher Ernst werden: Der Mensch aus dem Baukasten der Synthetischen Biologie kann Gefahren heraufbeschwören, die schlimmer als bisherige Krankheiten wirken.
Wenn von “Synthetischer Biologie” die Rede ist, fallen meist auch Begriffe wie “Neu-Schöpfung” oder “Gott spielen”. Dabei wäre “kopieren” und “manipulieren” viel treffender. Wo es tatsächlich einmal kreativ zugeht, mag man auch von “Design”, nicht aber von “Schöpfung” sprechen können. Ein Überblick über Licht- und Schattenseiten der Synthetischen Biologie.
Die Tagespost, 03.02.2012, von Stefan Rehder
Am 24. Februar veranstaltet der Deutsche Ethikrat im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe “Forum Bioethik” in Berlin eine öffentliche Tagung mit der Überschrift “Synthetische Biologie – Leben aus dem Baukasten?” Vorgesehen ist auch eine Stellungnahme des Gremiums, die derzeit von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des ehemaligen Staatssekretärs Wolf-Michael Catenhusen (SPD) erarbeitet wird. In Marburg arbeiten die Phillipps-Universität und das Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie mit Hochdruck seit etwa über einem Jahr an dem Aufbau eines Zentrums für Synthetische Mikrobiologie.
Dank Fördergeldern von rund 21 Millionen Euro, mit denen mehr als 100 Wissenschaftler in die hessische Universitätsstadt gelockt werden sollen, soll “Synmikro”, so der Name der neuen Einrichtung, in wenigen Jahren zu Europas grösstem Zentrum für Synthetische Biologie avancieren. Obwohl die Synthetische Biologie eine noch recht junge Disziplin ist, die noch weitgehend in den Kinderschuhen steckt, sind die Erwartungen, die Politik und Wirtschaft mit ihr verknüpfen, längst enorm. Bereits 2005 urteilte eine hochrangig besetzte Expertengruppe der Europäischen Kommission: “Die Art und Weise, wie die Synthetische Biologie Industrie, Forschung, Ausbildung und Beschäftigung im Life-Science-Sektor vorantreiben” werde, lasse sich nur mit der rasanten Entwicklung vergleichen, welche die “Computerindustrie zwischen den 1970er und 1990er” Jahren genommen habe. Und in der Tat: Das, womit sich die Synthetische Biologie beschäftigt, hat das Zeug, eine milliardenschwere Industrie entstehen zu lassen, die sich der Prinzipien des Lebendigen bedient und diese nach Gutdünken mit Hilfe der Technik kopiert oder auch manipuliert.
Dabei verfolgen die Forscher, die so unterschiedlichen Fachrichtungen wie der Biologie, der Chemie, der Physik, der Mathematik, der Biotechnologie, der Informationstechnik und den Ingenieurswissenschaften entstammen, derzeit vor allem folgende Ziele. An erster Stelle steht die chemische Synthese einzelner Gene oder gar ganzer Genome. Möglich geworden ist dies durch die Entschlüsselung des Genetischen Codes. Die hinter der “Synthetischen Biologie” stehende Idee ist ebenso einfach, wie folgenreich. Sie lautet: Wer einmal herausgefunden hat, in welcher Reihenfolge die Bausteine genetischer Information in einem in der Natur vorkommenden Organismus angeordnet sind, der müsste prinzipiell auch in der Lage sein, ihn auf die gleiche oder gar eine modifizierte Art nachzubauen.
Sicherheitsvorkehrungen werden hier nicht genügen
Möglich erscheint dies, weil das Erbgut aller Lebewesen aus den vier Nukleinbasen A(denin), C(ytosin), G(uanin) und T(hymin) und 20 Aminosäuren aufgebaut ist. Dabei codieren stets drei Basen – ein sogenanntes Codon – eine Aminosäure. Weil es aber 64 mögliche Codons und nur 20 Aminosäuren gibt, können unterschiedliche Condons für ein und dieselbe Aminosäure codieren. So codieren etwa die Codons CGU, CGC, CGG und CGA alle die Aminosäure Arginin. Würde man zum Beispiel alle CGU-Condons im Erbgut eines Lebewesens durch ein CGC-Codon ersetzen, dann würde – zumindest theoretisch – in den Zellen seines Organismus immer noch die gleiche Aminosäure Arginin hergestellt. Obwohl der genetische Code dieses Lebewesens nun einer wäre, der in der Natur so nicht existent ist, wäre das Ergebnis womöglich dasselbe. Denn Forschern geht es jedoch um weit mehr. Sie wollen den genetischen Code so manipulieren, dass in den Zellen der Lebewesen chemische Vorgänge ablaufen, die natürlicherweise so gar nicht vorkommen.
Bei einigen haben die Visionen ein geradezu utopisches Ausmass angenommen. So wollen Forscher des “Massachusetts Institute of Technology” (MIT) in Cambridge mittels massgeschneiderter Bakterien und Algen auf dem Mars einen Treibhauseffekt erzeugen, um eine Atmosphäre zu erschaffen, die es ermöglichen würde, aus dem roten einen grünen Planeten zu machen. In der Realität sieht das freilich bislang ganz anders aus. Die ersten Anwendungen der Synthetischen Biologie würden “Treibstoffe, Chemikalien und Medikamente sein” prognostizierte bereits vor einigen Jahren der Harvard-Genetiker George Church. Und tatsächlich werden bereits Bakterien im Kampf gegen die Malaria eingespannt. Anstatt Artemisinin, ein sekundärer Pflanzenstoff, wie bisher üblich mittels eines aufwendigen Verfahren aus Blüten und Blättern des Einjährigen Bleifusses zu gewinnen, soll der Wirkstoff nun von genetisch manipulierten E.-Coli-Bakterien synthetisiert werden. Um das Bakterium dazu zu bringen, Artemisinin herzustellen, schleusten Forscher in sein Genom Gene aus dem Beifuss und der Hefe ein. Mit dem Verfahren wollen die Forscher, die von der “Bill & Melinda Foundation” gefördert wurden, die Produktionskosten um mehr als der Achtfache senken. In Afrika, wo die Armut gross ist, kann dies für tausende Menschen die Rettung vor dem Tod bedeuten und für den Pharmakonzern Sanofi-Aventis, der sich die Rechte an dem Bakterien-Artemisinin gesichert hat, trotzdem ein einträgliches Geschäft werden.
Doch nicht alle Projekte der Synthetischen Biologie versprechen derartige Vorteile für alle. Denn wenn Medikamente deutlich günstiger hergestellt werden können als bisher und sich damit ein höherer Umsatz erzielen lässt, dann gilt das Gleiche im Prinzip auch für synthetisierte Drogen.
Doch damit nicht genug: “Die Risiken neuer Lebensformen sind komplex – unabhängig davon, wie einfach ihre Bestandteile sind. Es geht nicht nur um Wechselwirkungen mit der Umwelt, auch die Genregulation der Lebewesen lässt Spielraum für Effekte, die über die additiven Einzelwirkungen der Bausteine weit hinausgehen”, warnt etwa der Gentechnik-Experte Christoph Then von “Testbiotech”, dem “Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie”. Then bezweifelt, dass “die Schöpfungen der Synthetischen Biologie tatsächlich den Regeln kontrollierbarer Maschinen entsprechen”. Komplizierte Maschinen seien bloss fehleranfällig. Komplexe Lebewesen seien dagegen “in letzter Konsequenz selbst vermehrend, interagierend und damit weder rückholbar noch kontrollierbar”.
Tatsächlich kann niemand garantieren, dass synthetisch hergestellte Organismen – trotz aller Sicherheitsvorkehrungen – nicht dennoch ungewollt aus den Labors nach draussen gelangen. Kommt es dabei zu einem Austausch von Genen mit anderen Organismen, dann können in Wechselwirkungen mit der Umwelt neue Organismen entstehen, deren Eigenschaften für niemanden vorhersehbar sind, einschliesslich der damit verbundenen möglichen Gefahren für Leib und Leben. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Deutsche Akadamie (DFG) der Technikwissenschaften erkennen solche Risiken grundsätzlich an. In einer gemeinsamen Stellungnahme aus dem Jahr 2009 heisst es dazu: “Über unvermutete und neue Wechselwirkungen könnten bei künstlichen biologischen Systemen unerwartete Eigenschaften auftreten und zu unkalkulierbaren Risiken bei einer Freisetzung führen.”
Noch wahrscheinlicher, als dass synthetisch hergestellte Organismen unbewusst freigesetzt werden und dabei grösseren Schaden anrichten, ist jedoch, dass solche Organismen gezielt freigesetzt werden, und zwar, um einen möglichst grossen Schaden anzurichten.
So warnt der US-Geheimdienst CIA, Anschläge mit neuartigen Biowaffen, die aus dem genetischen Material von Viren und Mikroben zusammengebaut werden, könnten “Effekte” hervorrufen, “die schlimmer sind als die jeder bekannten Krankheit”. Eine durchaus reale Gefahr, wie auch die Befürworter der Synthetischen Biologie, wie die DFG, eingestehen: “Es besteht die Befürchtung, dass Einzelpersonen, terroristische Organisationen oder Staaten damit die Möglichkeit haben, pathogene Organismen oder Toxine zu rekonstruieren und für feindliche oder kriegerische Handlungen einzusetzen. Einen ähnlichen Ansatz könnten Personen verfolgen, die wie Computer-Hacker und Computer-Virenkonstrukteure als interessierte Laien Zugang zu einzelnen synthetisierten Elementen oder den notwendigen Ausgangsstoffen bekommen und in einer unkontrollierten Umgebung synthetische Systeme bis hin zu Mikroorganismen herstellen.” Wie einfach das mitunter geht, bewies vor einigen Jahren ein britischer Journalist der Tageszeitung “The Guardin”, als es ihm gelang, bei einer Firma, die einzelne Gene synthetisiert, das Fragment eines Pockenvirus zu bestellen.
Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass der mögliche Missbrauch einer Technologie nicht den rechten Gebrauch verbieten darf, dann wird die alles entscheidende Frage sein, ob die Staaten einen Weg finden, die Industrie, die sich um die Synthetische Biologie herum entwickelt, rechtzeitig und wirksam zu regulieren. Falls nicht, ist die Gefahr gross, dass das Leben 2.0. das Letzte sein wird, an dem der Mensch sich versucht.
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