Heldenhaftes Engagement von Ordensleuten in Niger

Interview: Heldenhaftes Engagement von Ordensleuten in Niger

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Jan Probst, Geschäftsführer von «Kirche in Not (ACN)» CH/FL, bereiste im Frühjahr 2018 den Niger, eines der ärmsten Länder der Welt. Er besuchte dabei verschiedene Projektpartner, die unter unwirtlichen und schwierigen Bedingungen wirken. Seine Eindrücke gibt er in diesem Interview wieder:

Herr Jan Probst, was hat Sie motiviert, als Geschäftsführer des Hilfswerks «Kirche in Not» in die Republik Niger zu reisen?

Jan Probst: Es ging darum, den Christinnen und Christen mit ihren zwei Bischöfen, ihren Priestern und Ordensschwestern als Minderheit zu zeigen, dass sie in der fernen Schweiz nicht vergessen sind. Sie müssen wissen, dass «Kirche in Not» mit ihnen solidarisch ist. Des Weitern wollte ich mir einen Überblick über unsere bisher geleistete Projektarbeit ver­schaffen. Dabei nahm ich bewusst das Risiko in Kauf, in ein Land zu reisen, in dem Ter­rornetzwerke aktiv sind, welche sich vorwiegend mit Entführungen von Zivilisten aus dem Westen finanzieren (Al-Qaida, Boko Haram).

Was waren Ihre unmittelbaren Eindrücke in Niger?

Niger ist nach einer von der UNO erstellten Liste über den Wohlstand der Nationen eines der ärmsten Länder der Welt. Die Menschen sind mit Hungersnöten, Dürren, Heu­schreckenplagen, weit verbreitetem Analphabetismus, sowie mit Uran verseuchten Böden konfrontiert. Geteerte Strassen gibt es kaum. Unser Fahrer musste ständig wilden Kamelen ausweichen, was vor allem nachts gefährlich ist. Tankstellen gibt es wenige, dafür werden mit Benzin gefüllte Flaschen am Strassenrand verkauft. Schmuggler bringen diese aus Nigeria nach Niger und finanzieren so ihren Lebensunterhalt.
Niger ist 31 Mal so gross wie die Schweiz und verzeichnet 21 Millionen Einwohner. Die meisten von ihnen haben keine geregelte Arbeit, weshalb viele auswandern wollen. Neben den einheimischen Emigranten sah ich auch Menschen aus vielen anderen afrikanischen Staaten, die durch Niger hindurch nach Norden an die Mittelmeerküste mit dem Fernziel Europa zu gelangen versuchten – Schätzungen zufolge sind in Nordwestafrika 17 Mio. Menschen «in Bewegung».
Die weit verbreitete Perspektivlosigkeit unter der Bevölkerung liegt auch daran, dass Niger als weltweiter Spitzenreiter bei der Geburtenrate gilt. Jede Frau bringt im Schnitt 7,6 Kinder zur Welt, wobei die Kindersterblichkeit bei acht Prozent liegt. Dass Männer mit bis zu vier Frauen Vielehen führen, ist weit verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert. Im­mer wieder traf ich Familien mit bis zu 40 Kindern. Mädchen werden beschnitten und oft bereits mit elf Jahren zwangsverheiratet. Einmal sah ich vier Kinder zusammensitzen. Auf meine Nachfrage hin bestätigte das 14-jährige Mädchen, dass sie die Mutter der drei anderen Kinder sei. 

Die Christen sind in der Republik Niger eine Minderheit, die knapp ein Prozent der Gesamtbevölkerung, rund 210 000 Menschen, ausmacht. Wie ist das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen? Funktioniert der interkonfessionel­le Dialog?

Ursprünglich galten die Beziehungen zwischen Muslimen und anderen Glaubensge­meinschaften als gut. Muslime und Christen besuchten sich jeweils gegenseitig bei wichti­gen religiösen Festen. 2015 wird der Religionsfrieden im Land beschädigt, nachdem es in Niger wegen den Mohammed-Karikaturen des französischen Magazins „Charlie Hebdo“ zu gewalttätigen Demonstrationen kam. Der Hass der Islamisten richtete sich vorwiegend gegen Christen. Zehn Menschen wurden getötet und binnen weniger Stunden 72 Kirchen, Pfarrhäuser, zahlreiche Schulen, ein Waisenhaus sowie mehrere Krankenstationen, Nahrungsverteilzentren für Arme und von Christen betriebene Geschäfte, angegriffen und in Schutt und Asche gelegt. Im Zeitraum von vier Stunden wurden 80 Prozent der christlichen Kirchen im Land zerstört. Aber die Kirche lebt, und die Christen sind nach den Gewalttaten gar noch enger zusammengerückt.
Ich sah die abgefackelte katholische Kirche mit Pfarreizentrum der Stadt Zinder. Auch drei Jahre nach dem Angriff schmerzt der Anblick der Zerstörung noch immer. Noch schrecklicher aber war der Gedanke, was im Inneren von jemandem vorgeht, wenn er das Heiligtum seines Nachbarn zerstört. Jedoch nicht alle Muslime verhielten sich damals ge­walttätig. Viele stellten sich schützend vor christliche Kirchen und ihre christlichen Mitbür­ger, womit sie noch mehr Opfer und Zerstörungen verhinderten.
Da solche Ereignisse nebst den physischen Schäden auch seelische Schmerzen und Misstrauen hinterlassen, rief der Pfarrer von Zinder eine ökumenische Gruppe ins Leben. Christen und Muslime treffen sich nun regelmässig zu Themen des Glaubens und helfen sich gegenseitig mit konkreten Projekten.
Ich traf den Sultan des Gobir, der ein gutes Einvernehmen zwischen Christen und Musli­men begrüsst. Generell spürte ich aber, dass den Christen innerhalb der Gesellschaft nicht auf Augenhöhe begegnet wird. 

Können die Christen ihren Glauben frei leben oder werden ihnen Hindernisse in den Weg gelegt?

Die kleine katholische Gemeinschaft im Niger geniesst wegen ihres sozialen und karitativen Engagements weitgehend Bewunderung. Die Kirche betreibt zahlreiche Kindergär­ten, Krankenhäuser und Krankenstationen, darunter ein Leprakrankenhaus sowie Schulen und ein Waisenhaus.
Gemäss der noch jungen, als fortschrittlich geltenden Staatsverfassung ist Niger ein säku­larer Staat. Die Verfassung sieht eine klare Trennung von Staat und Religion vor. Diese Freiheit nutzen aber auch islamistische Organisationen für den Versuch, radikale Ideen im Land zu verbreiten. Gemässigte Imame werden nach Saudi-Arabien geschickt und kehren radikalisiert zurück. Muslime, die sich christlich taufen lassen, erfahren eine massive Ablehnung in Familien und Gesellschaft. Die Menschen müssen sich zudem damit abfin­den, dass das Staatssystem, trotz wiederholter Bekenntnisse zur Demokratie, starke autoritäre Züge aufweist. 

Wie gestaltet sich die Seelsorge der Kirche? Welche konkreten Herausforderungen stehen an und was ist zu tun?

In Maradi lebte ich einige Tage mit den Schwestern der «Fraternité des Servantes du Christ» zusammen. Diese insgesamt 40 Schwestern haben ein Sechs-Säulenprogramm entwickelt, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Diese sechs Säulen sind Nahrung, Gesundheit, Frauenarbeit, Schulwesen, Mobilität und Gebet.
In Niger hungern vier Millionen Menschen. Ich sah wie Frauen Blätter von Bäumen pflück­ten, um davon für ihre Familien eine Suppe zuzubereiten. Die Ordensfrauen stellen wöchentlich auf einer Feuerstelle im Freien Mahlzeiten für 800 Personen her. Ebenfalls jede Woche bieten sie 1000 medizinische Beratungen an und pflegen Leprakranke. Das Schicksal der Frauen liegt der Schwestergemeinschaft besonders am Herzen. Den Nonnen ist es zwar kaum möglich, die Übel der Zwangsheirat und der häuslichen Gewalt zu bekämpfen, doch können sie zumindest 2000 Frauen Mikrokredite gewähren, damit diese Frauen eigene Projekte verwirklichen können und dadurch aufgewertet werden. Das Internat und die Schule der Schwestern stehen den Kindern der Region unabhängig ihrer Glaubenszugehörigkeit offen. Die Kinder, die diese Schule absolviert haben, verfügen über bessere Chancen, später eine Arbeitsstelle zu finden. Die Schwestern legen Distanzen bis zu 1300 Kilometern zurück, um selbst weit entfernte Aussenstationen zu betreuen. Dazu zählt auch die Gefängnisseelsorge! Einmal fuhr ich mit den Schwestern zu einem Gefängnis. Sie brachten auf ihrem alten Toyota Land Cruiser einen riesigen Topf Suppe für die Insassen mit, weil es kaum Verpflegung gibt. Da es keinen Schöpflöffel gab, wurde die Suppe mit einer alten Schaufel verteilt. Die hygienischen Verhältnisse im Gefängnis sind katastrophal.
Im Zentrum der Aktivitäten der Schwestern stehen aber Gott und ihr Gebetsleben. Die Gebetszeiten werden – wenn immer möglich – eingehalten, und es wird oft für Regen gebetet. Wasser ist für das trockene und sehr heisse Land existenziell.
Beeindruckt hat mich besonders die Mutter Oberin, Schwester Catherine Kingbo. Sie zeigt sich dafür verantwortlich, dass alle Punkte des Sechssäulenprogramms umgesetzt wer­den, und immer auch das nötige Material und die Logistik vorhanden sind. Obwohl Schwester Catherine bisweilen nicht weiss, wie sie alles schaffen soll, bleibt sie gelassen und vertraut auf ihre Fähigkeiten und vor allem auf Gott. Ich denke, dass sie in der Schweiz aufgrund ihres organisatorischen Talents eine Topmanagerin wäre. 

Welche Projekte stehen im Niger derzeit an? Wo sehen Sie die Prioritäten von «Kirche in Not»?

«Kirche in Not» finanziert Projekte der katholischen Kirche in 149 Ländern. Für mich ist besonders wichtig, dass die Christen vor allem dort unterstützt werden, wo sie im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung eine kleine Minderheit darstellen. Besonders in mehr­heitlich muslimischen Ländern besteht für Christen ein Druck, das Land zu verlassen. Dies kann dazu führen, dass das zum Teil über Jahrhunderte präsente Christentum eines Ta­ges ganz verschwinden wird. Das darf nicht geschehen, wofür ich mich mit grossem En­gagement einsetze. In Niger geht es konkret darum, den Christen beizustehen, die viel Gutes zum Gemeinwohl des Landes beitragen. «Kirche in Not» unterstützte in den letzten drei Jahren Projekte für 442 000 Schweizer Franken. Im Fokus stehen dabei immer noch die im Jahr 2015 zerstörten Kirchen, die wieder aufgebaut werden müssen, doch auch alle anderen beschriebenen Aktivitäten der Kirche sind wichtig und zielstrebig weiterzuführen.
Diese Reise machte mir bewusst, dass kleine und unscheinbare Dinge, die ich hier in der Schweiz als selbstverständlich wahrnehme, für viele Menschen nicht alltäglich sind, so saubere Luft, genug Wasser, in der Nacht belichtete Strassen, nicht zu heisse Temperatu­ren und vor allem unsere Sicherheit. In Niger sind diese Dinge anders! Ich erlebte aber, dass Gott auch unter widrigsten Bedingungen durch Frauen und Männer, die ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, an Orten wirkt, wo sonst niemand hinschaut. 

Herr Probst, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.

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