Dei verbum – Das Wort Gottes hören

Das Wort Gottes hören – die Welt im Licht des Glaubens sehen

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Das Wort Gottes hören – die Welt im Licht des Glaubens sehen

Vortrag an der Päpstlichen Universität Gregoriana anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Promulgation der dogmatischen Konstitution Dei Verbum am 18. November 2015

Gerhard Card. Müller

1. Dei Verbum und die Rezeption des Konzils

Eminenzen, Exzellenzen, sehr geehrter Herr Rektor, Herr Dekan, sehr geehrte Damen und Herren!

Der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana danke ich sehr für die Initiative dieses Kongresses, den sie auf Anregung der Kongregation für die Glaubenslehre organisiert.

Der Kongress steht in der Reihe von ganz verschiedenen Veranstaltungen weltweit, die seit 2012 aus Anlass des 50jährigen Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils an das jüngste Konzil der Kirche erinnert und seine Kenntnis vertieft haben. Fünf Jahrzehnte nach dieser grossen Kirchenversammlung haben uns die Kongresse und Symposien geholfen, das Konzil selber wiederzuentdecken. Sie erinnern sich ohne Zweifel, wie eindrücklich uns Benedikt XVI. beim letzten grossen Treffen mit den Priestern der Diözese Rom am 14. Februar 2013 das Konzil ans Herz legte, wie er in freier Rede aus dem unerschöpflichen Schatz seines Lebens und seiner theologischen Arbeit die grossen Linien des Konzils zeigte, und wie er uns ermutigte, das Konzil der Väter, das Konzil der Kirche wiederzuentdecken, und nicht das „Konzil der Medien“ für das wahre Konzil zu halten.

In den vergangenen fünfzig Jahren wurde viel für das Konzil gehalten, was es nicht war, wurde selektiv gelesen und interpretiert, wurden Massstäbe der Hermeneutik gewählt, die nicht im Konzil selber lagen. Einzelne Passagen und Dokumente wurden bevorzugt und gerne zitiert, andere wurden mit Stillschweigen übergangen.

Unter anderem wurde das wissenschaftstheoretische Ideal eines stilistisch und gedanklich einheitlichen Textes aus der Hand eines einzigen Autors höher geachtet als das Ergebnis eines langen, oft mühsamen, aber gemeinsamen Ringens des Konzils, das nicht nur eine synchrone Verständigung suchen muss, sondern auch diachron im Strom der Überlieferung stehen will. Texte des Konzils, die immer auch die Spuren dieses Ringens, der verschiedenen Strömungen und Entwicklungen an sich tragen, wurden von manchen Theologen als „Kompromisse der reziproken Unehrlichkeit“[1] diffamiert, die in einer Art Handel zwischen konservativen und progressiven Kräften entstanden seien und den sogenannten „Geist“ des von den Vätern Gewollten verraten hätten; besonders die Konstitution über die Offenbarung, die heute im Zentrum unserer Überlegungen steht, fiel unter dieses Verdikt. In solchen Urteilen machte sich eine falsche und verhängnisvolle Hermeneutik breit.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an einen hilfreichen Hinweis erinnern, den der Liturgiewissenschaftler und Konzilstheologe Joseph Pascher schon bald nach dem Konzil gab. Er sagte: „So interessant der Geist derer ist, die am Konzil beteiligt waren, die Berufung auf diesen Geist bleibt nebelhaft und wäre selbst dann nicht unmittelbar theologisch relevant, wenn er durch statistische Untersuchung oder Meinungsanalyse aufgehellt würde. Theologisch bedeutsam wird der Geist dieser Menschen erst dadurch, dass er in den Konzilsbeschlüssen seinen Niederschlag gefunden hat.“[2]

Im Laufe der vergangenen Jahre, in denen die Jubiläen der Promulgation der einzelnen Konzilsdokumente den Weg des Konzils noch einmal nachzeichneten, klärte sich allerdings vieles. Das Konzil als Ganzes hat Autorität und alle seine Dokumente nehmen an dieser Lehrautorität, wenn auch in unterschiedlicher dogmatischer Verbindlichkeit, teil. Aber es zeigte sich in den letzten Jahren auch, dass vielleicht Texte, die zur Zeit des Konzils eine gewisse größere Aktualität und Modernität hatten als andere, und die natürlich oft angeführt wurden, um eine „Hermeneutik des Bruches“[3] zu stützen, dass solche Passagen mit dem Wechsel der Zeitumstände unter Umständen etwas an Leuchtkraft verloren haben, während andere Dokumente, die als schwierig galten, an Bedeutung wieder gewannen. Dei Verbum ist zweifellos ein solch differenzierter und anspruchsvoller Text, der überdeutlich die Spuren der langen Auseinandersetzungen um eine Konstitution De fontibus Revelationis, wie der ursprüngliche Titel hieß, noch an sich trägt. Wir brauchen die Details hier nicht aufzählen; es genügt der Hinweis, dass das Ringen um dieses Dokument das ganze Konzil durchzog. Vielleicht trug diese Dramatik des Reifens auch dazu bei, dass Dei Verbum heute eines der aktuellsten Konzilsdokumente ist.

Das Zweite Vatikanische Konzil wird immer wieder als das „Konzil über die Kirche“ bezeichnet.[4] Diese Kennzeichnung ist nur dann richtig, wenn wir mit einbeziehen, in welcher Weise das Konzil über die Kirche spricht. Die „erste Frucht des Konzils“[5], die 1963 nach nur einem Jahr Beratung verabschiedete Konstitution Sacrosanctum Concilium über die heilige Liturgie, beschreibt die Kirche als Ort der Anbetung des wahren Gottes, ja ihr Wesen und ihre Aufgabe besteht darin, jene anbetende Haltung einzunehmen, die Gott allein die Ehre gibt, und die Menschen in diesen wahren Gottesdienst mit hineinzunehmen. Nur unter diesem Aspekt konnte die Kirche Gegenstand des Konzils sein.[6]

Das Werden der dogmatischen Konstitution Dei Verbum über die göttliche Offenbarung begann ebenfalls im Herbst 1962, zog sich aber bis in die VIII. öffentliche Sitzung am 18. November 1965 hin. Die Offenbarungskonstitution charakterisiert die Kirche bereits in ihren Anfangsworten programmatisch als hörende Kirche, als Kirche, die sich in Ehrfurcht dem Wort Gottes zuwendet: „Dei Verbum religiose audiens et fidenter proclamans…“. In seinem Kommentar zu Dei Verbum sagt Joseph Ratzinger: „Das Prooemium (…) zählt zu den glücklichsten Prägungen des Textes: Die Dominanz des Wortes Gottes, sein herrschaftliches Stehen über allem Reden der Menschen und über allem Tun auch der Kirche kommt schön zur Geltung. Die Kirche selbst wird in der Doppelgeste des Hörens und des Verkündigens gezeichnet. (…) Wenn es mitunter scheinen konnte, als tendiere das Konzil zu einer ekklesiologischen Selbstbespiegelung, in der die Kirche völlig in sich selber kreist und sich selbst zum zentralen Gegenstand ihrer Verkündigung erhebt, anstatt der ständige Verweis über sich selbst hinaus zu sein, so ist hier gleichsam das Ganze der kirchlichen Existenz nach oben aufgebrochen, ihr ganzes Sein in den Gestus des Hörens zusammengefasst, von dem allein ihr Reden kommen kann.“[7] Dieser Sicht kann man auch fünfzig Jahre nach Dei Verbum uneingeschränkt zustimmen. Durch die Hinordnung der Kirche auf das Wort Gottes ist Dei Verbum ein ekklesiologisches Schlüsseldokument des Zweiten Vatikanischen Konzils geworden.

Welche Wirkung hatte nun diese wichtige Konstitution in den Jahren seither?

2. Einige Momente aus der Wirkungsgeschichte von Dei Verbum

Dei Verbum entwickelte, wie man nach fünfzig Jahren ohne Zögern sagen kann, eine reiche und überaus positive Wirkungsgeschichte. Ich möchte fünf Momente herausgreifen, die heute als selbstverständliche Dimensionen der Lehre der Kirche wahrgenommen werden, deren unangefochtene Präsenz in der Kirche aber im Wesentlichen der Offenbarungskonstitution zu verdanken ist.

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