Gotteshäuser schenken Hoffnung

In Syrien und im Irak öffnen wiederaufgebaute Kirchen ihre Tore

„Das ist ja das reinste Familientreffen“, sagt ein Mann lachend, als er den nächsten Verwandten im Geschiebe und Gedränge vor sich erkennt.

Die Stimmung ist ausgelassen vor der melkitischen griechisch-katholischen Kathedrale im syrischen Homs. Auffallend viele junge Leute sind da, begrüssen sich überschwänglich.

Am First und an den Zäunen um das Gebäude wehen syrische Flaggen. Transparente heissen die Gäste willkommen.

Und die sind ranghoch: Der neugewählte Patriarch Joseph Absi ist gekommen sowie der Vertreter des Papstes in Syrien, Nuntius Mario Kardinal Zenari. Auch Vertreter der anderen christlichen Konfessionen und der muslimischen Gemeinde sind zugegen.

Die Geistlichen bahnen sich einen Weg durch die Menge. Die mehrstündige Liturgie beginnt. In ihr wird der Altar der Kathedrale geweiht, die Kirche damit wieder ihrer Bestimmung übergeben.

Es herrscht Feststimmung an diesem Freitagmorgen Anfang Dezember. Durch welche Karfreitage jedoch die Einwohner von Homs in jüngster Zeit gegangen sind, daran erinnern die zerborstenen Fenster im ersten Stock des Bischofshaues, russgeschwärzte Wände, übersät von Einschusslöchern.

Die Stadt Homs war besonders umkämpft

Die einst drittgrösste Stadt Syriens war von 2011 bis 2014 das Zentrum des Krieges. Regierung, Rebellen und Islamisten lieferten sich erbittere Kämpfe. Die Stadt wurde zur Trümmerwüste. Tausende Einwohner kamen ums Leben.

Erst im Mai 2017 konnte das syrische Militär das letzte von Rebellen besetzte Stadtviertel zurückerobern. Seither kehren immer mehr Menschen in die zerstörte Stadt zurück – auch die Christen.

„Mit eurer Gegenwart bringt ihr Leben in diese Kathedrale zurück“, ruft Patriarch Absi in seiner Predigt der Gemeinde zu. „Wir feiern heute nicht nur den Wiederaufbau dieser Kirche. Wir feiern auch den Willen, in unserem Land zu bleiben. Es ist das Zeichen, dass wir die Verzweiflung und den Tod überwunden haben.“

„Verzweiflung und Tod überwunden”

Als die Worte fallen, ist es still in der Kathedrale, in der es sonst nach orientalischer Art auch beim Gottesdienst quirlig zugeht. Jeder der dicht an dicht stehenden Gläubigen weiss: Die melkitische griechisch-katholische Kathedrale von Homs ist steingewordener Zeuge von Kriegsgrauen und Neuanfang.

Am schlimmsten von allen Kirchen in Homs hatte es sie getroffen. Drei Jahre lang hielten islamistische Truppen die Kathedrale besetzt, missbrauchten sie als Kaserne. Das Haus des Erzbischofs diente als Lazarett. Er musste ins Exil.

Als er 2014 zum ersten Mal wieder in die Stadt gelangen konnte, fand er die Kathedrale geplündert vor.

Aber es kam damals noch schlimmer: Nur zehn Minuten, nachdem der Bischof und seine Begleiter gegangen waren, detonierte eine Bombe. Sie war unter dem Bischofsstuhl versteckt gewesen. Jetzt war die Kirche fast vollständig zerstört.

Todesgefahr, Zerstörung, Bombenhagel: Jeder der Gottesdienstbesucher hat das am eigenen Leib erfahren. „Viele Menschen sind als Märtyrer gestorben. Eure Häuser wurden zerstört“, sagt der Patriarch. „Aber ihr habt nicht zugelassen, dass diese Schicksalsschläge euch überwältigen.“

Deshalb begann die Gemeinde schon 2016 mit dem Wiederaufbau. KIRCHE IN NOT hilft dabei.

Im Kirchenraum riecht es nach frischer Farbe. Noch viele Wände sind kahl, der Ikonenschmuck noch nicht vollständig wiederhergestellt. Aber die Gemeinde kann jetzt wieder Gottesdienste feiern, die Menschen haben ein religiöses Zuhause.

Frieden in Homs nach wie vor brüchig

In der Weihnachtszeit ist sogar ein interreligiöses Konzert in der Kathedrale geplant. Symbole wie diese sind wichtig, denn der Frieden in Homs ist nach wie vor brüchig.

Nur wenige Tage nach der Altarweihe riss ein Bombenschlag in einem Bus sechs Menschen in den Tod. Das Patronat der Kirche bleibt Verheissung und Verpflichtung zugleich: „Unsere Liebe Frau vom Frieden“.

Gut 750 Kilometer weiter östlich: Auch im Irak sind die Menschen durch die Hölle gegangen. Die Vereinten Nationen und die Europäische Union sprachen von Völkermord an den Christen. Auch dort wird im Zeichen des Neuanfangs Kirchweihe gefeiert.

Erstes wiederaufgebautes Gotteshaus nach IS-Zerstörung

Im Dorf Telskuf in der Ninive-Ebene, etwa eine Autostunde nördlich von Mossul, erstrahlt die chaldäisch-katholische Kirche St. Georg in neuem Glanz. Es ist das erste wiederaufgebaute Gotteshaus nach der Zerstörung durch den sogenannten „Islamischen Staat“.

„Sie ist noch herrlicher geworden als vorher. So ist Gottes Vorsehung“, erzählt sichtlich bewegt Erzbischof Bashar Warda aus Erbil. Er war bei der Einweihung am 8. Dezember dabei.

Die Kirche von Telskuf war beim IS-Einmarsch schwer beschädigt, später geplündert worden. Seit im Dezember 2016 der Terror ein Ende nahm, wollen viele vertriebene Christen heimkehren.

„Zurück zu den Wurzeln“ heisst das Wiederaufbauprojekt für die Ninive-Ebene, das KIRCHE IN NOT zusammen mit katholischen und orthodoxen Kirchenvertretern ins Leben gerufen hat.

In Telskuf entfachte das Projekt eine wahre Sogwirkung, wie Warda berichtet: „Dort sind schon zwei Drittel der Familien zurückgekehrt. Es war ein deutliches Zeichen nötig, dass auch die Kirche wieder ihre Arbeit aufnimmt.“

Freiwillige packten mit an, KIRCHE IN NOT stemmte die Finanzierung. Innerhalb weniger Monate war die Kirche fertig. „Die schnelle Wiedereröffnung ist ein starkes Zeichen für alle anderen Dörfer“, sagt Bischof Warda.

Und das Zeichen scheint zu wirken: Auch dort nimmt die Rückkehr Schwung auf. Nach aktuellem Stand werden über 28 000 Christen Weihnachten wieder in der alten Heimat feiern, mehr als ursprünglich angenommen.

„Es ist der Hilfe aus dem Ausland zu verdanken, dass wir den Sieg der Rückkehr feiern können“, so Bischof Warda. „Der IS wollte uns auslöschen. Der IS ist verschwunden, wir sind da. Die christliche Präsenz bleibt erhalten.“ Die Gotteshäuser in Syrien wie im Irak erzählen von diesem Sieg.

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