Drei Tage vor dem Amtsverzicht…

Benedikt XVI. und seine letzte grosse Ansprache vor dem Amtsverzicht

Quelle
Kongregation für den Klerus
Kathtv.org

Benedikt XVI. und seine letzte grosse Ansprache vor dem Amtsverzicht: die ‚lectio divina’ zur ‚ersten Enzyklika’ an die Kirche. Die Freude der Auserwählung zum Katholischsein. Das Martyrium des Petrus.

Von Armin Schwibach

Rom, kath.net/as, 08. Februar 2014

Wie es der Tradition entspricht, hatte Papst Benedikt XVI. zum Fest der „Madonna della Fiducia“ am 8. Februar 2013 das Priesterseminar des Bistums Rom besucht. Dabei hatte er sich mit einer 26minütigen, in freier Rede gehaltenen „lectio divina“ an die rund 190 Seminaristen gewandt.

Immer, wenn Benedikt XVI. bei solchen Anlässen sprach, war es, als werde einem die Gunst zuteil, „live“ den Worten eines großen Kirchenlehrers lauschen zu dürfen. Benedikt XVI. hatte den Seminaristen gleichsam eine Summe seiner Theologie und seines Lehramtes geboten.

Ein Jahr nach dem Amtsverzicht Benedikts XVI. vom 11. Februar 2013 nehmen die Worte des nunmehr emeritierten Papstes noch andere Züge an und stellen zusammen mit seinen breit angelegten Ausführungen zum II. Vatikanischen Konzil vor dem römischen Klerus (14. Februar 2013) wichtige Mosaiksteine des Erbes seines leuchtenden Lehramtes und Pontifikats dar. Gleichzeitig können die Betrachtungen des Papstes als ein Interpretationsschlüssel für das erachtet werden, was drei Tage später zum bedeutendsten singulären Ereignis der ganzen Kirchengeschichte werden sollte.

Viel wurde geschrieben und spekuliert über die Gründe, dies trotz oder wegen der eindeutigen Worte Benedikts XVI. in seiner „Declaratio“ zum Amtsverzicht: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.

Ich bin mir sehr bewusst, daß dieser Dienst wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet. Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen.

Um trotzdem das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen“.

Die „lectio divina“ vor den Seminaristen, bei der Benedikt XVI. vom ersten Brief des Apostels Petrus ausgegangen war, der „ersten Enzyklika“, mit der der erste Apostel, Stellvertreter Christi, zur Kirche aller Zeiten spricht, fügt dem etwas Wichtiges hinzu. Sie stellt die Entscheidung des Papstes in einen metaphysischen Horizont – den Horizont des Martyriums, das im Licht des Kreuzes steht: „Petrus geht auf das Kreuz zu, und er lädt auch uns ein, den martyrologischen Aspekt des Christentums anzunehmen, der sehr unterschiedliche Formen haben kann. Und das Kreuz kann sehr unterschiedliche Formen haben, aber niemand kann Christ sein, ohne dem Gekreuzigten nachzufolgen, ohne auch das martyrologische Moment anzunehmen“.

Zweifellos: „the year after“ fällt es trotz oder wegen der Vielzahl einschneidender Ereignisse nicht leicht, die Entscheidung Benedikts XVI. zu verstehen. So stellen die letzten Worte des Papstes vor seinem großen Schritt auch eine Einladung dar, sich tiefer mit dieser geschichtlichen Entscheidung auseinanderzusetzen, jenseits von banalisierenden Urteilen, Vorurteilen oder dem je schon Gewussten.

kath.net veröffentlicht die „lectio divina“ Benedikts XVI. vom 8. Februar 2013 im römischen Priesterseminar ‚Seminario Maggiore“:

Eminenz, liebe Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt, liebe Freunde!

Es ist für mich jedes Jahr eine große Freude, hier bei euch zu sein, so viele junge Männer zu sehen, die auf das Priesteramt zugehen, die aufmerksam auf die Stimme des Herrn hören, die dieser Stimme folgen wollen und nach dem Weg suchen, dem Herrn in dieser unserer Zeit zu dienen. Wir haben drei Verse aus dem Ersten Brief des Petrus gehört (vgl. 1,3–5). Bevor ich auf diesen Text eingehe, scheint es mir wichtig zu sein, gerade darauf zu achten, daß es Petrus ist, der spricht. Die ersten beiden Worte des Briefes sind »Petrus apostolus« (vgl. V. 1): Er spricht, und er spricht zu den Kirchen in Asien und nennt die Gläubigen »die Auserwählten, die als Fremde … in der Zerstreuung leben« (ebd.). Denken wir ein wenig darüber nach.

Petrus spricht, und er spricht – wie am Ende des Briefes zu hören ist – von Rom aus, das er »Babylon« genannt hat (vgl. 5,13). Petrus spricht: gleichsam eine erste Enzyklika, durch die der erste Apostel, der Stellvertreter Christi, zur Kirche aller Zeiten spricht. Petrus, Apostel. Es spricht also jener, der in Christus Jesus den Messias Gottes gefunden hat, der als erster im Namen der zukünftigen Kirche gesprochen hat: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! « (vgl. Mt 16,16). Es spricht jener, der uns in diesen Glauben eingeführt hat.

Es spricht jener, zu dem der Herr gesagt hat: »Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben« (vgl. Mt 16,19), dem er nach der Auferstehung seine Herde anvertraut hat, indem er dreimal zu ihm sagte: »Weide meine Herde, meine Schafe« (vgl. Joh 21,15–17). Es spricht auch der Mann, der gefallen ist, der Jesus verleugnet hat und der die Gnade hatte, dem Blick Jesu zu begegnen, in seinem Herzen berührt zu werden und die Vergebung und eine Erneuerung seiner Sendung gefunden zu haben.

Vor allem aber ist es wichtig, daß dieser Mann voller Leidenschaft, voller Sehnsucht nach Gott, voller Sehnsucht nach dem Reich Gottes, nach dem Messias – daß dieser Mann, der Jesus, den Herrn und Messias, gefunden hat, auch der Mann ist, der gesündigt hat, der gefallen ist und der dennoch in der Gegenwart des Herrn geblieben ist und der so verantwortlich bleibt für die Kirche Gottes, von Christus beauftragt bleibt, Träger seiner Liebe bleibt.

Es spricht Petrus, der Apostel, aber die Exegeten sagen uns: Es ist nicht möglich, daß dieser Brief von Petrus ist, weil das Griechisch so gut ist, daß es nicht das Griechisch eines Fischers vom See von Galiläa sein kann. Und nicht nur die Sprache, die Struktur der Sprache ist ausgezeichnet, sondern auch das Denken ist schon recht ausgereift ist, es sind schon konkrete Formeln vorhanden, in denen sich der Glaube und die Reflexion der Kirche verdichtet. Sie sagen daher: Es ist schon ein Entwicklungsstand, der nicht der des Petrus sein kann. Wie kann man darauf antworten?

Es gibt zwei wichtige Anhaltspunkte: Erstens gibt Petrus selbst – also der Brief – uns Aufschluß, denn am Ende des Schreibens sagt er: »Durch Silvanus – ›dia‹ Silvanus – habe ich euch geschrieben«. Dieses »durch [dia]« kann verschiedene Dinge bedeuten: Es kann bedeuten, daß er [Silvanus] überbringt, übermittelt; es kann darauf hinweisen, daß er bei der Abfassung geholfen hat; es kann heißen, daß er in Wirklichkeit der tatsächliche Schreiber war. Auf jeden Fall können wir daraus schließen, daß der Brief selbst uns darauf hinweist, daß Petrus beim Schreiben dieses Briefes nicht allein war, sondern den Glauben einer Kirche zum Ausdruck bringt, die sich schon auf dem Glaubensweg befindet, in einem immer reiferen Glauben.

Er schreibt nicht allein, als isoliertes Individuum, er schreibt mit Hilfe der Kirche, der Personen, die dazu beitragen, den Glauben zu vertiefen, in die Tiefe seines Denkens, seiner Vernunft, seiner Tiefe einzudringen. Und das ist sehr wichtig: Petrus spricht nicht als Individuum, sondern er spricht »ex persona Ecclesiae«, er spricht als Mann der Kirche – natürlich als Person mit ihrer persönlichen Verantwortung, aber auch als Person, die im Namen der Kirche spricht und nicht nur eigene Ideen vermittelt: nicht wie eine Geistesgröße des 19. Jahrhunderts, die nur persönliche, ureigene Ideen zum Ausdruck bringen wollte, die niemand vorher hätte darlegen können.

Nein. Er spricht nicht als individualistische Geistesgröße, sondern er spricht in der Gemeinschaft der Kirche. In der Apokalypse heißt es in der ersten Vision Christi, daß die Stimme Christi wie das Rauschen von Wassermassen ist (vgl. Offb 1,15). Das bedeutet: Die Stimme Christi vereint alle Wasser der Welt, sie trägt alle lebendigen Wasser in sich, die der Welt Leben schenken. Er ist eine Person, aber gerade das ist die Größe des Herrn: daß er den ganzen Fluß des Alten Testaments, ja der Weisheit der Völker in sich trägt. Und was hier über den Herrn gesagt wird, gilt auf andere Weise auch für den Apostel, der nicht ein Wort sagen will, das nur sein eigenes ist, sondern der wirklich die Wasser des Glaubens in sich trägt, die Wasser der ganzen Kirche, und der gerade so Fruchtbarkeit, Gedeihen schenkt und ein persönlicher Zeuge ist, der sich dem Herrn öffnet und so offen und weit wird. Das ist also wichtig.

Dann scheint mir auch wichtig zu sein, daß am Schluß dieses Briefes Silvanus und Markus erwähnt werden, zwei Personen, die auch zum Freundeskreis des hl. Paulus gehören. Durch diesen Schluß gehören die Welten des hl. Petrus und des hl. Paulus also zusammen: Es ist keine ausschließlich petrinische Theologie gegen eine paulinische Theologie, sondern eine Theologie der Kirche, des Glaubens der Kirche, in der Petrus und Paulus sich natürlich in Temperament, Denk-und Sprachstilen voneinander unterscheiden. Es ist gut, daß es auch heute diese Unterschiede – verschiedene Charismen, verschiedene Temperamente – gibt, aber dennoch stehen sie nicht im Gegensatz zueinander und sind im gemeinsamen Glauben vereint.

Ich möchte noch etwas sagen: Der hl. Petrus schreibt aus Rom. Das ist wichtig: Hier haben wir schon den Bischof von Rom, den Beginn der Sukzession, den Beginn des konkreten Primats, der in Rom verortet ist. Er ist nicht nur vom Herrn übertragen, sondern hier, in dieser Stadt, in dieser Hauptstadt der Welt verortet worden. Wie ist Petrus nach Rom gekommen? Das ist eine ernsthafte Frage. Die Apostelgeschichte berichtet uns, daß er nach seiner Flucht aus dem Gefängnis des Herodes an einen anderen Ort ging (vgl. 12,17) – »eis eteron topon« –, man weiß nicht, an welchen Ort; einige sagen Antiochien, andere sagen Rom.

Auf jeden Fall heißt es in diesem Kapitel auch, daß er, bevor er geflohen ist, die judenchristliche Kirche, die Kirche von Jerusalem, Jakobus anvertraut hat. Und wenn er sie Jakobus anvertraut, bleibt er dennoch Primas der Universalkirche, der Kirche der Heiden, aber auch der jüdisch-christlichen Kirche. Und hier in Rom hat er eine große judenchristliche Gemeinschaft gefunden. Die Liturgiker sagen uns, daß im Römischen Kanon Spuren eines typisch jüdisch-christlichen Sprachgebrauchs vorhanden sind. So sehen wir, daß sich in Rom beide Teile der Kirche befinden: die judenchristliche und die heidenchristliche, vereint, Ausdruck der Universalkirche.

Und für Petrus ist der Übergang von Jerusalem nach Rom sicher der Übergang zur Universalität der Kirche, der Übergang von der Kirche der Heiden und aller Zeiten zur Kirche auch immer der Juden. Und ich glaube, daß der hl. Petrus, als er nach Rom gegangen ist, nicht nur an den Übergang Jerusalem/Rom, judenchristliche Kirche/Universalkirche gedacht hat. Sicher hat er sich auch an die letzten Worte erinnert, die Jesus an ihn gerichtet hat und die vom hl. Johannes wiedergegeben werden: »Am Ende wirst du gehen, wohin du nicht willst. Man wird dich gürten, deine Hände ausstrecken« (vgl. Joh 21,18). Es ist eine Prophezeiung der Kreuzigung. Die Philologen zeigen uns, daß »die Hände ausstrecken« ein präziser, technischer Ausdruck für die Kreuzigung ist. Der hl. Petrus wußte, daß sein Ende das Martyrium, das Kreuz sein würde. Und so wird er in der vollkommenen Nachfolge Christi stehen. Als er nach Rom ging, ist er gewiß auch zum Martyrium gegangen: In Babylon erwartete ihn das Martyrium.

Der Primat enthält also die Universalität, aber er hat auch einen martyrologischen Inhalt. Von Anfang an ist Rom auch Ort des Martyriums. Indem er nach Rom geht, nimmt Petrus dieses Wort des Herrn erneut an: Er geht auf das Kreuz zu, und er lädt auch uns ein, den martyrologischen Aspekt des Christentums anzunehmen, der sehr unterschiedliche Formen haben kann.

Und das Kreuz kann sehr unterschiedliche Formen haben, aber niemand kann Christ sein, ohne dem Gekreuzigten nachzufolgen, ohne auch das martyrologische Moment anzunehmen. Nach diesen Worten über den Absender ein kurzes Wort auch über die Personen, an die er gerichtet ist. Ich habe schon gesagt, daß der hl. Petrus jene, an die er schreibt, mit den Worten »eklektois parepidemois« bezeichnet, »die Auserwählten, die als Fremde … in der Zerstreuung leben « (1 Petr 1,1). Wieder haben wir dieses Paradoxon von Herrlichkeit und Kreuz: auserwählt, aber in der Zerstreuung und Fremde.

»Auserwählte «: Das war der Ehrentitel Israels. Wir sind die Auserwählten, Gott hat dieses kleine Volk auserwählt, nicht weil wir zahlreich sind – so heißt es im Deuteronomium –, sondern weil er uns liebt (vgl. 7,7–8). Wir sind auserwählt: Das überträgt der hl. Petrus jetzt auf alle Getauften, und der Inhalt der ersten Kapitel seines Ersten Briefes ist gerade, daß die Privilegien Israels auf die Getauften übergehen, daß sie das neue Israel sind. »Auserwählt«: Ich glaube, es lohnt sich, über dieses Wort nachzudenken. Wir sind auserwählt. Gott hat uns schon immer gekannt, schon vor unserer Geburt, vor unserer Empfängnis; Gott hat mich als Christen, als Katholiken gewollt, er hat mich als Priester gewollt. Gott hat an mich gedacht, er hat mich unter Millionen, unter so vielen gesucht, er hat mich gesehen und hat mich auserwählt, nicht aufgrund meiner Verdienste, die es nicht gab, sondern aus Güte; er wollte mich als Träger seiner Auserwählung, die immer auch Sendung ist, vor allem Sendung, und Verantwortung für die anderen.

»Auserwählt«: Wir müssen für diese Tatsache dankbar sein und uns darüber freuen. Gott hat an mich gedacht, er hat mich als Katholiken, als Träger seines Evangeliums, als Priester auserwählt. Ich glaube, es lohnt sich, öfter darüber nachzudenken und in diese Tatsache seiner Auserwählung erneut einzutreten: Er hat mich auserwählt, er hat mich gewollt; jetzt antworte ich.

Vielleicht sind wir heute versucht zu sagen: Wir wollen uns nicht freuen, auserwählt zu sein, das wäre Triumphalismus. Triumphalismus wäre es, wenn wir denken würden, daß Gott mich auserwählt hat, weil ich so großartig bin. Das wäre wirklich falscher Triumphalismus. Aber sich zu freuen, daß Gott mich gewollt hat, ist kein Triumphalismus, sondern Dankbarkeit, und ich glaube, daß wir diese Freude wieder lernen müssen: Gott hat gewollt, daß ich so geboren bin, in einer katholischen Familie, daß ich Jesus von Anfang an kennengelernt habe. Welch ein Geschenk, von Gott gewollt zu sein, so daß ich sein Antlitz erkennen konnte, daß ich Jesus Christus kennenlernen konnte, das menschliche Antlitz Gottes, die menschliche Geschichte Gottes in dieser Welt! Sich zu freuen, daß er mich auserwählt hat, katholisch zu sein, in dieser seiner Kirche zu sein, wo »subsistit Ecclesia unica«; wir müssen uns freuen, daß Gott mir diese Gnade, diese Schönheit geschenkt hat, die Fülle der Wahrheit Gottes, die Freude seiner Liebe kennenzulernen.

»Auserwählt«: ein Wort des Privilegs und gleichzeitig der Demut. Aber »auserwählt« ist, wie gesagt, begleitet von »parapidemois«, in der Zerstreuung lebend, Fremde. Als Christen leben wir in der Zerstreuung und sind Fremde: Wir sehen, daß die Christen heute die in der Welt am meisten verfolgte Gruppe sind, weil sie nicht konform ist, weil sie ein Stachel ist, weil sie gegen die Tendenzen des Egoismus ist, des Materialismus, all dieser Dinge.

Natürlich sind die Christen nicht nur Fremde; wir sind auch christliche Nationen, wir sind stolz darauf, zur Bildung der Kultur beigetragen zu haben; es gibt einen gesunden Patriotismus, eine gesunde Freude, einer Nation anzugehören, die eine große Geschichte der Kultur, des Glaubens hat. Dennoch sind wir als Christen immer auch Fremde – das Los Abrahams, das im Hebräerbrief beschrieben wird. Als Christen sind wir gerade heute immer auch Fremde. An den Arbeitsplätzen sind die Christen in der Minderheit, sie befinden sich in einer Situation der Fremdheit; es ruft Verwunderung hervor, daß jemand heute noch so glauben und leben kann.

Das gehört auch zu unserem Leben: Es ist die Weise, beim gekreuzigten Christus zu sein, dieses Fremdsein; nicht so zu leben, wie alle leben, sondern nach seinem Wort zu leben – oder zumindest zu versuchen, danach zu leben –, im großen Unterschied zu dem, was alle sagen. Und gerade das zeichnet die Christen aus. Alle sagen: »Alle machen es doch so, warum dann nicht ich? « Nein, ich nicht, weil ich nach dem Willen Gottes leben will. Der hl. Augustinus hat einmal gesagt: »Die Christen sind nicht nach unten hin verwurzelt wie die Bäume, sondern sie sind nach oben hin verwurzelt und erleben die Schwerkraft nicht in der natürlichen Schwerkraft nach unten hin. « Bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, diese Sendung anzunehmen, in der Zerstreuung, gewissermaßen als Minderheit zu leben – als Fremde zu leben und dennoch für die anderen verantwortlich zu sein und gerade so dem Guten in unserer Welt Kraft zu schenken.

Kommen wir schließlich zu den drei Versen von heute. Ich möchte nur drei Worte hervorheben, oder sagen wir ein wenig auslegen, soweit ich kann: das Wort »neu geboren«, das Wort »Erbe« und das Wort »behütet durch den Glauben «. »Neu geboren« – »anaghennesas« heißt es im griechischen Text – bedeutet: Christ sein ist nicht einfach nur meine Willensentscheidung, meine Idee: Ich sehe, daß diese Gruppe mir gefällt, werde Mitglied in dieser Gruppe, teile ihre Ziele und so weiter. Nein: Christ sein bedeutet nicht, sich einer Gruppe anzuschließen, um etwas zu tun, es ist nicht nur ein Akt meines Willens, nicht hauptsächlich meines Willens, meiner Vernunft: Es ist ein Akt Gottes. »Neu geboren« betrifft nicht nur den Bereich des Willens, des Denkens, sondern es betrifft die Sphäre des Seins.

Ich bin neu geboren: Das bedeutet, daß Christ werden vor allem passiv ist; ich kann mich nicht zum Christen machen, sondern ich werde neu geboren, ich werde in der Tiefe meines Seins vom Herrn neugemacht. Und ich trete ein in diesen Prozeß des Neu-Geboren-Werdens, ich lasse mich verwandeln, erneuern, wiederherstellen. Das scheint mir sehr wichtig zu sein: Als Christ mache ich mir nicht nur eigene Vorstellungen, die ich mit einigen anderen teile, und wenn sie mir nicht mehr gefallen, kann ich weggehen. Nein: Die Tiefe des Daseins ist davon betroffen, das heißt, das Christwerden beginnt mit dem Handeln Gottes, vor allem mit seinem Handeln, und ich lasse mich formen und verwandeln.

Ich glaube, daß dieses Thema gerade in einem Jahr, in dem wir über die Sakramente der christlichen Initiation nachdenken, Gegenstand der Reflexion sein sollte: dieses tiefe Passiv und Aktiv des Neu-Geboren-Werdens, des Werdegangs eines ganzen christlichen Lebens, des Mich-Verwandeln-Lassens von seinem Wort, durch die Gemeinschaft der Kirche, durch das Leben der Kirche, durch die Zeichen, mit denen der Herr in mir wirkt, mit mir und durch mich wirkt. Und neu geboren werden bedeutet auch, daß ich so in eine neue Familie eintrete: Gott, mein Vater, die Kirche, meine Mutter, die anderen Christen, meine Brüder und Schwestern.

Neu geboren werden, sich zu neuem Leben erwecken zu lassen, schließt also auch ein, sich bewußt in diese Familie einfügen zu lassen, durch Gott, den Vater, und aus Gott, dem Vater, zu leben, aus der Gemeinschaft mit Christus, seinem Sohn, zu leben, der mich neu geboren sein läßt durch seine Auferstehung, wie es im Brief heißt (vgl. 1 Petr 1,3), mit der Kirche zu leben und mich unter vielen Aspekten, auf vielerlei Weisen und Wegen von der Kirche formen zu lassen und offen zu sein für meine Brüder, in den anderen wirklich meine Brüder und Schwestern zu erkennen, die mit mir neu geboren, verwandelt, erneuert werden; einer trägt Verantwortung für den anderen: eine Verantwortung also, die aus der Taufe hervorgeht, die ein Prozeß des ganzen Lebens ist.

Das zweite Wort: »Erbe«. Es ist ein sehr wichtiges Wort im Alten Testament, wo zu Abraham gesagt wird, daß seine Nachkommenschaft das Land erben wird. Und das war stets die Verheißung für die Seinen: Ihr werdet das Land besitzen, ihr werdet Erben des Landes sein. Im Neuen Testament wird dieses Wort zum Wort für uns: Wir sind »Erben«, nicht eines bestimmten Landes, sondern von Gottes Erde, von Gottes Zukunft. Das Erbe ist eine Sache der Zukunft, und so bedeutet dieses Wort vor allem, daß wir als Christen die Zukunft haben: Die Zukunft gehört uns, die Zukunft gehört Gott.

Und so wissen wir als Christen, daß die Zukunft uns gehört und der Baum der Kirche kein sterbender Baum ist, sondern der Baum, der immer wieder neu wächst. Wir haben also allen Grund, uns nicht beeindrucken zu lassen – wie Papst Johannes gesagt hat – von den Unheilspropheten, die sagen: »Nun gut, die Kirche ist ein Baum, der aus einem Senfkorn hervorgegangen und in zwei Jahrtausenden gewachsen ist. Jetzt hat er die Zeit hinter sich, jetzt ist die Zeit gekommen, wo er stirbt. « Nein. Die Kirche erneuert sich immer, wird immer neu geboren.

Die Zukunft gehört uns. Natürlich gibt es einen falschen Optimismus und einen falschen Pessimismus. Einen falschen Pessimismus, der sagt: Die Zeit des Christentums ist vorbei. Nein: Sie beginnt wieder neu! Der falsche Optimismus war der nach dem Konzil, als die Klöster geschlossen wurden, die Seminare geschlossen wurden, und es hieß: Nun ja … macht nichts, alles in Ordnung … Nein! Es ist nicht alles in Ordnung.

Es gibt auch ein schweres, gefährliches Fallen, und wir müssen mit gesundem Realismus erkennen, daß es so nicht geht, daß es nicht geht, wo falsche Dinge getan werden. Aber gleichzeitig müssen wir auch sicher sein, daß die Kirche, wenn sie hier und dort aufgrund der Sünden der Menschen, aufgrund ihres Unglaubens stirbt, gleichzeitig neu geboren wird. Die Zukunft gehört wirklich Gott: Das ist die große Gewißheit unseres Lebens, der große, wahre Optimismus, den wir kennen. Die Kirche ist der Baum Gottes, der ewig lebt und die Ewigkeit und das wahre Erbe in sich trägt: das ewige Leben.

Und schließlich: »behütet durch den Glauben«. Der Text des Neuen Testaments, aus dem Brief des Petrust hier ein seltenes Wort, »phrouroumenoi«, das bedeutet: Es sind »Wächter « da, und der Glaube ist gleichsam »der Wächter «, der die Unversehrtheit meines Daseins, meines Glaubens behütet. Dieses Wort bezeichnet vor allem die »Wächter« der Tore einer Stadt, die dort stehen und die Stadt behüten, damit sie nicht von zerstörerischen Kräften eingenommen wird. So ist der Glaube »Wächter« meines Seins, meines Lebens, meines Erbes. Wir müssen dankbar sein für diese Wachsamkeit des Glaubens, der uns beschützt, uns hilft, uns leitet, uns Sicherheit gibt: Gott läßt mich nicht aus seinen Händen fallen. »Behütet durch den Glauben«: Damit schließe ich.

Wenn ich über den Glauben spreche, muß ich immer an jene kranke Frau denken, die mitten in der Menge an Jesus herantritt, ihn berührt, um geheilt zu werden, und geheilt wird. Der Herr sagt: »Wer hat mich berührt? «. Sie sagen zu ihm: »Aber Herr, alle berühren dich, wie kannst du da fragen: Wer hat mich berührt? « (vgl. Mt 9, 20 – 22). Aber der Herr weiß: Es gibt eine oberflächliche, äußerliche Weise, ihn zu berühren, die wirklich nichts mit einer wahren Begegnung mit ihm zu tun hat. Und es gibt eine Weise, ihn tief zu berühren. Und diese Frau hat ihn wirklich berührt: nicht nur mit der Hand, sondern mit ihrem Herzen berührt und hat so die heilende Kraft Christi empfangen, da sie ihn wirklich von innen, vom Glauben her berührt hat.

Das ist der Glaube: Christus mit der Hand des Glaubens, mit unserem Herzen zu berühren und so in die Kraft seines Lebens, in die heilende Kraft des Herrn einzutreten. Und wir wollen den Herrn bitten, ihn immer mehr berühren zu können, damit wir geheilt werden. Wir wollen bitten, daß er uns nicht fallen lasse, daß auch der Glaube uns stets an der Hand halten und uns so für das wahre Leben behüten möge.

Danke.

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