Wenn Laien Glaubensinhalte bestimmen
Die Fastenzeit wird in der katholischen Kirche seit dem II. Vatikanischem Konzil als “österliche Busszeit” bezeichnet
Quelle
YouTube – Der verlorene Sohn
Die Fastenzeit wird in der katholischen Kirche seit dem II. Vatikanischem Konzil als “österliche Busszeit” bezeichnet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es um innere Umkehr und Busse geht. Dafür gibt es die Tradition der “Osterbeichte”: Wer an Ostern die Kommunion empfangen wollte, sollte vorher zur Beichte gehen. Als das II. Vatikanische Konzil zu Beginn der 1960er Jahre einberufen wurde, war diese Praxis auch in den katholischen Gemeinden in Deutschland noch weit verbreitet, gut die Hälfte der Katholiken nahm die Gelegenheit wahr, in der Fastenzeit zu beichten und an Ostern die Kommunion zu empfangen. An normalen Sonntagen gingen damals 40% der Katholiken zur Messe, heute sind es noch 10%. Dies zeigen die Statistiken über den Kirchenbesuch, mit denen die Säkularisierung üblicherweise quantitativ zu erfassen versucht wird.
Eine solche Quantifizierung gibt es bei den Beichten natürlich nicht. Augenscheinlich jedoch ist die Beichtpraxis viel stärker zurückgegangen als der sonntägliche Messbesuch. In vielen Kirchengemeinden werden keine festen Beichtzeiten mehr angeboten, nicht einmal in der Fastenzeit. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, die Beichte als Relikt aus “vorkonziliaren Zeiten” anzusehen, dass sie in den Diskussionen über Kirche und Christentum kaum noch beachtet wird.
Eine andersartige Sicht auf Glaube und Kirche in Deutschland erschließt sich Katholiken aus Ostmitteleuropa, Polen etwa oder der Slowakei: Aus der Fasten- und Weihnachtszeit kennen sie lange Wartezeiten vor den Beichtstühlen, die auch zu anderen Zeiten im Kirchenjahr nicht leer bleiben. Wenn hierzulande die Beichtstühle sogar vor Ostern kaum noch aufgesucht weden, fragen sie sich, was es für deutsche Katholiken überhaupt noch bedeutet, „praktizierend“ zu sein.
Dazu interviewte die slowakische katholische Internetzeitung „Postoj“ kürzlich den Präsidenten des Zentralkommittees der deutschen Katholiken, Prof. Dr. Thomas Sternberg. Zu Beginn des Gesprächs stellte „Postoj“ fest, dass von den nominell 24 Millionen Katholiken in Deutschland nur eine kleine Minderheit praktizierend sei. Sternberg widersprach mit dem Argument, dass über die Hälfte der Katholiken „irgendwie mit der Kirche verbunden“ seien. Der Interviewer setzte nach und meinte, dass es ihm um „die wirklich praktizierenden“ Katholiken geht, die zumindest jeden Sonntag in die Messe gehen“. Sternberg räumte daraufhin ein, dass dies nur 10 Prozent der deutschen Katholiken tun. Er versuchte aber den sonntäglichen Kirchenbesuch als Maßstab zu relativieren, indem er darauf verwies, dass auch Gläubige, die „sich als fromm bekennen“, nicht mehr jeden Sonntag, sondern nur noch etwa einmal im Monat die Messe besuchen würden. Daraufhin konfrontierte ihn der Journalist mit einer anderen Schlüsselfrage des „Katholisch-Seins“, der Beichtpraxis, worauf sich ein Dialog entwickelte, der über das Verständnis des Katholischen bei führenden Verbandskatholiken aufschlussreich ist.
Postoj: „Wenn ich in der Vergangenheit mit deutschen Priestern gesprochen habe, waren die sehr überrascht darüber, was es in der Slowakei bedeutet, ein praktizierender Katholik zu sein. Dass es nicht nur die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten einschließt, sondern auch die regelmäßige Beichte. Die haben mir davon erzählt, dass so was wie die Beichte in vielen Regionen Deutschlands im Grund verschwunden ist. Ist das so?“ Sternberg antwortete: „Deutschland ist darin wirklich ganz anders. Das Bußsakrament ist eigentlich verschwunden. In Deutschland beichten nicht mal die frömmsten Katholiken“. Postoj: „Aber wie dürfen die Leute, die nicht mehr beichten gehen, die Eucharistie empfangen?“ Sternberg: „Wir sehen den Zusammenhang zwischen Beichte und Eucharistie nicht mehr so.“ Postoj: „Aber dieser Zusammenhang ist nach der Kirchenlehre sehr eng. Die Frage ist dann, ob die Eucharistiefeier in Deutschland unter diesen Bedingungen überhaupt gültig ist.“ Sternberg: „Ja, sie ist gültig. Aber es ist ein interessantes Thema. Die Eucharistie beruht nicht auf der Beichte. Weil die Eucharistie selbst die Kraft hat, die Sünden zu verzeihen. Es ist wahr, dass der Zusammenhang zwischen Eucharistie und Beichte radikal gebrochen ist, er existiert praktisch nicht mehr.“ Postoj: „In ihrem ZdK kennen Sie keinen Menschen, der zur Beichte gehen würde?“ Sternberg: „Nein, ich kenne niemanden.“ Postjoj: „Das hört sich für uns in der Slowakei ziemlich unglaublich an.“ Sternberg: „Das kann ich verstehen, aber das Bußsakrament ist auch in anderen Ländern in die Krise gekommen. Ich denke, man soll daran arbeiten, um das zu verbessern.“
Welche Arbeit da zu tun wäre, erklärte Sternberg nicht. Dabei könnte er auch in Deutschland Beispiele für eine lebendige Beichtpraxis finden. Dazu gehören Kirchen, die von Orden oder geistlichen Gemeinschaften betreut werden, aber auch manche Wallfahrtsorte und mitunter sogar Pfarrkirchen. Gläubige Katholiken, die an solchen Orten beichten gehen, sind Sternberg offenbar entweder unbekannt oder sie gehören nicht zu den „frömmsten Katholiken“, wie er sie versteht. Dass er solche Gläubigen im Zentralkommitee der deutschen Katholiken nicht antrifft, wird wohl zutreffend sein. Gerade im Milieu des Gremienkatholizismus- und der Berufskatholiken hat das Bußsakrament einen schweren Stand. Das belegt eine Frankfurter Seelsorgestudie, nach der ca. 90 Prozent der Pastoralassistenten- und Gemeindereferenten, 70 Prozent der ständigen Diakone und 54 Prozent der Priester jährlich nur einmal oder noch seltener zur Beichte gehen.
Auf diese Studie stießen Leser der „Postoj“, die in den Kommentarspalten intensiv über das Interview mit dem deutschen ZdK-Chef diskutierten. Insbesondere die Beichtabstinenz der Priester befremdete die Leser. Ihre Reaktionen veranlassten Postoj zu einem Interview mit dem Dogmatiker Peter Mášik, unter dem programmatischen Titel „Ohne Beichte wären wir keine Katholiken mehr“. Mášik erläuterte darin die historische Genese der Ohrenbeichte, die sich unter dem Einfluss iro-schottischer Mönche aus der frühchristlichen öffentlichen Bußpraxis entwickelt habe. Er erklärt den Sinn von Buße, Ablass und Sündenvergebung und warum die Beichte in diesem Kontext unverzichtbar sei. Im Kirchengebot, mindestens einmal jährlich zu beichten und Kommunion zu empfangen, sieht er nur ein Mininum des Katholischseins. Standardnorm sollte eine häufigere bis regelmäßige Beichte sein, die der Formung des Gewissens diene. Er fragt, wie in Deutschland das Gewissen der Menschen noch geformt werden könne, wenn es keine Beichtpraxis mehr gebe. Der Verzicht auf die Ohrenbeichte in Ländern wie Deutschland lasse sich nicht mit der frühchristlichen Bußpraxis vergleichen, weil er eine fehlende Sensibilität für Sünde und Schuld zeige. Masik bekräftigt den Zusammenhang zwischen Eucharistie und Beichte, auf den die Kirche nie verzichten dürfe: „Wir sehen nämlich, wenn man die Eucharistie empfängt ohne zu beichten, dass man den Sinn für Glauben und schließlich auch den Glauben selbst verliert.“
Für deutsche Ohren ist das starker Tobak. Allein die Rede von Sünde, Umkehr und Buße gilt vielen schon als anstößig, Generationen von Theologen haben gelernt, dass man keine „Drohbotschaften“ verbreiten solle. Vielfach ist in den Kirchen zu hören: „Gott liebt mich so wie ich bin“. Aus dieser Sicht muss jeder in der Kirche die Kommunion empfangen dürfen, ganz gleich wie seine Lebenslage- und Führung ist. Dass wiederverheiratete Geschiedene nicht zur Kommunion zugelassen werden, ist aus dieser Sicht unverständlich, geradezu skandalös. Auch im Interview mit Postoj erhebt Sternberg die alte ZdK-Forderung nach Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu Kommunion. Im Widerspruch dazu bekräftigt Mášik die Kirchenlehre, nach der nicht nur wiederverheiratete Geschiedene, sondern auch unverheiratet Zusammenlebende und standesamtlich Verheiratete nicht die Kommunion empfangen sollten.
Solche Lebenssituationen gibt es in der Slowakei ebenso wie in Deutschland. Der Umgang der Kirche mit den oft beschworenen „modernen Lebensrealitäten“ unterscheidet sich allerdings erheblich: Wer in der Slowakei kirchlich heiraten will, vom dem wird erwartet, dass er sich vorbereitet, zumindest durch mehrere Gesprächstermine mit einem Priester und Beichte. In Deutschland reicht ein vereinzeltes Gespräch mit dem Priester. Den Paaren sollen keine Umstände gemacht werden. Es sollen keine Ansprüche gestellt werden, alle sollen sich „eingeladen“ fühlen, lautet vielfach das Motto in der deutschen Kirche. Aber warum dieser „Einladung“ folgen, wenn keine Umkehr nötig ist, weil Gott mich doch liebt, „so wie ich bin“. Wozu noch Kirchenpflichten wie Messbesuch, Gewissenserforschung und Buße? Welche Bedeutung hat noch die Ehe als Sakrament? Das sind Fragen, über die Priester und Bischöfe vielleicht nachdenken, wenn sogar in der Karwoche die Beichtstühle leer und die Gottesdienste schwach besucht bleiben.
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