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Der Schriftsteller T.S. Eliot (1888–1965) verstand die Religion als Hüterin der Kultur

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Der Schriftsteller T.S. Eliot (1888–1965) verstand die Religion als Hüterin der Kultur. Mit seinen Werken wollte er die Glaubenswahrheiten aber nur getarnt vermitteln.

Von Stefan Meetschen

Die Tagespost. 02. Dezember 2015

Nicht vielen Schriftstellern wird die Ehre zuteil, in einer päpstlichen Enzyklika zitiert zu werden – dem Dichter, Dramatiker und Kulturkritiker T.S. Eliot widerfuhr diese Ehre, wenigstens posthum. In der Enzyklika “Lumen fidei” (2013) findet man einen Auszug aus den Chören “The Rock” (Der Fels, 1934), die Eliot für ein von E. Martin Browne inszeniertes kirchliches Festspiel beigesteuert hat. Dort heisst es: “Muss man Euch denn sagen, dass sogar so bescheidene Errungenschaften/ mit denen Ihr angeben könnt nach Art einer gesitteten Gesellschaft,/ kaum den Glauben überleben werden, dem sie ihre Bedeutung schulden?“

Worte, die – obwohl von einem Chor gesprochen – wie die Quintessenz dessen klingen, wofür Eliot von einem gewissen Zeitpunkt seines Lebens an engagiert dichtete und stritt: die Hochachtung der religiösen Tradition und der ihr zu verdankenden europäischen Kultur – in Abgrenzung zu all den säkularen Irrtümern, Überheblichkeiten und Banalitäten der Moderne. War Eliot doch davon überzeugt, “dass die europäische Kultur das völlige Erlöschen christlicher Religiosität nicht überleben könnte”, denn: “Wenn das Christentum dahingeht, so geht unsere gesamte Kultur dahin.” (Die Einheit der europäischen Kultur, 1948). Eine Haltung, die zu Beginn von Eliots Dichterlaufbahn keineswegs selbstverständlich war. Denn der Mann, der am 26. September 1888 in St. Louis (Missouri) zur Welt kam und nach dem Philosophie-Studium in Harvard gen Paris, Oxford, München und Marburg zog, um schliesslich in London heimisch zu werden, begann seine Karriere nicht mit dem Image eines Konservators, sondern eher mit dem eines avantgardistischen Sprach-Experimentators.

“In the room the women come and go/ Talking of Michelangelo” (In dem Raum kommen und gehen Frauen/ und reden über Michelangelo) – mit dieser geheimnisvollen Mischung aus Spiel und Ernst, freier Assoziation und Versatzstücken klassischer Bildung, wie sie dem Gedicht “The Love Song of J. Alfred Prufrock“ (1915) eigen ist, betrat der stets kultiviert gekleidete und gescheitelte Dichter die internationale Literatur- und Lyrik-Szene.

Der grosse Durchbruch gelang Eliot sieben Jahre später. Der Erste Weltkrieg war vorbei, Europa erschöpft und geistig am Boden. Eliot, der aus seiner Bewunderung für den alten Kulturkontinent – für ihn personifiziert in Vergil, Dante und mit Abstrichen Shakespeare – nie einen Hehl gemacht hatte, gab dieser Ratlosigkeit eine angemessene Sprache. Unterstützt von seinem poetischen Mentor Ezra Pound schrieb er “The Waste Land” (Das wüste Land, 1922), ein Versepos in fünf Abschnitten: “Das Begräbnis der Toten“, ”
Eine Schachpartie“,
“Die Feuerpredigt“,
“Tod durchs Wasser“,
“Was der Donner sprach“. Um Werden und Vergehen, Tod und Geburt geht es in dem Werk, das der Literaturkritiker Curt Hohoff so zusammenfasste: “(…) der Mensch sieht sich in einer Einöde, einer Wüste, dem ‘Waste Land‘, dem verwüsteten Land. Die vorhandene Kultur splittert sich in ein Nach- und Nebeneinander von Kulturen auf, die beliebig austauschbar sind. Die religiösen Formen des Christentums oder des Buddhismus sind Gegenstand spielerischen Unwillens. Angesichts der Fülle von Möglichkeiten kommt der Dichter zu dem Ergebnis, dass sie alle sinnlos sind.” (Das Ich in der Wüste, 1966)

In der Realität war von einem derartigen Unwillen aber nichts zu merken. 1927 wurde T.S. Eliot nicht nur englischer Staatsbürger, er konvertierte auch zum Anglo-Katholizismus. In dem Aufsatz “Second Thoughts about Humanism“ (Nachgedanken zum Humanismus, 1929) lässt er den Leser an den inneren Beweggründen seiner Konversion teilhaben: “Die meisten Leute meinen, dass manche Leute ein unglaubwürdiges Dogma schlucken, oder zu schlucken vorgeben, weil sie den Luxus christlicher Gefühle oder das Erregende des christlichen Ritus geniessen. Für manche ist der Vorgang genau umgekehrt. Die rationale Zustimmung kommt vielleicht spät, die intellektuelle Überzeugung kommt vielleicht langsam, aber sie kommen unvermeidlich, ohne der Redlichkeit und der Natur Gewalt anzutun.”
Eliot deutet seine Konversion also als eine verstandesmässige, reife Entscheidung. Das Übernatürliche, das Transzendente als Wirklichkeit anzuerkennen, wird bei ihm zum Ausweis des Menschseins. “Der Mensch ist deswegen Mensch, weil er übernatürliche Wirklichkeiten erkenne, nicht weil er sie erfinden kann (…)“.

Dennoch hat der T.S. Eliot-Biograph Johannes Kleinstück sicherlich recht, wenn er hervorhebt, dass es “nicht nur Argumente zwingender Logik“ waren, “die Eliot zur Kirche führten“. In Eliots Fall – zur anglikanischen Hochkirche, der Church of England. “Eliots Entscheidung für das Christentum wurde ohne Zweifel durch sein puritanisch-calvinistisches Erbe mitbestimmt. Zum Puritanismus, den schon seine unmittelbaren Vorfahren aufgegeben hatten (sie waren Unitarier), kehrte er nicht zurück, und das erklärt sich aus seiner Neigung zum Klassischen und Allgemeingültigen.”

Wieso es dann nicht gleich die universale, römisch-katholische Kirche war, der Eliot sich zuwandte? Vermutlich aus Loyalität gegenüber seiner neuen Wahlheimat England und aus missionarischen Gründen. Denn, wie Eliot vermutete: “Wenn England jemals in spürbarem Mass christianisiert werden kann, dann nur durch die Church of England.“ (Thoughts After Lambeth, 1939). Die lateinische Kirche wirkte auf T.S. Eliot in England nämlich zu stark wie eine “Sekte“, wie er sich ausdrückte. Eine kontroverse, durchaus anfechtbare Einschätzung und Begründung, die man aber im Kontext seiner Zeit lesen muss; genauso wie den 1995 von dem britischen Rechtsanwalt Anthony Julius (T.S. Eliot, Anti-Semitism and Literary Form) artikulierten Vorwurf, es fänden sich antisemitische Töne im Werk des Dichters. Eine Kritik, die von neomarxistischen Literaturwissenschaftlern nur allzu gern aufgegriffen wird, um die Reputation des Dichters zu zerstören und prägbare Studenten in ideologisch-seichte Bildungsgewässer zu führen. Fest steht: In frühen Gedichten Eliots (darunter etwa “Gerontion“, 1920, in welchem Eliot eine erstaunliche Empathie für den alten Mann beweist, von dessen Leben das Gedicht handelt) kann man in zwei Versen antisemitische Nuancen spüren. Eliot hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg von derartigen Passagen seines Werks distanziert. Er bekam dabei im Jahr 1948 sogar Unterstützung von George Orwell, der derartige Angriffe auf Eliot mit der Frage abwehrte: “Who didn’t say such things at the time?“ (Wer hat solche Sachen nicht zu der Zeit gesagt?).

Dass der Schritt der Konversion 1927 und der damit verbundene Wunsch, zu christianisieren, nicht ohne Konsequenzen für den Dichter T.S. Eliot blieb, liegt auf der Hand. In “Ash Wednesday“ (Aschermittwoch, 1930) ordnet T.S. Eliot – mittlerweile Direktor beim renommierten Londoner Verlag Faber & Faber – seine Dichtung dem kulturellen Erneuerungsdienst durch die christliche Religion unter. “Because I do not hope to turn again/ Because I do not hope/ Because I do not hope to turn/ Desiring this man’s gift and that man’s scope/ I no longer strive to strive towards such things.“ (Weil ich nicht hoff, ich kehre nochmals um,/ Weil ich nicht hoffen darf,/ Weil ich nicht hoff auf Kehr und Dauer,/ Nicht wünsch, was dieser hat und der vermag/ Nicht länger ringen mag, dem nachzuringen). In diesem Tonfall der Litanei gewinnt die Sprache eine ganz neue Klarheit und Kraft, sie wird transparent für das Geheimnis.

Doch es ging T.S. Eliot nicht darum, den Leser mit den Dogmen des Glaubens zu konfrontieren, ihn auf die Knie zu zwingen. Nur “mit Zurückhaltung und möglichst indirekt“ (Gisbert Kranz) sollte das Religiöse in seinem Werk aufleuchten. Wusste Eliot doch: “(…) gerade die Literatur, die wir zur ,Unterhaltung‘ lesen oder ‘bloss zum Vergnügen‘, [hat] den grössten und am wenigsten erwarteten Einfluss auf uns (…)“. (Religion und Literatur, 1935). “Auch wenn wir Bücher nur zum Vergnügen lesen, als ‘Unterhaltung‘ oder ‘ästhetischen Genuss‘, so wirkt diese Lektüre doch niemals auf eine Art Spezialsinn: sie wirkt vielmehr auf uns als ganze Menschen, sie wirkt auf unsere moralische und religiöse Existenz.“ (ebd.)

So darf man sich nicht wundern, dass Eliot ab Mitte der 1930er Jahre danach strebte, auch die Bühne zu erobern, das damals wirksamste und populärste dramatische Medium. Wobei Eliot – welches Genie ist nicht geprägt von Widersprüchen – zunächst die Form des “religiösen Festspiels“ (religious festival play), also eine dezidiert christliche Gattung, wählte: Mit “Murder in the Cathedral“ (Mord im Dom) verfasste er für das Canterbury Festival ein Versdrama in Erinnerung an den Märtyrer Thomas Becket (1118–1170). Darin schildert Eliot die Wandlung des frühen Erzbischofs von Canterbury vom machtbewussten Kirchenpolitiker zum demütigen Märtyrer. „(…) der wahre Märtyrer ist der, der zum Werkzeug Gottes geworden ist, dessen Wille in Gottes Willen aufgeht, der nichts mehr für sich selbst begehrt, nicht einmal den Ruhm des Märtyrertums“. Eliot erntete mit dem Drama, das später auch in bürgerlichen Theatern aufgeführt und sogar verfilmt wurde, einen grossen Erfolg, obwohl manche Theaterbesucher – vom reisserischen Titel etwas irregeführt – enttäuscht feststellen mussten, keinem Krimi beizuwohnen.

Auch in den späteren Gesellschaftsdramen T. S. Eliots bildete der Glaube das entscheidende weltanschauliche Fundament. Geschickt greift der Dichter in diesen Stücken antike Handlungsmodelle auf, um diese in einen christlichen Sinnzusammenhang zu stellen (Vgl. Knauers Grosser Schauspielführer). Wodurch die christliche Heilsbotschaft quasi unter der dramaturgischen Hand ins Publikum geschmuggelt wird. So ist Lord Harry Monchensey, die Hauptfigur in “The Family Reunion“ (Der Familientag, 1939), eigentlich eine dramatische Neugeburt des Orest aus der Tragödie “Die Orestie“ von Aischylos. Seine Frau hat der Lord auf mysteriöse Weise bei einer Schiffsreise auf dem Atlantik verloren (“von Deck gefegt mitten in einem Sturm“). Seine Familie übernimmt bei einer Familienzusammenkunft nach anfänglichem Geplauder die Funktion der antiken Rachegöttinnen, der Eumeniden, und zwingt ihn zu einem Schuldeingeständnis. Da bringt die anwesende Tante Agatha eine ganz neue Erklärungsdimension ins Spiel: Hat Lord Harry Monchensey vielleicht nur das getan, was sein verstorbener Vater, der mit Agathas Schwester, Lady Amy, verheiratet war, aber eigentlich Agatha liebte, auf der Gedankenebene tat: die eigene Ehefrau töten? Harry erkennt, dass sein eigenes Leben wie von Geisterhand gesteuert wurde, und kommt zu dem Ergebnis, dass er diese auf ihn übertragene Schuld, den Familienfluch, sühnen muss. Als Missionar möchte er “irgendwohin jenseits der Verzweiflung“ gelangen.

Mission und Selbstentäusserung als Auswege von allen Problemen des modernen Lebens – dieses Motiv klingt auch in dem Stück “The Cocktailparty“ an, das in seiner inneren Bauweise an die “Alkestis“ von Euripides erinnert, nach außen aber zunächst wie eine typisch britische Konversationskomödie a la Oscar Wilde wirkt. Edward Chamberlayne empfängt Gäste zu der dem Stück den Titel gebenden Party. Man plaudert, amüsiert sich. Einziger Haken: Seine Ehefrau Lavinia hat ihn, was er zunächst nicht zugeben will, verlassen, um ihren Geliebten aufzusuchen. Das Eheleben der Chamberlaynes ist nämlich schon längst etwas trübe geworden. Edward, der seinerseits eine Affäre mit der zur Party eingeladenen Celia Coplestone hat, vermisst seine Frau aber dennoch. Und so kommt es, dass ein geheimnisvoller Gast, der Psychiater Sir Henry Harcourt Reilly, zur metaphysischen Wendegestalt des Dramas wird. Schonungslos ist seine Paar-Diagnose: “Ein Mann, der sieht, dass er nicht imstande ist, zu lieben, und eine Frau, die sieht, dass kein Mann sie lieben kann.“ Schonungslos barmherzig auch sein Rat: Beide sollen “das Beste aus einer schlimmen Lage machen“, ihre Ideale erden, begrenzen und zusammenbleiben. Celia Coplestone hingegen ermutigt der Psychiater zu einem gefahrvollen Glaubensweg. Sie willigt ein. Als Ordensschwester wird sie – Eliot zeigt in diesem Fall keine Berührungsängste mit dem Melodrama – im Dschungel den Märtyrertod erleiden. Reilly kommentiert dies am Ende des Stückes, als erneut eine Cocktailparty stattfindet, auf folgende Weise: “Ich wusste nicht, dass sie auf diese Weise sterben würde, sie wusste es nicht. So war alles, was ich tun konnte, sie auf den Weg der Vorbereitung zu weisen. Der Weg, den sie wählte, führte in diesen Tod. Und wenn das kein glücklicher Tod ist, welcher Tod wäre glücklich.“

Die deutlichsten autobiographischen Züge hat man Eliot, der 1948 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, 1954 (zu seiner Verwunderung) den Hansischen Goethepreis erhielt und nach dem Tod seiner ersten Frau 1957 erneut heiratete, stets mit dem Stück “Ein verdienter Staatsmann“ (1958) unterstellt: Lord Claverton ist in diesem Drama, das an “Ödipus auf Kolonos“ von Sophokles erinnert, die Hauptfigur. Ein arrivierter Ex-Politiker und Rentner, welcher sich vor der Welt so gekonnt selbstinszeniert hat, dass sein wahres Ich abhanden gekommen ist. Durch die Begegnungen mit den Menschen seiner Vergangenheit angeregt, erkennt Claverton allmählich die dramatische Aufgabe, sich mit seinem authentischen Selbst zu versöhnen. Durch eine Beichte gegenüber seinen Angehörigen wird Lord Claverton, der eigentlich Dick Ferry heisst und kein Adeliger von Geburt ist, zur wahren Liebe und Identität fähig. Die Wahrheit gibt ihm den Seelenfrieden, das höchste Ziel der menschlichen Existenz, zurück. “Ich bin befreit worden von dem Selbst, das vorgibt, Jemand zu sein, Und indem ich Niemand werde, fange ich an zu leben. Es lohnt sich zu sterben, um zu finden, was Leben ist.”

Am 4. Januar 1965 starb T.S. Eliot im Alter von 76 Jahren. Seine Asche befindet sich in der St. Michaelskirche in dem Dorf East Coker im Distrikt South Somerset, aus dem seine britischen Vorfahren stammen. Im Gedicht “Vier Quartette“ hat Eliot dem Dorf und sich selbst ein poetisches Denkmal gesetzt. “In meinem Anfang ist mein Ende. Nun fällt das Licht/ Über das offene Feld und lässt den tiefen Hohlweg/ Übergittert von dichtem Geäst dunkel am Nachmittag“.

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